Protocol of the Session on July 13, 2000

"Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert. dass wir keineswegs die Natur beherrschen,"

Eifalmingsgemäß werden wir in der Landwirtschaft alle zehn Jahre daran erinnert. Diese Erfahrung habe nicht nur ich in

meinen 45 Jahren Praxis gemacht, sondern schon viele Generationen von Bauern vorher. Sicherlich wurde daraus das Ziel landwirtschaftlicher Tätigkeit. drei Ernten zu haben - eine auf dem Feld. eine auf dem Speicher und eine auf der Bank -. abgeleitet. Drei Ernten deshalb, weil die Tiere. wenn die Ernte ausfallt. kein Geld fressen, aber Geldreserven zur Vorfinanzierung

der neuen Ernte und zum Lebensunterhalt notwendig sind

getreu der Des ise: Der beste Rat ist der Vorrat. Bei einer solchen Konstellation brauchte kein Betrieb Existenznöte zu haben.

Wie sieht es aber nun damit in Brandenburg aus? Die finanzielle Bilanz der Betriebe, die wir dem Agrarbericht entnehmen können. sieht wirklich nicht gut aus. Zu dieser negativen Bilanz kommen die Auswirkungen der jetzigen Dürrekatastrophe und erstmals - die Belastungen dureh die Bundes- und EU-Entscheidungen im Rahmen der Agrarpolitik.

Die Höhe der Dürreschäden ist zwar nur geschätzt: sie wird sieh in der Gesamtheit aber auf ca. 300 Millionen DM einpegeln. Das heiße dass im Durchschnitt der Landwirtsehaftsbetriebe kein Gewinn zu erwirtschaften ist. Damit könnte man ja noch leben. wenn die Differenzierung in der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität sowie der naturalen Effizienz der Betriebe nicht so groß wäre. Akute Existenzprobleme ergeben sich für etwa ein Drittel aller Betriebe. den so genannten \Ninschaftsschwachen Betrieben ;Aller Rechtsformen.

Einige Zahlen aus meinem Heimatkreis Ostprignitz-Ruppin belegen eindeutig die Verschlechterung der bei riebswirtschaft I chen Kriterien der Landwirtschaftsbernebe. Mussten 1995 nur zwölf Abtretungs- sowie Prändungs- und Überweisungsbeschlüsse durch die Kreisverwaltung im Zusammenhang mit der Auszahlung der Agrarfördennittei bearbeitet werden. so waren es 1999 124. Das war sage und schreibe eine Steigerung auf das Zehnfache. Das Volumen an echten und unechten Abtretungen und Kontobindungen beläuft sieh auf 20 Millionen DM allein in einem Kreis. Dazu kommen noch die Summen. die im Rahmen des so genannten Früchtepfandes. der vorgezogenen Erntepfändung. vereinbart wurden. Diese Summe ist ein schwarzes Loch und nicht erniittelbar. Zu beachten ist weiterhin. dass der Kreis Ostprigriitz-Ruppin aufgrund der Bodenbonität zum besseren Durchschnitt des Landes gehört. An die Entwicklung in diesem Jahr will ich gar nicht denken.

Daraus ergibt sich. dass alle Maßnahmen zur Liquiditätssicherung und -schaffung oberste Priorität haben und auch die Politik daran geniessen wird. Das Versprechen von Ihnen. Herr Ministerpräsident Dr. Stolpe. und von Ihnen. Herr Minister Birthler. dass kein Lanchvirtsehatisbetrieb aufgrund der Auswirkun

gen der Dürre in Liquidation gehen muss. ist zwar lobenswert: aber ich fürchte, dass das Land Brandenburg nicht in der Lage sein wird. das Versprechen einzulösen. Mit diesen Aussagen sind natürlich auch Hoffnungen des Benifsstandes verbunden. die sieh jetzt. nachdem der Schaden konkrete Fonnen angenommen hat. sehr schwer erfüllen lassen.

An die Adresse des eigenen Berufsstandes gerichtet muss ich aber auch feststellen, dass viele meiner Berufskollegen grundlegende Erfordernisse des Acker- und Pflanzenbaus sowie die Investition in den Boden als Grundvoraussetzung für die sprichwörtlichen drei Ernten vernachlässigt haben. Überlieferte Erfahrungen aber sind das Lehrgeld früherer Generationen. die uns kostenlos zur Verfügung stehen. Wer das nicht beachtet, wird den Anfordeningen schwerlich gerecht. Deutlich wird auch. dass unternehmerisches Handeln immer mit unternehmerischen Risiken verbunden ist. Leider ist oft festzustellen. dass einige Betriebsleiter und -vorstände die untenlehmensehe Pflicht noch nicht verinnerlicht haben. Gerade in derarti gen Extrernsituatio

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nen wie in diesem Jahr wird dies sehr deutlich. Es ist sehr genau zu sehen. wer sein Fach beherrscht.

Viele haben vergessen, dass man sich den größten Wasservorrat im Boden durch geeignete Bewirtschaftung selbst schafft. Bleiben die Niederschläge derart lange wie in einigen Regionen aus. hilft allerdin gs auch bestes fachliches Handeln nicht mehr.

Zusätzlich wirkt in dieser Situation die Entwicklung des Eigentums an Grund und Boden. NM- Eitzentumsflächen bei den juristischen Personen und H() hei den natürlichen Personen sind % ölliu unzureichend. Mindestens 21) sollten angestrebt werden. um damit günstige Voraussetzungen für die Kreditwürdigkeit, Beleihungsfähigkeit und Investitionstätigkeit der Beinebe zu schaffen. Erschwerend wirkt, dass sich die Betriebe für den Bodenkauf entscheiden müssen, ohne zu wissen. wie hoch die Grundrente der Bodenbewirtschaftung in Zukunft sein wird.

Dabei bin ich indirekt hei der Rolle der Banken. Die Großbanken ziehen sich immer mehr aus dem Kreditgeschäft zurück: das gilt ganz speziell für die Landwirtschaft. Die Betriebe und Kreisbauenwerbände sind deshalb gut beraten. auf die Sparkassen. Volks- und Raiffeisenbanken zuzugehen. uni günstige Darlehenskonditionen für eine Übergan gsfinanzierung auszuhandeln. Gemeinsam mit dem Kreisbauernverband Ostprignitz ist es mir gelungen. bei der zuständigen Kreissparkasse ein günstiges Darlehensvolumen für Not leidende Betriebe in Höhe von einer Million DM auszuhandeln.

( Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Würden alle Sparkassen und Raiffeisenbanken des Landes mitziehen, könnte sicherlich ein zusätzliches Darlehensvolumen von ca. 30 Millionen DM erschlossen werden. Die ersten positiven Reaktionen sind mir aus der Prignitz bekannt, wo man sich dieser Initiative anschließen will.

Im Gespräch wurde deutlich, dass auch die Banken ein Interesse an Geschäftskunden und nicht an Insolvenz- und Konkursverfahren haben. Deshalb sind für uns Landwirte die dezentralen Kreditinstitute wichtiger denn je. Wer die öffentlich-rechtlichen Banken wie die Sparkassen infra ge stellt. wie es in der EU angedacht ist. trifft in erheblichem Maße auch die Landwirtschaft.

( Beifall hei CDU und PDS und vereinzelt bei der SPD)

Diesen Hinweis richte ich besonders an unseren Europaminister - er ist leider nicht hier -. Herrn Prof. Dr. Schelter.

Die landwirtschaftlichen Betriebe in Brandenburg stehen vor dem größten Existenzproblem der letzten Jahre. Wir sind deshalb verpflichtet - die Betriebe selbst. die Vertra gspartner einschließlich der Banken. das Land. der Bund und die EU -. geeignete Maßnahmen zur Existenzsicherung zu treffen. Dramatisch verschlechtern wird sich auch die wirtschaftliche Situation der so genannten vorgelagerten Bereiche der Landwirtschaft. also der Zuliefer- und Dienstleistungsbereiche. Die notwendigen Sparprogramme der Landwirtschaftsbetriebe führen hier unweigerlich zu erheblichen Umsatzrückgängen.

Verantwortlich - das muss ich klar und deutlich sagen - ist für diese Situation nicht die Politik. Aber sie ist in der Pflicht zu helfen. Die eingeleiteten Maßnahmen der Landesregienmg sind

in Ordnung. Sie müssen jetzt nur schnell und konsequent umgesetzt werden. Klar ist. dass all diese Maßnahmen den Schaden wenig mindern. Sie sind als Hilfe zur Selbsthilfe zu % erstehen. um die gegenwärtige Liquidität bis nach der Herbstbestellung zu sichern. uni etwas Luft zu schaffen. Eine echte Hilfe wäre natürlich ein Zuschussprogramm des Bundes. an dem sich das Land beteiligt. Deshalb sollten die Bemühungen der Landesregierung schwerpunktmäßig in diese Richtung gehen.

Die Einführung einer Mehrgefahrenversichening mit gemeinsamer Finanzierung durch die öffentliche Hand und die Landwirtschaft bietet sich ganz besonders vor dem Hintergrund der witterungsbedingten Ertragsausfälle an. Zur Wasserbcw irtschari ling wurde schon einiges gesagt. Wir werden derartige Auswirkun gen in Zukunft aber nur mindern können. wenn wir im Land Brandenburg endlich zur Wasserbewirtschaftung kommen und nicht nur über das Wasser reden.

(Beifall bei der CDU und % ereinzelt hei der SPD)

Selbstverständlich werden wir im Agrarausschuss eine ständige Berichterstattung und Beratung einfordern.

Schließen möchte ich wiedenim mit einem Zitat. das alle in diesem Hause und darüber hinaus in ihren Entscheidungen bedenken sollten:

"Es bleibt der Bauer der erste und letzte Berufsstand. dessen Tätigkeit ein tägliches Ringen mit der Natur bedeutet. Die Beherrschung der vielfälti gen Ausnahmen zeichnet diesen Berufsstand aus. Die Regel bleibt in seinem Beruf die Ausnahme."

Helfen wir deshalb dem Berufsstand hei der Meisterung dieser katastrophalen Ausnahme! - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht an den für diese Problematik zuständigen Minister für Landwirtschaft. - Bitte sehr, Herr Birthler!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der eine oder andere wird fragen. was in diesen Regentagen eine Debatte über Dürre soll. Doch was in diesen Tauen vorn Himmel gefallen ist, hilft der Landwirtschaft nicht mehr: Frau Wehlan und die Vorredner haben darauf hingewiesen. Außerdem reden wir hier über ein weitgehend regionales Problem im Nordosten Deutschlands. während jenseits der Elbe eine Rekordernte erwartet wird. In dieser Situation Bündnispartner für unsere Sorgen zu finden ist deshalb nicht einfach.

Die Lage der Landwirtschaft in Brandenburg ist sehr ernst. Von der Frühjahrstrockenheit sind vor allen Dingen Ackerbaubetriebe betroffen. Die Marktfruchtbetriebe sind in unserer Landwirtschaft - anders als in vielen Regionen Westdeutschlands - das Rückgrat der Agrarproduktion. Was dies für die wirtschaftlich schwachen ländlichen Gebiete Brandenburgs bedeutet, ist m diesem Haus schon des Öfteren besprochen worden. Ich wohne

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selbst auf dem Dorf und bin in den vergan genen Monaten ständig in den Kreisen unterwegs gewesen. Ich habe mit den Kreisbauernverbänden gesprochen und mir ein Bild \ on der Lage gemacht

Noch niemals seit Beginn der wissenschaftlichen Erfassung der Wetterdaten wurden in Brandenburg so geringe Niederschläge wie in diesem Frühjahr gemessen. Etwa vom 20. April an bis weit in den Mai fehlte vor allem in den südlichen Landesteilen der Regen. Bis Ende Juni verzeichneten die Meteorolo gen nur knapp mehr als die Hälfte des Niederschlages gegenüber dem langjährigen Mittelwert

Für die gesamte A grarwirtschaft Nordostdeutschlands gilt der Ausnahmezustand. Nach unserem Erkenntnisstand muss mit Ernteausfällen in Höhe von 300 Millionen DM gerechnet werden. Zusätzlich zu den Mengenverlusten treten - auch das ist schon angesprochen worden - Qualitätsverluste auf, die sich anschließend natürlich auf die Verkaufserlöse auswirken werden.

Ein besonderer Schwerpunkt bleibt die Versorgung der Tierbestände mit Futter. Das hierfür notwendige Grünland wächst nur zögerlich. llinzu kommt. dass die Maiserträ ge des Vorjahres und damit die Winterhuterbestände gering ausfielen. Es ist natürlich - damit beziehe ich mich auf den Antrag der PDSFraktion - das Einfachste. in einer solchen Situation nach Nettoneuverschuldung zu rufen und zusätzliche Mittel einzufordern. Ich glaube, dass das nicht der richtige Weg ist. Ich denke, dass das richtiger ist. was Kollege Helm skizziert hat. Solidarität beginnt erst einmal mit Teilen und tut eigener Verantwortung. anstatt andere damit zu belasten.

Meine Damen und Herren. es scheint in diesen Tauen üblich zu sein. Presseverlautbarungen durchs Land zu schicken, anstatt zum Telefonhörer zu greifen. Man sollte es als Politiker zwar nicht zugeben. wenn man sich ärgert und persönlich betroffen ist. trotzdem halte ich einige Äußerungen des Landesbauernverbandes in dieser Woche für weit unter der Gürtellinie. Wenn ich lese, dass das Land nichts für die von der Dürre geschädi g

-ten Betriebe tue. dann frage ich mich, von welchem Bauernverband diese Behauptung kommt. Ist es der Bauernverband. den ich schon im Mai eingeladen hatte. aktiv mit meinem Haus in der Arbeitsgruppe Dürre mitzuarbeiten? Oder gibt es einen anderen Bauernverband. der diese Bemühungen. Abstimmungen und Haushaltszwänge nicht kennt?

Ich kann mir nicht erklären. warum der Bauernverband am 10. Juli die Beweidung von Stilllegungsflächen forderte. denn das ist eine Maßnahme. die das Land Brandenburg als erstes Bundesland schon am 25. Juni eingeleitet und dafür die Genehmigung aus Brüssel geholt hat.

Ich denke. man sollte in dieser schweren Situation für die Landwirte gemeinsam handeln und parteitaktische oder verbandsinterne Profilierungsversuche zurückstellen. Bei aller Wertschätzung des Kollegen Helm und seiner Fachkompetenz hätte ich mir gewünscht. dass in dieser schwierigen Situation für die Landwirte der Präsident des Landesbauernverbandes im Landtag das Wort ergriffen hätte.

Meine Damen und Herren! Unsere Bauern brauchen in dieser Situation zweierlei: erstens eine rasche Liquiditätshilfe. nm der

die Herbstbestellun g gesichert und die akute Existenzgefährdung abgewendet werden kann. und zweitens die Gewissheit darüber. dass ihnen mit öffentlichen Mitteln geholfen wird. den Anschluss an die nächste Ernte zu finden.

Mein Haus hat. als die ersten Probleme sichtbar wurden. bereits im Mai eine Arbeitsgruppe Dürre eingerichtet. in der Vertreter des Berufsstandes mitarbeiten, uni Hilfsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Dazu galt es zunächst. das komplexe Fördersystem im Agrarbereich nach Möglichkeiten zu durchsuchen. uni den Betrieben zu helfen. Die Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die originären Möglichkeiten der Länder hierbei sehr eingeschränkt sind. Ich denke aber trotzdem. dass das Land mit dem 10-Punkte-Programm - das ich Ihnen vortragen möchte. die Mögl ichkeiten ausgelotet hat. die machbar sind.

I. Als Sofortmaßnahme wurde im Schnellverfahren die Ausgleichszahnung für benachteiligte Gebiete in Brüssel notifiziert. Dabei geht es um 50 Millionen DM. die bereits am 31. August und nicht erst im November ausgezahlt werden.

2. Als erstes Bundesland in Deutschland hat Brandenburg in Brüssel die Futtergewinnung auf Stilltentingsflächen en-eicht.

3. Die Landesregremng wird aus Landesmitteln Zinszuschüsse für Betriebsmitteldarlehen für den Kreditzeitraum von neun Monaten bereitstellen. Die Richtliniennotifizierung wird Ende Juli erwartet. Danach können sofort Anträge gestellt werden.

4. Der Antrag zur vorzeiti gen Auszahlung der anteiligen EUFlächenprämien in Höhe von 200 Millionen DM liegt in Brüssel und wird mit Nachdruck gefordert. - Ich habe mich in dieser Frage nochmals an Bundeslandwirtschaftsminister Funke gewandt, da Deutschland dies als Mitgliedsstaat beantragen muss.