Protocol of the Session on January 28, 2004

Ich bin auf die Diskussion in den Ausschüssen gespannt und möchte empfehlen, den Gesetzentwurf nicht nur in den Hauptund den Innenausschuss, sondern darüber hinaus in den Ausschuss für Haushalt und Finanzen zu überweisen. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Herrn von Arnim. - Wir sind am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung.

Das Präsidium empfiehlt Ihnen die Überweisung des Gesetzentwurfes - Drucksache 3/6939 - einschließlich Korrekturblatt zur federführenden Beratung an den Hauptausschuss und an den Ausschuss für Inneres. Darüber hinaus beantragt die Fraktion der PDS die Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen sowie an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Damit ist Ihr Antrag, Herr von Arnim, mit berücksichtigt. Wer dieser Überweisungsempfehlung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit haben Sie einstimmig so beschlossen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen in Brandenburg

Große Anfrage 62 der Fraktion der PDS

Drucksache 3/6087

Antwort der Landesregierung

Drucksache 3/6507

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt mit dem Beitrag der Fraktion der PDS. Frau Abgeordnete Bednarsky, Sie haben das Wort.

Ehe Sie am Rednerpult sind, möchte ich Gäste im Landtag Brandenburg begrüßen, und zwar Mitglieder des Stadtchors Guben. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Sie brauchen aber nicht zu singen.

Bitte schön, Frau Bednarsky.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion sind Integration und Chancengleichheit von behinderten Mädchen und Frauen ein wesentliches sozial- und frauenpolitisches Ziel. Um auf die doppelte Benachteiligung von Mädchen und Frauen mit Behinderungen einerseits gegenüber den nicht behinderten Frauen und andererseits gegenüber den behinderten Männern ausdrücklich hinzuweisen, haben wir anlässlich des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen der Landesregierung diese Große Anfrage zur Lebens- und Arbeitssituation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen vorgelegt.

Sie selbst können sich hoffentlich noch erinnern, wie die Landesregierung das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen festlich begangen hat, mit einem Behindertengleichstellungsgesetz, das noch nicht einmal die Barrierefreiheit des Sozialamtes oder der Wohngeldstelle vor Ort garantiert, mit der 20%igen Kürzung des Landespflegegeldes, mit einer hingenommenen Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, die seit Jahren noch nie so hoch wie heute war usw.

Die soziale Schieflage in der Bundesrepublik zwischen Arm und Reich war noch nie so dramatisch wie heute. Über eine Million Kinder, die von Sozialhilfe abhängig sind - das ist nur eines von vielen Beispielen. Es ist das Ergebnis von 20 Jahren Umverteilung von unten nach oben durch die jeweils Regierenden. Das behauptet nicht allein die PDS, sondern auch der Professor für Sozialwissenschaften Friedhelm Hengstbach.

Die Beantwortung von Kleinen und Großen Anfragen durch die Landesregierung zeigt deutlich, welche Defizite es bei der Datenerhebung gibt. Oder es ist die Bankrotterklärung dieser Regierung, die die Hände hebt und abwehrend flüstert: Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.

Ein großer Teil der Fragen kann nicht oder nur zum Teil beantwortet werden, da die hierfür erforderlichen Daten von den Rehabilitationsträgern erhoben werden und der Landesregierung nicht zur Verfügung stehen.

Einige Fragen betreffen zudem originäre Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen, beispielsweise diejenigen zu Frauenhäusern oder der Wohnsituation behinderter Frauen und Mädchen, oder können aufgrund der Besonderheit der Datenerhebung, zum Beispiel die der polizeilichen Kriminalstatistik, nicht beantwortet werden.

Das heißt doch nichts anderes, meine Damen und Herren, als dass dieses Land sozial- und frauenpolitisch ohne wichtige Basisdaten und Praxiserkenntnisse regiert wird. Wie wollen Sie, Herr Minister Baaske, beispielsweise die Zahl der vollstationär betreuten behinderten Menschen reduzieren, um mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen durchzusetzen, ohne die gewiss erschreckend geringe Zahl an ambulanten betreuten Wohnangeboten in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten zu kennen? Wäre das Gemeindefinanzierungsgesetz nicht auch ein Instrument, um eine für das Land wichtige Informationspflicht der Kommunen festzulegen?

Das Gleiche gilt für ein Landesausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz, aus dem die Landkreise und kreisfreien Städte ihre Pflicht zur Eingliederung von behinderten

Menschen im ambulanten Bereich ableiten. Auch im Ausführungsgesetz zum BSHG könnte man, wenn eine nicht nur rein statistische Planung der Behindertenhilfe im Land bezweckt wird, eine Informationspflicht für die Kommunen verankern, ohne die Selbstverwaltung der Landkreise und kreisfreien Städte infrage zu stellen. Ja, ich glaube sogar, dass ein freundliches Anschreiben an die Landkreise und kreisfreien Städte beispielsweise wegen der Frauenhäuser ebenso wie an andere Rehabilitationsträger als an die kommunalen Sozial- oder Jugendämter der Landesregierung wichtige Sozialdaten nicht nur zur Beantwortung unserer Großen Anfrage beschert hätten. Ich möchte an das Beispiel von Herrn Reiche erinnern. Er hat es für die Anfrage gemacht und, siehe da, man bekommt Antwort, wenn man es richtig angeht.

Es kommt mir diesbezüglich so vor, als sei die Landesregierung das einzige erfolgreiche Produkt von CargoLifter, ein Luftschiff, das abgehoben über der Lebenspraxis der Menschen in diesem Lande schwebt.

Ich komme auf die Beantwortung der Großen Anfrage zu sprechen. Die Antwort auf Frage 7 verweist auf den familienentlastenden Dienst. Wer sich nur ein wenig an der Basis in den Landkreisen und kreisfreien Städten auskennt, weiß, dass familienunterstützende und familienentlastende Dienste in Brandenburg Mangelware sind. Einige kommunale Gebietsköperschaften hatten solche Dienste aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz bezuschusst, andere sie über die Eingliederungshilfe "Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft" finanziert. Insgesamt stehen diese Dienste in Brandenburg jedoch finanziell auf sehr unsicheren Füßen. Eine Landesregierung, die den Bedarf und den Anspruch auf stationäre Betreuung in Wohnstätten zu Recht nicht anwachsen lassen will, sondern ihn durch Mehrangebote an ambulanter Hilfe unnötig machen möchte, muss Konzepte entwickeln, wie sie auch mit Landesmitteln diese Dienste stabilisiert und ihre landesweite Präsenz absichert.

Zu den Fragen 10 und 11 - Bildung im Kita-Bereich - möchte ich Sie für ein großes Problem sensibilisieren und auffordern, dafür zu sorgen, dass die so genannte 30-Tage-Regelung für Integrationskinder außer Kraft gesetzt wird. Danach haben Integrationskinder, die mehr als 30 Tage durch Krankheit und Urlaub fehlen, keinen Anspruch mehr auf einen Kita-Platz. Ausnahmen werden nur bei Kur- und Krankenhausaufenthalten gemacht. Jeder, der sich in der Materie auskennt, weiß, dass ein behindertes Kind in den ersten Lebensjahren häufiger als ein anderes Kind erkrankt. - Diese Verfahrensweise ist unsozial und bedeutet aus meiner Sicht eine Ungleichbehandlung gegenüber nicht behinderten Kindern und deren Familien.

In der Antwort auf Frage 16 geht die Landesregierung davon aus, dass im Rahmen von Integration grundsätzlich alle Angebote der außerschulischen Jugendbildung auch von Mädchen und jungen Frauen mit Behinderungen wahrgenommen werden können. Alle, die im Behindertenbereich beruflich oder ehrenamtlich tätig sind, wissen aber, dass die meisten Bildungseinrichtungen und außerschulischen Kursangebote weder rollstuhlgerecht sind noch beispielsweise technische Geräte vorweisen, um schwerhörige Jugendliche akustisch zu versorgen.

Zur Beantwortung der Fragen 20 und 22 muss der Ehrlichkeit halber wohl gesagt werden, dass die Bundeskampagne zur Schaffung von 50 000 Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte

schon seit Oktober 2000 lief, in Brandenburg mit der Umsetzung der Kampagne aber erst im Jahre 2002 richtig begonnen wurde. So war beispielsweise das Sonderprogramm SOFIA für schwerbehinderte Frauen mit Arbeitsverträgen für meist nur sechs Monate ausgestattet. Daher der im Jahre 2002 in der Antwort auf die Frage 20 so erfolgreich vermerkte hohe Anteil von Frauen aus Brandenburg, die in Arbeitsmaßnahmen gebracht worden waren.

Von den 569 Frauenarbeitsplätzen - wie die Landesregierung schreibt -, die durch das Sonderprogramm SOFIA entstanden waren, gab es im Juni 2003 jedoch nur noch 164 und nur 89 Frauen hatten einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das ist ein Anteil von 15,6 % der Frauen, die durch die Maßnahme tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt vermittelt wurden.

Die Beantwortung der Frage 28 hätte erfordert, dass die Landesregierung bei der Landesversicherungsanstalt und bei der Bundesversicherungsanstalt Daten darüber einholt, wie viele weibliche Einwohner des Landes Brandenburg eine Berufsunfähigkeitsrente bzw. eine Erwerbsminderungsrente erhalten.

Die Angabe behinderter weiblicher Beschäftigter in Landesbehörden ist - wie die Antwort auf Frage 31 zeigt - aufgrund veralteter statistischer Datenerfassung nicht möglich.

Die Beantwortung des Fragenkomplexes zum sexuellen Missbrauch von behinderten Mädchen und Frauen ist doch einigermaßen überraschend, weil nur auf die polizeiliche Kriminalstatistik verwiesen wird. Hat die Staatsanwaltschaft des Landes Brandenburg keine Unterlagen über den sexuellen Missbrauch beispielsweise widerstandsunfähiger Frauen und Mädchen? Gibt es im Land Brandenburg keine Statistiken der Gerichte, bei denen Verfahren nach § 179 Strafgesetzbuch anhängig waren? Wie wollen das Innenministerium und das Justizministerium ihren Aufklärungspflichten nachkommen, wenn sie nicht einmal über Daten zur Anzahl von Anzeigen und Verfahren verfügen?

Auf dem Gebiet des sexuellen Missbrauchs von behinderten Mädchen und Frauen ist ein sensibles, aber sachkompetentes Vorgehen vonnöten. Sollte da nicht bei der Erfassung dieser Daten ein Umdenken einsetzen, um behinderte Menschen besser beraten und schützen zu können?

Die Antwort auf Frage 54 zeigt wiederum, dass sich die Landesregierung nicht bemüht hat, diese Fragen zu beantworten. Die Sterilisation der meisten geistig behinderten Mädchen und Frauen ist durch die Vormundschaftsgerichte zu genehmigen. Also müssen darüber auch Angaben vorliegen.

Abschließend möchte ich Sie auffordern, durch Gesetzesänderung die Erfassung von Sozialdaten auch aus dem ambulanten Bereich endlich zu ermöglichen, um sich einen klaren Einblick in die gesamte Behindertenhilfe verschaffen zu können. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Bednarsky. - Ich gebe das Wort der Fraktion der SPD. Frau Abgeordnete Konzack, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt uns erneut die Gelegenheit, die Lebenssituation behinderter Menschen in Brandenburg zu thematisieren. Die uns vorliegende Antwort auf die Große Anfrage ist auch wieder reich an Datenmaterial. Ginge es nach der PDSFraktion, wäre die vor uns liegende Drucksache noch dicker. Frau Bednarsky hat ja gerade bedauernd festgestellt, wie viele Fragen nicht beantwortet worden seien.

Frau Bednarsky, Sie haben die Antworten zu den einzelnen Fragen jetzt aus Ihrer Sicht beleuchtet. Ich möchte das Gleiche jetzt aus meiner Sicht bei einigen Fragen und den Antworten darauf tun.

Die PDS erbat beispielsweise bei der Frage 5 Angaben zur Wohnsituation behinderter Frauen und Mädchen. Worin sich diese von der behinderter Jungen und Männer unterscheiden soll, ist mir nicht ganz klar. Das war wohl auch der Landesregierung nicht ganz klar.

Frage 6 bezieht sich auf den Familienstand, Frage 18 auf das Studium und Frage 43 auf den Anteil behinderter Frauen in öffentlichen Ämtern und Funktionen.

Die PDS-Fraktion hat außerdem gefragt - das haben Sie eben noch einmal ausdrücklich betont -, wie viele behinderte Frauen und Mädchen Opfer von häuslicher Gewalt, von Gewalt im öffentlichen Raum und Opfer von sexuellem Missbrauch in teilbzw. vollstationären Einrichtungen wurden. Die Antwort der Landesregierung lautet: „Eine nach solchen Kriterien differenzierte Kriminalstatistik liegt nicht vor.“

Aber ich sage ganz klar: Mich hat diese Fragewut sehr verwundert. Einige Fragen von Ihnen sind berechtigt, aber einige - so muss ich einmal sagen - sind meiner Meinung nach übertrieben; die habe ich jetzt aufgezählt.

Ist es nicht eigentlich unser Ziel, dass Behinderung vor allem von den Betroffenen selbst nicht mehr als solche wahrgenommen werden muss? Wie kann man sich als Betroffener aber als normales Mitglied unserer Gesellschaft fühlen, wenn man in allen seinen Lebensbereichen statistisch gesondert ausgewiesen wird? Für mich ist das wahrlich kein Beitrag zur Integration, zumal sich mir der Nutzen der Datenerhebung und Datendifferenzierung in diesem Fall nicht erschließen will.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Gerade Sie, Frau Bednarsky, haben immer betont, dass die Behinderten gleichgestellt werden sollen. „Gleichgestellt“ bedeutet auch, dass bestimmte Dinge nicht extra registriert werden. Wie viele Behinderte verheiratet sind - ich werde gleich auch noch zu einer anderen Sache kommen - oder in öffentlichen Ämtern sind oder eine herausragende Funktion haben, sind Fragen, die ich als diskriminierend empfinden würde, wenn ich Betroffene wäre. Ich weiß nicht, was solche Fragen sollen. Sie sollten einmal überlegen, ob Sie damit das, was Sie erreichen wollen, nämlich eine Gleichstellung von Behinderten mit nicht Behinderten, nicht eigentlich konterkarieren.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU - Zwischenruf der Abgeordneten Bednarsky [PDS])

Eine Frage - das sage ich hier auch ganz deutlich - muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen; diese Frage ist von der Landesregierung auch nicht beantwortet worden. Ich trage sie jetzt einmal wörtlich vor: „Wie viele Sterilisationen sind jährlich bei geistig behinderten Mädchen und Frauen vorgenommen worden?“