Protocol of the Session on November 9, 2011

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 17. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg. Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen.

Krankgemeldet sind Frau Staatsrätin Erler, Frau Abg. Hebe rer und Herr Abg. Lusche.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich Herr Minis ter Stickelberger.

Meine Damen und Herren, nach dem Tod des früheren Land tagsabgeordneten Dr. Ulrich Noll ist ein Sitz im Rundfunkrat des Südwestrundfunks nicht besetzt. Nach § 14 Abs. 7 des Staatsvertrags über den Südwestrundfunk ist deshalb für den Rest der Amtszeit, die voraussichtlich im Januar 2013 endet, ein Nachfolger zu bestimmen. Entsprechend dem Höchstzahl verfahren nach d’Hondt hat das Vorschlagsrecht für den frei gewordenen Sitz in der 15. Wahlperiode die Fraktion GRÜ NE, die dafür Frau Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel benannt hat.

Sind Sie damit einverstanden, dass offen über den Wahlvor schlag abgestimmt werden kann? – Es erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Darf ich weiter davon ausgehen, dass Sie dem Wahlvorschlag zustimmen? – Sie sind damit einverstanden. Dann ist es so be schlossen.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt verviel fältigt auf Ihren Tischen. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Es ist so be schlossen.

Im Eingang befinden sich:

1. Antrag des Rechnungshofs vom 14. Oktober 2011 – Prüfung der

Rechnung des Rechnungshofs (Epl. 11) für das Haushaltsjahr 2009 durch den Landtag – Drucksache 15/770

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft

2. Mitteilung des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft vom 26. Ok

tober 2011 – Wohnungspolitik 2012 – Bericht und Leitlinien zur Wohnraumförderung – Drucksache 15/792

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft

3. Mitteilung der Landesregierung vom 8. November 2011 – Informa

tion über Staatsvertragsentwürfe; hier: Entwurf des Ersten Staatsver trages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in

Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV) – Drucksache 15/849

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft und fe derführend an den Innenausschuss

4. Mitteilung der Landesregierung vom 8. November 2011 – Informa

tion über Staatsvertragsentwürfe; hier: Entwurf des Staatsvertrags über die Gründung der GKL Gemeinsame Klassenlotterie der Län der (GKL-StV) – Drucksache 15/850

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft

Wir treten damit in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Innenministeriums – Einsatz von sogenannten „Tro janern“ durch die baden-württembergischen Ermittlungs behörden – Drucksache 15/669

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Abg. Professor Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Hintergrund unseres An trags und der Debatte ist einmal mehr das Spannungsverhält nis zwischen den Interessen der Strafverfolgung auf der einen Seite und dem Schutz der Privatsphäre auf der anderen Seite. Darum geht es. Auf der einen Seite ist ganz klar: Unsere Er mittlungsbehörden müssen in der Lage sein, Straftaten effizi ent zu verfolgen. Auf der anderen Seite aber müssen wir alles tun, um für unbeteiligte Dritte und für die Allgemeinheit die Privatsphäre zu sichern.

Über diesen Themenkreis ist in der Vergangenheit mehrfach und natürlich auch heiß diskutiert worden. Ich nenne nur die großen Überschriften „Onlinedurchsuchung“ oder „Vorrats datenspeicherung“.

Auffallend ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht eine sehr zurückhaltende Linie eingeschlagen hat, was das Erhe ben von Daten anbelangt. Man darf an dieser Stelle sagen: Durch das Bundesverfassungsgericht sind eigentlich 1 : 1 li berale Positionen bestätigt worden, wie ich und wie auch an dere sie vorgetragen haben. Der damalige stellvertretende Prä

sident des Bundesverfassungsgerichts Hassemer hat vom „Nie dergang der Privatheit“ gesprochen, und das Bundesverfas sungsgericht hat eine Rechtsprechung fortgesetzt, durch die die Privatsphäre geschützt wird.

Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass auch das Bundesverfassungsgericht kürzlich zum ersten Mal klarge stellt hat, dass auch die innere Sicherheit Verfassungsrang hat.

Meine Damen und Herren, wir in Baden-Württemberg haben keine Regelung ins Polizeigesetz aufgenommen, die die On linedurchsuchung zulässt. Das war richtig, weil die Online durchsuchung eine Maßnahme ist, die nach meiner Auffas sung in keinem Verhältnis zum Nutzen steht und viele Nutzer von Computern in Mitleidenschaft zieht, ohne dass man das ausreichend begründen könnte. Sie wissen, Onlinedurchsu chung bedeutet, dass man, ohne dass es der Betroffene merkt, den Inhalt eines Computers von fern durchsuchen und durch leuchten kann.

Auf der anderen Seite ist eines immer klar gewesen: Kommu nikation müssen wir überwachen. Es muss möglich sein, je de Form von Kommunikation zu überwachen. Das müssen wir tun können, damit wir Straftaten gerade auch im terroris tischen Bereich wirksam verfolgen können. Deswegen, Herr Innenminister, ist ganz klar: Wo Kommunikation drübersteht, muss eine Überwachung möglich sein.

Nun haben wir den bekannten Grenzfall mit der sogenannten Quellen-TKÜ. Ich gehe am Anfang noch einmal ganz kurz auf die Begriffe ein, weil sie vielleicht doch nicht allen Kollegin nen und Kollegen so geläufig sind. Bei der Quellen-TKÜ geht es um Folgendes: Mittlerweile werden Kommunikationsfor men entwickelt, die schwer abzuhören sind; das gilt insbeson dere für die verschlüsselte Telefonie über das Internet. Bis man da etwas abhören kann, ist nichts mehr zu verstehen, weil es verschlüsselt ist. Dem sollte man beikommen. Das kann man mithilfe der Quellen-TKÜ, indem man schon vor der Ver schlüsselung eingreifen kann.

Damit sind wir aber in deutlicher Nähe zur Onlinedurchsu chung, denn vor die Verschlüsselung kommt man nur, wenn man auf den Computer des Betroffenen gelangt, ohne dass er es merkt. Insofern ergeben sich da natürlich eine unmittelba re Nähe zur Onlinedurchsuchung und die Gefahr, dass man eben nicht nur Kommunikation überwacht, sondern auch an dere Inhalte anschaut. Wir hatten nun – das ist bundesweit durch die Presse gegangen – prompt den Fall, dass im Rah men einer Quellen-TKÜ, einer Telekommunikationsüberwa chung, alles Mögliche angeguckt wurde.

Meine Damen und Herren, ich halte daran fest: Es muss zu lässig sein, Kommunikation zu überwachen – auch in Form der Quellen-TKÜ. Aber die Überwachung kann nur zulässig sein, wenn gewährleistet ist, dass nur Kommunikation erfasst wird und nichts anderes abgegriffen wird. Am besten wäre es, wenn gar nichts anderes abgegriffen werden könnte. Dann könnte man diese Maßnahme guten Gewissens unterschrei ben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Die Antwort, Herr Innenminister, die Sie uns gegeben haben – die Frage steht jetzt im Raum, was eigentlich in Baden

Württemberg los war und ob das hier auch gemacht wird; das interessiert, glaube ich, durchaus jeden –, beruhigt vordergrün dig, wenn ich das so sagen darf. Wenn man sie liest, denkt man vordergründig: Das ist bei uns im Land eigentlich gar nicht so schlecht gelaufen. Aber wenn man die Antwort ein zweites Mal liest, ergeben sich doch ein paar Fragen und ein paar Anmerkungen, zu denen ich jetzt noch kommen darf.

So wird z. B. zu Ziffer 1 geantwortet, dass man, was das Lan desamt für Verfassungsschutz angeht, nicht einmal die Zahl der Überwachungsfälle nennen darf. Das ist vielleicht ein biss chen viel der Geheimhaltung. Wir wollen da gar nicht an Tat sachen herankommen, deren Bekanntgabe vielleicht die Auf klärung erschweren würde. Aber dass Sie die erbetenen An gaben nur für die Polizei machen und uns in Bezug auf das Landesamt für Verfassungsschutz nicht einmal sagen, wie oft die Maßnahme durchgeführt wurde, hinterlässt natürlich eine Lücke, die meines Erachtens so nicht bestehen bleiben kann.

Dann lohnt es sich, weitere Passagen genau zu lesen. In der Stellungnahme zu Frage 5 heißt es:

Die eingesetzte Software gewährleistete die Überwachung der verschlüsselt geführten Kommunikation im Rahmen der jeweils richterlich angeordneten Telekommunikati onsüberwachung. Hierbei kam es zur Übertragung von Internet-Telefonie.

Das ist in Ordnung; das war der Zweck.

Darüber hinaus hätte die Software auch den über die überwachten Kommunikationsprogramme geführten Chat-, SMS- und Datenverkehr erheben können.

Datenverkehr? Chat, das mag Kommunikation sein. Das ist klar. Auch SMS mag Kommunikation sein. Aber was heißt, es hätte Datenverkehr erfasst werden können? Das kann nur heißen, dass jede angesteuerte Website hätte erfasst werden können. Jeder Aufruf von Websites und ihre Inhalte hätten al so übermittelt werden können. Herr Innenminister, wir sind uns sicher einig, dass das nicht mehr nur Überwachung der Telekommunikation, sondern eigentlich einen fließenden Über gang zur Onlinedurchsuchung und zur Untersuchung dessen darstellt, was überhaupt auf einem Computer passiert. Damit ist jedenfalls nicht technisch sichergestellt – wie es das Bun desverfassungsgericht postuliert hat –, dass sich die Überwa chung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekom munikationsvorgang beschränkt.

Dann eine Anmerkung zur Zusammenarbeit mit privaten Dienst leistern: Das darf ich mir, meine Damen und Herren, nun durchaus ein bisschen auf der Zunge zergehen lassen, nach dem Sie mich hier im Haus oft ins Visier genommen haben, weil ich mit privaten Dienstleistern zusammengearbeitet ha be. Angesichts dessen finde ich es schon bemerkenswert, dass Sie diese hochsensible Geschichte Quellen-TKÜ in Zusam menarbeit mit privaten Dienstleistern machen und die Soft ware von außen einkaufen. Zur Polizei – teilweise – und zum Landesamt für Verfassungsschutz heißt es treuherzig: „Die haben überhaupt keine eigene Überwachungssoftware. Die kaufen alles von außen ein.“ Dann ist natürlich klar, dass der Anzug, den man da von der Stange kauft, nicht passt, sondern zu groß ist. Das hat sich auch in den bundesweit diskutierten Fällen gezeigt. Diese Gefahr besteht natürlich auch bei uns.

Ich finde es originell, dass selbst Sie in diesem elementaren inneren Bereich staatlichen Handelns nun mit privaten Soft wareanbietern arbeiten und offensichtlich nicht in der Lage sind, selbst ein System zu entwickeln und zu betreuen, das den Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des Bundes verfassungsgerichts genügt.

Dann noch eine dritte Anmerkung: Sie sagen in Ihrer Stellung nahme zu Ziffer 9 des Antrags, eine Kenntnisnahme durch Dritte – diese Gefahr besteht natürlich, wenn man mit priva ten Dienstleistern zusammenarbeitet – mit legalen Mitteln sei ausgeschlossen. „Mit legalen Mitteln“, das ist schon klar. Mich hätte allerdings mehr interessiert, wie schwierig es ei gentlich ist, an die Daten heranzukommen. Denn leider gibt es immer böse Menschen, die Gesetze übertreten. Insofern in teressiert mich schon, wie leicht es für sie ist, wenn Sie mit Dritten zusammenarbeiten, an die entsprechenden Daten he ranzukommen.

Generell, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung: Nicht nur Gesetze sollten uns schützen, sondern auch die Technik sollte uns schützen. Es ist höchste Zeit, viel wachsa mer zu sein, was jegliche Form der Datenerhebung bei den Bürgern angeht, auch wenn sie wie hier natürlich einem gu ten Zweck dient; das ist meistens so, doch dann schießt man gern über das Ziel hinaus.

Ich fasse meine Ausführungen und unsere Forderungen noch einmal zusammen:

Erstens: Wir möchten die Zahl der Verfahren wissen, die beim Landesamt für Verfassungsschutz gelaufen sind. Wenn Sie uns die nicht nennen, müssen wir annehmen, dass das eine er schreckend hohe Zahl ist. Denn sonst würden Sie uns diese Zahl nennen.