Protocol of the Session on January 23, 2002

Ich danke Herrn Minister Reiche und gebe das Wort an die Fraktion der PDS, Frau Abgeordnete Große.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Am 28. Februar forderte der Landtag die Landesregierung auf, einen Bericht über die Maßnahmen zur Intensivierung der Vermittlung von Wirtschaftskompetenz an Brandenburger Schulen vorzulegen. Die PDS-Fraktion erkennt auch heute den Handlungsbedarf an. Gleichwohl möchten wir vor allen Aktionen warnen, die Schule auf ein wie auch immer benanntes „Fit für...” reduzieren.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Schule darf kein Dienstleistungsbetrieb sein, dessen Produkt am Ende für Wirtschaft verwertbares Humankapital ist. Ich unterstelle weder dem Antragsteller noch der berichtenden Landesregierung diese Intention, warne aber in diesem Zusammenhang vor überhöhten Erwartungen bezogen auf das, was Schule unter den bekannten Bedingungen in diesem Land überhaupt leisten kann.

Wenn führende Wirtschaftsexperten beklagen, dass es in Deutschland zu wenig Existenzgründungen gibt, dass Schule zu stark die Qualifikation zum Arbeitnehmer und zu wenig die Fähigkeit zu Eigenverantwortung als Unternehmer entwickelt, muss der Ansatz für eine Problemlösung komplexer gefasst werden. Bürokratische und finanzielle Hürden, vor allem aber das erforderliche hohe Maß an Selbstausbeutung, welches zur Gründung und zur Stabilisierung eines Unternehmens nötig ist, bedeutet für viele Schüler keine erstrebenswerte Lebensqualität.

Trotz meiner aus oben genannten Gründen eingeschränkten Erwartungshaltung möchte ich die Position der PDS-Fraktion zum vorliegenden Bericht anhand von vier ausgewählten Bereichen darstellen. Ich werde erstens zu den Qualifikationserwartungen, zweitens zu den Curricula, drittens zur Qualifikation der Lehrkräfte und viertens zu den konkreten Maßnahmen sprechen.

Erstens: Ich kann es mir hier leicht machen und muss nur auf die PISA-Studie verweisen. Der Bericht bietet bezogen auf die Qualifikationserwartungen nur die in der Novellierung des Schulgesetzes verankerten Maßnahmen an: Leistungsprofilklassen, Zentralabitur, Abschlussprüfungen usw. Dies halte ich bezogen auf das hohe Ziel für unzureichend.

Zweitens zu den Curricula: Mit dem Entwurf des Rahmenlehrplans für das Fach Arbeitslehre liegt ein von mir schon in meiner letzten Rede positiv bewerteter Plan vor, der bezogen auf Leitvorstellungen, Themenfelder und Qualifikationserwartungen auch im bundesweiten Vergleich von außerordentlich hohem Niveau ist. So gesehen ist es nicht entscheidend, welchen Namen dieses Fach künftig trägt, vorausgesetzt natürlich, dass die Abschlüsse der Lehrer auch für das neu benannte Fach WAT anerkannt werden.

Problematischer ist schon der Befund bei der Rahmenlehrplangestaltung, aber auch bei der Stundentafel der anderen Fächer. Geschichte, Politische Bildung und Sachkunde leisten, was sie können, aber die in diesem Zusammenhang wichtigeren Naturwissenschaften können dies nicht tun. Es gibt in allen Schulformen jeweils nur drei Wochenstunden, die sich die Fächer Chemie, Physik und Biologie über alle Schuljahre der Sekundarstufe I hinweg teilen müssen. Da reicht es dann wirklich nur noch zur Hausfrauenchemie und zur Bastelphysik. PISA lässt grüßen! Hier werden erhebliche Möglichkeiten zur Vermittlung wirtschaftlicher Kompetenz verschenkt.

Drittens zur Qualifikation der Lehrkräfte: Die Situation ist mehrheitlich so, dass das Fach Arbeitslehre von Lehrern unterrichtet wird, die einen entsprechenden Abschluss im Rahmen der Weiterqualifizierung erworben haben, also von Grundschullehrern oder Lehrern mit nur einem Fach oder mit nicht so stark nachgefragten Fächern. Das will ich überhaupt nicht gering schätzen, aber das Verhältnis gegenüber universitär ausgebildeten Lehrern ist hier schlechter als in anderen Fächern.

Es wachsen auch kaum Lehrkräfte mit dieser Ausbildung nach. Im Mai 2001 sind bei 127 Lehramtsanwärtern nur drei für das Fach Arbeitslehre und einer für Wirtschaft in den Schuldienst eingestellt worden. Im Vergleich dazu für Geschichte zehn, für Geographie 14. Das sind zwei Fächer, mit denen die Schulen ohnehin schon sehr gut besetzt sind. Hier bedarf es konzeptioneller Überlegungen, die die Attraktivität dieses Faches erhöhen, und möglicherweise der Hilfe von außen.

Unbefriedigend ist auch die Situation bei der Weiterbildung. Es sind Lehrgänge wegen mangelnder Beteiligung nicht zustande gekommen, sodass Weiterqualifizierungswünsche vieler Kollegen, die sich für die Lehrgänge angemeldet hatten, nicht erfüllt werden konnten. Das weist der Bericht als Problem überhaupt nicht aus.

Betriebspraktika für Lehrer, wie sie auch Arbeitgeberpräsident Hundt gefordert hat, stecken noch in den Kinderschuhen und bedürfen dringend der Evaluation. Nachdenken muss man vonseiten des Ministeriums auch über die Stundenzuweisung für Arbeitslehre-Lehrkräfte, die bei der Organisation der in diesem Rahmen sehr wichtigen Schülerbetriebspraktika einen kaum leistbaren Mehraufwand haben. Das sind eben nicht in erster Linie die Regionalschulämter, sondern die Kollegen vor Ort.

Viertens zu den im Bericht aufgeführten Maßnahmen zur Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft: Netzwerk Zukunft, Schülerfirmen, Gründung virtueller Firmen, Planspiele, Jobbörsen usw. All das sind richtige Maßnahmen; hier setzt auch die Förderung der Landesregierung richtig an. Messen lassen muss

sich natürlich auch das letztendlich daran, ob es gelingt, die Zahl der etwa 27 000 jugendlichen Arbeitslosen künftig zu senken.

Frau Abgeordnete Große, ich messe auch und Sie haben Ihr Redezeitvolumen überschritten.

Letzter Satz: Die PDS-Fraktion nimmt den Bericht zur Kenntnis, empfiehlt aber auch Selbstbefassung im Ausschuss für Wirtschaft und im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Große, und gebe das Wort an die Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Große, manchmal bin ich überrascht, wie man im Zweifel Kritik konstruieren kann. Sie kritisieren an den Ausführungen des Ministers, er reduziere das Problem auf die zentrale Frage „Fit für die Wirtschaft”, aber übersehen dabei, dass genau das im Wesentlichen der Auftrag des Landtages gewesen ist, über dieses Segment zu berichten, und nicht, einen Bericht über die ganze Breite aller Akzente der Bildungspolitik vorzulegen. Insofern hat der Minister genau das gemacht, wozu er von uns beauftragt war und was vernünftig und richtig ist. Das kann wirklich nicht kritisiert werden.

(Frau Osten [PDS]: Er lobt sich schon genug allein!)

Wenn Sie sagen, dass die Formulierung „Fit für die Wirtschaft” nicht angemessen ist, dann möchte ich Ihnen erklären, warum sie sehr wohl angemessen ist. Man könnte natürlich auch „Fit für das Leben” sagen. Leben hat aber auch etwas mit Arbeiten und Arbeiten etwas mit Wirtschaft zu tun; insofern würde man auch auf diesem Wege dort ankommen.

(Dr. Wiebke [SPD]: Wirtschaft hat auch etwas mit Leben zu tun!)

Aber es gibt einen anderen Grund: Wir haben in den Gesprächen festgestellt - zumindest die, die die Gespräche geführt haben -, dass die Wirtschaft, die Unternehmen, die Handwerkskammern und die IHK kritisiert haben, dass die Schüler nicht fit für die Wirtschaft sind. Sie sind in die Ausbildung gekommen und dort gab es erhebliche Probleme. Genau deswegen gab es Handlungsbedarf, den wir als SPD-Fraktion schon im Frühjahr 2000 formuliert haben. Damit wurde auch das Ziel formuliert, hier eine Veränderung zu organisieren. Dabei waren wir von Anfang an in voller Übereinstimmung mit dem Minister, mit seinen Überlegungen dazu. Insofern ist da etwas auf den Weg gebracht worden, und zwar, wie ich meine, in den letzten zwei

Jahren viel mehr als in den Jahren davor. Das sollte man wirklich honorieren. Dort ist etwas bewegt worden. Dafür gebührt dem Minister Dank.

Was gemacht werden soll, ist primär eine Umstrukturierung, eine Weiterentwicklung des Faches Arbeitslehre. Der neue Titel des Faches für die Klassen 9 und 10, „Wirtschaft, Arbeit und Technik”, hat mit dem Inhalt zunächst einmal nichts zu tun. Man könnte also auch einen anderen Titel wählen. Andererseits sagt die Bezeichnung für ein Fach doch schon etwas darüber aus, was dort schwerpunktmäßig gemacht werden soll. Die drei Pfeiler, die hier beschrieben werden, Wirtschaft, Arbeit, Technik, sind durch ihre Symbolik geeignet, die Menschen dazu zu bringen, sich zu beteiligen. Die Öffnung der Schule für die Wirtschaft ist etwas, was wir bzw. der Bildungsminister hier organisieren können.

(Beifall bei der CDU)

Es gehört aber ein Zweites dazu. Die Wirtschaft muss auch Angebote an die Schule machen. An dieser Stelle gibt es im Lande Brandenburg durchaus Defizite. Dies will ich allerdings nicht als Kritik verstanden wissen; denn hier bestehen objektive Probleme. Bei den großen Unternehmen ist das leicht zu organisieren. Da wird jemand mit dem Auftrag abgestellt, die Kooperation mit den Schulen zu leiten, zu organisieren, durchzuführen. Bei den vielen kleinen Unternehmen ist das wesentlich schwieriger. Deswegen müssen wir hier zusammen mit den Kammern und den Unternehmensverbänden viel größere Anstrengungen unternehmen, als es der Fall wäre, wenn es hier eine höhere Zahl größerer Unternehmen gäbe. Aus diesem Grunde ist auch das durch den Bildungsminister initiierte Netzwerk Zukunft so wichtig, weil genau dort die Menschen, die in dem Bereich Ansprechpartner sind, zusammengeführt werden. Dazu liegt jetzt im Übrigen die Erklärung der verschiedenen Kammern, der Hochschulen auf dem Tisch, sich daran zu beteiligen. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, die anderen, die die Kleinarbeit noch machen müssen, die in die Schulen gehen, die dort Veranstaltungen durchführen, die auch Plätze für Betriebspraktika anbieten, zu gewinnen.

Beim Rahmenkonzept ist ebenfalls eine ganze Menge bewegt worden. Wenn wir nicht bis zu einem gewissen Grade festlegen, was bei der ganzen Sache herauskommen soll, dann wird das unter Umständen sehr unterschiedlich laufen. Deswegen müssen Rahmenkonzepte und Qualifikationserwartungen klarer formuliert werden. Auch dies ist bereits geschehen.

Ob die Schüler fit für die Wirtschaft sind, ist die eine Frage. Die zweite Frage in diesem Zusammenhang lautet, ob die Lehrer fit für die Wirtschaft sind. Insoweit ist unserer Meinung nach noch eine Menge zu tun. Hier liegt es gar nicht einmal so sehr an der Bereitschaft, sondern oftmals fehlt es schon an den Angeboten. Hier gilt es, die Wirtschaft aufzufordern, Angebote zu machen; denn wir können einen Lehrer nicht in ein Betriebspraktikum schicken, wenn solche Praktika nicht oder nicht in ausreichendem Maße angeboten werden. Auch hier muss gehandelt werden. Hier gibt es eine Bereitschaft, aber diese muss auch noch weiterentwickelt werden.

Als SPD-Fraktion haben wir eine Veranstaltungsreihe durchgeführt, bei der ebenfalls das Thema „Wirtschaft und Schule”

bzw. „Schule und Wirtschaft” im Mittelpunkt stand. Eines wurde dabei ziemlich deutlich: Die Öffnungsbereitschaft bei den Schulen ist sehr groß. Bei der Wirtschaft ist sie theoretisch ebenfalls ganz groß, aber es gibt hier praktische Probleme. Wenn wir uns die Besucherinnen und Besucher unserer Veranstaltungsreihe vor Augen führen, dann stellen wir fest, dass Schulrektoren, Arbeitslehrelehrer, Vertreter der Kammern, die übrigens außerordentlich engagiert sind, bei uns waren, dass aber die Unternehmen selbst nur sehr schwer hinter dem Ofen hervorzulocken waren.

Herr Abgeordneter Müller, theoretisch können Sie noch viel zu dem Thema sagen, aber praktisch ist das nicht mehr erlaubt.

Gut. - Aus diesem Grunde müssen wir versuchen - das ist auch genau das Ziel des Bildungsministers -, alle mitzunehmen. Ich meine, wir sind auf einem wirklich guten Weg. Insofern sollten wir die Kritik an dieser Stelle etwas zurückstellen und zunächst einmal feststellen, dass sich etwas bewegt hat. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Müller, und gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechner, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Februar vergangenen Jahres wurde die Landesregierung aufgefordert, durch mehrere Maßnahmen die Vermittlung von Wirtschaftskompetenzen an Brandenburger Schulen zu intensivieren. Unter anderem sollte das Fach Arbeitslehre umstrukturiert und umbenannt werden. Nach langem Hin und Her steht nun die neue Bezeichnung für das Fach fest. Inwieweit nun tatsächlich eine Neustrukturierung des alten Faches Arbeitslehre stattgefunden hat oder ob letztendlich vieles beim Alten bleibt und das Fach nur eine neue Bezeichnung bekommen hat, wird die Zukunft zeigen.

Spätestens in vier oder fünf Jahren, so sagen die Statistiker, werden die Betriebe händeringend nach Auszubildenden suchen. Dann wird es nicht mehr ins Gewicht fallen, dass die Ausbildungsbetriebe seit Jahren die mangelhafte Schulbildung der Bewerber beklagen. Die Betriebe werden auch den sprichwörtlich letzten Deppen nehmen müssen, um irgendwie Fachkräfte heranzuziehen. Mit dieser Perspektive vor Augen spielen einige auf Zeit nach dem Motto: Selbst wenn man völlig untätig bleibt, kann die Landesregierung in wenigen Jahren jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz garantieren.

(Zurufe von der SPD)

Aber lassen wir den Sarkasmus beiseite.

Angesichts der Realitäten in Brandenburg klingt der vorlie

gende Bericht der Landesregierung wie ein massiv geschönter Werbeprospekt für kosmetische Operationen: Hier wird ein neuer Name eingeführt, dort eine Qualifikationserwartung festgelegt, an der Stelle am Lehrplan gefeilt, an dieser Stelle ein Projekt eingefügt - und fertig ist das perfekt gestylte Schulsystem. Meine Damen und Herren von der Landesregierung, Brandenburger Schüler haben oftmals Schwierigkeiten dabei, die einfachsten Mathematikaufgaben zu lösen, sind unfähig, den Inhalt gelesener Texte zu erfassen, präsentieren eine katastrophale Allgemeinbildung. Spätestens durch die vor wenigen Wochen veröffentlichte PISA-Studie müsste das allen hier bekannt sein.

Die in dem vorgelegten Bericht angekündigte Intensivierung der Vermittlung von Wirtschaftskompetenzen an Brandenburger Schulen ist gut und wichtig; ohne die Grundlagen für eine umfassende Allgemeinbildung, ohne eine anständige Grundschulbildung ist dies für unsere Kinder jedoch wertlos.

Noch etwas: Viele junge Brandenburger haben ihre Wirtschaftskompetenz bereits bewiesen, haben das Land verlassen, weil sie hier keine Zukunft mehr sehen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner, und gebe das Wort an die Fraktion der CDU. Bitte, Herr Abgeordneter Bartsch.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mehreren Jahren fordert die Fraktion der CDU, dass die Vermittlung der Anforderungen der Arbeits- und Wirtschaftswelt zum Bestandteil des Unterrichts an Brandenburger Schulen wird. Durch den Bericht der Landesregierung wird erfreulicherweise deutlich, dass diesem Anliegen in Zukunft Rechnung getragen werden wird.

Die CDU-Fraktion hat in verschiedenen Debatten deutlich gemacht, dass die Anerkennung des Unternehmertums und des wirtschaftlich denkenden und agierenden Menschen zu den Grundvoraussetzungen für eine positive Entwicklung in Brandenburg gehören.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wenn es uns gelingt, den Schülern frühzeitig volkswirtschaftliche Grundzusammenhänge und betriebswirtschaftliche Sichtweisen zu vermitteln, dann wird die heranwachsende Generation unternehmerisches Handeln als das wahrnehmen, was es ist, nämlich als verantwortliches Handeln, das unsere Gesellschaft positiv weiterentwickelt und innovative Ausbildungs- und Arbeitsplätze schafft.

Mit den Einblicken in die Arbeits- und Wirtschaftswelt ermöglichen wir den Jugendlichen nicht nur, ein realistischeres Bild unserer Gesellschaftsordnung zu gewinnen, sondern wir geben ihnen auch die Möglichkeit, ihren Fähigkeiten entsprechende Berufe frühzeitig zu wählen. Zudem eröffnen wir ihnen die Perspektive, die Selbstständigkeit als Alternative und Chance in