Protocol of the Session on January 28, 2004

Früher konnte auch der Arzt im Krankenhaus Rezepte ausstel

len und krankschreiben. Ich halte das für eine sehr vernünftige Struktur. Zu etwas Ähnlichem müssen wir irgendwann wieder kommen.

Wir haben die Möglichkeit - das hat der Kollege vorhin schon gesagt -, die medizinischen Versorgungszentren, die ehemaligen Polikliniken, weiter voranzubringen. Das ist insbesondere für Brandenburg ein wichtiger Punkt. Ich hoffe, dass das nicht nur in den urbanen Gebieten gut läuft, sondern sich auch ein positiver Effekt für dünn besiedelte Regionen einstellt. Vielleicht können wir den einen oder anderen Arzt dafür gewinnen, sich in einer Poliklinik anstellen zu lassen, damit er nicht in das Obligo gehen muss, eine eigene Praxis aufzubauen.

Es geht auch um die Anpassung der Arzthonorare und darum, dass die Krankenhäuser ambulante Leistungen erbringen können. Das ist für mich sehr wichtig.

Ich hätte mir gewünscht - so war es im Regierungsentwurf von Ulla Schmidt auch enthalten -, dass diese Leistungen der Krankenhäuser dauerhaft erbracht werden können. Ich kann mir schwer vorstellen, dass ein Krankenhaus ein CT installiert, weil in der Region keines ist, oder einen Augenarzt einstellt, weil in der Region kein anderer praktiziert, wenn die KV zwei Jahre später sagt: Jetzt haben wir einen, jetzt darfst du das nicht mehr anbieten. - Ich hielte das für ziemlich albern. Ich hätte mir gewünscht, dass wir bei dem Regierungsentwurf geblieben wären. Wenn wir die Krankenhäuser besser in die Verantwortung hätten nehmen können, wäre wahrscheinlich mehr herausgekommen.

Lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Herr Dr. Wagner, ich karte ungern nach, aber da Sie vorhin so scharf argumentiert haben, werde ich es jetzt auch tun. Die blödsinnige Idee, den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der GKV herauszunehmen, kann man mir bis heute nicht erklären. Das hat Seehofer nicht verstanden, das haben wir am Verhandlungstisch nicht verstanden; es waren andere Leute in der Spitze von CDU und CSU, die das so wollten. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass das ein kluger Schritt war. Womöglich werden wir den Zahnersatz in Zukunft wieder hereinnehmen und die aktuelle Regelung rückgängig machen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Baaske. - Das Wort geht noch einmal an die Fraktion der SPD. Bitte, Herr Abgeordneter Kallenbach.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Minister hat schon Wesentliches zur Klarstellung beigetragen, sodass ich mich auf wenige Punkte beschränken kann.

Zunächst zur Antragstellerin. Die PDS-Fraktion hat ein Horrorszenario entwickelt, welche Leistungen angeblich nicht mehr erbracht werden könnten. Wenn Sie in der Pflicht wären, ein Gesetz zu konzipieren, und sich im Ausland umgeschaut hätten,

(Zurufe von der PDS: Genau! Das haben wir gemacht!)

zum Beispiel in Großbritannien oder in Holland, dann hätten Sie Ihr blaues Wunder erlebt, weil es kein Modell gibt, das Ihren Vorstellungen entspräche. Insofern ist es nicht redlich, ein solches Horrorszenario zu malen; es trifft so nicht zu.

In einem Punkt besteht zwischen uns allerdings grundlegende Übereinstimmung - darauf komme ich noch zu sprechen -, nämlich hinsichtlich der Bürgerversicherung. Wir Sozialdemokraten haben sogar schon vertieft darüber diskutiert und dieses Modell nicht bloß als Schlagwort vor uns hergetragen.

Die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche werden nicht zusammengestrichen, sondern eine von sieben ist zur Entlastung der Kommunen als nicht mehr notwendig erachtet worden. Das nur als Anmerkung zu einem fachlichen Detail.

Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Wagner, die Ausführungen des Ministers waren wesentlich, aber über Ihren heutigen Redebeitrag bin ich erschüttert. Einige Unionspolitiker - ich nenne nur Geisler, Seehofer und Blüm - tragen die Idee der Bürgerversicherung durchaus mit. Wenn ich Sie richtig verstanden habe Sie können sich vielleicht noch einmal im Dialog dazu äußern -, betrachten Sie das Modell fast als Teufelszeug. Das will mir nicht in den Kopf.

Ich muss dazu noch einen Ton sagen - ich habe es bereits anklingen lassen -: Wir haben über das Modell bereits intensiv diskutiert. Es darf nicht sein, dass die Solidarität von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen abgekoppelt wird.

(Dr. Wagner [CDU]: Wir haben in Leipzig die Antwort gegeben, Herr Kallenbach!)

Wir führen eine vertiefte Diskussion; das ist hinsichtlich der Kopfpauschale noch nicht geschehen. Ich biete Ihnen an, in eine Debatte über die verschiedenen Modelle einer Bürgerversicherung einzutreten: Soll es ein einheitliches Modell einer umfassenden gesetzlichen Krankenversicherung mit Beschränkung des Leistungskatalogs der privaten Krankenversicherung auf Zusatzversicherungen sein? Sollen die gesetzlichen und die privaten Krankenversicherungen in einen Wettbewerb unter unterschiedlichen Systembedingungen eintreten? Sollen die unterschiedlich organisierten und finanzierten GKV und PKV bestehen bleiben, wobei die Solidarpflicht der PKV im Rahmen eines Risikostrukturausgleichs erweitert wird?

Es wird versucht, diese Modelle durchzurechnen; das Modell der Kopfpauschale ist noch nicht detailliert durchgerechnet worden. Ich finde es nicht gut, wenn eine ideologische Verzerrung erfolgt, zum Beispiel dadurch, dass von der privaten Krankenversicherung und von den Arbeitgeberverbänden entsprechende Anzeigen geschaltet werden. Ich denke, die schwarzen Limousinen, von denen Herr Dr. Wagner sprach, sind am wenigsten bei Sozialdemokraten zu finden.

Im Übrigen hatten auch Seehofer und seine Regierungsmannschaft ihre Zeit. Ich sehe aber, dass der Finanzbedarf der Kassen für unser solidarisches System immer noch vorhanden ist. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Dr. Kallenbach und gebe

abschließend der Fraktion der PDS das Wort. Bitte, Frau Dr. Enkelmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jahr war nur wenige Stunden alt, da erklärte Bundesgesundheitsministerin Schmidt vor allen Kameras und in alle Mikrofone hinein, und zwar, wie immer, lächelnd, die Reform sei gut angelaufen, alles sei paletti, die Reform werde von den Menschen angenommen, weil verstanden, ohne Murren bezahlten sie die Praxisgebühr, ein großes Reformwerk sei rundherum gelungen. Von Ihnen hier wird jetzt in das gleiche Horn gestoßen.

(Beifall bei der PDS)

Davon nehme ich einen aus, nämlich Herrn Dr. Wagner. Aber, Herr Dr. Wagner, seien wir doch einmal ehrlich. Sie sind ein einsamer Rufer in der CDU-Wüste;

(Beifall bei der PDS - Zwischenruf von der CDU: Das stimmt nicht!)

denn - das sage ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich -: Diese Koalition hat diesem so genannten Modernisierungsgesetz im Bundesrat zugestimmt.

(Beifall bei der PDS)

SPD und CDU haben dem zugestimmt. Sie, Herr Dr. Wagner, durften heute hier reden und dabei so tun, als ob Sie Opposition seien. Diese CDU hat aber zugestimmt.

(Beifall bei der PDS)

Wie ignorant muss man eigentlich sein, um nicht den Frust in Arztpraxen, bei Optikern und Apotheken wahrzunehmen, die deutliche Mehrbelastung von Schwestern durch das Ausstellen von Quittungen und das Kassieren der 10 Euro Praxisgebühr nicht zu sehen, die große Verunsicherung bei allen hinsichtlich der Fragen: Wer gilt nun wirklich als chronisch krank? Für wen reduziert sich die Zuzahlung? Ist die Praxisgebühr auch dann fällig, wenn nur ein Rezept am Tresen abgeholt wird? Welches Bonussystem bietet welche Krankenkasse?

Diese Unsicherheit ist auch durch die so genannten Klarstellungen der vergangenen Woche nicht beseitigt. Schauen Sie sich das Papier an. „Chronisch krank“ ist eine Verbindung von mehreren Komponenten, die gleichzeitig vorhanden sein müssen. Das trifft auf viele nicht zu. Es bleibt nach wie vor ein kleiner Teil, der am Ende tatsächlich 1 % zahlt.

(Frau Förster [SPD]: Ein großer Teil!)

Gestern nun titelt die „Berliner Morgenpost“: Praxisgebühr vor dem Aus. - Das, meine Damen und Herren, ist nun wirklich Chaos pur.

(Beifall bei der PDS - Klein [SPD]: Können wir etwas dafür?)

Schlimmer noch: Was so schön klingend als Gesundheitsreform gefeiert wird, ist ein schamloser Griff in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der PDS)

Es ist eine Vortäuschung falscher Tatsachen; denn schon jetzt steht fest: Das Problem des drohenden Finanzkollaps der Krankenkassen wird nicht gelöst. Herr Minister Baaske, es ging eben nicht nur um die Alternative Kürzung von Leistungen, sondern es ging zum Beispiel auch darum, was an Ausgaben durch die Krankenkassen geleistet wird - Stichwort Wasserkopf -, welche Privilegien für die Pharmaindustrie vorhanden sind und wie das reduziert werden kann, die Positivliste.

(Beifall bei der PDS)

Das ist seit längerem auf der Agenda, aber nichts ist passiert.

(Beifall bei der PDS)

Diese Reform ist unsozial und offenbart eine deutliche Abkehr vom Sozialstaat. Sie ist unsolidarisch, weil sie einseitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem Alte und Kranke belastet.

Plötzlich aber will es niemand mehr gewesen sein.

(Zwischenrufe von der SPD)

- Die Vorschläge hat meine Kollegin Bednarsky im ersten Teil ausführlich erläutert.

(Beifall bei der PDS)

Ich bitte Sie einfach, das nachzulesen. Ich gebe Ihnen gleich auch noch eine Broschüre, die wir gemacht haben. Darin können Sie das alles sehr gut nachlesen.

Plötzlich also will es niemand mehr gewesen sein. Die Gesundheitsreform, vom Bundeskanzler in seiner Rede zur Agenda 2010 zum „wichtigsten und notwendigsten Teil der innenpolitischen Erneuerung“ erklärt, scheint gewissermaßen vom Himmel gefallen zu sein.

Die Selbstverwaltung ist schuld, meint die Gesundheitsministerin und heute auch hier Herr Kallenbach.

(Zwischenruf von der SPD: Das ist auch richtig!)