Protocol of the Session on March 6, 2002

Der Polizeigewerkschaftsvorsitzende beklagte sich bei dieser Landesregierung darüber, mit welch zweifelhaften Methoden die so genannten Verfassungsschutzbehörden bundesweit arbeiteten.

Doch damit nicht genug, meine Damen und Herren: Beim Einsatz von so genannten V-Leuten ist der deutsche Verfassungsschutz offenbar sogar dazu bereit, auch eine Verstrickung der von ihnen geführten und bezahlten “Quellen” in Straftaten zu akzeptieren. Dies geht jedenfalls aus einem internen Vorschlagspapier der Verfassungsschutzbehörden an die Innenministerkonferenz hervor. Es handelt sich dabei um den rechtsstaatlich brisantesten Aspekt eines umfangreichen Maßnahmenpakets, das die Verfassungsschutzchefs nach dem Terroranschlag auf die Vereinigten Staaten von Amerika ihren Innenministern zur Verbesserung der Bekämpfung von Extremismus empfohlen haben. Zur Aufklärung gefährlicher konspirativer Tätergruppierungen müsse eine Teilnahme an Straftaten durch V-Leute - so wörtlich - “in Kauf genommen werden, um solche Strukturen effizient aufklären zu können”.

Dies heißt doch nichts anderes, meine Damen und Herren, als dass mit Steuergeldern bezahlte Mitarbeiter der so genannten Verfassungsschutzämter regelrecht zu Straftaten schwerster Art angestiftet werden, wobei ihnen neben ihrer Belohnung auch noch Straffreiheit zugesichert wird. Und genau das, meine Damen und Herren, ist für unsere Fraktion nicht nur die endgültige Bankrotterklärung des Rechtsstaates, sondern die Umkehrung sämtlicher rechtsstaatlicher Prinzipien der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen in ihr totalitäres Gegenteil.

(Beifall bei der DVU)

Die V-Mann-Skandale und die damit verbundene eklatante Missachtung des Bundesverfassungsgerichts durch hohe politische Instanzen haben dem Ansehen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates bereits heute schwersten Schaden zugefügt. Der Geheimdienst, der den hochtrabenden Titel “Verfassungsschutz” trägt, wird in den Augen vieler Bürger mehr und mehr zu einem Synonym für Verfassungsbruch.

Die DVU-Fraktion erneuert daher mit ihren vorliegenden Anträgen ihre Forderungen:

Streichung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Brandenburg und Auflösung der Abteilung V (Ver

fassungsschutz) des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg,

eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes des Bundes mit dem Wegfall der Verpflichtung der einzelnen Bundesländer, eigene Verfassungsschutzbehörden zu unterhalten und mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten,

schließlich die Auflösung des Verfassungsschutzes in seiner jetzigen Form.

Dies ist im Sinne der Erhaltung von Demokratie und Rechtsstaat im Land Brandenburg dringend geboten und wäre darüber hinaus ein Signal auch an andere Bundesländer, Gleiches zu tun. Auch sollten kriminelle Delikte, die von Agenten der V-Ämter verübt worden sind, endlich konsequent strafrechtlich geahndet werden, wobei in die Ermittlungsverfahren ebenfalls die Hintermänner in den V-Ämtern einbezogen werden müssten. Denn eine freiheitliche Demokratie braucht keine Schnüffelbehörde namens Verfassungsschutz. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhalten die Koalitionsfraktionen. Für sie spricht der Abgeordnete Homeyer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die antragstellende Fraktion möchte “im Sinne der Erhaltung von Demokratie und Rechtsstaat” den Verfassungsschutz abschaffen.

Ich glaube weniger, dass es dem Antragsteller hier um unseren Rechtsstaat geht, sondern ihm geht es vielmehr um die Beobachtung der eigenen Aktivitäten durch den Verfassungsschutz.

(Schippel [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Dieses Ansinnen ist allerdings leicht durchschaubar und wird selbstverständlich von uns nicht mitgetragen; denn die Beobachtung der DVU erfolgt aus gutem Grunde. Gerade die jüngsten Terroranschläge und auch die Reaktion deutscher Rechtsextremisten auf diese zeigen die Notwendigkeit unserer Verfassungsschutzbehörden im Land und im Bund. Sie sind - Ihre Rede, meine Damen und Herren von der DVU, die wir gerade hören mussten, belegt dies deutlich - für die wehrhafte Demokratie unverzichtbar. Worauf wir allerdings verzichten können, sind Anträge von der DVU, Redebeiträge von der DVU und letztlich die DVU in Gänze. Wir lehnen den Antrag ab. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort erhält die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Vietze.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einbindung von Aussagen und Äußerungen von V-Leuten in die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht durch Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat ist wahrlich kein besonders glückliches Verfahren im Umgang mit einem so schwerwiegenden Ansinnen wie dem Verbot der NPD. In einem solchen Zusammenhang ist es schon berechtigt, die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Verfassungsschutzes und der Verwendung solcher Aussagen aufzuwerfen.

Andererseits aber: Wenn es des Einsatzes eines demokratisch kontrollierten Verfassungsschutzes bedarf, dann vor allen Dingen deshalb, um die Verfassung zu schützen vor jenen, die mit menschlichen Werten, mit dem, was zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung an Vorstellung und demokratischem Verständnis in dieser Gesellschaft gehört, nicht umgehen können. Das Beste zum Schutz der Verfassung ist natürlich der souveräne Bürger. Wenn aber der souveräne Bürger sich dieses Instruments noch bedient, hat es vor allen Dingen die Aufgabe, die Gesellschaft vor Rechtsradikalismus in Inhalt und Form zu schützen. Dazu gehört neben der NPD noch so mancher, der sich dem rechten Flügel dieser Partei zugehörig fühlt.

Demzufolge ist es notwendig, dass der Antrag der DVU abgelehnt wird und sich der Landesverfassungsschutz mit dieser Partei auch weiterhin beschäftigt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort erhält nun die Landesregierung. - Sie verzichtet. Dann erhält erneut die DVU-Fraktion das Wort. Frau Abgeordnete Hesselbarth, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Homeyer, sind Sie auch V-Mann-geschädigt? Nach Angaben von Geheimdienstexperten verbringen nämlich V-Leute circa 95 % ihrer Zeit mit der Bespitzelung freiheitlich denkender Politiker und nur 5 % mit wirklich sachlicher Arbeit.

Mittlerweile beschäftigt dieses Thema bundesweit die Parlamente. Auch Ihre Parteifreunde, Herr Homeyer, im Düsseldorfer Landtag hatten die V-Mann-Skandale zum Thema einer Aktuellen Stunde gemacht. Und Ihre Genossinnen und Genossen in Sachsen-Anhalt, meine Damen und Herren von der PDS, haben das Thema im dortigen Landtag ausführlich debattiert, einschließlich eines Berichts des Innenministers. Hier in Brandenburg bleibt das Thema der DVU-Fraktion vorbehalten. Denn alle anderen Fraktionen scheinen offensichtlich die Thematisierung zu scheuen. Haben Sie keinen Mut?

Dabei ist das, was heute im Bereich des so genannten Verfassungsschutzes bundesweit abläuft, ein noch nie da gewesener, die Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung aushebelnder Politikskandal. Der Chefredakteur der “Süddeutschen Zeitung” schreibt:

“Der Staat geht mit V-Leuten, Hunderte sind es in der rechtsextremistischen Szene, Tausende wohl insgesamt, so um, als handele es sich bei ihnen um ehrbare Kaufleute, mit denen man Geschäfte machen kann: Sie liefern Ware und bekommen dafür Geld. Der V-Mann als Erkenntnismittel wird mittlerweile so exzessiv eingesetzt, dass der Staat dabei ist, sich gemein zu machen mit dem, was er mit seinen geheimdienstlichen Ermittlungsmethoden bekämpfen will.”

“Offensichtlich leiden”

- so Prantl weiter -

“weite Teile der Geheimdienste und ihrer Aufsichtsbehörden an einem Verlust des rechtsstaatlichen Sensoriums.”

Es handele sich um eine “deformation professionelle”, ein Leiden, bei dem es irgendwann zu Verengungen und Einseitigkeiten im Wirklichkeitsbild kommt, verursacht durch gefährliche Fixierungen im Beruf.

Und da wir gerade auch vom Geld gesprochen haben: Das Land Brandenburg könnte in den Jahren 2002 und 2003 nur bei den Sachausgaben für den Verfassungsschutz sage und schreibe mehr als 2,4 Millionen Euro und bei den zusätzlichen Stellen 750 000 Euro einsparen. Die regulären Personalkosten können bekanntlich nicht ermittelt werden. Meine Schätzung beläuft sich auf circa 1 bis 1,5 Millionen Euro - eine Menge Geld, für unsere Kinder und Jugendlichen bestimmt besser angelegt.

Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen und auch Sie von der PDS, wenn die Maßnahmen der Geheimdienste gerechtfertigt wären, dann bräuchte man sie ja nicht geheim zu halten. Wie heißt es doch immer? Wer nichts zu verbergen hat, braucht Überwachung, Kontrolle und letztlich die Öffentlichkeit nicht zu scheuen. In einer Demokratie ist die letzte Instanz der Kontrolle immer die Öffentlichkeit, die diese Funktion aber naturgemäß nur dann wahrnehmen kann, wenn sie wahrheitsgemäß und umfassend informiert wird.

Doch im freiesten Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hat, handelt der entscheidende Teil der staatlichen Behörden, nämlich der Sicherheitsapparat, zum Teil unter absolutem Ausschluss der Öffentlichkeit. Er stellt sich also außerhalb des offiziell propagierten Rechtsstaates und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und damit außerhalb der Gesellschaft. Die stattdessen geltenden Regeln - dies, meine Damen und Herren, haben die jüngsten Verfassungsschutzskandale eindeutig bewiesen - sind einfacher Natur: das Recht des Stärkeren und das mit einem solchen Recht des Stärkeren verbundene Willkür- und Gewaltsystem. Die Geheimdienstler umschreiben dieses Willkürsystem mit dem Wort “Opportunitätsprinzip”. Und opportun ist einzig das, was demjenigen nützt, der über durchzuführende Maßnahmen in letzter Instanz entscheidet. In einem in einzelne Zellen aufgeteilten und konspirativ arbeitenden System, wie es die Geheimdienste sind, findet keine Kontrolle statt, auch nicht durch die Öffentlichkeit, die ja nicht informiert wird.

Das Ergebnis ist: Der Geheimdienst mit dem schönen Namen “Verfassungsschutz” bildet einen Staat im Staat, der von niemandem kontrolliert wird und sich selbstständig in die politi

sche Entwicklung einschaltet. Genau dies widerspricht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowohl unseres Grundgesetzes wie auch unserer Landesverfassung. Daher gehört der Verfassungsschutz ersatzlos abgeschafft.

Um dies zunächst auf Landesebene zu erreichen, wurden unser hier vorliegender Gesetzentwurf sowie die Bundesratsinitiative konzipiert. Wir bitten Sie daher um Zustimmung zu diesen beiden Vorlagen. Alternativ beantragen wir die Überweisung an den Hauptausschuss - federführend - sowie an den Innenausschuss mitberatend -. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Herr Abgeordneter Homeyer hat noch etwas vergessen. Er erhält noch einmal das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte hier im Namen des Parlamentes die schweren Anwürfe, die Frau Hesselbarth gegenüber Mitarbeitern des Verfassungsschutzes des Landes Brandenburg erhoben hat, deutlich zurückweisen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Die Mitarbeiter unseres Verfassungsschutzes arbeiten auf der Grundlage der Gesetze und der Verfassung des Landes Brandenburg. Sie sind keine Kriminellen, sondern sie schützen unseren Rechtsstaat. Sie schützen den Rechtsstaat vor Extremisten. Und dies, meine Damen und Herren, darf seitens der DVU nicht in solch einer Art und Weise diskreditiert werden. Das dürfen wir nicht hinnehmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herr Abgeordneter Homeyer, es gibt eine Wortmeldung. Frau Hesselbarth, bitte.

Herr Homeyer, können Sie bitte noch einmal formulieren, wie Sie das bezüglich der Äußerung, die ich gemacht haben soll, eben gemeint haben? Ich bin mir nicht bewusst, dass ich es gesagt habe.

Das können Sie im Protokoll nachlesen, Frau Hesselbarth. Danke schön.

Wir sind am Ende der Rednerliste und ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Die DVU-Fraktion beantragt die Überweisung des Gesetzentwurfes in der Drucksache 3/3900 an den Hauptausschuss, der federführend sein soll, sowie an den Innenausschuss. Wer diesem Überweisungsansinnen folgen möchte, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegen

stimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Wer den Gesetzentwurf annehmen möchte, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf in 1. Lesung abgelehnt worden und erledigt.

Wir kommen zur Abstimmung des Antrages der DVU-Fraktion auf Überweisung der Drucksache 3/3899 an den Hauptausschuss, der auch hierbei federführend sein soll, sowie an den Innenausschuss. Wer diesem Überweisungsansinnen folgen möchte, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.