soziale Substanz dieser Gesellschaft in das 21. Jahrhundert transformieren. Das ist mit strukturellen Umbrüchen und Transferkosten verbunden. Wenn man sich diesen beiden Sachverhalten nicht zu stellen bereit ist, wird man diese Transformation, diese Reformidee nicht verwirklichen können.
Der jetzige Ansatz der Agenda 2010 wird nicht die Lösung bringen, weil er den Generationenvertrag infrage stellt, ohne eine gleichwertige Zielbestimmung der Gesellschaft daneben zu setzen. Diese Agenda wird Wachstum und Beschäftigung nicht im notwendigen Umfang initiieren.
Die Agenda 2010 hat einen Grundfehler. Man kann ein System nicht aus einem System heraus reformieren, wenn dessen Grundlagen nicht mehr vorhanden sind. Die Grundlagen unserer Sozialsysteme sind im 19. Jahrhundert von Bismarck gelegt worden und passen nicht in ein Zeitalter, in dem die wirtschaftliche Grundlage aus Bismarcks Zeiten nicht mehr existiert. Ich werde dies an zwei oder drei Beispielen exemplarisch verdeutlichen.
Erstens: Das System der Lohnnebenkosten - wir sind uns alle darüber einig, dass dies ein existenzielles Problem ist - wird nach wie vor - auch nach der Agenda 2010 - nach der Mitarbeiterzahl der Unternehmen berechnet. Das ist tatsächlich ein Ansatz aus dem 19. Jahrhundert und belastet genau die Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten, die im Land Brandenburg die Hauptmasse der Unternehmen - nämlich 89 % - ausmachen. Wenn dieser Ansatz nicht geändert wird und die Sozialsysteme nicht auf eine Mischung aus Beitragsfinanzierung und Steuerfinanzierung umgestellt werden, die sich nach der Wertschöpfung der Unternehmen und nicht nach deren Mitarbeiteranzahl richtet, ist das System nicht reformierbar.
Zweitens: Es wird als großer Erfolg gefeiert - ich begrüße jede positive Veränderung in der Agenda 2010, das will ich deutlich unterstreichen -, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer wieder verlängert werden soll. Nun sage ich jedoch, die gesellschaftliche Realität ist eine andere. Nicht erst mit 59 Jahren wird man heute nicht mehr vermittelt, sondern schon mit 40!
Damit kommen wir zu dem zweiten existenziellen Grundproblem: Die immer wieder angesprochene Brückenfunktion von Arbeitsmarktpolitik existiert nicht. Es ist eine Illusion, bei diesen strukturellen Umbrüchen davon auszugehen, dass diese Brückenfunktion aufrechtzuerhalten ist. Deswegen will ich einen alten Vorschlag der PDS noch einmal deutlich unterstreichen: Erkennen wir den gesellschaftlichen Wandel an und verändern das SGB III, streichen nämlich in § 1 endlich diese so genannte Brückenfunktion, weil sie so nicht mehr stattfindet, und erkennen an, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen neben Wachstumsimpulsen zur Sicherung von Beschäftigung eine strukturelle Bedeutung in Ost und in West haben werden.
Das würde uns die Voraussetzungen liefern, mit einem höheren Freiheitsgrad auch an die politischen Optionen der Arbeit
der Bundesanstalt für Arbeit heranzugehen und möglicherweise dann auch endlich eine Anerkennung der strukturellen Defizite in der Bundesrepublik, aber nicht nur hier, durchzusetzen.
Ich will meine Meinung an einem dritten Beispiel, am kommunalen Investitionsprogramm, das wir alle gemeinsam fordern, deutlich machen; ich befürchte nur, dass wir möglicherweise Unterschiedliches darunter verstehen.
Ich gehe davon aus, dass der Bundesfinanzbericht in allen Fraktionen intensiv ausgewertet wird. Herr Müller, wenn ich feststelle, dass bereits im Jahre 2000 die Steuereinnahmen der Kommunen im Land Brandenburg um 24 % gesunken sind und sich weiter im Absturz befinden, sowie nachlesen kann, dass Kommunen ihre Zahlungsfähigkeit über Kassenkredite mühsam aufrechterhalten, dann frage ich ernsthaft: Wer stellt dann die Kofinanzierung bereit? - Nicht, dass dies nicht notwendig wäre, sondern es kann schlicht und ergreifend nicht mehr finanziert werden.
Insofern besteht nicht nur Nachbesserungsbedarf bei der Agenda 2010, sondern die dringende Notwendigkeit, eine breite politische Debatte zu führen, um den strukturellen Wandel dieser Gesellschaft herbeizuführen. Es geht darum, Systembrüche nicht nur verbal zu artikulieren, sondern auch bereit zu sein, mit der Gesellschaft darüber zu kommunizieren und dies entsprechend umzusetzen.
Meine Damen und Herren, fragen Sie doch einmal 18- oder 20Jährige, wer von ihnen heute noch davon ausgeht, dass seine Rente sicher ist! Ich kenne niemanden.
Die Bereitschaft zum Wandel und zu Veränderungen ist da, aber die dazu aus dem politischen Raum unterbreiteten Angebote entsprechen weder der Bereitschaft zum Wandel noch der Notwendigkeit, eine gesellschaftliche Sicherheit wieder herzustellen. Insofern sage ich Ihnen deutlich: Die Agenda 2010 wird die Lösung der Probleme nicht bringen.
Meine Damen und Herren, ich sagte bereits, 89 % der Unternehmen in Brandenburg liegen im kleinen und mittelständischen Bereich mit bis zu 10 Beschäftigten. Nun sage ich, nicht nur die Bundesregierung hat ihre Hausaufgaben zu machen, sondern auch wir im Land. Selbstverständlich, Frau Finanzministerin: Alle in politischer Verantwortung Stehenden - ob Opposition oder Regierung - sind verpflichtet, die Steuerschätzungen, die Gutachten der Wirtschaftsweisen und anderer zur Kenntnis zu nehmen.
Ich befinde mich sowohl mit Vertretern der SPD als auch der CDU in guter Gesellschaft, wenn ich aber Folgendes noch einmal unterstreiche: Wachstumsprognosen, die ständig korrigiert werden, sind doch keine Überraschung. Soweit mir bekannt ist, vollziehen Sie die Statistiken genauso nach wie wir. Den Geschäftsindex vollziehen Sie genauso nach wie wir.
Wir haben Ihnen anlässlich der Debatten zum Nachtragshaushalt bereits gesagt: Die angenommenen Wachstumsraten sind schlicht und ergreifend falsch - und das nicht zeitlich begrenzt, sondern wir werden uns in Deutschland darauf einstellen müssen, dass Wachstumsraten auch mittelfristig nicht die Höhe erreichen werden, um Beschäftigungsimpulse tatsächlich umfassend umsetzen zu können.
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal unterstreichen, dass die Nachtragshaushaltsberatungen doch einen strukturellen Fehler gehabt haben. Alle Beteiligten wussten, dass die Zahlen, wenn sie beschlossen werden, 14 Tage oder drei Wochen später wieder korrigiert werden müssen.
Wir haben die Zeit verschenkt, uns über die eigene Verantwortung im ordnungs- und im strukturpolitischen Rahmen des Landes Brandenburg zu verständigen. Dazu möchte ich Ihnen abschließend einige Vorschläge unterbreiten, um auch das Vorurteil auszuräumen, es gehe um Verstaatlichung. Ich finde, dass wir uns diese politische Kultur langsam schenken können. Soweit mir bekannt ist, ist eine Reihe von Abgeordneten seit 1990 im Brandenburger Landtag tätig, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass irgendeine Partei den Ausweg in Verstaatlichung von Unternehmen gesehen hat.
Erstens: Wenn wir nicht übergehen zu einer Pflege der Substanz der bestehenden Unternehmen, was in erster Linie heißt, einen Zugang zu Kreditmarkt- und Finanzmitteln zu eröffnen, werden wir im Land Brandenburg in diesem Jahr eine flächendeckende Insolvenzwelle erleben. Wir werden es nur schaffen, wenn wir unsere ordnungspolitische Komponente als öffentliche Hand ausspielen und die ILB tatsächlich zu einer Mittelstandsbank umfunktionieren,
die insbesondere im Kleinstkreditgeschäft und im Bürgschaftsund Beteiligungswesen vorhandene Ansätze, die ich gar nicht bestreiten will, weiter ausbauen und als ein flächendeckendes Instrument im Land Brandenburg umsetzen muss. Wir werden anderenfalls aufgrund des fehlenden Kreditmarktzugangs von Unternehmen eine Finanzierung im Unternehmensbereich nicht sicherstellen können und daran kann niemand von uns Interesse haben.
Zweitens: Die Debatte um die EU-Strukturfonds wird uns über die gesamte Legislaturperiode begleiten. Ich habe mit Interesse den Vorschlag der CDU-Fraktion zur Kenntnis genommen, eine Neuverteilung vorzunehmen: 60 % EFRE, 20 % ESF, 20 % EAGFL. Ich weiß nicht, ob Ihr Koalitionspartner das zur Kenntnis genommen hat, ich erwarte aber spannende politische Debatten.
Ich möchte Ihnen einen anderen Vorschlag unterbreiten: Wenn wir die Investitionsfähigkeit des Landes Brandenburg und seiner öffentlichen Hand erhalten wollen, müssen wir dazu übergehen, die in den Regionen vorhandenen Vorstellungen auch auszufinanzieren. Das bedeutet im Klartext, dass man prüfen muss, ob man eine regionale Investitionspauschale zur Umsetzung regionalisierter Entwicklungsszenarien, die es in diesem Land in der Einheit von harten und weichen Standortfaktoren massenhaft gibt, dann nicht über eine Mittelbindung der europäischen Strukturfonds tatsächlich ausfinanziert.
Ich darf daran erinnern, dass der InnoRegio-Wettbewerb einen Schatz von Ideen im Land Brandenburg gehoben hat. Da ging es nicht um eine einzelbetriebliche Idee, sondern da ging es um die Umsetzung von Wachstum und Beschäftigung in den Regionen, die eine Anschubfinanzierung brauchten. Ich finde, was die Frage der Aufrechterhaltung der Investitionsfähigkeit im Land Brandenburg betrifft, können wir eine gemeinsame politische Debatte führen.
Drittens: Ausbildungsplatzabgabe. Meine Damen und Herren, ich halte im Gegensatz zu meinem Kollegen Müller die Frage der Ausbildung für ein zentrales Thema. Ich will auch deutlich sagen, warum. Wenn die Jugend in diesem Land eine Chance haben soll, muss ausgebildet werden, weil ohne Ausbildung keine Chance vorhanden ist.
Ich bin dankbar für jeden Ausbildungsplatz - gerade bei unserer Betriebsgrößenstruktur -, den ein Unternehmen anbietet. Aber ich will eines auch sehr deutlich sagen: Die Diskontinuität der Förderung nicht nur im Ausbildungsbereich, sondern auch in allen anderen Bereichen schadet dem Land Brandenburg massiv. Da wir mit weiter sinkenden Einnahmen der öffentlichen Hand auch im Land Brandenburg zu rechnen haben, möchte ich hier zumindest die Idee öffentlich in den politischen Raum stellen, über die Frage der Gründung einer Stiftung „Arbeit und Ausbildung“ nachzudenken. Diese hätte zwei Vorteile:
Erstens: Über die Satzung einer Stiftung wäre die Frage Ausbildungsfinanzierung/Ausbildungsstützung sehr gut regelbar.
Ich weiß nicht, ob ein Gesetz eine Ausbildungsplatzabgabe schaffen wird, wie es Herr Clement und andere jetzt sagen. Aber der Stiftungsansatz gibt uns einen Bewegungsspielraum, öffentliche und private Mittel zur Ausbildungsfinanzierung zusammenzuführen und vor allen Dingen eine Kontinuität der Ausbildungsförderung langfristig sicherzustellen. Die Frage der Ausbildungsqualifizierung entscheidet nun einmal mit über die Zukunftsfähigkeit des Landes Brandenburg. - Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Mein letzter Vorschlag, den ich Ihnen zumindest noch mit auf den Weg geben möchte, ist: Lassen Sie uns unsere Bürgschafts- und Beteiligungsprogramme umstellen von den banküblichen Sicherheiten hin zu einer Bewertung von Technologie- und Produktinnovation, von Marktsituation und von Qualitäten des Managements. Denn mit einem anderen ordnungspolitischen Ansatz werden wir, glaube ich, den Bedingungen im Land Brandenburg nicht gerecht werden können.
Ich danke dem Abgeordneten Christoffers. - Ich gebe das Wort der Fraktion der DVU, Herrn Abgeordneten Schuldt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein Desaster, dass in Regionen wie der Prignitz, der Uckermark oder der Lausitz jeder Vierte auf der Straße sitzt - und das nach offiziellen Statistiken. Im April 2003 betrug die Zahl der Arbeitslosen in Brandenburg, bezogen auf die abhängig Beschäftigten, 21 % oder über 262 000, davon 106 000 Langzeitarbeitslose mit einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um über 14 %.
Nach der Erhebung des Statistischen Bundesamtes vom 15. Mai ist das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland gegenüber dem Vorquartal um 0,2 % zurückgegangen und im nächsten Quartal wird es nicht besser aussehen. Deutschland befindet sich tief in einer Rezession und Brandenburg ganz besonders.
Doch nichts tut sich. Nein, es wird schlimmer. Und da gehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDUFraktion, her und beantragen heute diese Aktuelle Stunde - so, als wären Sie nicht Teil dieser Koalition, und so, als hätten Sie nicht Mitverantwortung für die wirtschaftlich-arbeitsmarktpolitische Lage in Brandenburg. Denn die Politik schafft die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, Herr Bartsch. Sind nicht auch unter Ihrer Mitwirkung - ähnlich wie während der SPD-Alleinmisswirtschaft seit 1990 - die Arbeitslosenzahlen ununterbrochen gestiegen? Stieg nicht auch unter Ihrer Mitverantwortung die Insolvenzzahl in Brandenburg, gerade im Bereich der kleinen und mittelständischen Betriebe?
Darüber hinaus wurde während der April-Plenarsitzung auf Antrag unserer Fraktion über dasselbe Thema debattiert. Wenn man böse wäre, könnte man von „Plagiat“ sprechen. Zumindest brauchten Sie wohl einen Souffleur. Oder haben Sie diesen Monat benötigt, Antworten zu suchen oder sich Fragen auszudenken?
Doch was sind Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion? Statt der so genannten Agenda 2010 wollen Sie sozusagen eine Super-Agenda mit noch mehr Kürzungen bei Arbeitslosen, Rentnern und Kranken. Ansonsten machen Sie die rote Wirtschafts- und Finanzpolitik munter mit. Wie sonst ist zu erklären, dass im Zuge der Beratungen zum Nachtragshaushalt allein 18 Millionen Euro an GA-Mitteln zusammengestrichen wurden und die Investitionsbank ILB im Jahr 2002 über 100 Millionen Euro weniger an Fördermitteln, insbesondere zum Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur, ausreichte? Bei Existenzgründern, Markterschließungsmaßnahmen für kleine und mittelständische Unternehmen - KMU -, Verbundforschung, Unternehmensgründungen aus dem universitären Bereich usw. usf. wurden gegen den erbitterten Widerstand unserer DVU-Fraktion die Mittel vollständig oder nahezu auf null gefahren und jetzt machen Sie sich im Gefolge von Herrn Schröder auch noch für die Abschaffung des Meisterbriefs im Handwerk stark.
Unsere DVU-Fraktion dagegen legte mit ihren „Perspektiven für kleine und mittelständische Unternehmen in Brandenburg“ klare und umsetzbare wirtschaftspolitische Forderungen und Lösungen vor, zum Beispiel Abschaffung des Ladenschlussge
setzes, Rücknahme der Verschärfung des Betriebsverfassungsgesetzes, Öffnungsklausel für KMU in Tarifverträgen, Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse in den ersten zehn Jahren bei Existenzgründungen, rigorose Entbürokratisierung der Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung der Ausschreibungen, Sicherungsrecht des Werklohns von Handwerksbetrieben im Baubereich, Abschaffung der Scheinselbstständigkeit und des 630-Mark-Gesetzes, Abschaffung der Ökosteuer oder auch die Einführung eines einheitlichen Versicherungsträgers in der Krankenversicherung, wie inzwischen auch von der Techniker-Krankenkasse gefordert, und Ausgliederung versicherungsfremder Leistungen aus allen Sozialversicherungen, also Senkung der Lohnnebenkosten.
Darüber hinaus muss das Investitionszulagengesetz umgehend verlängert und ausgeweitet und eine wirkliche Steuerreform durchgeführt werden, die diesen Namen auch verdient. Denn nur dann, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion und aller hier im Hause vertretenen Parteien, kann man wirklich von „Wirtschaft schafft Arbeit“ sprechen.
Ich danke dem Abgeordneten Schuldt. - Ich erteile das Wort der Landesregierung, Herrn Minister Junghanns.