Protocol of the Session on December 13, 2000

Im Ergebnis der öffentlichen Anhörung ist zu konstatieren, dass im Land Brandenburg nirgendwo eine Sicherheitslage existiert, welche die Regelung der Videoüberwachung oder der längerfristigen Aufenthaltsverbote tatsächlich erfordert. Die vorgesehene Regelung zum Aufenthaltsverbot widerspricht sowohl hinsichtlich der verfahrensmäßigen Sicherung als auch in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen den Maßstäben unserer Landesverfassung.

Herr Abgeordneter. kommen Sie bitte zum Schluss Ihres Beitrages!

Ja. ich akzeptiere das. Herr Präsident. - Nicht zuletzt sage ich. dass die beabsichtigten Regelungen zur Videoüberwachung konkrete Vorfeldgefahren außer Acht lassen. Wir sind insgesamt der Meinung. dass dieser Gesetzentwurf zurückzuweisen

ist, und tun dies mit Entschiedenheit. Ich erinnere an die Worte von Michael Schumann, der sagte, er warne davor, Grundrechte zur Manövriertnasse von politischem Aktivismus zu machen. Unsere Stimme bekommen Sie dafür nicht. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion, an den Abgeordneten Schippe].

Bevor er beginnt. begrüße ich Gymnasiasten aus Beelitz, die uns heute besuchen.

(Beifall)

Bitte sehr, Herr Schippel!

Schippe] (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Rede fällt mir nicht leicht, geht es doch um das letzte Gesetzesvorhaben. welches wir gemeinsam mit Michael Schumann im Innenausschuss diskutiert haben. Michael Schumann stellte immer die Frage: Wohin bewegt sich diese Gesellschaft? - Mit dieser Frage hat er mich gezwungen zu hinterfragen: Welches sind deine Argumente? Was kannst du dem entgegenhalten? - So hatten wir oft unterschiedliche Auffassungen.

Herr Bisky, lassen Sie mich auf ein paar Dinge eingehen, zu denen Sie gesprochen haben. Sie sagten. dass viele Gesetzesänderungen dank Michael Schumann jetzt vom Verfassungsgericht vorgeschrieben worden sind. Es ist nicht ganz so. Das Verfassungsgen cht hat nicht gesagt. dass das Gesetz zu ändern ist - das hätte man z. B. auch über den Weg einer Verordnung machen können -, sondern es hat gesagt, wenn das Gesetz schon geändert wird. dann sollte man es tun. Das betrifft diese Passagen.

Es gibt drei Punkte. über die man öffentlich diskutiert hat. Sie haben sie genannt. Das erste wäre der so genannte finale Rettungsschuss. Er entspricht in seinen Grundlagen dem Notwehr- bzw. Nothilfegebot des Strafgesetzbuches. Man könnte auch sagen, dass wir diese Regelung in das Brandenburgische Polizeigesetz aufnehmen. Es dient der Rechtssicherheit der Polizisten. Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt, dass ich das Gesetz nicht als Eineriff in das Recht auf Leben betrachte, sondern ich betrachte diese Maßnahme - sie greift nur bei schwerwiegenden Dingen. wenn sie überhaupt zum Einsatz kommt - als Recht auf Schutz von Leben. Es kann nicht sein. dass z. B. ein Geiselnehmer nicht mit einem so harten Mittel der Polizei rechnen muss.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das zweite Problem betrifft die Aussprache eines möglichen Aufenthaltsverbotes für drei Monate. Auch hierzu waren und sind wir unterschiedlicher Meinung. Zum einen setzt dieses Aufenthaltsverbot eine Prüfung voraus, denn es kann nicht willkürlich ausgesprochen werden. Es müssen absehbare Fakten vorhanden sein. Zum anderen gibt es Bundesländer. die das geregelt haben: Berlin, Niedersachsen und Sachsen. Andere Bundesländer, die das nicht geregelt haben, können Aufenthaltsverbote, ohne dass diese zeitlich begrenzt sind. verhängen. An

dieser Stelle unterscheidet sich Brandenburg von anderen Bundesländern.

Ich denke, wir Füllen mit diesem Gesetz eine Lücke. Drei Monate sind die Höchstdauer des überhaupt Möglichen. Insofern denke ich, dass man da mitgehen kann.

Ich komme zum letzten Punkt. Sie hatten die Videoüberwachung angesprochen. Gerade in meiner Fraktion und gerade im Osten unserer Republik ist die Videoüberwachung ein sehr umstrittenes Thema, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erst vor zehn Jahren erreicht worden ist und weil es nun den Anschein erweckt, wieder eingeschränkt zu werden.

Sie haben auf die Anhörung hingewiesen. Ich war bei allen Anhörungen anwesend. Eines hat sich bei diesen Anhörungen herausgestellt: Es gab sowohl Befürworter als auch Gegner. Alle hatten ihre Argumente. Ich denke, mit diesem Weg. den wir jetzt gehen. indem wir an öffentlichen Plätzen öffentlich gekennzeichnete Videoüberwachung in Abhängigkeit eines umfassenden Konzeptes und in Abhängigkeit einer entsprechenden Lagekenntnis ermöglichen, tragen wir diesen Zweifeln Rechnung. Meine Fraktion hat durchgesetzt, dass dieser Versuch begleitet wird. Er wurde bisher in keinem Bundesland begleitet. Weder in England noch in Deutschland wurde dieser Versuch begleitet. Wir werden ihn begleiten und dann entscheiden. ob es eerechtferti gt. ist oder nicht.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss!

Schippe! (SPD):

Insofern wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an den Abgeordneten Claus. Er spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Fraktion der DVU lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung mit Nachdruck und Entschiedenheit ab. Wenn es um die Struktur und die Personalstärke der Polizei geht. bauen Sie ab. Wenn es uni die Freiheitsrechte der Bürger geht. bauen Sie auch ab. Diagnose: Unverträglichkeit!

In der Sache kann ich mich auf die beiden markantesten Punkte beschränken. Der erste Punkt betrifft das Aufenthaltsverbot. Was muss man dazu in Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe c Abs. 2 Ihres Gesetzentwurfes lesen?

„Die Polizei kann zur Verhütung von Straftaten einer Person untersagen. einen bestimmten Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet zu betreten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen. dass die Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird."

Landtag Brandenbun2. - 3. Wahlperiode - Plermrprotok031 3,27 - 13. Dezember 2000 1609

Ferner heißt es:

„Das Verbot ist... zeitlich auf längstens drei Monate und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken."

Man muss sich so etwas einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ein solches Gesetz greift ganz offensichtlich aus Gesichtspunkten der Gefahrenabwehr in die Grundrechte des jeweils Betroffenen ein,

(Zuruf von der CDU: Das ist doch Quatsch!)

Es greift jedenfalls in die Freizügigkeit bei bestimmten Fallgestaltungen oder womöglich in andere Freiheitsrechte, wie etwa die Berufs- oder Religionsausübung, ein. Hierzu ist das Gesetzesvorhaben nicht korrekt genug ausgestaltet. Es ist mithin zu unbestimmt und wird vor der Verfassung keinen Bestand haben.

Es wird nicht gesagt, welche Qualität eine befürchtete Straftat haben muss, um ein solches Aufenthaltsverbot auszulösen. Im Prinzip betrifft das die geplante Bestimmung von Straftaten jeglicher Art. Weiterhin wird bei der in jedem Fall notwendigen Güterabwägung nicht gesagt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sein muss, dass eine Straftat tatsächlich begangen wird. Muss ein dringender Verdacht vorliegen oder reicht schon ein Anfangsverdacht aus?

Dem Betroffenen wird in keiner Weise klar, welches dessen berechtigte Interessen sind. So ist nicht von vornherein auszuschließen, dass einem Betroffenen schon wegen möglicher einfacher Sachbeschädigung das Betreten von Gemeinden oder Gemeindeteilen oder einem potenziellen Schwarzfahrer das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit oder zur Ausbildungsstelle über Wochen oder gar Monate untersagt wird. Bei alledern hat die mögliche Zeitdauer von längstens drei Monaten noch einen strafähnlichen Charakter, denn drei Monate entsprechen der Länge einer kurzen Freiheitsstrafe für tatsächlich begangene Straftaten im Sinne von § 38 Abs. 2 Straf gesetzbuch.

Ich komme zur Videoüberwachung. Hierzu fällt einem spontan nur ein: Big Brother in Brandenburg. Die Sache hat nur einen klitzekleinen Haken. Die in § 31 geplante Videoüberwachung dient nicht der allgemeinen Volksbelustigung, sondern greift in die Grundrechte, und zwar in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, ein. Hiervon betroffen ist zudem ein von vornherein nicht näher cingrenzbarer Personenkreis.

Das Ergebnis der Verhütung von Straftaten an bestimmten Orten ist wiederum mit milderen Mitteln in gleicher Weise effektiv zu erreichen, nämlich durch mehr Polizei vor Ort an kriminalträchtigen Plätzen, also ohne jeglichen Eingriff in die Grundrechte eines von vornherein nicht bestimmbaren Personenkreises.

Aber mehr Polizei vor Ort lässt sich anscheinend nicht mit den Personalkürzungen der Landesregierung bei der Polizei vereinbaren. Deswegen kommt also der Hammer mit dem Grundrechtseingriff als billige Lösung. Das alles kann nun wirklich keine Zustimmung finden, Herr Minister Schönbohm.

Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf den heute vorgelegten Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen SPD und CDU

eingehen. Es ist schon ein Fortschritt. dass Sie uns darin folgen. dass es weder Big Brother in Brandenburg noch Personalabbau bei der Voltzugspolizei geben darf. So weit, so gut.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende Ihres Beitrages!

Ja, einen Moment noch. - Spätestens hier gerät das ganze Vorhaben außer Kontrolle. Zudem gestehen Sie seihst ein, dass im Hinblick auf die Strafverfol gung die Videoüberwachung nicht sonderlich effektiv ist und auf die Polizeibeamten ohnehin nicht verzichtet werden kann. Außerdem verlagern Sie dadurch die Kriminalitätsszene. Dem wollen Sie dann immer hinterherlaufen.

Herr Abgeordneter. Sie überziehen erheblich. Bitte, beenden Sie Ihren Beitrag!

Einen Satz noch, Herr Präsident. - Dann haben wir anstelle von

Big Brother den Domino Day in Brandenburg zu bewundern. Meine Damen und Herren. wir bleiben bei unserer Ablehnung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält die CDU-Fraktion. Hen- Abgeordneter Petke. bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Polizeigesetz ist einer der wichtigsten Beiträge des Landesgesetzgebers zur Gestaltung der inneren Sicherheit.

Etwas ist mir bei meinen Vorrednern zu kurz gekommen. als wir darüber debattiert haben, was es für einzelne Reuelungen, was es für Eingriffsrechte für unsere Polizei gibt. die mitunter mit Grundrechten. die alle Bürger haben, kollidieren könnten. nämlich: Warum gibt es überhaupt ein Polizei gesetz? Der Grund ist einmal das Phänomen, das es in jeder Gesellschaftsform, auch heute in unserer freien Gesellschaft, gibt: dass wir uns mit Kriminalität auseinander setzen müssen. Kriminalität bedeutet für den Staat eine große Herausforderung.

Ich möchte deswegen davon sprechen. dass die Menschen in Brandenburg auch ein Grundrecht auf Freiheit von Kriminalität haben. Damm geht es den Koalitionsfraktionen bei der Verabschiedung dieses Polizeigesetzes.