Hans Bookmeyer
Appearances
Last Statements
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Neben der jetzt durchgeführten Diskussion zur Bevorratung antiviraler Mittel auf Länderebene ist ja auch eine gewisse Bevorratung individueller Art in der Bevölkerung zu beobachten. Ich frage die Landesregierung, wie sie eine möglicherweise missbräuchliche Einnahme dieser Medikamente einschätzt.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Briese, ich möchte Ihnen zunächst für Ihren sehr sachbezogenen Beitrag danken.
Den Antrag Ihrer Fraktion möchte ich gerne zum Anlass nehmen, alle Fraktionen dieses hohen Hauses zu bitten, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, um Menschen, die schwerst krank sind oder gerade dem Tod ins Auge blicken, gewiss sein zu lassen: Vom jeweils anderen her hat jedes Leben den gleichen Wert bis zuletzt. Es gibt kein bevorrechtigtes Leben, wie es auch kein geringerwertiges Leben gibt. Für alle gilt nach wie vor umfassend der Artikel 1 Satz 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar unbeschadet seines Geschlechts, seiner Nationalität, seiner Weltanschauung, seines Alters wie auch seines Gesundheitszustands. - Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels scheint dies nicht mehr immer und überall selbstverständlich zu sein.
In der Debatte am 28. Oktober letzten Jahres über den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP zur Förderung der Hospizarbeit sowie der palliativen Versorgung in Niedersachsen, der gemeinsam von allen Fraktionen verabschiedet worden ist, wies meine Fraktionskollegin Frau Kohlenberg darauf hin, dass schwerst kranke Menschen mit vielen Ängsten belastet sind, u. a. mit der Angst, allein gelassen zu werden oder der Gesellschaft zur Last zu fallen. Frau Kollegin Weddige-Degenhard beschrieb u. a. die Entstehungsgeschichte der Hospizbewegung sowie das Erfordernis der palliativen Versorgung. Frau Kollegin Meißner hob die Dringlichkeit der ambulanten Versorgung Sterbender hervor und machte darauf aufmerksam, dass die Kenntnis über die Möglichkeit, Patientenverfügungen abschließen zu können, noch viel zu gering ist. Frau Kollegin Janssen-Kucz beschrieb als Ziel die flächendeckende Versorgung in allen diesen Bereichen, führte dazu aber zutreffend aus, dass wir, wie sie formulierte, noch viele Steine aus dem Weg räumen müssten; dies bedeute das Bohren dicker Bretter, und wir seien damit erst am Anfang. Frau Ministerin von der Leyen betonte, es gehe darum, das Sterben in einer humanen Form zu begleiten, es gehe nicht darum, den Tod herbeizuführen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich verweise auf diese Debatte, weil in ihr nach meiner Einschätzung zwei Dinge sehr deutlich wurden: dass in diesem Haus Einigkeit bestand, schwerst Kranke und Sterbende in human würdevoller Weise zu begleiten, und dass es ein langer, steiniger Weg sein wird, bis wir dieses Ziel landesweit und umfassend erreichen. Diese Übereinstimmung sollten wir auch in der aktuellen Debatte nicht aus dem Blick verlieren. Zu dem eingeschlagenen Weg darf es aus unserer Sicht tatsächlich keine Alternative geben, etwa die der aktiven Sterbehilfe, die das Leben bewusst verkürzt.
Ich verschließe nicht die Augen vor der Not vieler Schwerstleidender. Ich habe auch eine Reihe dieser begleiten dürfen. Aber wir alle sollten wache Augen haben! Darum geht es uns als Unionsfraktion zunächst: wache Augen zu haben, die Gefahren wahrzunehmen und ihnen zu begegnen, wenn aktive Sterbehilfe zunehmend als letztlich doch vertretbare andere Alternative angesehen würde. Das Empfinden von Menschen, der Gesellschaft womöglich zur Last zu fallen, würde unweigerlich gestärkt, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen würde relativiert.
Herr Kollege Briese, Sie fragten, ob mit solch einem Gesetzeseinschub einem Menschen geholfen würde. Ich nehme an, dass wir damit einem Menschen, der sich wirklich um das Ende des eigenen Lebens mühen würde, nicht helfen würden. Ich glaube aber, dass wir Ungezählten helfen würden, die aufgrund einer aktiven Sterbehilfe in Bedrängnis kämen. Das macht doch, meine ich, die Entwicklung in den Niederlanden erschreckend deutlich. Laut einer Studie der Deutschen Hospiz Stiftung werden in den Niederlanden, wo aktive Sterbehilfe bekanntlich zulässig ist, inzwischen jährlich 900 Menschen getötet, obwohl sie dieses nicht verlangt haben. In 38 % der Fälle würden die Angehörigen die Tötung der Betroffenen vorantreiben, weil sie sich durch diese zu sehr belastet fühlen, in 30 % der Fälle würde dem schwerst Kranken der Sterbewunsch unterstellt.
Inzwischen ist in den Niederlanden auch die Diskussion über aktive Sterbehilfe bei psychisch Kranken und unheilbar kranken Neugeborenen entbrannt. Allein der Möglichkeit einer solchen Entwicklung sollten wir gerade vor dem Hintergrund des finstersten Kapitels der Geschichte unseres Landes genauso entschieden entgegentreten, wie wir gemeinsam auf dem Weg sind, die Rahmenbedingungen zu verbessern, Menschen im Sterbeprozess würdevoll begleiten zu können.
In der Hoffnung, dass wir uns hierin einig sind und bleiben, interpretiere ich Ihren Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dahin gehend, dass Sie die Bemühungen um den Ausbau von Hospizeinrichtungen und Palliativversorgung wie auch die Diskussion über umfassend würdevolles Leben bis zuletzt in der Gesellschaft seitens der Landesregierung nicht nur in den Krankenhäusern, sondern eben auch in Schulen, in Familien und überall dort, wo man zusammenkommt, noch stärker beschleunigt sehen möchten. Dies findet im Rahmen des Möglichen auch unsere Unterstützung.
Die Frage der Notwendigkeit strafrechtlicher Bewehrung geschäftsmäßiger Vermittlung zur Suizidhilfe mag derzeit unterschiedlich bewertet werden. Aber seien Sie versichert, dass ihre Prüfung keinesfalls auch nur den Anschein eines symbolischen Charakters hat, als wolle man sich eine Art Alibi im Bereich der human würdevollen Sterbebegleitung verschaffen, das Bemühen nicht weiter vorantreiben zu müssen oder zu können; dafür ist das Thema viel zu ernst.
Für uns sind dies zwei Seiten einer Medaille, die, um mit Albert Schweitzer zu sprechen, heißt: Ehrfurcht vor dem Leben. Die eine Seite stellt den entschiedenen Schutz des Lebens bis zuletzt dar. Lassen Sie uns gemeinsam prüfen, wie dies am Besten zu erreichen ist, auch wenn wir derzeit unterschiedlicher Auffassung sein mögen. Die andere Seite dieser Medaille ist die Ausgestaltung der würdevollen Begleitung.
Bei der Ausgestaltung sind wir, wie ich eingangs feststellte, gemeinsam auf dem Weg. Gründend auf dem eingangs erwähnten Antrag liegt uns das Gutachten zur Palliativversorgung in Niedersachsen vor. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Aber es gibt immerhin einen Etappenbericht, der hoffen lässt, es mit weiteren gemeinsamen Anstrengungen erreichen zu können. Ich möchte stichwortartig daraus hervorheben, dass es demnach derzeit 116 Hospizdienste, zwölf stationäre Hospize, sechs ambulante Palliativ- und 94 ambulante Hospizdienste sowie neun Palliativstationen in Krankenhäusern gibt. In der Prüfung sind Palliative-CareBetten nicht nur in Hospizen, sondern auch in Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen. Ferner ist die Einrichtung des neuen Palliativzentrums an der Universität Göttingen vorgesehen. Das Gutachten stellt verschiedene Modellberechnungen zur flächendeckenden Palliativversorgung vor. Abschließend wird festgestellt, dass eine insgesamt erhebliche Verbesserung der Versorgungsqualität flächendeckend erreicht werden kann. Lassen Sie uns daher gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, diese Verbesserungen stetig, Schritt für Schritt, zu erreichen.
Abschließend danke ich allen, die in Hospizeinrichtungen, Krankenhäusern oder andernorts beruflich für Kranke, schwerst Kranke und Sterbende tätig sind, sowie den vielen Ungezählten, die im familiären oder Freundeskreis schwerst Kranke oder Sterbende pflegen, und den vielen Ehrenamtlichen in kirchlichen Betreuungskreisen oder solchen anderen Organisationen, die fürsorgliche Begleitdienste übernehmen. Sie alle verdienen Hochachtung für ihren ebenso erfüllenden wie auch schweren Dienst am Nächsten. Gerade auch sie bedürfen ihrerseits der Hilfe und der Begleitung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns auch weiterhin gemeinsam daran arbeiten, diese Dienste der Nächstenliebe zu verstärken, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit weiterhin eindeutig gilt und erfahrbar bleibt: Die Würde
des Menschen ist unantastbar - bis zum letzten Atemzug. - Ich danke Ihnen.