Etliche Vorschläge, wie man den Ärztemangel beheben kann, wurden unterbreitet, auch heute hier im Plenum: von einer Umsatzgarantie für Praxen über so genannte Buschzulagen für Landärzte bis zu der Idee, die Kassenärztliche Vereinigung oder auch die Kommunen könnten frei werden Praxen aufkaufen, um sie jungen Ärzten zur Verfügung zu stellen. Auch über eine Zwangsverpflichtung der Studienabgänger für einige Jahre, wie zu DDR-Zeiten praktiziert, wurde kurzzeitig diskutiert. Denn nur ein Drittel der jährlich 2 000 Absolventen des Medizinstudiums geht tatsächlich in Arztpraxen. Die Masse folgt den Verlockungen des Auslands oder der Pharmaindustrie.
Meine Damen und Herren, die Problematik des stetigen Ärztemangels ist seit längerem bekannt. Es wurde viel diskutiert und mittlerweile wurden auch einige Lösungsvorschläge umgesetzt. So wurden als wegweisendes Resultat politischer Bemühungen zum Beispiel die vertraglich ausgehandelte Umsatzgarantie für Kassenärzte in unterversorgten Gebieten und die Anhebung der Wegepauschalen im ländlichen Bereich angeführt.
Auch versucht man den Ärztemangel speziell in den Kliniken mit dem Einsatz polnischer Ärzte zu kompensieren. Meine Damen und Herren, ist das nicht traurig, dass Deutschland als hoch entwickelte Industrienation auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist? Doch nun frage ich mich ernsthaft und besorgt: Was ist mit den Ärzten, die hier in Deutschland ausgebildet werden? Werden etwa zu wenig Ärzte ausgebildet? Das scheint mir nicht der Fall zu sein, denn mittlerweile sind im Raum Berlin-Brandenburg über 1 300 Ärzte als arbeitslos registriert.
Im Lande Brandenburg fehlen 180 Ärzte. Diesen fehlenden 180 Ärzten stehen 1 300 arbeitslos registrierte Mediziner gegenüber. Kann man da tatsächlich noch von einem Ärztemangel sprechen? - Es sind also genügend Ärzte da; doch ziehen es einige von ihnen leider vor, arbeitslos zu sein, statt eine Stelle in Brandenburg anzunehmen.
Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang daran, dass Ärzte den Eid des Hippokrates ablegen und danach zur Hilfeleistung verpflichtet sind. Damit, Herr Dr. Wagner, komme ich auf Ihr Beispiel mit dem Bäcker zurück: Wenn ein Bäcker arbeitslos ist und Leistungen vom Arbeitsamt beziehen will, dann muss er bereit sein, sich bundesweit vermitteln zu lassen.
Warum soll für Mediziner etwas anderes gelten als für Nichtmediziner? Auch hier ist die Politik gefragt.
Es gibt viele Ursachen für den Ärztemangel im Lande Brandenburg; etliche wurden bereits genannt. Doch die Hauptursachen sind ganz klar die zu geringe Vergütung bei längerer Arbeitszeit und die leistungsmäßig hohe Belastung im Osten. Hier muss man ansetzen, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort, heute, damit wir in Zukunft nicht auf ausländische Fachkräfte angewiesen sind. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner, und gebe das Wort an die Landesregierung. Bitte, Herr Minister Baaske.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Birkholz, Herr Dr. Wagner, mit Verlaub gesagt: Zunächst reden Sie davon, dass die Menschen völlig verunsichert seien, und dann leisten Sie selbst einen erheblichen Beitrag dazu.
Wenn Sie über die Einführung einer Praxisgebühr reden, dann macht das zwar Sinn; doch muss man dazusagen, dass die Praxisgebühr nur dann erhoben werden soll, wenn der Hausarzt übersprungen wird. Das heißt: Wenn ein Patient zunächst zum Facharzt geht und dieser ihn zurück zum Hausarzt schickt, dann muss der Patient dafür bezahlen. Ich halte das für sinnvoll, es sei denn, es handelt sich um solche Fachärzte wie Augenärzte oder Gynäkologen, bei denen diese Regelung nicht eintreten wird. Jedenfalls will niemand eine Praxisgebühr für einen normalen Arztbesuch einführen. Das muss man also dazusagen; sonst ist das die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird.
Wichtig ist in dem Zusammenhang der Hinweis, dass es bei den Zuzahlungen ähnlich ist. Die damals eingeführte Zuzahlungsregelung ist ziemlich pauschal. Wir wollen das jetzt wieder an prozentualen Größen festmachen. Ich halte es für sinnvoll, dass Zuzahlungen auch nach der Packungsgröße erhoben werden; denn dann kann auch der Patient darauf achten, dass er eine kleine Packung verschrieben bekommt und nicht unbedingt gleich ein Sixpack.
In der Debatte ist auch über Ärztemangel bzw. über Krankenhäuser diskutiert worden. Frau Birkholz, Sie haben gesagt, dass bei den Investitionen in den vergangenen Jahren erhebliche Rückstände eingetreten seien. Mit Verlaub: Denken wir einmal daran, wie unsere Krankenhäuser vor 13 Jahren ausgesehen haben, wie groß damals die Investitonsrückstände waren,
und schauen wir uns an, was anschließend in den Häusern passiert ist. Zwar haben wir die Zahl der Betten reduziert - auch das muss man sagen -, aber wir haben seitdem in Brandenburg Ärzte eingestellt. Im Jahre 1990 gab es in den Einrichtungen 2 600 Ärzte; heute sind es in den Krankenhäusern 2 900.
Auch da sind wir also vorangekommen. Allerdings macht es keinen Sinn, die Augen vor den Problemen zu verschließen, die wir noch haben.
Inzwischen sind die Diagnostik und die Therapie in den Krankenhäusern so weit saniert, dass sie voll funktionsfähig sind. Die OP's sind neu, die Diagnostikbereiche sind neu, überall stehen neue Röntgenanlagen usw. Ich räume ein, dass wir bei den Betten noch nicht so weit sind. Aber es ist noch niemand daran gestorben, dass er zum Klo über den Flur gehen musste, aber einige schon daran, dass eine Diagnose zu spät gestellt wurde oder falsch war. Ich meine, da haben wir die richtigen Prioritäten gesetzt.
Insbesondere in den berlinfernen Regionen gibt es ein großes Problem bei den Hausärzten. Auch in einigen Fachdisziplinen, Herr Dr. Wagner, gibt es ein richtiggehendes Problem. Des Weiteren sind die Krankenhäuser und die Hausärzte hier zu nennen, weil ein großer Teil dieser Ärzte kurz vor der Rente steht. Aber Brandenburg - ich möchte das sagen, wenn es auch kein Trost ist - steht mit diesem Problem nicht allein da. Andere ostdeutsche Flächenländer, insbesondere Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, haben die gleichen Sorgen und Nöte. Dies gilt übrigens zum Beispiel auch für große Bereiche in Schleswig-Holstein. Das liegt also, Herr Dr. Wagner, nicht nur am Geld. In Schleswig-Holstein wird ja Westtarif gezahlt. Trotzdem gibt es dort unterversorgte Regionen. Es muss also auch noch andere Haken und Ösen geben, durch die Ärztinnen und Ärzte davon abgehalten werden, sich niederzulassen.
Es gibt keinen Königsweg. Meiner Meinung nach sind Umsatzgarantien jedoch schon ein Weg, junge Ärzte dazu zu veranlassen, sich irgendwo niederzulassen, wo sie sich eigentlich vielleicht nicht niederlassen wollten.
Auch die deutlich verbesserte Wegepauschale, die zwischen den Kassen und der KV ausgehandelt worden ist, ist durchaus ein Instrument, das es einem Arzt in einer dünner besiedelten Region möglich macht, Hausbesuche auch zu unmöglichen Zeiten zu realisieren.
Meiner Meinung nach ist auch das neue Konzept der KV zur flächendeckenden Sicherstellung der Nacht- und Wochenenddienste geeignet, es den Ärzten zu erleichtern, eine Praxis auch in dünner besiedelten Regionen zu öffnen. Aber es gibt eben keinen Königsweg.
Herr Dr. Wagner, glauben Sie mir: Ulla Schmidt kann sich zurzeit über einen Mangel an unerbetenen Ratschlägen nicht beklagen.
Solche Ratschläge kommen gerade in einem interessenverminten Gelände, wie es die Gesundheitspolitik darstellt, in dem an jeder Ecke eine neue Lobby steht, wirklich jeden Tag neu und immer wieder mit einer ganz klaren Intention der Ratgeber.
Aber ich bin durchaus bei Ihnen, wenn es darum geht, dass wir unseren Ärzten einen Weg beschreiben, wie sie zur Anpassung
an den Westlohn kommen. Das heißt: Wir müssen einen verbindlichen Fahrplan haben, um den Ärzten heute schon sagen zu können: Ab 2000 soundso werdet ihr so viel bekommen wie ein Westarzt. - Dabei ist es ja so, dass unsere Ärzte in Brandenburg schon 98 % des Westniveaus erreichen; wofür sie allerdings 130 % arbeiten müssen, was viele davon abschreckt, sich hier niederzulassen.
- Das ist aber auch notwendig. Einen Königsweg gibt es nicht. Unsere Ärzte klagen also, was die Bezahlung als solche angeht, sozusagen auf hohem Niveau. Angesichts dessen bitte ich um Verständnis dafür, dass Ulla Schmidt da ab und zu in die Grätsche geht und sagt: So geht es hier nicht weiter.
- Schon nicht mehr. Der große RSA ist beschlossen. Es kommt auch von den Westversicherten Geld in den Osten. Das ist wohl deutlich verstanden worden. Das kommt im Übrigen, Herr Dr. Wagner, nicht von der Kohl-Regierung, sondern von der jetzigen Bundesregierung.
Auch in dieser Hinsicht kann also noch einiges passieren. Es wird mehr Geld kommen, als bisher vorhanden ist. Das sollten wir auch den Ärzten sagen, die erwägen, sich hier niederzulassen.
Mit der bestehenden strikten Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird eine angemessene medizinische Versorgung in den dünn besiedelten Regionen nicht zu leisten sein. Die übrigens von fast allen unabhängigen Fachleuten geforderten integrierten Versorgungsformen wie Polikliniken oder Krankenhäuser, die auch außerhalb arbeiten dürfen, sind nirgendwo so dringend nötig wie in Brandenburg, in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg. Eine weiter gehende Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Versorgung gehört für mich in diesem Zusammenhang ebenso dazu wie die Stärkung der Gesundheitszentren.
Die demographische Entwicklung - Stichwort: Überalterung der Gesellschaft - wird überdies den Ausbau so genannter komplementärer und sozialer Dienste erfordern. Durch die Arbeit von sozialpflegerischen Diensten können Ärzte in erheblichem Maße entlastet werden. Wir werden uns irgendwann einmal deutlich vor Augen führen müssen, was wir an unserer guten alten Gemeindeschwester hatten. Ich plädiere eindeutig dafür, diese in ähnlicher Form wieder einzuführen.
Dieser gesamte Mix, integrierte Versorgungssysteme, Erhöhung der Pauschale, Sicherung der Umsätze für Ärzte, Fahrplan für die Erreichung des Westtarifs für Ärzte im Osten, wird notwendig sein.
Gerade die Absicherung der integrierten Versorgung wird nicht ohne wesentliche Änderungen im Vertrags- und Leistungsrecht des Sozialgesetzbuches erfolgen können.
Angesichts - ein deutlicher Appell - der Mehrheitsverhältnisse, die wir momentan im Bundestag und im Bundesrat haben, wird niemand dieser beiden - nicht schwarz, nicht rot, nicht CDU, nicht SPD, nicht B, nicht A - allein in der Lage sein, einen Weg vorzugeben, der beschritten werden kann, um aus dieser Misere herauszukommen. Weder die Bundesregierung noch eine Länderinitiative werden hier allein vorankommen.
Ich will deutlich an beide Seiten appellieren, sich im Interesse der Versorgung der von mir genannten ostdeutschen Länder dafür einzusetzen, schnellstmöglich eine Lösung hinzubekommen, die sich auch im Modernisierungsgesetz des Gesundheitswesens abzeichnet. Es geht darum, eine integrierte Versorgung sowie Anpassung der Versorgungssysteme gerade für Ostdeutschland umzusetzen. Wenn wir es aber nicht schaffen sollten, wenigstens die Ansätze zur Förderung integrierter Versorgungsformen im Kern zu realisieren, werden wir auch die Probleme der medizinischen Versorgung auf dem flachen Land kaum bewältigen können. Es geht um ein elementares Interesse der Flächenländer Ostdeutschlands, das wir wegen parteipolitischer Plänkeleien nicht aufs Spiel setzen sollten. Eine große Sachkoalition war in der Gesundheitspolitik noch nie so wichtig wie heute.
Lassen Sie mich vielleicht noch Folgendes sagen, was mir am Herzen liegt - es geht um einen der Punkte, die heute noch nicht so richtig angesprochen wurden -: Unsere Ärztinnen und Ärzte leisten in den Praxen und in den Krankenhäusern eine hervorragende Arbeit.
Ihr Ruf hat aber in den letzten Jahren durch einige schwarze Schafe erheblich gelitten. Das muss man auch deutlich sagen. Ich denke hierbei an Abrechnungsbetrug und an manche Verschreibungspraxen. Ich denke an die Schrittmacheraffäre, die wir hatten. Ich denke auch an einige Funktionäre, die sich hier und da nicht gerade förderlich hervorgetan haben.
Es ist - ich gebe es gern zu - für die Branche ganz klar ein mediales Problem. Über diese schwarzen Schafe wird gedruckt, sie werden auf Film gebannt, den Leuten gezeigt, aber die ehrliche, gute und extrem verantwortungsvolle sowie schwierige Arbeit wird noch viel zu selten, und wenn, dann in Kitschsendungen, gezeigt. Unsere Ärzte brauchen wieder eine hohe gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz, die sie auch verdient haben. Ich glaube, daran können das hohe Haus und die Landesregierung, kann jeder für sich arbeiten, indem er das nach außen trägt und entgegen der medialen Darstellung veröffentlicht. - Ich danke Ihnen.