Protocol of the Session on November 16, 2000

Ich frage deshalb die Landesregierung: Welche Maßnahmen plant sie zur Erarbeitung und Umsetzung eines Konzeptes _Lebenslanges Lernen- im Erwachsenenalter?

Herr Minister Reiche. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Frau Siebke, früher - etwa noch vor zwanzig Jahren - hieß es, wenn man seine Lehre abgeschlossen hatte. man hätte ausgelernt. Die Schülerinnen und Schüler lernen heute in der Realschule, dass sie nur in einen Prozess einsteigen. der ein ganzes Leben lang dauern wird.

Deshalb geht die Landesregierung davon aus, dass die Notwendigkeit eines lebenslangen Weiterlernens im Erwachsenenalter unverzichtbar ist und in dem Maße zunimmt. in dem sich die Entwicklung der Wissensgesellschaft in allen Lebensbereichen beschleunigt und sich Menschen den veränderten Anforderungen in beruflichen. wirtschaftlichen, technischen. gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Zusammenhängen immer wieder neu anpassen müssen.

Langfristig wird daher lebenslanges Lernen als das Leitprinzip der Bildungspolitik in alle Ebenen des Bildun gsprozesses integriert werden. Angesichts der aktuellen Bedeutung des lebenslangen Lernens im Erwachsenenalter hat die Landesregierung deshalb verschiedene Initiativen ergriffen.

Um die strukturellen Rahmenbedingungen für das lebenslange Lernen Erwachsener transparent, nutzerfreundlich und lernförderlich zu gestalten. werden die Aktivitäten der in der Landesreg ierung mit Fragen der Weiterbildung befassten Ressorts im Rahmen einer interministeriellen Arbeits gruppe _Lebenslanges Lernen" zielgerichtet aufeinander abgestimmt. Die IMAG. die - koordiniert durch das Ministerium für Bildung. Jugend und Sport - ihre Arbeit im Dezember dieses Jahres aufnehmen wird, wird Vorschläue erarbeiten. die dazu dienen, die Weiterbildungsbeteiligung und -bereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen. die vorhandenen Rahmenbedin gungen der Weiterbildung durch ressortabgestimmte Maßnahmen zu optimieren. Bildungsbereiche miteinander zu verzahnen und Mittel zur Förderung der Weiterbildung effizienter einzusetzen. Das Konzept des lebenslangen Lernens entwickelt eine neue Lernkultur, die die Eigenverantwortlichkeit aber eben auch die Autonomie der Lernenden sowie neue Lernformen auch insbesondere mit den neuen Medien stärkt.

Um neue Fonnen des selbst gesteuerten Lernens in Einrichtungen der Weiterbildung zu erproben. beteiligt sich das Ministerium für Bildung. Jugend und Sport an dem Modellversuch „Lebenslanges Lernen" der Bund-Länder-Kommission, Das auf drei Jahre angelegte Projekt „Selbstgesteuertes Lernen und Organisationsentwicklung in Weiterbildungseinrichtungen - ist als Kooperationsprojekt mit dem Land Berlin geplant worden und wird länderübergreifend durch geführt. Erlebnisse erwarten wir im August 2003.

Da es bundesweit bislang keine Projekte gibt. die im Kontext des selbst gesteuerten Lernens auch Aspekte der pädagogischen Organisationsentwicklung bearbeitet haben, übernimmt Brandenburg zusammen mit Berlin hier die Vorreiterrolle. Auch hinsichtlich der Länderkooperation Berlin und Brandenbure werden dabei einmal mehr neue Wege beschritten.

Auch das im Oktober dieses Jahres veröffentlichte Förderprogramm des Bundes „Lernende Region - Förderung von Netzwerken" dient der Erprobung neuer Formen des lebenslangen Lernens durch den Auf- und Ausbau bildungsbereichs- und trägerübergreifender Netzwerke auf regionaler Ebene. Die mit Weiterbildung befassten Ressorts und Einrichtungen prüfen zurzeit die Teilnahme an diesem auf fünf Jahre ausgerichteten Förderprogramm.

In der beruflichen Bildung hat das Konzept des lebenslangen Lernens bereits Eingang in die innovative arbeitsmarktpolitische Schwerpunktförderung des Ministeriums für Arbeit. Soziales, Gesundheit und Frauen gefunden. Unter Einbeziehung der Ergebnisse des partnerschaftlichen Abstimmungsprozesses zum Landesprogramm..Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg' wurden mit Blick auf das Themenfeld „Lebenslanges Lernen" bislang zwei Förderschwerpunkte festgelegt, erstens die Unterstützung der Netzwerkbildung zwischen KMU. re gionalen Arbeitsmarktakteuren sowie Forschungs- und Bildungseinrichtungen und zweitens Modellprojekte zu neuen Lehr- und Lernfor

Landtag Ferandenburg - 3. Wahlperiode - Plenarproioka 3 2ti - Nil', ereer 2000 1505

men unter Nutzung der modernen 1- und K-Technologien. Weitere Förderschwerpunkte %\ erden zurzeit abgestimmt.

Wie das lebenslange Lernen als durchgängiges Prinzip von Bildung und Qualifizierun g verwirklicht werden kann, ist auch Thema einer Expertengruppe des Forums..Bildung".

Abschließend möchte ich darauf hinweisen. dass das Ministerium für Bildung. Jugend und Sport auch im Rahmen der politischen Weiterbildung lebenslanges Lernen dadurch besonders fördert. indem Bildungsfreistellung bei Lohnfortzahlung aufgrund einer Änderungsverordnung nun auch für eintägige Veranstaltungen der politischen Bildung gewährt werden kann. Die Bundestagsabgeordneten bzw. die Europaabgeordneten aller Fraktionen nutzen dieses neue Angebot zum Wohl der Menschen in Brandenburg schon sehr intensiv. - Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall hei der SPD)

Ich danke auch. - Wir sind damit hei der Frage 475 (Touristi- sche Radwege). gestellt vom Ab geordneten Uwe Bartsch.

In der Antwort auf die Mündliche Anfrage berichtete der Minister für Wirtschaft. dass das Ministerium für Wirtschaft plant. einen Sachstandsbericht zur „Konzeption der Landesregierung für die touristischen Radwege" zu veröffentlichen,

Ich frage die Landesregierung: Für wann steht die Veröffentlichung des Sachstandsberichtes an?

Herr Minister für Wirtschaft. Sie haben das Wort.

Minister für Wirtschaft Dr. Fürnil):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Bartsch. es gibt zwei Möglichkeiten, zu antworten. Die erste Antwort lautet: im Frühjahr 2001.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Möglichkeit wäre zu erklären. was wir bisher in diesem Bereich getan haben. Ich gebe diese Erklärung zu Protokoll. denn sie ist so umfangreich. dass es den Rahmen der Fragestunde sprengen würde. - Vielen Dank.

(Heiterkeit bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die Abgeordnete Kaiser-Nicht, die nun Gelegenheit hat. die Frage 476 (Bleiberecht für Flüchtlingsfamilien) zu stellen.

Die Kreissynode des Kirchenkreises Oderbruch wandte sich am 4, November 2000 mit einem Offenen Brief an den Innenminis

ter. Darin wird die Forderun g erhoben. Flüchtlingsfamilien mit Kindern. die in Deutschland nach über sieben Jahren ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben und integriert sind, ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren. Angesichts der Tatsache. dass zehn andere Bundesländer modifizierte Ländererlasse zur so genannten Altfallre gelung herausgegeben haben, welche unter anderem die Möglichkeit zur Gewährung einer befristeten Aufenthaltsbefugnis beinhalten wird auch für das Land Brandenburg ein solcher Landeserlass gefordert. ich teile das Ansinnen des Offenen Briefes der Kreissvnode des Kirchenkreises Oderbruch und dessen Wertung, dass eine humane Lösung im Sinne der oben genannten Familien ein klares Zeichen für ein tolerantes Brandenburg ist.

Meine Frage an die Landesregierung lautet: Welche Position bezieht sie zu den Forderungen der Kreissynode des Kirchenkreises Oderbnich?

Herr Innenminister. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht. lassen Sie mich zunächst den Grundsatz feststellen. dass Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss ihres Asylverfahrens grundsätzlich ausreisepflichtig sind. wobei der Abschluss des Asylverfahrens mit oder ohne gerichtliche Überprüfung stattfinden kann. Dieses sind bundeseinheitliche und bundesrechtliche Vorschriften.

Zu diesem Grundsatz haben wir in der Innenministerkonferenz mit der so genannten Altfallregelung gemeinsam eine Ausnahme beschlossen, in der es heißt. dass zur Vermeidun_ von besonderen Härten im Einzelfall die so genannte Altfallregelung genutzt werden kann. Diese Altfalkregelung ennöglicht ausreisepflichtigen Asylbewerberfamilien mit langjährigem Aufenthalt und einer vollzogenen Integration in Deutschland außerhalb der bestehenden Rechtslage ein weiteres Bleiberecht im Bundesgebiet. Das ist auch die Forderung der Kreissynode. Ihre Forderung geht aber darüber hinaus. indem sie sagt. dass zehn Länder von dieser gemeinsam beschlossenen Altfallregelung abgewichen sind. Das ist so nicht richtig.

Die Integrationsbedingungen wurden eindeutig im Beschluss der Innenministerkonferenz festgele gt. Das Land Brandenburg sieht keine Veranlassung. von dem eindeutigen Beschluss der IMK abzuweichen. zumal wir in der Bewertung der Altfallregelung - verglichen mit anderen Bundesländern - einen relativ hohen Prozentsatz derer haben. denen stattgegeben worden ist. Die Altfallregelung sollte bewusst Einzelfälle auffangen und keine Pauschallösung für alle werden.

Wir haben im Rahmen dieser Altfallregelung eine gerichtliche Auseinandersetzun g hinter uns. Ich möchte aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Brandenburg dazu Fol gendes verlesen:

„Grund der humanitär bedingten Altfallregelung ist. dass von der Durchsetzun g einer Ausreisepflicht abgesehen werden soll. weil und wenn sich der an gesprochene Personenkreis infolge der langen Verweildauer in der Bundesre

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publik Deutschland in die hiesigen wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Verhältnisse eingefü gt. mithin integriert hat. Die Altfallregelung soll erkennbar nicht erst die Gnmdlage dafür bieten. sich hier eine zum maßgeblichen Stichtag noch nicht vorhanden gewesene Existenz aufzubauen.

So weit aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtes vor dem Hintergrund des Erlasses, den wir heraus gegeben haben.

Wie Sie vermutlich wissen. hat sich der Innenausschuss des Landtages mit dieser Altfallregelung am 9. November 2000 abschließend beschäftigt und zur Kenntnis genommen. dass die Landesregienmg nicht beabsichtigt. eine Erweiterung der Altfallregelung vorzusehen. Damit ist für die Landesregierung die Altfallregelung abschließend geregelt. Die Ausländerbehörden werden bis zum 3 I. Dezember über die eingegangenen Anträge entscheiden.

Frau Kaiser-Nicht. lassen Sie mich einepersönliche Bemerkung machen. Sie haben gesagt. dass das die Grundlage für ein „tolerantes Brandenburg- sein soll. Ich glaube. ein wichtiger Punkt ist, dass die Grundlaue für Toleranz die Rechtstreue ist. Rechtstreue bedeutet. dass wir gerichtliche Entscheidun gen anerken nen, auch wenn sie uns nicht gefallen. Wir haben gestern darüber diskutiert, Dabei habe ich einiges gelernt und festgestellt. welchen hohen Stellenwert die Unabhängi gkeit der Justiz für Sie besitzt. Wir sollten genchtlichc Entscheidungen zur Grundlage nehmen und nicht versuchen. sie durch moralisierende Ausführun gen zu zerbröseln.

Von daher ist der Sach% erhalt für mich abgeschlossen. Es wird in jedem Einzelfall nach Recht und Gesetz geprüft. Es wird eine Individualprüfung geben.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, es gibt Klärungsbedarf. Frau Kaiser-Nicht. bitte!

Ich habe zwei Nachfragen.

Erstens: Herr Minister, sind dem Ministerium des Innern Einzelfälle bekannt. die die Änderung der Erlasspraxis für das Land Brandenburg dennoch begründen könnten?

Zweitens: Diese Frauebezieht sich auf eine Information. die der Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland in der vorigen Woche den.Abgeordneten des Kreistages gab. Es ging um Zweifelsfälle. die von der Ausländerbehörde des Landkreises an das Innenministerium weitergegeben und alle abschlä gig beschieden worden sind.

Meine Frage in diesem Zusammenhang ist: Sehen Sie die Möglichkeit, dass die Ausländerbehörde des Kreises dennoch eine Einzelfallentscheidung zu gunsten des Bleibens von Familien mit Kindern. wie zum Beispiel im Kreis Märkisch-Oderland die Familie Van Tuan Nguven, trifft und das Ministerium des Innern diese Entscheidung dann auch akzeptiert?

Beide Fragen sind eng verbunden. Frau Kollegin Kaiser-Nicht. Sie sprachen Einzelfälle an. Ich möchte eine Vorbemerkun g machen. Es handelt sich jeweils um menschliche Schicksale. Diese menschlichen Schicksale müssen ir gendwann - das darf ich so sagen - einer Entscheidung zugeführt %%erden. damit die Ungewissheit beendet wird. Bei einem Teil der Fälle ist es so. dass die Asylsuchenden die Möglichkeiten. die unser Rechtsstaat bietet, genutzt und sich im Rahmen v an Asyl% erfahren eine möglichst lange Aufenthaltsdauer erstritten haben. Dann ist das Asylverfahren zu einem Abschluss gekommen. Sie haben in diesem Asylstreitverfahren nicht obsiegt und müssen zurückkehren.

Jetzt geht es uni die Frage: Wie bewertet man in diesem Einzelfall die persönliche Situation. die Frage der Integration und die Frage des Lebensunterhalts? Dafür haben wir in der Innenministerkonferenz mit der Altfallregelung Rahmenbedingungen

geschaffen. Wir haben in Brandenburg verglichen mit anderen Bundesländern wenige dieser Altfälle. Es gibt Bundesländer, in denen es Tausende solcher Altfälle gibt. Die Bundesländer haben sich dafür ausgesprochen. dass sie einem Kompromiss nur dann zustimmen werden. wenn sie davon ausgehen können, dass diese Altfallregelung gemeinsam durchgesetzt wird. Es gibt in einem Bundesland eine Ausnahme. eine Änderung im Rahmen der Integration. wobei man den Stichtag auf einen späteren Zeitpunkt gesetzt hat. Das entspricht aber nicht der Vereinbarung.

In dem Augenblick. in dem es Zweifelsfälle gibt. müssen alle Faktoren bewertet werden. Ich kann nicht sagen. dass alle Zweifelsfälle positiv oder negativ beschieden werden. Ich kann nur sagen, dass über sie individuell entschieden werden wird.

Sie kennen zum Teil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden. Sie kennen die Schwierigkeiten. mit denen sie leben müssen. und Sie kennen zum Teil den Druck. unter dein sie stehen. Einige haben Schwierigkeiten. nach Recht und Gesetz zu entscheiden. da ihnen immer sehr schnell der Vorwurf gemacht wird_ sie würden zu sehr nach dem Recht und zu bürokratisch entscheiden und seien nicht humanitär.