Protocol of the Session on May 22, 2003

Herr Hammer, bitte.

Ein Teil meiner Frage ist schon beantwortet worden. Sind Ihres Wissens aber weitere Maßnahmen der Jugendbildung und der Jugendfreizeitförderung von der aktuellen Haushaltssperre betroffen?

Sie haben eine Frage gestellt, die ich jetzt nicht in Gänze beantworten kann. Ich nehme darauf Bezug: Es ist so, dass wir die Möglichkeit hatten, bis zu 75 % der Mittel weiterzugeben. Dies ist auch - z. B. beim Landesjugendring und beim Landessportbund - geschehen. Wir haben darüber hinaus nach dem 4. HWR-Schreiben die Möglichkeit, entsprechende Anträge zu stellen. Wir werden sicherlich auch prüfen, welche Möglichkeiten es diesbezüglich gibt. Ich würde Ihnen vorschlagen, dass wir dieses Thema nach unserer Prüfung noch einmal aufgreifen und dann das Gespräch dazu führen.

Frau Faderl, bitte.

Herr Staatssekretär, bis wann werden alle Träger, die mit Schülerinnen und Schülern arbeiten, ihre Zuwendungsbescheide erhalten haben, und welche Auswirkungen hat die aktuelle Haushaltspolitik auf den Trägerbestand in seiner Vielfalt?

Ich glaube, die erste Frage habe ich schon beantwortet: Wir werden dies prüfen. Wir haben zum Teil, je nach Möglichkeiten, bereits Zuwendungen für das Jahr ausgegeben; das ist auch im Kulturbereich so. Zum Teil haben wir dies nicht gekonnt, weil wir die 75 % als Summe entsprechend einzuhalten hatten. Wir gehen davon aus, dass diese Entscheidungen im zweiten Halbjahr zu treffen sein werden. Inwieweit also nicht nur Vorauszahlungen oder -bescheide, sondern auch generelle Zuwendungsbescheide für das gesamte Jahr ausgestellt werden könnten, müssen wir im zweiten Halbjahr entscheiden.

Ich gehe davon aus, dass die Gespräche, die wir mit den Trägern führen, in die Richtung laufen, dass die Maßnahmen, wenn auch gekürzt, durchgeführt werden können.

Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt und ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.

Ich rufe noch nicht den Tagesordnungspunkt 2 auf; denn wir haben heute zum einhunderttausendsten Mal politische Bildung im Landtag. Heute haben wir den einhunderttausendsten Besucher, seit wir in der 1. Wahlperiode mit der Arbeit begonnen haben. Dies ist politische Arbeit live. Dies ist die Basis für ein authentisches Bild der Arbeit der Abgeordneten mit all dem, was Herr Klein gestern schon an Einschränkungen suggeriert hat.

(Klein [SPD]: Ich habe mich noch zurückgehalten!)

Ich freue mich sehr darüber, dass es einen jungen Menschen trifft, der der Einhunderttausendste ist und damit Aufmerksamkeit für etwas erzeugt, das für mich in sehr dankbarer Weise von der Besucherbetreuung der Verwaltung des Landtages Brandenburg wahrgenommen wird. Einhunderttausendmal Besuch gehabt zu haben ist, meine ich, auch ein Zeichen dafür, dass man sich als Gastgeber nicht zu verstecken braucht. Es ist Elisabeth Schulz von der Goethe-Realschule aus Eberswalde, die als Neuntklässlerin unter uns ist. Ich darf ganz herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.

(Allgemeiner Beifall)

Vorhin sagte jemand von den Schriftführern: Wenn mir das passiert wäre, ich glaube, ich wäre gestorben. - Aber Sie sehen, die jungen Leute verfügen über ausreichend Selbstbewusstsein. Das ist etwas, was sie - ich will nicht gerade sagen - als alltäglich, aber als ertragenswert empfinden. Ich finde das sehr schön. Auch das ist ein Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung und einer Ausbildung in den Schulen, wie wir sie haben wollen.

Der Tagesordnungspunkt 1 ist abgearbeitet. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:

Aktuelle Stunde

Thema: Verschärft die Politik der Bundesregierung (Agenda 2010) die sozial- und beschäftigungspolitischen Probleme in Brandenburg?

Antrag der Fraktion der PDS

Das Wort geht an den Fraktionsvorsitzenden. Herr Prof. Bisky, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube mich zu erinnern, dass kürzlich mit großem medialen Getöse auf Antrag der CDU/CSU ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den vermeintlichen Wahlkampflügen der SPD eingesetzt worden ist. Dieser hätte mit dem Kurs der Agenda 2010 ein wahres Betätigungsfeld.

Ich darf aus dem Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2002 zitieren:

„Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau.“

So heißt es im Wahlkampfprogramm.

(Beifall bei der PDS - Vietze [PDS]: Sehr richtig!)

Im rot-grünen Regierungsprogramm 2002 bis 2006 heißt es:

„Auch unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung sind informierte und mit Rechten ausgestattete Arbeitnehmer Garanten für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Erfolg. Im Gegensatz dazu gefährden Sozialdumping und der Abbau von Arbeitnehmerrechten nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit.“

Das steht im Programm der rot-grünen Regierung, das ist keine Erfindung von mir.

(Vietze [PDS]: Das ist richtig!)

Allein an einer Auseinandersetzung über den eklatanten vermeintlichen Wahlbetrug der Agenda 2010 hat die Union aber kein Interesse. Sie unternimmt den Versuch, im Detail ein wenig abgewandelt, im Grundsatz völlig deckungsgleich und einigungsbereit, im Wettbewerb um die härtesten Spar- und Streichprogramme mitzuhalten. Die Agenda 2010 ist de facto die Agenda der großen Koalition bundesweit, aber Sozialabbau und weitere Umverteilung von unten nach oben sind nicht alternativlos, nur weil sie von SPD und Grünen, von Union und FDP im Gleichklang vertreten werden.

Minderheiten bei SPD und Grünen, vor allem aber Gewerkschaften und soziale Bewegungen wagen es immerhin, eine Politik, die völlig einseitig zulasten der sozial Schwachen geht, als solche zu benennen und zu kritisieren. Sie legen zugleich alternative Konzepte vor. Man mag ja Einwände gegen die Konzepte des DGB haben, so einfach - ohne inhaltliche Auseinandersetzung - vom Tisch zu wischen sind sie nicht

(Beifall bei der PDS)

übrigens auch nicht die Vorschläge, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Aufruf „Sozialstaat reformieren statt abbauen - Arbeitslosigkeit bekämpfen statt Arbeitslose bestrafen“ dieser Tage der Öffentlichkeit unterbreitet haben.

Die märkische SPD schwankt zwischen 1 : 1-Umsetzungsrhetorik, wie schon bei Hartz, ein wenig Ostnachbesserungswünschen und vereinzelter Grundsatzkritik. Leichte kosmetische Korrekturen an der Agenda dank - ich sage ausdrücklich: dank - des Einsatzes von Abgeordneten der SPD erstritten, ändern nichts daran, dass diese Agenda ungeeignet ist, die Auf-derKippe-Situation des Ostens, um Thierse zu zitieren, zu entschärfen. Das trifft auch für das Land Brandenburg zu.

Ich finde, wenn allein die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau in Brandenburg einen Verlust an Kaufkraft von 250 bis 260 Millionen Euro nach sich zieht,

(Frau Gregor [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

dann darf man doch erwarten, dass sich die Wirtschaftsweisen in der SPD über die wirtschaftlichen Folgen Gedanken machen, wenn sie es schon nicht zu den sozialen Folgen tun.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass allein durch die angestrebten Sparmaßnahmen infolge zurückgehender Binnennachfrage in den nächsten zwei Jahren über 100 000 Arbeitsplätze wegbrechen. In welch krassem Missverhältnis steht das zu den 44 Arbeitsplätzen, die mit einer dreistelligen Millionensumme öffentlicher Mittel auf dem Lausitzring geschaffen wurden.

(Beifall bei der PDS)

Wer aktuelle Studien oder den Dritten Kinder- und Jugendbericht für Brandenburg zur Kenntnis nimmt, der wird im Übrigen auch nicht um die Feststellung umhinkommen, dass damit die Politik die Armutsrisiken noch weiter verschärft. In Ostdeutschland lebten 2002 fünfmal so viele Empfängerinnen von Arbeitslosenhilfe wie in Westdeutschland. Wer damit meint, auf die Pläne zur Absenkung auf Sozialhilfeniveau nur mit ein wenig Nachjustierung reagieren zu können, diese Pläne aber im Grundsatz billigt, handelt aus meiner Sicht sozialpolitisch verantwortungslos.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, die fast täglichen Meldungen über erneut bevorstehende Beitragssatzerhöhungen in der Krankenund Rentenversicherung machen doch zweierlei deutlich:

Erstens: Die sozialen Sicherungssysteme sind reformbedürftig - das sage ich ausdrücklich - und: Dafür braucht man Konzepte. Ich muss Ihrem aber nicht automatisch folgen.

Zweitens: Die Rezepte der Bundesregierung waren falsch. Sie haben sich bisher weder mit dem einen noch mit dem anderen Trick so recht aus der wahren Affäre ziehen können, sie haben sich nur über Wasser gehalten. Das geht jetzt nicht mehr. Jetzt wollen sie die falschen Medikamente, allerdings in noch höherer Dosis, verabreichen und das geht schief.

(Beifall bei der PDS)

Die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme ist bisher vor allem an den Faktor Arbeit gekoppelt, mehr noch an die spezifische Form der Arbeitnehmertätigkeit. Dieses Modell ist vor allem wegen der chronischen Arbeitsmarktkrise in Schwierigkeiten geraten. Dieses Problem allein auf den Schultern derer abzuladen, die noch Arbeit haben, und ihnen dabei auch die Einkommen zu beschneiden, etwa durch Niedriglöhne, ist weder sozial gerecht noch rechnet es sich.

Die Antwort der Agenda 2010 heißt Entsolidarisierung und Privatisierung. Unsere Antwort heißt: Stärkung von Solidarität und Wiederherstellung von sozialer Gerechtigkeit.

Die Agenda 2010 fordert zwar viele, aber nicht alle zur Lösung auf. Große Vermögen gelten für Bundesregierung und Union als unantastbar. Wir wollen dagegen, dass sich Steuern und Abgaben nach der finanziellen Leistungsfähigkeit rechnen.

(Beifall bei der PDS)

Der Sozialstaat bleibt finanzierbar, wenn alle Bürgerinnen und Bürger, auch die Beamten, Selbstständigen und Abgeordneten, nach ihrem Leistungsvermögen dazu beitragen.

(Beifall bei der PDS)

Die Steuerpolitik muss deshalb so ausgerichtet werden, dass Unternehmen und hohe Einkommen wieder stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden. Hierzu gehört die Erhebung einer Vermögensteuer. Bei einem Steuersatz von 1,5 % und einem Freibetrag von 500 000 Euro für eine vierköpfige Familie brächte das Mehreinnahmen von immerhin 23,9 Milliarden Euro.

Die Besteuerung von Zinseinkünften entsprechend dem persönlichen Steuersatz könnte zu Mehreinnahmen in Höhe von 15 Milliarden Euro führen. Die Einführung einer Börsenumsatzssteuer von 1 % auf Wertpapierumsätze würde Mehreinnahmen in Höhe von 13 Milliarden Euro für die öffentlichen Kassen bedeuten.