Protocol of the Session on May 30, 2002

Große Anfrage 39 der Fraktion der DVU

Antwort der Landesregierung

Drucksache 3/4223 einschließlich Anlage

Des Weiteren liegt dazu der Entschließungsantrag der DVUFraktion in der Drucksache 3/4387 vor.

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der anfragenden Fraktion. Herr Abgeordneter Schuldt, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mangelnde Bildung und Kriminalität gehen in diesem Land Hand in Hand. Die auf unsere Große Anfrage zum Strafvollzug gegebenen Antworten zeigen in weiten Teilen eine tief gehende Befassung mit dieser Materie. Sie versetzen uns in den Stand, die Situation in den Justizvollzugsanstalten Brandenburgs zu beurteilen und erforderlichenfalls entsprechende Initiativen zu ergreifen.

Die Landesregierung gibt in ihren Vorbemerkungen zu ihren Antworten an, dass eine Differenzierung zwischen Inhaftierten mit deutscher Staatsangehörigkeit aufgrund von Geburt und Inhaftierten deutscher Abstammung und nachträglich erworbener deutscher Staatsangehörigkeit nicht möglich sei, weil diese Unterscheidungen vollzuglich weitgehend nicht relevant seien.

Wir als Fraktion der DVU wollen und können das so nicht stehen lassen. Aus unserer Sicht ist es durchaus von Bedeutung, inwieweit Inhaftierte wegen ihrer Abstammung oder Herkunft Integrationsdefizite aufweisen. Das wird für die Ausgestaltung eines Strafvollzugs mit der Perspektive der sozialen Rehabilitation von Bedeutung sein. Das betrifft natürlich insbesondere sprachliche Defizite und Bildungsdefizite, die insbesondere dazu führen, Jugendlichen und Heranwachsenden den Weg in eine fundierte Ausbildung und ein sozial geordnetes Leben zu verbauen.

In diesem Zusammenhang ist es für uns natürlich von Bedeutung, inwieweit im Rahmen des allgemeinen Strafvollzugs und des Jugendstrafvollzugs ergänzend zu anderen Maßnahmen spezielle Integrationsmaßnahmen zu konzipieren sind. Es wird ja wohl nicht jeder, der hier straffällig geworden ist, zwingend Abschiebungsvoraussetzungen erfüllen - jedenfalls dann nicht, wenn er die deutsche Staatsbürgerschaft hat.

Natürlich freuen wir uns in diesem Zusammenhang, dass wir mit der Anlage 2 zur Beantwortung unserer Großen Anfrage statistisches Zahlenmaterial über Straftäter ausländischer Herkunft zur Verfügung gestellt bekommen haben, das in doppelter Hinsicht - nach Herkunftsland und nach Art der Haft - aufgeschlüsselt ist.

Hierzu drängen sich uns allerdings folgende ergänzende Fragen auf: Einmal ist der Anteil an den Gesamtinhaftierten von Polen, Vietnamesen und Litauern im Verhältnis zu Staatsbürgern anderer Herkunftsländer überproportional hoch. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, inwieweit diese Zahlen etwa bei Polen und Litauern dadurch zustande kommen, dass es sich um so genannte grenzüberschreitende Kriminalität handelt? Handelt es sich bei den Inhaftierten mit der Herkunft “Vietnam” um Personen, die sich seit längerer Zeit bereits in Deutschland aufhalten oder die lediglich eine kurze Aufenthaltsdauer aufweisen? Auch daran schließt sich aus unserer Sicht bei dieser Personengruppe für den Fall, dass hier ein längerer Aufenthalt vorliegt, die Frage nach dem Integrationsstand an.

Die zweite Frage bezieht sich auf die Spalte “Abschiebehaft” der Anlage. Hier ist auffällig, dass für alle drei Jahre - von 1999

bis 2001 - und für alle angegebenen Herkunftsländer keine Abschiebehäftlinge angegeben sind. Beruht das darauf, dass a) unmittelbar aus der Strafhaft abgeschoben und rein aufenthaltsrechtliche Abschiebehaft nicht erfasst wird, oder bedeutet das, dass b) in Brandenburg in keinem Fall Abschiebehaft verhängt wird? Mit erheb...

Meine Damen und Herren, leider muss ich hier unterbrechen, da der Präsident je nach Tageslaune entscheidet und ich Sie nicht um den zweiten Teil bringen möchte, das heißt, wenn ich jetzt zum Beispiel die fünf Minuten um zwei Sekunden überziehe, kann ich womöglich den zweiten Teil nicht vortragen. - Bis dahin, vielen Dank.

(Beifall bei der DVU)

Herr Abgeordneter, für den Fall, dass Sie Streit mit mir suchen, sagen Sie es, dann tragen wir ihn aber in einer kultivierten Form aus. So, wie das eben geschehen ist, denke ich, sollte es Anlass sein, im Präsidium noch einmal angesprochen zu werden.

(Beifall bei SPD und CDU - Zuruf)

- Sie können den Präsidenten nicht für die Horizonte der Abgeordneten verantwortlich machen, insbesondere nicht für den eigenen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Das Wort geht an die Koalitionsfraktionen. Herr Abgeordneter Homeyer, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist parlamentarischer Usus, ungefähr zur Halbzeit und meist durch die Opposition eine Große Anfrage zum Thema Strafvollzug an die Regierung zu richten. Denn aufgrund verschiedenster Ursachen finden sich gerade in diesem Bereich zumeist auch Kritikpunkte. Deshalb hätte ich großes Verständnis dafür, wenn wir uns heute anlässlich der Großen Anfrage tatsächlich mit der Thematik “Vollzug der Freiheitsstrafe in den Justizvollzugsanstalten in Brandenburg” befassen würden, nicht zuletzt deshalb, weil wir eine sehr gute Zwischenbilanz vorlegen können. Ein früheres Sorgenkind der Landespolitik hat sich nämlich prächtig entwickelt: Die Justizvollzugsanstalten Brandenburgs sind wieder sicher. Seit Amtsantritt von Justizminister Prof. Dr. Kurt Schelter ist nicht ein einziger Ausbruch zu verzeichnen. Lassen Sie mich hierfür sowohl den Justizvollzugsbediensteten als auch dem zuständigen Ministerium einmal herzlich Danke sagen,

(Beifall bei CDU und SPD)

wobei wir nicht verschweigen werden und auch nicht verschweigen dürfen, dass es noch viel zu tun gibt, insbesondere bei der Erneuerung der Bausubstanz unserer Justizvollzugsanstalten, und zwar - wie wir alle wissen - unter schwierigsten finanziellen Rahmenbedingungen.

(Frau Dettmann [SPD]: Ja, aber seit 1990!)

- Seit 1990, sehr wohl, Frau Kollegin; das steht außer jeder Frage.

Es haben sich auch die Bedingungen für Gefangene, meine Damen und Herren, wie auch für die Bediensteten durch das Neubauprogramm in den letzten Jahren immer weiter verbessert. Es verdient unsere Anerkennung, dass trotz bekanntermaßen angespannter wirtschaftlicher Lage zwischenzeitlich mehr als 60 % der zur Arbeit Verpflichteten auch eine Beschäftigung angeboten werden kann.

Für die jugendlichen Gefangenen besteht die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen und Lehrausbildungen zu absolvieren. Ich glaube, das ist ein guter Beitrag zur Integration jugendlicher Strafgefangener.

Meine Damen und Herren, schaut man sich aber die Große Anfrage 39 der DVU näher an, so stellt man fest, dass es der fragenden Fraktion weniger darum geht, Erhellendes über den Justizvollzug in unserem Land zu erfahren; vielmehr handelt es sich um den durchschaubaren Versuch, vermeintliches Material für die Unterstützung und zur Rechtfertigung der eigenen politischen Auffassung zu sammeln, sich quasi aufzumunitionieren. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass Fragen nach Unterschieden zwischen Deutschen, Spätaussiedlern und Nichtdeutschen und deren vermeintlichen Bildungsdefiziten im Mittelpunkt stehen. Unter der Überschrift “Allgemeine Fragen zu Ausbildung und Arbeitsmöglichkeiten” fragt die DVU beispielsweise: Wie viele der Gefangenen sind deutsche Staatsangehörige durch Geburt, Spätaussiedler, die die deutsche Staatsangehörigkeit nachträglich erworben haben, eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, untergliedert in solche mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung, befristeter Aufenthaltsgenehmigung, Duldung, Aufenthaltsgestattung usw. usf.

Meine Damen und Herren, aus gutem Grund wird in den bundeseinheitlichen statistischen Erhebungen der ausländischen Gefangenen eben nicht danach unterschieden, wie Gefangene mit deutscher Staatsangehörigkeit ihre Staatsangehörigkeit erworben haben.

(Schuldt [DVU]: Das ist das Problem!)

Normalerweise sagt die Antwort auf eine Große Anfrage etwas über die Arbeit der Regierung aus. Hier ist es so, dass man aus der Frage nur Gedankengut und Gesinnung der Fragesteller erkennen kann. Gleiches gilt für den Entschließungsantrag, den wir selbstverständlich ablehnen.

Wir nehmen die Große Anfrage zur Kenntnis und lehnen, wie gesagt, den Entschließungsantrag ab. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Kaiser-Nicht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An dieser Stelle ist der Landesregierung für ihre detaillierte Antwort zu danken, die

als Ergänzung zur intensiven Befassung mit dem Thema des Strafvollzugs im Rechtsausschuss zu sehen ist, so die Einschätzung meines Fraktionskollegen Stefan Sarrach.

Mit dem Entschließungsantrag, den die DVU jetzt vorgelegt hat, wird nun noch deutlicher, welche Intention diese Fraktion mit der Großen Anfrage verbindet. Die DVU will Statistiken, die Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen Sprachsowie Allgemeinbildungsdefiziten und kriminellen Tendenzen zulassen. Sie will Statistiken, aus denen sich bei Straftätern ausländischer Herkunft Rückschlüsse über den Zusammenhang von deren Inlandsaufenthaltsdauer vor Antritt der Straftat, etwa bezüglich Sprach- und Bildungsdefiziten, und Straffälligkeit ergeben.

Welche Auffassung Sie als DVU zu diesem Thema haben, ist bekannt. Sie geben einfache, aber gefährliche Antworten, indem Sie das Klischee verbreiten und verfestigen wollen, dass Ausländer kriminell seien. Sie missbrauchen Kriminalitätsängste in der Bevölkerung, indem Sie das Problem der Kriminalität als Folge des Zuzugs von Ausländern darstellen, und Sie schüren damit auf primitive Art Ausländerfeindlichkeit. Gegen diese Demagogie verwahren wir uns und fordern Sie auf, derartige Aktivitäten zu unterlassen; denn diese widersprechen unter anderem auch dem Geist der brandenburgischen Landesverfassung.

Den Entschließungsantrag der DVU lehnen wir ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die Landesregierung. - Sie verzichtet. Damit geht das Wort erneut an die anfragende Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den begonnenen Satz vollenden: Mit erheblicher Sorge erfüllt uns die insgesamt geringe Anzahl an Arbeitsplätzen. Einer Zahl von 1 521 Personen im Erwachsenenvollzug und von 399 Personen im Jugendvollzug stehen insgesamt lediglich 576 Arbeitsplätze gegenüber. Das ergibt sich aus den Antworten zu unserer Frage 5 und aus der Anlage 1 zur Antwort der Landesregierung. Hier sehen wir Raum für erhebliche Verbesserungen, weil gerade bei jüngeren Gefangenen offensichtlich aufgrund der Arbeitsmarktsituation im Land Brandenburg seit der Wiedervereinigung im Rahmen von Strafhaft bzw. Jugendvollzug oft eine erstmalige Berührung mit dem Arbeitsleben stattfindet.

Zu den Punkten, bei denen wir entweder einen Bedarf an zusätzlichen statistischen Erhebungen oder unmittelbaren Handlungsbedarf im Hinblick auf die Haftverhältnisse sehen, haben wir einen entsprechenden Entschließungsantrag vorbereitet, der Ihnen zur Abstimmung vorliegt und dessen Genehmigung nicht gerade von der PDS abhängig ist.

Lassen Sie mich in Antworten auf die Beiträge der anderen Fraktionen, die hier gekommen sind, mit Blick auf die Zukunft

noch einige grundsätzliche Anmerkungen zu Zielen und Ausrichtungen des Jugend- und Erwachsenenstrafvollzugs aus Sicht unserer Deutschen Volksunion machen.

Einen weiteren Schwerpunktbereich sehen wir aufgrund des Zahlenmaterials in den Antworten der Landesregierung zu unseren Fragen 3 a und 28 im Bereich der Qualifikation von Inhaftierten ohne jeden schulischen oder beruflichen Abschluss bzw. mit abgebrochener Berufsausbildung. Gerade in der Jugenduntersuchungshaft, sozusagen der Eingangsstation, überwiegen hiernach diese beiden Gruppen zahlenmäßig ganz deutlich. Daraus lassen sich aus unserer Sicht durchaus Rückschlüsse herleiten, dass in einer Anzahl von Fällen durch die wirtschaftliche Situation des Landes Brandenburg für Personen jugendlichen Alters mit gebrochenen Lebensläufen ausgelöste Perspektivlosigkeit eine Mitursache für die Straffälligkeit sein wird. Hier besteht ergänzend zum Sühnegedanken der Haft sicherlich Korrekturbedarf, um nach der Strafhaft Rückfalltaten präventiv zu begegnen.

Angesichts der Antworten zu unserer Frage 23, die nach wie vor für alle drei Jahre von 1999 bis 2001 eine relativ hohe Zahl von Strafgefangenen aufweisen, für die keine geeigneten Arbeits-, Aus- oder Weiterbildungsmöglichkeiten gefunden werden konnten, gilt Folgendes: Es wäre zumindest wünschenswert, ausgleichend zu einer größeren Einbeziehung des öffentlichen Bereiches zu kommen, um diesen Inhaftierten, gleich, ob im Jugend- oder im Erwachsenenvollzug einsitzend, Beschäftigungsmöglichkeiten geben zu können. Eine sinnvolle Beschäftigung scheint uns im Bereich des Strafvollzugs notwendig zu sein. Es kann sich dabei durchaus auch um eine gemeinnützige Tätigkeit handeln.

Eines ist nicht von der Hand zu weisen: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich der Strafvollzug immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Sühnegedanken und Rehabilitation befindet. Hauptziel des Strafvollzugs muss es sein und auch bleiben, die Bevölkerung vor Straftaten zu schützen. Dabei sind aber immer beide Aspekte dieses Spannungsverhältnisses zu beachten. Strafhaft muss Strafhaft bleiben, um potenzielle Straftäter abzuschrecken. Zugleich aber muss die Gelegenheit der Strafhaft genutzt werden, die Gefangenen an ein straffreies Leben nach der Strafhaft heranzuführen. Das schützt die Bevölkerung vor Wiederholungstaten.

Diese beiden Grundziele sind Politik meiner Fraktion und werden es auch bleiben, ob Sie es wollen oder nicht.

Wir müssen uns gerade in Brandenburg dessen bewusst sein, dass wir es auch im Bereich des Strafvollzuges mit den Auswirkungen der nach wie vor angespannten Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Ausbildungslage zu tun haben. Das kann Straftaten natürlich keinesfalls entschuldigen. Aber zur Überwindung der durch die Wirtschafts- und Ausbildungslage vorprogrammierten Perspektivlosigkeit junger Menschen in diesem Lande müssen wir im Rahmen der Strafhaft versuchen, das Qualifizierungsbild dieser Personen zu verbessern. Nur so werden wir letztlich die steigenden Kriminalitätsraten und Rückfälle...

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss.