Protocol of the Session on December 13, 2000

Wir sind damit am Ende des Tagesordnungspunktes 1 und ich schließe die Fragestunde.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Auswirkungen der BSE-Krise auf die Brandenburger Lauchs irtschaft und das Land

Antrag der Fraktion der SPD

Das Wort geht an den Abgeordneten Dr. Wiebke von der SPDFraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! BSE-Krise und kein Ende! Kein Thema hat die Emotionen höher schlagen lassen, die Schlagzeilen so fett gemacht wie die Vorstellung des schleichenden, qualvollen Todes aus dem Trog über die Theke in die Töpfe der Verbraucher. Es herrscht Hochkonjunktur - Hochkonjunktur für Schuldzuweisungen. Spekulationen und Ängste. In Talkshows und Politikmagazinen tummeln sich Promis, Reporter. Politiker und Lobbyisten. Sie alle wollen schon immer gewarnt. es gesagt und gewusst haben, welches die Ursachen sind. wer Schuld beladen und wer betroffen ist. Da wird im Trüben gefischert und mit imperativem.,Basta" Unabsehbares entschieden, obwohl oder weil die Wissenschaftler vor mehr Fragen als Antworten stehen.

Ökofreaks und Tierschützer, Ästheten und Vegetarier aller Länder sind vereinigt im Glauben ihrer Lebensphilosophie. Ursache sind die als Agrarfabriken diffamierten großen Betriebe. Sie müssen weg! Wird hier etwa der Boden für eine neue Degressionsdebatte vorbereitet? Die scheinbar einfache Formel lautet: Wir brauchen flächendeckend Kleinbauern und Biolandwirte. obwohl die Seuche bei den Kleinbauern in England ihre Wurzeln hat.

Vergessen wird, dass Biobetriebe heute als Großbetriebe mit über 1 000 ha und über 100(1 Kühen keine Ausnahme mehr sind. Nicht die Größe, meine Damen und Herren. sondern die Produktionsweise bestimmt die Nachhaltigkeit der Produktion.

(Beifall bei SPD und CDU ►

Lassen Sie mich Dirk Maxheimer, Umweltjournalist - „Die Welt" - zitieren. Im Hinblick auf diese Situation sagt er, man könnte den Eindruck gewinnen, die Zukunft liege im romantischen Rückschritt zum selbstgenügsamen und möglichst wenig technisierten bäuerlichen Familienbetrieb. Mit BSE ist ein ganzer Treck von Sehnsüchten, Nostalgien und Naturverklärungen zu neuem Leben erwacht, der zurückführt in eine Zeit, als die Menschen unentfrerndet von der Scholle lebten, eins mit der Natur im Rhythmus der Jahreszeiten von ihrer eigenen Hände Arbeit.

Im Ergebnis seines Artikels sagt er dann allerdings: Die künftige bäuerliche Großfamilie heißt wohl nicht Müller oder Meier, sondern GmbH.

Meine Damen und Herren! Die zweite BSE-Krise nach 1 997 ist einschneidender, nachhaltiger und populistischer. Sie wird nur zu überwinden sein, wenn wir die Ursachen ideologiefrei klären, die Risiken ehrlich in das richtige Verhältnis setzen, durch wirksame Abwehrmaßnahmen Glaubwürdigkeit und Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen. Hiobsbotschaften und Schnellschussreaktionen helfen dabei nicht weiter.

Wie weit hat die BSE in Brandenburg, in Deutschland Fuß gefasst? Meine Damen und Herren! Niemand kann diese Frage eindeutig beantworten. Dazu fehlen Lebendtiertests und Wissen. Aber die Summe aller Indizien und bisherigen Maßnahmen lässt uns hoffen, dass Brandenburg derzeit nicht oder fast nicht unmittelbar betroffen ist.

Lassen Sie mich an folgende Fakten erinnern: In Brandenburg ist bis heute trotz Meldepflicht keine einzige BSE-Erkrankung bekannt geworden. Bundesweit ist kein Rind aus eigener Nachzucht erkrankt. Deutschlandweit wurden 13 000 Rinder mit zentralnervösen Störungen auf Prionen getestet. Das Ergebnis ist negativ. Alle bisherigen Standarduntersuchungen an 30 Monate alten Rindern verliefen in Brandenburg negativ. Von den

1 65 importierten britischen und Schweizer Rindern leben heute nur noch I5. Sie stehen einschließlich ihrer Nachkommen unter ständiger veterinärpolizeilicher Kontrolle. Auch bei diesen wurde kein einziger BSE-Fall festgestellt. Alle Himuntersuchungen verliefen negativ. Das Fleisch dieser Tiere gelangte nicht in unsere Nahrungskette.

Ich erinnere daran. dass Edwin Zimmermann als damaliger Minister dafür Sorge getragen hat, dass kein Fleisch von Nachkommen in die Nahrungskette kam, von denen der Hirnstatus der Muttertiere unbekannt war. Das hat damals zu erheblichen Aufregungen geführt, es gab eine Dienstaufsichtsbeschwerde. ein Gerichtsverfahren, und die Presse schrieb: Unangemessene Maßnahmen! Was schreibt sie heute?

Seit 1994 ist die ernährungsphysiologisch sinnlose Verflittening von Tiermehl an Rinder und Schafe verboten. In Deutschland war das nie übliche Praxis. Seit 1989 wurde nach Deutschland kein Tiermehl mehr importiert. Die Hoehdruckdampfsterilisati

an des Tiermehls in Deutschland gilt als sicher. Bei jährlich etwa 1 000 amtlichen Kontrollen der Tiemiehlherstel lung wurden in Brandenburg keine Prionen nachgewiesen.

Die ostdeutschen Bundesländer haben noch einen Bonus in der BSE-Situation. Wir nehmen erst seit 1991 am europäischen Markt teil. während die BSE-Krise schon etwa zehn Jahre in Westeuropa ein Problem war.

Im Ergebnis all dessen wurde Deutschland nach den Normen des Internationalen Tierartenseuchenamtes als BSE-frei eingestuft. War das nun ein Trugschluss bei diesem bis heute einem positiven Testergebnis? Sicher konnte sich niemand sein - bis heute nicht. Meine Damen und Herren, es bleibt ein Restrisiko. Dieses Risiko muss richtig eingeordnet und minimiert werden. Unser Leben ist und bleibt ein Wagnis. Trotz zunehmender Sicherheitsbestimmungen, regelmäßiger Aufklärung und einer Flut von Gesundheitspillen bleiben die Teilnahme am Verkehr, Luxuskonsum und Mangelernährung, Alkoholund Nikotin- sowie Drogenmissbrauch ein ungleich höheres Risiko als BSE,

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

ein Risiko. das im Ergebnis als ein gleich dramatisches Ergebnis für den Einzelnen einzustufen ist. Selbst im täglichen Lebensmittelverkehr kommt es bei aller Sorgfalt immer wieder zu Lebensmittelvergiftungen, manchmal mit tödlichem Ausgang. Dennoch gehört Deutschland zu den Ländern mit der höchsten Lebensmittelsicherheit.

(Zuruf des Abgeordneten Homeyer [CDU])

Um jedes BSE-Risiko auszuschalten, dürfte Entertainer Gottschalk keine Gummibärchen mehr voressen. müssten Patienten auf Gelatinekapseln verzichten und könnten selbst Vegetarier dem Feldsalat nicht mehr trauen, da neuerdings Prionen auch im Boden vermutet werden.

Ich will angesichts der Ernsthaftigkeit der kritischen Gesamtsituation das europäische BSE-Problem nicht kleinreden. Sie lässt sich aber noch weiter reduzieren, auch mit Blick auf andere Ernährungspraktiken und Risiken, wenn das Steak künftig nur halb so groß ist, nur halb so häufig auf den Tisch kommt, schön verteilt auf Geflügel-, Schweine-. Schaf- und Rindfleisch und möglichst immer vom gleichen Erzeuger über den gleichen Verarbeiter über die gleiche Ladentheke kommt.

Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher, regional überschaubare Lebensmittel erhöhen die Sicherheit. Sie allein entscheiden durch Ihr Kaufverhalten. welche Ware Ihnen angeboten wird.

An die Abgeordneten des Europaparlaments gerichtet, möchte ich mahnend sagen: Nahrungsmittel sind keine Produkte wie jeder x-Beliebige technische Artikel sonst. Das muss eine Einsicht des europäischen Binnenmarktes und der WTO-Verhandlungen werden. Weltweit können neue Erkrankungen entstehen. Wir dürfen es nicht zulassen. dass BSE und andere Krankheiten den Verbrauchern als Gratifikation für Kundentreue frei Haus geliefert werden.

(Beifall bei der CDU und hei Abgeordneten der SPD)

Während ich die direkten gesundheitlichen Auswirkungen als eher gering einschätze, werden die allgemeine Verunsicherung und die eingeleiteten Bekämpfungsmaßnahmen verheerende Auswirkungen auf unser Land haben. Betroffen sind alle Bauern, Ernährungswirtschaft Konsumenten und öffentliche Kassen, Umwelt und Menschen anderer Länder und Kontinente.

Ich wage keine definitive Prognose über die Kosten. Ich will aber auf die Zusammenhänge hinweisen. In Abhängigkeit vorn Absatzrückgang - man spricht derzeit von 50 bis 70 % - ist die gesamte Rinderwirtschaft einschließlich der Milcherzeugung betroffen. Sie refinanziert sich komplex aus Milch- und Fleischerzeugung. Wenn die Kälber, die ja für die Mast gebraucht werden, zum Abfallprodukt werden, kann die Milchwirtschaft nicht bestehen. Milch. Butter, Käse und auch Naturdünger werden Mangelware. Nach Angaben des Bundesfachverbandes Fleisch sind Existenzen vieler Unternehmen sowie Arbeitsplätze bedroht. Bundesweit gibt es in diesem Gewerbe etwa 200 00(1 Arbeitsplätze.

Das generelle Tiermehlverbot wird als Futterersatz Sojaschrot aus armen Ländern abziehen und die Genmanipulation fördern. Der Weltmarktpreis wird stei gen. und das Schweinefleisch wird sich verteuern.

Da sich die TBAs teilweise aus dem Verkauf von Tiermehl refinanzieren und die Beseitigung des Tiermehls nicht kostenfrei ist, werden die Entsorgungskosten steigen. Die Verbrennung riesiger Mengen Eiweißes ist ein ökologisches Problem an sich und eine enorme Vernichtung von Eiweißressourcen. Von den Stoffkreisläufen kann keine Rede mehr sein.

Die Kosten für die BSE-Untersuchung sind im Vergleich dazu eher marginal. Alle Kosten aber werden auf die Verbraucher durchschlagen. Wenn das zu veränderten] Konsumverhalten führt, meine Damen und Herren, kann das natürlich auch eine positive Wirkung haben.

Neue Gefahren für den Verbraucher entstehen, wenn durch Wettbewerbsverzerrung auf den globalen Märkten billige Produkte weiter Fuß fassen. Der größte Schaden kann aber durch interessen- und ideologiegesteuerte Forderungen entstehen. Unsere Agrarstrukturen, ob ökologisch oder konventionell. zu zerschlagen - ein Rückschritt in die Vergangenheit das wäre sicherlich unbezahlbar.

Statt Schnellschüssen muss die Forschung europaweit intensiviert werden. Wir brauchen dringend einen Lebendtest. Die regelmäßige Entfernung von Risikomaterial minimiert das minimale Restrisiko um ein Vielfaches und lässt es damit gegen null tendieren.

Meine Damen und Herren! Lassen wir uns nicht verrückt machen von dieser verrückten Tierkrankheit! Gehen wir nüchtern. wissenschaftlich und strategisch an die Aufklärung über BSE und die Ausmerzung von BSE heran! Ändern wir unser Konsumverhalten und geben wir der Landwirtschaft die ökonomische Chance. nach den Regeln des Agrar- und Umweltrechtes nachhaltig wirtschaften zu können!

(Beifall bei SPD und CDU sowie bei Abgeordneten der PDS)

Landtat? Brandenbutz - 3. Wahlperiode - Plenarprotokoll 3, 27 - 13. Dezember 2000 1589

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Wiebke und gebe das Wort an die Fraktion der PDS, an Frau Abgeordnete Wehlan.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! BSE ist in aller Munde - ich hoffe. nicht im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt also genügend Anlass. die Initiative der SPD-Landtagsfraktion für eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema zu begrüßen. Auch wir hatten Öffentlichkeit zu dieser Thematik vorgesehen, und zwar mit einer Mündlichen Anfrage.

Worum sollte es gehen, wenn sich Politik - Landespolitik - mit BSE beschäftigt?

Erstens sollte es darum gehen. Vertrauen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern zurückzugewinnen.

Zweitens sollte es darum gehen, die Kreisläufe in der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft kritisch zu beleuchten und die Entwicklung zu regional angepassten Strukturen zu fördern, wie es in der Begründung zum Antrag treffend formuliert ist.

Ja. die Antwort auf BSE heißt Regionalisierung - Regionalisierung von Erzeuger-, Veredlungs, Verarbeitungs-, Vennarktungs- und Verbraucherstrukturen. Diese Antwort ist zugleich Antwort auf die wachsende Globalisierung infolge der Liberalisierung der Weltagrarmärkte.

(Beifall bei der PDS I So gesehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind Globali- sierung und Regionalisierung zwei Seiten einer Medaille. Ich frage Sie: Mit wie viel Interesse und Aufmerksamkeit wäre wohl eine Debatte zu dieser Thematik ohne die Meldung..BSE in Deutschland-. zum Beispiel im Rahmen der Novellierung des Naturschutzgesetzes oder zur Lokalen Agenda 21, bedacht wor- den? Nein, Politik benötigt immer erst den kleinen Gau, ein Tscher- nobyl, den abgestorbenen Wald. Smogalarm mit Fahrverbot, um zu begreifen, dass das System Natur und das System Wirtschaft- lichkeit nicht im selben Takt schlagen. Ja. wir haben es hier keineswegs mit einem rein landwirtschaft- lichen, sondern mit einem zutiefst gesellschaftlichen Problem zu tun. Nur mit diesem Verständnis werden wir die vor uns stehen- den Aufgaben so lösen können. dass das durch Erzeuger und Verbraucher in uns gesetzte Vertrauen gerechtfertigt wird. (Beifall bei der PDS)

Zurück zu den irdischen Abläufen. Herr Minister Birthler. Sie können mir glauben, dass ich nur sehr selten dazu auffordere, sieh ein Beispiel an Abgeordneten der CDU zu nehmen. Jedoch sind Ihre Äußerungen in den zurückliegenden Wochen schon Anlass dafür. Als Stichworte seien nur Rinderroulade, Sechser im Lotto oder der Hinweis, dass der Verbraucher. der Sicherheit verlangt, etwas mehr bezahlen soll, genannt.

Herr Nieschke. unser Bauernpräsident, hat unmissverständlich

zum Ausdruck gebracht. dass die einzig reale Chance. das verlorene Vertrauen der Büreennnen und Bürger zurückzugewinnen. darin besteht, sich an die Spitze der Aufklärung zu stellen und die Änderung der Produktionsverfahren umzusetzen.

Durch ungleiche Regelungen, die die Politik zu verantworten hat, wird die Möglichkeit geschaffen. Preisvorteile durch unvertretbare Wirtschaftsweisen zu erzielen. Die wirtschaftliche Existenz des Berufsstandes Landwirt wäre nicht gefährdet, wenn für alle Erzeuger rechtsverbindlich und EU-weit einheitlich durchgesetzte hohe Standards bestehen würden, die den Verbraucherschutz umfassend garantieren, ganz gleich, ob das Kilo Rindfleisch I5 DM. 18 DM oder 20 DM kostet. Gesunde Nahrung. verehrte Kolleginnen und Kollegen. darf keine Veranstaltung für Besserverdienende sein.