Protocol of the Session on May 17, 2001

Aktuelle Stunde

Thema: Die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt im Land Brandenburg

Antrag der Fraktion der DVU

Das Wort geht an die Vertreterin der beantragenden Fraktion. Frau Hesselbarth, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die heutige Aktuelle Stunde des Landtages hat die Fraktion der Deutschen

Volksunion das Thema „Ausbildungsplatzsituation in Brandenburg” beantragt.

Wir alle wissen, dass die Situation in den vergangenen Jahren immer wieder auch in diesem Hause debattiert wurde und wie wenig sich in den letzten Jahren auf dem Ausbildungsmarkt unseres Landes zum Positiven bewegt hat. Wir erleben Jahr für Jahr dasselbe: Es fehlen Tausende von Arbeitsplätzen.

Um Ihnen die nach wie vor bestehende Aktualität zu verdeutlichen, möchte ich Sie zu einer durchaus interessanten Reise in die Vergangenheit der letzten Jahre und wieder zurück in die Gegenwart einladen. Es ist schon sehr bemerkenswert, was ich da in all den alten Akten nachlesen konnte.

Allgemein zeigte man sich 1996 noch tief bestürzt über rund 3 000 fehlende Ausbildungsplätze in Brandenburg. Heute, also rund fünf Jahre später, fehlen in Brandenburg circa 6 000 Ausbildungsplätze. Das ist das Doppelte.

Was passiert? - Um es mit einem Wort zu sagen: wenig. Das Thema ist „abgewetzt” bis „unangenehm”. Jedenfalls sind diesbezüglich die parlamentarischen Aktivitäten in diesem Landtag drastisch zurückgegangen, und zwar unter dem Motto: Wir haben ja genug Initiativen des Bundes und der Länder, so zum Beispiel das Ausbildungsprogramm Ost nebst Ergänzungsprogramm, die Förderung für erstmalig ausbildende Betriebe und vieles andere mehr. - Wir wollen solche staatlichen Initiativen gar nicht generell mies machen. Als Ergänzungsmaßnahmen ist vieles davon sicherlich sinnvoll und Ausbildung ist sicherlich noch besser als gar keine Ausbildung. Nur: Der ausschließliche Stein der Weisen sind solche Maßnahmen natürlich nicht.

Was nämlich war in vielen Fällen das Ergebnis? Jugendliche durchliefen außerbetriebliche oder staatlich geförderte Berufsausbildungsprogramme und fanden sich nach deren Abschluss in der Arbeitslosigkeit wieder. Es gab und gibt nicht genügend Betriebe, welche bereit sind, die theoretisch ausgebildeten Jugendlichen zu übernehmen.

Es besteht also wahrlich kein Grund, sich zurückzulehnen und auszuruhen, meine Damen und Herren. Vielmehr geben aktuell folgende Umstände Anlass zu zusätzlicher Besorgnis: Wie lange ist das Land Brandenburg angesichts seiner Haushaltssituation noch dazu in der Lage, die Kofinanzierung für die öffentlichen Förderprogramme auch für die staatlich geförderte Berufsausbildung bereitzustellen? Bei einem prognostizierten Milliardenloch im Landeshaushalt in Höhe von 2,8 Milliarden DM bis zum Ende der Legislaturperiode machen wir uns darüber ernsthaft Gedanken.

Ein Trugschluss ist nach Ansicht der DVU-Fraktion die von Ihnen viel beschworene so genannte demographische Falle. Angeblich sollen ab 2004 genug Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Abgesehen davon, dass hierfür gerade die über Jahre verfehlte Bildungs-, Jugend- und Familienpolitik mit verantwortlich ist, sagen wir Ihnen: Auf das Ergebnis eigener Fehler zu bauen ist genau die falsche Politik, ja geradezu fatal für die gesamte Entwicklung unseres Landes. Und wer gibt Ihnen denn die Gewissheit, dass es dann angesichts der wirtschaftlichen Mittelstandsmisere noch genügend Betriebe in Brandenburg gibt, die dazu bereit und in der Lage sind, die wenigen Jugendlichen, die dann noch da sind, auszubilden?

Aber reisen wir nochmals zurück in das Jahr 1996. Wie hieß es doch damals so schön? Jeder Jugendliche soll einen Ausbildungsplatz erhalten. Heute heißt es: Jeder ausbildungsfähige und -willige Jugendliche soll einen Ausbildungsplatz erhalten.

(Klein [SPD]: Das ist doch logisch! So ein Quatsch aber auch, den wir uns hier anhören müssen, Frau Hesselbarth! Das geht einem über die Hutschnur!)

Den veränderten Tenor, Herr Klein und auch meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Was steckt dahinter? Spekulieren Sie etwa mit der großen Resignation der Jugendlichen? Beziehen Sie die größere Abwanderungswelle der Jugendlichen aus Brandenburg in Ihr Kalkül mit ein? Spekulieren Sie mit den Defiziten der Jugendlichen in der schulischen Ausbildung? Wollen Sie dafür die Jugendlichen verantwortlich machen, indem Sie ihnen schlichtweg die Eignung absprechen?

(Schippel [SPD]: Vorsicht! Sonst gibt es einen Herzin- farkt! Klein [SPD]: Genau!)

Die DVU-Fraktion hat Ihnen hierzu Folgendes entgegenzuhalten:

Erstens steht fest: Unsere Jugend weiß ganz genau, dass ihre Chancen mit einer überbetrieblichen Ausbildung am Arbeitsmarkt wesentlich geringer sind als mit einer betrieblichen. Das ist ein Grund für die bereits heute festzustellende Resignation.

Zweitens ist eine weitere Abwanderung von Jugendlichen mangels genügender Lehrstellen in andere Bundesländer für die weitere Entwicklung unseres Landes in nahezu jeder Hinsicht geradezu fatal. Ich verweise auf Meldungen wie: „Zahl der Rentner wird sich bis zum Jahre 2015 verdoppeln” oder Prognosen wie: „In 30 Jahren wird in Brandenburg flächendeckend Altersarmut herrschen”.

Erst gestern in der Aktuellen Stunde war von einem Ausbluten ganzer Regionen - Frau Müller, ich denke an Guben - und von Ihren Plänen zum Wohnungsabriss im großen Stil die Rede.

(Zurufe von der CDU)

Richtig ist doch wohl auch, dass die Jugendlichen, die wegen der Ausbildungsmisere Brandenburg verlassen, für das Land überwiegend endgültig verloren sind. Somit ist ein zukünftiger Fachkräftemangel hier in Brandenburg geradezu vorprogrammiert. Sind Sie sich, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, eigentlich darüber im Klaren, welch eine Abwärtsspirale Sie da auslösen? Sie gefährden eklatant die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Ganz konkret: Erst macht die Treuhand massiv Betriebe dicht, dann kommen hohe Arbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzmangel. Deshalb laufen die Menschen weg. Dann werden leer stehende Wohnungen abgerissen und die Menschen können nicht zurück. Und mangels Nachfrage bricht das örtliche Gewerbe zusammen.

(Gelächter bei SPD und CDU - Beifall bei der DVU)

Ich bin keine Freundin davon, alles schwarz zu sehen, aber eben auch nicht durch die rosarote Brille.

(Frau Konzack [SPD]: So viel Stuss haben wir hier noch nicht gehört!)

Ist das noch eine verantwortungsvolle Politik, meine Damen und Herren?

(Kolbe [SPD]: Wer hat Ihnen denn den Quatsch aufge- schrieben?)

Ich halte das auch für zutreffend, was Herr Lunacek 1997 völlig zu Recht feststellte: Die wesentliche Ursache für den Lehrstellenmangel ist die ungünstige wirtschaftliche Lage der Unternehmen. Zur Bekämpfung des Lehrstellenproblems muss man genau hier ansetzen.

1998 stellte auch Herr Hackel noch fest, dass die wichtigste Voraussetzung für die Schaffung von Ausbildungsplätzen eine leistungsfähige und wettbewerbsorientierte Wirtschaft ist.

Heute ist Ihre Partei, meine Damen und Herren von der CDUFraktion, mit in der Regierungsverantwortung. Wo bleiben Ihre Initiativen? Was ist aus Ihren vielen schönen Konzepten, die Sie vor der letzten Landtagswahl hatten, geworden?

Sehr ärgerlich werden kann man dann schon, wenn man im Koalitionsvertrag nachliest:

„Die Koalitionspartner erwarten, dass die Wirtschaft in ihrem eigenen Interesse ihrer Verantwortung zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen gerecht wird.”

Was ist das? Das ist doch kein Konzept!

Wie und wo die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen erfolgen soll, das verschweigen Sie nämlich geflissentlich.

(Schippel [SPD]: Das hören wir jetzt von Ihnen!)

Es macht sicherlich Sinn, zusätzlich Großinvestoren ins Land zu holen - dafür bin ich auch, Herr Schippel -, um zukünftig in deren Umfeld auch den örtlichen Mittelstand zu stärken. So gesehen, Herr Wirtschaftsminister Dr. Fürniß, haben wir beileibe nichts gegen Ihre Initiativen zur Einwerbung von Großinvestoren. Wir wissen das sehr wohl zu schätzen.

(Oh! bei der CDU)

Vergessen Sie aber bitte nicht: Die hier ansässigen Handwerksund Mittelstandsbetriebe sind und bleiben die tragende Säule für die Ausbildung.

Wissen Sie überhaupt, was das für viele kleine und mittlere Betriebe bedeutet? - Ich schon! Denn mein kleiner Handwerksbetrieb hat Lehrlinge ausgebildet, und zwar oft unter schwierigsten finanziellen Bedingungen.

(Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

- Von den Problemen der schlechten Zahlungsmoral haben Sie wohl noch nichts gehört, Herr Klein! Ohne Förderung des Landes! Denn für die Förderung haftet nämlich der Unternehmer privat und nicht Sie! Viele Betriebe mussten ihre Ausbildungs

aktivitäten einstellen, weil sie sie einfach nicht mehr bezahlen konnten.

Von dieser Stelle aus richte ich ein großes Dankeschön an die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die trotz der misslichen Lage dazu beigetragen haben und noch beitragen werden, der Jugend durch eine solide Ausbildung eine Perspektive für ihre Zukunft zu bieten. Aber allein mit dem Ritual des Bedauerns und der Ankündigungspolitik kommen wir hier nicht weiter.

Die DVU-Fraktion ist für die Sicherung und Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Wir wollten mit 16 eigenen Änderungsanträgen zum neuen Schulgesetz einen großen Beitrag dazu leisten. Vielen Dank noch einmal an Frau Fechner für die unermüdliche Arbeit mit dem Ziel, die klaffende Lücke zwischen Schulwissen und Anforderungsprofilen der Ausbildungsbetriebe zu schließen.

Wir haben uns hier im Landtag konsequent für die Belange der Wirtschaft, besonders für den Mittelstand und die Kleinunternehmer, eingesetzt - ob in der Haushaltsdebatte oder mit vielen eigenen Anträgen; zuletzt zur Änderung der VOB/B -, um den kranken Handwerksbetrieben, sprich der Bauwirtschaft, auf die Beine zu helfen.

Zudem haben wir uns in der gestrigen Aktuellen Stunde gegen die Wohnungsabrisspolitik der Landesregierung nach dem Motto „Abriss als letzte Möglichkeit” ausgesprochen, um der unbeschriebenen Abwärtsspirale Einhalt zu gebieten.

Schließlich, sehr geehrter Herr Minister Ziel, gestatten Sie mir noch einen Hinweis: Befragen Sie doch einmal eine Mutter oder einen Vater von Jugendlichen, die gerade auf Lehrstellensuche sind.

(Petke [CDU]: Nur Deutsche oder auch andere?)