Protocol of the Session on February 28, 2001

Wenn jetzt von den Vertretern des Innenministeriums ständig

damit operiert wird, dass der Landtag den Leitlinien zugestimmt habe, dann frage ich mich, woraus das abgeleitet wird. Unser Antrag auf Überweisung an den Innenausschuss zur inhaltlichen Beratung wurde von der Landtagsmehrheit abgelehnt. Die inhaltliche Befassung war nicht gewollt.

Auf der Grundlage der Leitlinien erarbeitete die Landesregierung den hier in Rede stehenden Gesetzentwurf, der der PDSFraktion am 11. Januar 2001 für die 1. Lesung am 24. Januar ausgereicht wurde. Das war der äußerste Termin, den die Geschäftsordnung für Gesetzentwürfe vorgibt.

Die Koalition hatte von vornherein die Zielstellung, dieses komplexe und für die Gemeindegebietsreform sehr wichtige Gesetz innerhalb von fünf Wochen durch den Landtag zu peitschen. Deshalb wurde für den 15. Februar eine Anhörung als Sondertermin des Innenausschusses in der Sitzungswoche der Fraktionen angesetzt. Wir haben dem zugestimmt, allerdings auch von vornherein auf weiteren Beratungsbedarf aufmerksam gemacht. Ein von der Koalition vorgelegter Zeitplan, der bereits für den 22. Februar - also eine Woche nach der Anhörung - die Antragssitzung vorsah, wurde von uns abgelehnt und im Innenausschuss auch nicht bestätigt.

Zu diesem Zeitpunkt konnten Sie und auch wir nicht wissen, dass die Anhörung eine solch vernichtende Bewertung des Gesetzentwurfes der Regierung erbringen würde. Die kommunalen Spitzenverbände, Kommunalpolitiker und Wissenschaftler ließen sprichwörtlich keinen guten Faden an diesem Entwurf. Wir fühlten uns dadurch in unserer Position bestätigt und haben in Auswertung der Anhörung auf eine inhaltliche Beratung des Entwurfes im Innenausschuss gedrängt, die am 22. Februar stattfand. Es war die erste inhaltliche Diskussion, die der Innenausschuss anhand des Gesetzentwurfes zum Vorhaben der brandenburgischen Gemeindegebietsreform führte. Anhand eines aus 18 Punkten bestehenden Fragenkataloges der PDS-Fraktion wurde über grundsätzliche und ganz konkrete Probleme der Leitlinien und des Entwurfes diskutiert. Dabei sind erhebliche Schwachpunkte sichtbar geworden, z. B. die willkürliche Handhabung hinsichtlich der Verbindlichkeit der Leitlinien.

Für uns war diese Verständigung eine wichtige Grundlage für die Erarbeitung von Änderungsanträgen, da wir beim Entwurf erheblichen Änderungsbedarf sehen. Die Koalition - insbesondere die CDU-Vertreter im Innenausschuss - sieht diesen Änderungsbedarf nicht und betrachtet das Beratungsverfahren als rein formal. Insofern ist es offensichtlich den SPD-Vertretern zu verdanken, dass nicht - wie ursprünglich vorgesehen - bereits am 22. Februar der Sack zugebunden worden ist, ohne der PDS-Fraktion Gelegenheit zu geben, ihre Änderungsanträge einzubringen.

Die CDU-Ausschussmitglieder Herr Petke und Herr Homeyer waren offensichtlich auch bereit, die Teilnehmer an der Anhörung des Innenausschusses offen zu brüskieren. Das wundert mich insbesondere bei Herrn Homeyer, der vor zwei Jahren noch das Hohelied der Selbstverwaltungsrechte der kleinen Gemeinden gesungen hat.

(Beifall bei der PDS)

Wie sagten Sie noch auf der Bürgermeisterkonferenz in Diedersdorf:

„Ich komme nun zu dem Argument, es gäbe zu viele kleine Gemeinden.... Ja, sollen wir uns denn dafür schämen als Brandenburger? Das ist doch historisch gewachsen. Das gab es in Brandenburg doch immer. Das ist übrigens Brandenburg, viele kleine Gemeinden.”

Wo bleibt jetzt Ihr Aufschrei, Herr Homeyer?

(Beifall bei der PDS)

In dem von Ihnen unterschriebenen Minderheitenvotum zum Bericht der Enquetekommission heißt es, dass die CDU eindeutig alle Tendenzen zur Schaffung von reglementierten, zentralistisch organisierten und somit schwer überschaubaren Großverwaltungen verwerfe. Sie setze vielmehr auf die für unser Land Brandenburg typische und historisch gewachsene Kleinmaßstäblichkeit der kommunalen Organisation.

Herr Abgeordneter Sarrach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber gern.

Herr Abgeordneter Dr. Niekisch, bitte schön!

Herr Kollege Sarrach, folgende Frage: Sind Sie mit mir einer Meinung, dass wir uns jetzt in den Jahren 2001/2002 vielleicht nicht mehr so viel Zeit nehmen müssen wie bei den Gemeindegebietsreformen 1952, weil wir damals noch die Genehmigung von Moskau einholen mussten?

(Heiterkeit bei der PDS)

Ich glaube, Herr Dr. Niekisch, die Einholung der Genehmigung von Moskau und die Einholung der Genehmigung von Herrn Schönbohm sind nicht so sehr unähnlich.

(Heiterkeit)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und insbesondere Sie, Herr Homeyer, ich frage Sie: Warum sind Sie nicht bei Ihrer ursprünglichen Meinung geblieben?

Die Erklärung dafür ergibt sich aus einer anderen Feststellung, die Sie in Ihrem Minderheitenvotum treffen:

„Die Empfehlungen zur strukturellen Neugliederung unterstützen lediglich die Bemühungen der Landesregierung, ihren Kompetenzbereich zuungunsten der Kommunen auszuweiten.”

Da Sie jetzt nicht mehr Opposition, sondern Regierung sind und auch noch das fachlich dafür zuständige Innenministerium tra

gen, haben Sie Ihre Auffassungen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Aber dafür müssen Sie vor Ihren Wählerinnen und Wählern geradestehen, ebenso wie Ihr Kollege Petke, der mit seinen Auftritten in den Kommunen zunehmend in Schwierigkeiten gerät.

Aber offensichtlich geht es schon lange nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um das Prinzip, bis zum 21. März, dem Tag des CDU-Wahlparteitages, den Parteichef Schönbohm als den größten Reformer aller Zeiten für seine Wiederwahl zu präsentieren.

(Beifall bei PDS und CDU)

Da wäre jegliches inhaltliches Einlenken ein unverzeihliches Zeichen der Schwäche, nur, kein Verständnis habe ich für das Hinterhertrotten der SPD dabei, als ob sie sich zum Handlanger einer Parteitagsregie der CDU machen müsste.

(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion sieht großen Änderungsbedarf an dem Gesetzentwurf der Landesregierung und wir haben die klare Forderung aufgestellt, für die inhaltliche Beratung die nächsten vier Wochen zu nutzen. Das haben Sie abgelehnt. Wir legen Ihnen heute die Änderungsanträge vor, die die Fraktion in der gestrigen Sitzung gemeinsam mit dem Städte- und Gemeindebund und mit Prof. Reichard von der Universität Potsdam beraten hat. Es handelt sich hierbei um den dringendsten Änderungsbedarf, den wir sehen.

Ich will die Anträge nicht im Einzelnen vorstellen, möchte jedoch einige hervorheben. Wir wollen erstens eine Stärkung der Ortsteilverfassung erreichen, die Herr Schönbohm in Aussicht gestellt hatte. Deshalb fordern wir die Direktwahl für alle Ortsbürgermeister, eine Erweiterung der Anzahl der Mitglieder des Ortsbeirates, die Einführung eines Vetorechts des Ortsbeirates, genau die Dinge, die die Leitlinien in Aussicht gestellt haben und genau an dieser Stelle ist von den Leitlinien abgewichen worden. Dazu hieß es im Innenausschuss, dass diese Aussagen in den Leitlinien nur kursorischen Charakter tragen würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht sein, dass sich die Landesregierung aussuchen kann, an welcher Stelle sie die Leitlinien als verbindlich ansieht und wo sie von diesen abweichen kann.

(Beifall bei der PDS)

Das ist reine Willkür, die nicht zugelassen werden darf.

Wir möchten weiterhin, dass die in § 54 a Abs. 3 enthaltene Entscheidungskompetenz des Ortsbeirates verbindlich festgeschrieben wird, ebenso das in den Leitlinien enthaltene begrenzte Budgetrecht des Ortsbeirates, das in der Regelung in § 54 a Abs. 4 in seiner Abschwächung gar nicht mehr zu erkennen ist. Dem Ortsbürgermeister sollte ermöglicht werden, an allen Sitzungen der Gemeindevertretung und ihrer Ausschüsse teilzunehmen, da eine Beschränkung auf Angelegenheiten des Ortsteils kaum durchsetzbar sein dürfte. Der Ortsbürgermeister müsste zudem über die gleichen Kontrollrechte gegenüber der

Verwaltung verfügen, wie sie in § 36 der Gemeindeordnung für Gemeindevertreter vorgesehen sind, um seiner Verantwortung im Ortsteil nachkommen zu können.

(Beifall bei der PDS)

Eine Reihe von Anträgen bezieht sich auf die Amtsordnung. Wir möchten das mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte weitreichende Anordnungsrecht des Innenministers zur Bildung, Auflösung und Änderung von Ämtern nicht zulassen. Während der Innenminister bisher nur darauf einwirken konnte, dass gemeinwohlverträgliche Lösungen zustande kommen, soll es künftig möglich sein, durch das ministerielle Anordnungsrecht auf Ämter einzuwirken, die gemeinwohlverträglich zustande gekommen sind. In der Begründung heißt es dazu, dass eine Neustrukturierung durchgesetzt werden kann, wenn diese nach übergeordneten Gesichtspunkten gemeinwohlverträglicher sei. Entweder ist eine Lösung gemeinwohlverträglich oder sie ist es nicht. Der Versuch einer Steigerung des Gemeinwohls weist auf den großen Ermessensspielraum hin, den sich das Innenministerium mit dieser Regelung verschaffen will. Wir sprechen uns klar und energisch gegen die Festlegung einer Mindesteinwohnerzahl für Gemeinden aus. Eine solche Festlegung ist, wie der Chef des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Herr Prof. Reichard, ausführte, nicht mehr zeitgemäß. Wir beantragen die Streichung dieser Passage, die das Todesurteil für 861 Gemeinden darstellt.

Ich möchte es bei der Vorstellung dieser Anträge bewenden lassen. Abschließend Folgendes: Noch haben Sie die Möglichkeit, einen Reformansatz zu wählen, der von den Gemeinden mitgetragen wird und dem Prinzip der Freiwilligkeit einen hohen Stellenwert gibt, einen Ansatz, der das Amt weiterentwickelt, die Freiwilligkeitsphase verlängert, Amt und amtsfreie Gemeinde als Modell situativ und nicht anhand der Berlinnähe zulässt oder verwirft und nicht nur formal die äußere Struktur behandelt. Sie müssen nur dem PDS-Gesetzentwurf über die Grundsätze der Gebietsreform zustimmen, der in der Anhörung sehr gute Kritiken erhalten hat.

Wenn Sie jedoch auf der Linie bleiben, wie sie der Gesetzentwurf der Regierung aufzeigt, provozieren Sie den Widerstand der Gemeinden, der jetzt schon deutlich stärker geworden ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Reform von oben scheitert, ist sehr groß.

Sollten Sie den Gesetzentwurf der Regierung ungeändert beschließen und keine ernsthafte Diskussion über unsere Änderungsanträge zulassen, dann trennen sich unsere Wege. Wir werden die Kommunen auffordern, ihre Rechte selbstbewusst wahrzunehmen und sich nicht durch den psychologischen Druck aus dem Innenministerium einschüchtern zu lassen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Sarrach. - Das Wort geht jetzt an die Fraktion der SPD, an den Abgeordneten Bochow.

Ehe Herr Bochow hier ist, möchte ich Gäste hier im Landtag

begrüßen, und zwar sind es Schüler der 10. Klasse aus der Realschule Spremberg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Bitte schön, Herr Bochow!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Brandenburg existieren gegenwärtig ca. 1 500 Gemeinden, von denen fast 60 % das sind die von Herrn Kollegen Sarrach erwähnten 861 - weniger als 500 Einwohner aufweisen. Die Problematik bei diesen Gemeinden besteht darin, dass sie häufig nicht in der Lage sind, gemeindliche Einrichtungen zur Durchführung pflichtiger wie freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben für ihre Bürger vorzuhalten. Die Folge dieser mangelnden Leistungsfähigkeit besteht in der Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung. Eine lebendige Selbstverwaltung setzt leistungsfähige Gemeinden voraus. Fehlt der notwendige Entscheidungsspielraum, so führt das automatisch zu Akzeptanzproblemen bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Effizienz und Bürgernähe sind zwei Seiten derselben Medaille. Gemeindliche Selbstverwaltung muss Substanz haben. Sie muss in der Lage sein, originäre Zuständigkeiten wahrzunehmen. Kann sie das nicht, droht ihr eine Erosion des bürgerschaftlichen Engagements und damit auch eine Delegitimation des örtlichen Gemeinwesens.

Durch die Kreisgebietsreform, für die Brandenburg viel Lob bekommen hat und die, wenn ich es recht sehe, niemand rückgängig machen möchte, ist es uns gelungen, auf dieser Ebene leistungsfähige Einheiten zu bilden.