Sven Rissmann

Appearances

16/6 16/10 16/11 16/12 16/17 16/29 16/38 16/39 16/50 16/55 16/56 16/59 16/60 16/63 16/73 16/77 16/83 16/84 16/85

Last Statements

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zimmermann! In Zeiten größter finanz- und währungspolitischer Verunsicherung, in einer Weltwirtschaftskrise, die Grundfesten berührt und aufgezeigt hat, dass einige wenige ganze Volkswirtschaften durch unverantwortliches geradezu unsittliches Handeln, durch Zockerei gefährden können, ist es sicherlich richtig, sich auch die Frage zu stellen, ob und wie man auf der Ebene des Strafrechts reagieren kann – und vielleicht auch
muss –, um Menschen, Staat und soziale Marktwirtschaft zu schützen. Dennoch ist der vorliegende Antrag der Regierungskoalitionen in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Erstens – Herr Zimmermann hat das gerade in hervorragender Weise vorgeführt –: Sie begründen Ihren Antrag mit einer von Ihnen als Landowsky-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezeichneten richterlichen Entscheidung vom Oktober 2010. Sie stellen diesen Antrag in der letzten Sitzung vor der Sommerpause und wollen dem Senat auferlegen, bis zum 15. September 2011, also drei Tage vor dem Wahltermin, Bericht zu erstatten. Damit zeigen Sie deutlich, worum es Ihnen eigentlich geht: blankem Populismus,
auf erschreckend peinlichem Niveau, gepaart mit evidentem Wahlkampfzucken. Warum sonst stellen Sie diesen Antrag in dieser Form erst jetzt? Es ist bedauerlich, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, dass Sie einen Sachverhalt, der im Sinne meiner Eingangsworte eine ernsthafte Befassung verlangt, derart platt instrumentalisieren.
Zweitens: Bemerkenswert ist überdies, dass Sie offenbar den Senat erst auffordern müssen, für eine Verschärfung des Wirtschaftsstrafrechts initiativ zu werden und öffentliches und privates Vermögen vor unverantwortlichen Risikogeschäften zu schützen. Das hat womöglich gute Gründe. Stichworte: HOWOGE, rechtswidrige Vergabepraxis, Parteibuchwirtschaft, Aktenvernichtung und eine im Moment nicht anwesende und auch sonst nicht ganz dicht bei der Wahrheit liegende Senatorin.
Stichwort BVG: Der sich heute als Buchautor verdingende SPD-Senator a. D. Dr. Sarrazin hat als Aufsichtsratsvorsitzender seine Zustimmung zur Übernahme hoher Lasten aus Krediten gegeben, die aufgrund vorangegangener Cross-Border-Leasing-Geschäfte nötig waren. Das Ergebnis sind Rückstellungen in Höhe von 156 Millionen Euro und ein Gesamtverlust der BVG im Jahr 2008 von 247 Millionen Euro.
Stichwort Bankenskandal – das war die Begründungslinie des Kollegen Zimmermann: Seit dem von der SPD glorreich inszenierten Bankenskandal
ist die Verschuldung Berlins unter Rot-Rot
von 28 Milliarden Euro im Jahr 2001 auf 63 Milliarden Euro heute angestiegen.
Drittens: Bemerkenswert ist ferner, dass wir sonst, wenn die Union Strafverschärfungen anregt, zum Beispiel bei Gewalttaten gegen Polizeibeamte oder Angehörige von Rettungsdiensten oder bei schwersten Straftaten von Jugendlichen, von den drei linken Parteien hier zu hören bekommen, wir wären einfallslos, bestehende Gesetze würden ausreichen und so weiter. Dieses Blabla scheint jetzt nicht zu gelten, oder ist Ihnen der Schutz beispielsweise von Polizeibeamten in Berlin nicht so wichtig?
Viertens: In dem Versuch, Ihrer hier als Antrag bezeichneten Wahlkampfschleuder ein bisschen fachlichen Anspruch zu geben, weisen Sie auf den schwer handhabbaren § 266 StGB, den Untreuetatbestand, hin. Der Hinweis ist sachlich zutreffend, und deshalb müssen wir auch prüfen, wie wir zu einer besseren strafrechtlichen Absicherung kommen. Aber Ihre Vorschläge sind genauso allgemein gehalten und schwer handhabbar, sodass das so von vornherein nichts werden kann. Sie beantworten die entscheidende Frage nicht, wo Sie die Grenze zwischen notwendigem unternehmerischen Handeln auf der einen Seite und beispielsweise strafwürdiger Untreue auf der anderen Seite ziehen wollen.
Na ja, im Ergebnis gilt: Prüfen hat noch nie geschadet. Eine Erforderlichkeit, neue zu missbilligende Sachverhalte auch strafrechtlich erfassen zu können, ist ebenfalls gegeben. Insofern werden wir zustimmen. – Herzlichen Dank!
Danke, Herr Präsident! – Frau Senatorin! Verzeihen Sie, dass ich die gestellte Wahlkampffrage etwas durcheinanderbringe. Wie erklären Sie sich, dass das nicht vom Berliner Senat, nicht von Ihnen erfundene, sondern von engagierten Jugendrichtern, zuvorderst von der leider verstorbenen Frau Heisig, entwickelte Neuköllner Modell in anderen Bundesländern, in die es exportiert wurde, mit deutlich verkürzteren Verfahrenslaufzeiten in Verbindung steht als hier bei uns?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:
1. Wie bewertet der Senat die jüngst in der Presse erhobene Forderung, „Schwarzfahren“ gänzlich – oder für bestimmte Personenkreise – straffrei zu stellen?
2. Plant der Senat eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Strafbarkeit des „Schwarzfahrens“ oder andere Maßnahmen in diesem Zusammenhang, und welche Erwägungen liegen dem gegebenenfalls zu Grunde?
Danke, Herr Präsident! – Frau Senatorin! Da meine Fantasie nicht ausreicht, frage ich Sie: Was für – Zitat – „Fälle von Schwarzfahren“ müssten es sein, damit man in dem von Ihnen eben skizzierten Sinn initiativ werden würde? Wie unterscheiden sich denn „Fälle von Schwarzfahren“?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist ausweislich des Vorblatts der Vorlage – zur Beschlussfassung – die Schaffung neuer Richtergesetze in Berlin und Brandenburg, die weitgehend gleichlautend gestaltet sind. Daher auch „Gesetz zur Angleichung des Richterrechts der Länder Berlin und Brandenburg“. Nicht nur, dass es aus Berliner Sicht keine Angleichung des Richterrechts, sondern eine Neuregelung des Richterrechts Berlins ist – auf diesen Etikettenschwindel hatte ich schon bei meiner Plenarrede am 17. Februar hingewiesen –, sondern das Ziel des vorliegenden Gesetzes wird ganz offenkundig auch nicht erreicht. So wurde beispielsweise im Rahmen der umfangreichen Anhörung im Rechtsausschuss, auf die ich später noch eingehen werde, darauf hingewiesen, dass der Berliner Gesetzentwurf in einem Umfang von bestimmt 10 Prozent von dem Brandenburger Entwurf abweicht.
Die heute vorgelegten Änderungsanträge der Koalition, von denen zu befürchten ist, dass sie hier eine Mehrheit finden werden, nehmen zwar nicht die berechtigte Kritik auf – sie sind, wie so oft, ein reines Placebo –, führen aber dennoch dazu, dass sich die Gesetzentwürfe beider Länder noch weiter voneinander entfernen, sodass der Gesetzeszweck verfehlt wird.
Es geht hier aber um mehr. Ich habe es noch nicht erlebt, dass sich bei der Beratung und der Anhörung in einem Ausschuss eine Phalanx aller Betroffenen und Anzuhörenden, auch derjenigen, die von der Koalition benannt wurden oder ihr mutmaßlich nahestehen, gegen einen solchen Gesetzentwurf bildet.
Angehört haben wir den Deutschen Richterbund, die Neue Richtervereinigung, die Rechtsanwaltskammer Berlin, den Deutschen Beamtenbund, den Hauptrichterrat Berlin, den gesamten bisherigen Richterwahlausschuss
und die evangelische und katholische Kirche. Sie alle haben sich mit zum Teil harten Stellungnahmen gegen Ihre Vorlage, Frau von der Aue, und gegen alle großen Linien Ihres Gesetzentwurfes gewandt. Mithin, Frau von der Aue: Sie machen mit diesem Gesetzentwurf Justizpolitik gegen die gesamte Berliner Justiz.
Durch alle Gespräche und Beratungen hat sich eine Frage durchgezogen: Warum ändern Sie die bewährte Berliner Regelung zum Richterwahlausschuss? Was ist der wichtige Grund, etwas Bewährtes neu zu regeln? Und warum soll Ihre Regelung besser sein? – Eine Antwort, die den Namen auch verdienen würde, gab es nicht, sodass der Vorwurf hier im Raum bleibt, dass die Gefahr der parteipolitischen Beeinflussung der Richterschaft droht.
Die christlichen Kirchen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Ihre Vorschrift zur Eidesformel, die die religiöse Beteuerung als Regelfall wegfallen lässt, gegen Bundesrecht verstößt und eine Umkehrung des Regel-AusnahmeVerhältnisses darstellt. Auf meine Frage, Frau von der Aue, warum Sie mit dieser Tradition brechen, warum Sie gegen Bundesrecht handeln, gegen alle landesgesetzlichen Vorschriften, die es dazu gibt, warum Sie alle gläubigen Menschen – ich betone alle, nicht nur Christen – damit provozieren, haben Sie sinngemäß geantwortet: So sei es doch praktisch. Da müsse man auf der Ernennungsurkunde bei einem Richter, der eine neutrale Beteuerung wolle, nicht die Eidesformel wegstreichen – also ein Federstrich?! – Nein, Frau von der Aue, Sie entfernen sich von den Grundlagen, von dem, was Staat und Gesellschaft zusammenhält, nämlich das, was die Präambel unseres Grundgesetzes die Verantwortung vor Gott und dem Menschen nennt.
Schließlich erscheint mir bemerkenswert: Dieser Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg, der uns aufgegeben hat, dieses Gesetz zu schaffen, gemeinsames Richterrecht in Berlin und Brandenburg zu schaffen, stammt vom 26. April 2004. Mehr als sieben Jahre sind also nun schon ins Land gegangen, und plötzlich im Februar 2011 legen Sie diesen Gesetzentwurf vor, peitschen ihn durch den Rechtsausschuss, der offenbar wohl nur noch die Funktion eines demokratischen Feigenblatts hat, und lassen ihn dann heute hier mit Dringlichkeit kurz vor der Angst beschließen, kurz vor dem 18. September, vor dem Termin der Neuwahlen – und das alles auch noch gegen die Kritik nicht nur der Opposition, sondern aller Anzuhörenden und aller Betroffenen. Was ist eigentlich an diesem Gesetzentwurf dringlich? – Das erinnert mich sehr an das, was wir heute schon thematisiert haben, nämlich die Vorgänge um die Besetzung der Stelle des Polizeipräsidenten. Kurz vor den Wahlen will man offenbar noch mal schnell Tatsachen schaffen, ganz nach dem Motto: Man weiß ja nie, was da kommt!
Der vorgelegte Gesetzentwurf ist so schlecht, dass Änderungsanträge unsererseits das Neu-Schreiben eines Ge
setzes bedeutet hätten. Deshalb war es für uns auch nicht erforderlich, das zu tun, weil wir mit der heutigen Ablehnung zum Ausdruck bringen, dass der bisherige Status quo vollkommen ausreichend ist.
Ich bin schon am Ende meiner Rede. – Wir wollen den Status quo so lange weiterbehalten, bis Sie einen brauchbaren Entwurf vorlegen. – Herzlichen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich störe jetzt die rot-grüne Zweisamkeit, indem ich mich ausnahmsweise einmal auf die Seite der Grünen schlage. Es ist wieder einmal ein typisches Phänomen der Sozialdemokratie in diesem Haus: Wenn ihr etwas nicht passt und sie sich erwischt fühlt – warum hat Frau von der Aue heute dazu gesprochen? –, heißt es, es sei Wahlkampf, den man führen wolle. In diesem Fall dürfe Herr Behrendt gar nichts sagen, weil er in irgendeiner Weise persönlich betroffen sei. Das kann man nur zurückweisen. Es ist bemerkenswert, dass Sie in der Sache auf die zum ganz großen Teil berechtigten Kritikpunkte des Kollegen Behrendt gar nicht eingegangen sind.
Das, was hier heute zur Beratung vorliegt, firmiert unter der Überschrift „Gesetz zur Angleichung des Richterrechts der Länder Berlin und Brandenburg“. Der erste Blick in den Gesetzentwurf zeigt jedoch, dass es eher eine Neuregelung wesentlicher Teile des Richterrechts in Berlin ist. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der vorliegende Gesetzentwurf kann nicht zufrieden stellen und so nicht unsere Unterstützung finden. Die Ausschussberatung wird von uns genutzt werden, zahlreiche Änderungen anzubringen. Heute muss ich mich auf ein, zwei oder drei Punkte beschränken.
Es ist in unserem Land eine gute demokratische und gute rechtsstaatliche Tradition, wegen des hohen Guts der Unabhängigkeit des Richters und der Gerichte, Artikel 97 Abs. 1 GG, auch in unserer Verfassung in Artikel 79 Abs. 1 geregelt sowie auch der Gewaltenteilung, dass bei der Begründung und Veränderung von Richterverhältnissen ein möglichst breiter politischer Konsens hergestellt werden sollte und parteipolitische Motive zurückzustellen sind. Die in dem Gesetzentwurf vorgenommenen Änderungen im Bereich der Vorschriften §§ 11 ff des Gesetzentwurfs – Richterwahlausschuss, Kollege Behrendt hat es angesprochen –, insbesondere § 12 und § 22, begründen jedoch die Besorgnis, dass der eben zuvor von mir genannte Leitgedanke hier wohl in Vergessenheit geraten ist.
Wenn man argwöhnisch wäre, könnte man auch denken, dass es hier der dreiste Versuch der Sozialdemokratie ist, noch einfacher Personalpolitik machen zu können.
Warum sonst, Frau von der Aue, geschätzter Herr Kollege Dr. Felgentreu, sieht Ihr Gesetzentwurf die Streichung der bisherigen Zweidrittelmehrheit in § 12 Abs. 3 des Berlin
re Richtergesetzes der anwesenden Mitglieder des Abgeordnetenhauses für die Wahl der ständigen Mitglieder des Richterwahlausschusses vor? Nun soll die einfache Mehrheit, also Ihre Koalitionsmehrheit, Ihre antizipierte zukünftige Koalitionsmehrheit reichen. Warum sonst, Kollege Dr. Felgentreu, erhöhen Sie in § 12 Abs. 1 Ihres Entwurfes den Anteil der aus der Mitte des Abgeordnetenhauses vorzuschlagenden ständigen Mitglieder des Richterwahlausschusses und schreiben aber gleichzeitig entgegen der bisherigen Praxis vor, dass es Abgeordnete sein müssen? Warum sonst, Kollege Dr. Felgentreu – um ein letztes Beispiel zu nennen –, lassen Sie in diesem Kontext eine im Ergebnis einfache Mehrheit in § 22 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzentwurfes für die Wahl von Richtern genügen?
Ich muss also zusammenfassen: Sie wollen künftig allein mit Koalitionsmehrheit im Abgeordnetenhaus Vertreter aus Richterschaft und Anwaltschaft als Mitglieder in den Richterwahlausschuss wählen und dann im Richterwahlausschuss im Ergebnis im zweiten Wahlgang die Bewerber nach ihrem Gusto mit einfacher Mehrheit auswählen. Das bedeutet, der breite politische Konsens wird aufgekündigt, der richterlichen Unabhängigkeit wird – und ich formuliere bewusst vorsichtig – jedenfalls kein Dienst erwiesen. Die Einflussmöglichkeiten nichtparlamentarischer Mitglieder des Richterwahlausschusses werden marginalisiert. Kollege Dr. Behrendt hat bereits darauf hingewiesen, wie die Betroffenen – der Richterbund beispielsweise – das sehen.
Sie schrecken aber auch – um einen weiteren Punkt zu nennen – nicht davor zurück, diesen Gesetzentwurf zum Anlass zu nehmen, um eine ideologische Prägung vorzunehmen. Warum sonst erheben Sie in § 2 des Gesetzentwurfs das Weglassen der religiösen Beteuerung beim Richtereid zur Regel? – Dies ist im Übrigen nicht nur entgegen der bisherigen Regelung, sondern auch entgegen aller Vorschriften, die eine Eidesformel kennen. Z. B. § 48 Landesbeamtengesetz, das haben Sie zuletzt erst 2009 durch das Dienstrechtsänderungsgesetz geändert. Dort haben Sie sich diese Provokation offenbar noch nicht getraut.
Weiteres landesrechtliches Beispiel: § 4 Senatorengesetz, da könnte man Frau von der Aue daran erinnern, das Bundesbeamtengesetz, die Strafprozessordnung, jeweils § 64 hat diese Regelung. Entscheidend scheint mir aber auch § 38 Deutsches Richtergesetz zu sein. Auch dieser widerspricht Ihrer Fassung.
Drittens: Auch die den Staatsanwälten zugedachte Rolle, die Beteiligungsrechte, die Richterdienstgerichte, die Rahmenbedingungen für Proberichter usw. sind nicht ausgereift und werden im Rechtsausschuss nachzuarbeiten sein. So geht es nicht, Kollegen der SPD, so geht es nicht, Frau von der Aue!
Frau Präsidentin! Herr Kollege Dr. Kluckert! Herr Kollege Dörstelmann! Meine Damen und Herren! Korruption berührt die Grundlage des Staates, nämlich das Vertrauen seiner Bürger im Allgemeinen und in die Unbestechlichkeit seiner Beamten und Entscheidungsträger im Besonderen. Die Bedeutung dieser immateriellen Rechtsgüter kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist eine
Errungenschaft unserer Gesellschaft, dass Zuwendungen zur Erreichung von Entscheidungen, wie es früher in höfischen Gesellschaften und wohl auch heute noch mancherorts in unserer Welt üblich war und ist, der Vergangenheit angehören, besser gesagt: nach einem Grundkonsens, den ich auch hier sehe, anzugehören haben.
Aber es ist nicht nur das Vertrauen der Bürger in den Staat, seine Einrichtungen und Amtswalter tangiert und unterminiert, sondern auch unsere Wirtschaftsordnung mit nahezu unabsehbaren Folgen. Preise sollen – vereinfacht gesagt – durch Angebot und Nachfrage am Markt frei gebildet werden. Diese Regelungsmechanismen des Marktes werden aber durch Korruption ausgehöhlt. Es kommt zu einer im vorgenannten Sinne fehlerhaften Preisbildung am Markt, was die sogenannte Sog- und Spiralwirkung der Wirtschaftskriminalität nach sich zieht. Das bedeutet verkürzt, dass auch Konkurrenten, wollen sie denn am Markt bestehen, zu gleichen Methoden greifen müssen. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir in Berlin im Jahr 2006 versucht haben, dem durch die Schaffung des Korruptionsregistergesetzes einen weiteren Riegel vorzuschieben.
Dieses Instrument hat viel Beachtung gefunden. Beispielsweise ist unsere Beratung über dieses Gesetz der Anlass für einen Aufsatz in der heute erschienenen Ausgabe der „Zeitschrift für Rechtspolitik“ auf den Seiten 256 ff., auch mit dem Hinweis, wie andere Bundesländer es zu regeln gedenken. Im Übrigen finden sich da auch die Argumente und Sorgen des Kollegen Kluckert, auf die ich gleich noch einmal zurückkomme.
Dieses Instrument hat viel Beachtung gefunden. Wir reden heute auch nur über das Gesetz, weil wir einst die Geltungsdauer begrenzten, um ganz im Sinn einer guten Gesetzgebungskultur das Gesetz nach einer Zeit auf seine Wirkungskraft und Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Das hat der Rechtsausschuss in guter sachlicher Atmosphäre getan, und man kann zusammenfassend festhalten: 1. Das Gesetz hat sich grundsätzlich bewährt. Das haben alle Sachverständigen im Rahmen der Anhörung zum Ausdruck gebracht. 2. Alle Fraktionen tragen den Grundgedanken und die wesentlichen Regelungen mit – wenn ich das richtig sehe, tut das auch der Kollege Kluckert – und sprechen sich dem Grunde nach für den Fortbestand dieser Regelung aus. 3. Allein im Wesentlichen streitig geblieben ist die Frage der Aufnahme von Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO in § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes, der den für die Eintragung erforderlichen Nachweis regelt.
Hierzu liegt nun der Änderungsantrag der FDP vor, der aus meiner Sicht einen durchaus vertretbaren Standpunkt einnimmt – das will ich nicht verhehlen – und auch gute Argumente enthält. Im Ergebnis ist es aus meiner Sicht dennoch gerechtfertigt, § 153a StPO in diesem Katalog zu lassen. Dafür spricht: 1. Der für die Korruptionsbekämpfung in Berlin zuständige leitende Oberstaatsanwalt hat als Praktiker eindringlich dafür geworben. Darauf hat
bereits der Kollege Dörstelmann hingewiesen. 2. Das Korruptionsregistergesetz soll eine Warnfunktion erfüllen. Diese würde abgekürzt, wenn wir die zahlenmäßig häufigen Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO nicht erfassen würden. 3. Der Eintrag in das Korruptionsregister ist keine Strafe im strafrechtlichen Sinne. Von der Eintragung betroffene Unternehmen werden und dürfen nicht per se ausgeschlossen werden. 4. Richtig ist, Herr Kollege Dr. Kluckert, dass eine Einstellung nach § 153a StPO die Unschuldsvermutung nicht widerlegt. Jedoch ist die Anwendung des § 153a StPO gegenüber einem möglicherweise Unschuldigen auch untersagt. Zudem ist eine Einstellung ohne Zustimmung des Beschuldigten auch nicht möglich. Kollege Dörstelmann sagte es bereits. Würde man § 153a StPO herausnehmen, so würde man nach meinem Dafürhalten die Flucht in die Einstellung ermöglichen – mit anderen Worten: einen Freikauf für korruptionsverdächtige Beschuldigte eröffnen. Damit würde das Korruptionsregistergesetz einen Teil seines Anwendungsbereichs verlieren. Es könnte sogar umgangen werden. Es liegt daher an der Vergabebehörde, diese Regelung verfassungskonform auszugestalten. D. h., die Vergabebehörde muss eigenständig prüfen, ob der eingetragene auch tatsächlich einer solchen Katalogtat hinreichend verdächtig ist. Deshalb kann meine Fraktion diese Gesetzesvorlage erneut unterstützen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Geschätzter Kollege Jotzo! Geschätzter Kollege Dr. Felgentreu! Die Frage ist, halte ich noch eine Rede oder beschränke ich mich darauf, festzustellen, dass ich mich vollumfänglich Herrn Kollegen Dr. Felgentreu anschließen kann. Ich glaube, dass ich in gewisser Weise auch einen edukatorischen Auftrag wahrzunehmen habe, insofern, lieber Kollege Jotzo, will ich durch das Wiederholen von Argumenten probieren, Sie zu überzeugen.
Die Ausgangslage ist so, dass von 16 Bundesländern 14 Bundesländer das Kumulieren und Panaschieren bei Landtagswahlen nicht vorsehen und auch nicht beabsichtigen, dies in ihren Wahlvorschriften zu implementieren.
Jedes System, verehrter Kollege Jotzo, mag Vor- und Nachteile haben. In der Natur der Sache liegend haben Sie etwas einseitig die Vorteile beleuchtet – um der Ausgewogenheit der Sache einen Dienst zu tun, hier zwei, drei Argumente, die vielleicht dagegen sprechen.
Kumulieren, Panaschieren hat in den Ländern, die es auf kommunaler Ebene ermöglicht haben, weder zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt noch dazu, dass – von wenigen Einzelfällen abgesehen – die vorgeschlagene Listenreihenfolge – und darum geht es Ihnen ja wohl – wesentlich verändert worden wäre.
Kumulieren und Panaschieren ist tatsächlich unpraktisch –Zettelwust ist das zu nennende Stichwort. Leider bin ich nicht so gut bewaffnet wie der Kollege Dr. Felgentreu, er hat es vorhin sehr anschaulich dargestellt. Hinzu kommt – auch das ist leicht einsichtig –, dass dieses System sehr fehleranfällig ist.
Des Weiteren müssen wir uns vor Augen führen, dass es doch heute schon so ist, dass wir durch Umfragen und Befragungen vor Wahlen wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereits mit dem jetzigen Wahlsystem gewisse Verständnisschwierigkeiten haben, das ist auch belegbar. Das Kumulieren und Panaschieren würde das jetzige Wahlrecht noch weiter verkomplizieren,; es würde der aktiven Wahlteilhabe von Bürgerinnen und Bürgern sicherlich nicht förderlich sein, sondern die Wahlabstinenz wahrscheinlich weiter erhöhen.
Ferner, verehrter Kollege Jotzo, werden viele Wähler es vielleicht doch schon als Erleichterung begreifen, auch Parteien wählen zu können, denn so können sie auch für sie unbekannte Kandidaten auf das jeweilige Parteiprogramm, mit dem sie sich beschäftigt haben, „verpflichten“, ohne sich jeden einzelnen Kandidaten angesehen haben zu müssen. Die Wahl einer Landesliste durch Parteimitglieder gibt zudem die Möglichkeit, regionale und strömungspolitische Eigenheiten der jeweiligen Partei auszutarieren. Das ist die Bündelungsfunktion von Parteien, die nicht zwangsläufig nachteilig sein muss. Ich darf in diesem Zusammenhang unter Kollegen nur das Stichwort Aufgabe und Rolle von Parteien in unserem Land, Artikel 21 Grundgesetz, nennen.
Ein letztes Argument: Stärkere Personenbezogenheit bei Wahlen – Kollege Felgentreu hat es gesagt – macht dort Sinn, wo die handelnden Personen auch in der Breite bekannt sind. Das ist in kleineren Gebietskörperschaften sicherlich der Fall, diese haben wir so in Berlin nicht. Allein ein Blick auf die in Berlin stattfindenden monatlichen Umfragen zeigt, dass der Bekanntheitsgrad selbst unseres Spitzenpersonals – und damit meine ich das aller hier vertretenen Parteien – sicherlich aufgrund der Besonderheiten der Großstadt nicht allzu stark ausgeprägt ist. Wenn Sie sich beispielsweise meinen Heimatbezirk Mitte anschauen, dann begegnet Ihrer Wahlrechtsänderungsvorstellung besondere Skepsis. Die Verweildauer eines durchschnittlichen Bürgers in Mitte soll ca. vier Jahre betragen. Jemand, der nach Mitte zieht, zieht statistisch gesehen nach vier Jahren aus dem Bezirk Mitte wieder weg. Wenn Sie also am Anfang einer Wahlperiode über vier Jahre kontinuierlich gut arbeiten, dann ist es statistisch gesehen so, dass am nächsten Wahltag der Bürger, der das hätte beurteilen können, bereits weggezogen ist
und nicht mehr in diesem Bezirk beheimatet ist. Das könnte zur Folge haben, dass am Ende nicht Leistung und Qualifikation ausschlaggebend sein könnten, sondern erheblicher finanzieller Einsatz einzelner Kandidaten und/oder kurz vor dem Wahltag – mit dem Ziel des Bekanntwerdens – einsetzender Populismus. Das, verehrter Kollege Jotzo, wird wahrscheinlich auch nicht mehr Demokratie sein.
Insofern darf ich am Ende festhalten: Meine Fraktion kann Ihre Initiative leider nicht unterstützen.
Danke, Herr Präsident! – Meine Frage richtet sich an die Senatorin für Justiz. – Frau Senatorin! Sind dem Senat der Terminsbericht bzw. die Urteilsgründe der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 15. Dezember 2009, Aktenzeichen B 1 AS 1/08 KL – Hintergrund war hier die Klage der Bundesrepublik Deutschland gegen das Land Berlin auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von ca. 47 Millionen Euro wegen unangemessener Unterkunftskosten nach § 22 SGB II – bekannt, wonach das Land Berlin „durch den Erlass der AV Wohnen vorsätzlich und schwerwiegend seine Pflicht verletzt hat“, höherrangiges Recht beim Erlass von Verwaltungsvorschriften zu beachten, und durch dieses offen gesetzwidrige Handeln ein Schaden in Höhe von 13 Millionen Euro verursacht hat, und welche staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang eingeleitet worden?
Frau Senatorin! Warum ist Ihnen das nicht bekannt, wenn man bedenkt, dass ich mit Kleiner Anfrage vom 11. Januar 2010, also vor beinahe neun Wochen, genau eine gleichlautende Frage gestellt habe und Sie diese nicht beantwortet haben, obwohl § 50 Abs. 3 Satz 3 unserer Geschäftsordnung Ihnen eine Beantwortungsfrist von zwei Wochen auferlegt?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber – ich darf hinzufügen –, geschätzter Kollege Behrendt! Ich habe eine harte, aber ehrliche Nachricht oder Mitteilung. Ich habe gerade versucht, das Plenum zu beobachten. Es hat mit Ausnahme des Kollegen Lux keiner mehr zugehört. Das liegt daran, verehrter Kollege Behrendt, dass wir dieses Thema in der Tat schon erschöpfend diskutiert haben und es auch nicht besser, interessanter oder neuwertig wird, wenn man es immer wieder, versteckt in anderen Formulierungen, auf die Tagesordnung hebt. Na gut, also heute mal wieder Heidering. Ich kann mich deshalb in der Tat kurz fassen.
Bitte, Herr Kollege Behrendt!
Lieber Kollege Behrendt! Ich darf Ihre Frage erstens damit beantworten: Der Unterschied ist, wenn wir Themen einbringen, über die nach Ihrer Meinung schon ausreichend gesprochen wurde, hört wenigstens meine eigene Fraktion zu, wenn ich dazu rede.
Ich gebe Ihnen recht, dass man selbstverständlich bei einem Projekt, das ein so großes Volumen hat, etwa 120 Millionen Euro, immer darüber sprechen muss. Das können wir im Rechtsausschuss auch alle zwei Wochen gern tun. Da werden Sie immer meine Offenheit erleben und die Offenheit meiner Fraktion, dieses Projekt auch kritisch zu begleiten. Allerdings ist es doch nicht immer nötig, hier neue Anträge einzubringen.
Lieber Kollege Lux! Ich sage jetzt etwas Gutes zu den Grünen; ein gutes Wort zu Ihrem Antrag. Ich darf kurz mit Erlaubnis des Präsidenten den Absatz 1 Ihrer Begründung zitieren.
Der Versuch des Baus einer neuen Berliner Justizvollzugsanstalt in Großbeeren (Brandenburg) ist seit Jahren eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Nicht nur, dass der Baukostenrahmen von ursprünglich 85 Millionen Euro auf inzwischen exorbitante 118,5 Millionen Euro gestiegen ist, auch der Baubeginn verzögert sich immer wieder. Waren zunächst Altlasten im Boden schuld an der Verzögerung, sind die Bauarbeiten nunmehr wegen eines Rechtsstreits um eine Ausschreibung gestoppt.
Da haben die Grünen vollkommen recht.
Das muss man auch sagen, wenn man über Heidering spricht. Die – neudeutsch gesagt – Performance von RotRot hier in Berlin ist einfach nur peinlich. Kurzer Satz nur: Wir bekamen mit, dass die Vergabekammer entschieden hat; die Senatsverwaltung, also Frau von der Aue, hat immer noch gesagt: Kein Problem, wir werden den Zeitplan einhalten. Die Senatorin für Stadtentwicklung, Frau Junge-Reyer, hatte zwischenzeitlich schon gesagt: Nein, schaffen wir nicht mehr. Das ist einfach nur peinlich, darüber müssen wir gar nicht reden, da haben Sie recht.
Es geht im Übrigen noch weiter. Ein weiteres Musterbeispiel rot-roter länderübergreifender Zusammenarbeit ist doch das Thema Heidering auch. Der jetzt dunkelrote Justizminister in Bandenburg macht ein Angebot zur
Nutzung von Brandenburger Haftraumkapazitäten für Berliner Strafgefangene an seine hellrote Berliner Amtskollegin. Und diese teilt mit, dass sie kein greifbares offizielles Angebot habe und dass das alles sowieso nicht gehe. Das ist eine ganz tolle fachpolitische länderübergreifende Zusammenarbeit zwischen Brüdern und Schwestern im Geiste, ganz toll.
Was stört aber an dem Antrag der Grünen? – Es geht Ihnen offenbar nicht um das ernsthafte Prüfen, sondern es geht Ihnen im Ergebnis, lieber Herr Behrendt, Sie lächeln bestätigend, um das Verhindern von Heidering. Und das nämlich jetzt auch durch die kalte Küche, da Sie im letzten Absatz Ihres Antrags schreiben, sie wollten das geprüft haben als ernsthafte Alternative zum Gefängnisneubau in Großbeeren. Zu dem haben Sie heute auch eine diesbezügliche PE abgegeben. Na ja, liegt vielleicht doch ein bisschen nah beieinander.
Ich sage „durch die kalte Küche abschaffen“ deshalb, weil wir die grundsätzliche Frage der Notwendigkeit des Neubaus dieser Haftanstalt auf und ab diskutiert haben, über viele Jahre hinweg, und vier von fünf Fraktionen in diesem Hause dafür sind. Darum, lieber Herr Behrendt, dürfen Sie in diesem Zusammenhang bitte nicht lobenswertes, nachhaltiges Kämpfen um eine eigene Position und die eigene Unfähigkeit, zu erkennen, dass man sich mit seiner Position nicht durchsetzen konnte, verwechseln. Jedenfalls gilt die Aufforderung, dass man ernsthaft eine Zusammenarbeit mit Brandenburg in puncto Nutzung von Haftraumkapazitäten in Angriff nehmen muss, solange wir Heidering nicht haben. Ich wiederhole meine Forderung, dass Berliner Strafgefangene mit ihrem Einverständnis so lange in Brandenburger Anstalten untergebracht werden sollen, bis im Berliner Vollzug ein in Gänze recht- und verfassungsmäßiger Strafvollzug gewährleistet werden kann. Dass die Senatorin dazu schweigt, ist in der Tat – Herr Behrendt, da haben Sie recht – unverständlich und nicht nachvollziehbar.
Meine Fraktion steht weiterhin zu Heidering. Das Projekt ist notwendig und alternativlos. Natürlich sollen und müssen wir im Rechtsausschuss auf das Angebot des Brandenburger Justizministers Bezug nehmen und uns informieren. Natürlich soll es dort eine anständige rechtliche, tatsächliche, finanzielle Prüfung geben, allein schon deshalb, damit Rot-Rot sich nicht in ein oder zwei Jahren rausreden kann, wenn die Mauern von Heidering schon stehen, 50 Millionen Euro ausgegeben worden sind und man dann sagt: Wir lassen es lieber doch sein, weil wir eine kostengünstigere Alternative hätten. Ich glaube das allerdings nicht. Ich glaube nicht, dass es eine ernsthafte, rechtlich zulässige, wirklich praktikable und kostengünstigere Alternative sein kann. Lassen Sie uns darüber im Rechtsausschuss auf Grundlage einer ordentlichen Prüfung reden. Ich habe dann nämlich die Hoffnung, lieber Kollege Behrendt, dass Sie dann vielleicht auch mal ein Einsehen haben werden. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Kleineidam! Ich könnte mich eigentlich auf Ihre gerade getätigten Aussagen beziehen. Sie haben diesmal ausnahmsweise vollkommen recht. Ich beziehe mich auf das, was ich vor genau zwei Wochen im Plenum an dieser Stelle zu diesem Tagesordnungspunkt und vor acht Tagen im Rechtausschuss dazu gesagt habe. Lieber Herr Schmidt! Neuigkeiten sind seitdem nicht eingetreten – übrigens auch nicht in Ihren Ausführungen. Insofern kann man es kurz halten und sagen: Die besseren Argumente sprechen für die Beibehaltung des Proporz-Bezirksamtes, und deshalb werbe ich für diese Anträge.
Zwei Anmerkungen möchte ich aber doch zu diesen eher unsachlichen Argumenten machen, die die FDP-Fraktion vorträgt. Ein Argument ist, das Proporz-Bezirksamt sei nicht demokratisch. Dann muss ich ja feststellen, dass wir in Berlin über Jahrzehnte einen undemokratischen Zustand auf Bezirksebene hatten,
aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dort einen Aufschrei der Bürgerrechts- und Rechtsstaatspartei FDP gegeben hätte.
Die zweite Anmerkung in dem Zusammenhang kann dann auch nur sein: Verehrter Kollege Schmidt! Rufen Sie bitte
den Verfassungsgerichtshof an! Wenn Sie so davon beeindruckt sind, dass eine Regelung, die wir seit Jahrzehnten praktiziert haben, nunmehr auf einmal undemokratisch ist, dann müssen Sie bitte das Verfassungsgericht bemühen, damit die Bevölkerung davor geschützt wird, dass hier elementare Staatsprinzipien außer Kraft gesetzt werden.
Der zweite Punkt: Wir hören von der FDP, es gehe uns darum, Posten zu sichern.
Dann darf ich uns allen vielleicht kurz vor Augen führen: Vielleicht geht es der Partei, die als einzige im Moment gar keine Bezirksstadträte stellt, eher darum, sich dann für die Zukunft Posten zu sichern. Oder Herr Schmidt?
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Dr. Felgentreu! Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass Geräuschlosigkeit ein Maßstab, ein Kriterium dafür ist, dass Justiz gut funktioniert, dann ist es in Berlin wohl nicht der Fall.
Wir könnten gern eine Presseschau des letzten Jahres machen, na ja.
Was fällt mir sonst spontan ein, wenn ich heute hier über den Einzelplan 06, über Justiz, mit Ihnen reden darf? – Eigentlich nur: ideenlos, planlos, hoffnungslos.
Das ist auch bei den vorherigen Reden zum Ausdruck gekommen. Politik kann in erster Linie über Haushaltspolitik gestalten, Schwerpunkte und Rahmenbedingungen setzen sowie auf Entwicklungen reagieren bzw. Veränderungen nachvollziehen. Wenn das so ist, dann kann das Urteil über den Haushalt von Frau von der Aue nur sein: nicht nur ideenlos, planlos und hoffnungslos, sondern obendrein noch politiklos, aus meiner Sicht gar politikfrei,
frei von jedem gestalterischen Anspruch, ohne Einsicht, ein bloßes von gigantischen Scheuklappen getragenes „Weiter so“.
Sie haben, Frau Senatorin, aus den letzten zwei Jahren nichts gelernt, oder, wofür wohl auch einiges spricht, sich schlichtweg im Senat nicht durchsetzen können. Das ist umso schlimmer, weil die Berliner Justiz angesichts der großen Aufgaben eine starke Lobby bräuchte. Dies muss eine Justizsenatorin sein. Stattdessen deckeln Sie die zum ganz großen Teil berechtigten Anliegen der Mitarbeiter in den Haftanstalten, der Staatsanwälte – Frau Junker lässt grüßen –, der Richterschaft, insbesondere an den Sozi
Dr. Fritz Felgentreu
algerichten, der Rechtspfleger, der Amtsanwälte usw. Wenn das Ihr Amtsverständnis ist, Frau von der Aue – und dies scheint bei diesem Haushalt wieder einmal zum Ausdruck zu kommen –, dann haben Sie Ihren Job gründlich falsch verstanden.
Fünf Minuten Redezeit erlauben mir nur, auf einige Punkte einzugehen. Da müssen natürlich gerade hier in Berlin an erster Stelle die Berliner Haftanstalten stehen. Sie tragen, Frau von der Aue, die Verantwortung dafür, dass man in Tegel und auch anderenorts in anderen Berliner Haftanstalten häufig von Justizmitarbeitern verwaiste Flure vorfindet und die Gefangenen sich schlichtweg selbst überlassen werden. Dies ist eine tickende Zeitbombe, die Sie mit diesem Hauhalt hätten entschärfen können. Sie tun hier nichts. Allein der Verfassungsgerichtshof unseres Landes stoppt das Schlimmste.
Wir leiden an einer extremen Personalknappheit. Der durchschnittliche Krankenstand liegt bei 13 Prozent. Ihr eigenes Kienbaum-Gutachten besagt: Nur sechs bis zehn Prozent der Tätigkeiten der Vollzugsbeamten liegen in der Betreuung der Gefangenen. Nur sechs bis zehn Prozent! Bis zum Jahr 2015 werden 577 Bedienstete in den Ruhestand gegangen sein. Das sind mehr als 20,5 Prozent aller derzeit Bediensteten. Und was tun Sie? – Sie unternehmen nichts. Wenn das so weitergeht, werden wir bald die Situation haben, dass Gefangene auf sich selbst aufpassen müssen.
Der zweite Punkt ist die Fortsetzung Ihrer Maulkorbpolitik. Wir mussten uns in der Vergangenheit mit Ihrem unsäglichen Umgang mit dem verdienten Oberstaatsanwalt Roman Reusch befassen. Nun setzen Sie diesen Umgang mit Ihrer eigenen Genossin, der Oberstaatsanwältin Junker, fort, und das mutmaßlich nur, weil sie in ihrer Eigenschaft als Verbandsvertreterin evident schlechte Arbeitsbedingungen für ihre Kollegen gerügt hat. Auch hier: keinerlei Einsicht.
Der dritte Punkt ist die Hilflosigkeit bei der Unterbindung des Mobilfunkverkehrs in den Haftanstalten. Zuerst mussten wir Sie zum Jagen tragen und zwingen, dass Sie die Grundlagen überhaupt erst dafür schaffen, diesen gefährlichen Mobilfunkverkehr in den Anstalten zu unterbinden. Seitdem passiert nichts. Sie kriegen es einfach nicht hin, nunmehr die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, obwohl Ihnen unionsregierte Länder wie Niedersachsen oder Baden-Württemberg vormachen, wie das gehen kann. Ihr Konzept ist so schlecht, dass Ihr eigener Finanzsenator Ihnen von den 2,5 Millionen Euro, die Sie beantragt haben, schlichte und geradezu lächerliche 300 000 Euro gelassen hat. Das ist ein absoluter Bankrott.
Dieser absolute Bankrott wird eigentlich nur noch davon übertroffen, dass Sie eine absolut peinliche MODESTAPleite hingelegt und zu verantworten haben. Sie haben hier zu verantworten, dass von einer roten Justizverwal
tung mindestens 8,5 Millionen Euro in den Sand gesetzt wurden, auch wenn Ihr Staatssekretär – der öfter mal im Rechtsausschuss als Mathe- oder Lateinlehrer fungiert – uns da etwas anderes vorrechnen wollte. Sie werden im nächsten Rechtsausschuss erklären müssen – gerade vor dem Hintergrund, was wir in der notleidenden Berliner Justiz mit den 8,5 Millionen Euro hätten machen können –, was dort eigentlich passiert ist.
Mein letzter Punkt ist der Aktenstau im Sozialgericht. 17 000 Hartz-IV-Fälle sind in der Warteschleife. Das sind nicht nur 17 000 Akten, Frau von der Aue, sondern das sind 17 000 Menschen, die dahinter stehen und ihre verfassungsrechtlich verankerte Justizgewährleistungspflicht in Anspruch nehmen und aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage in aller Regel dringend auf eine Entscheidung angewiesen sind. Rot-Rot postuliert sonst immer, für die sozial Schwachen da zu sein. Ich frage mich: Wo sind Sie, Frau von der Aue? Angesichts dieser nur wenigen Punkte wird es Sie nicht wundern, wenn wir diesem Einzelplan nicht zustimmen können. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Meine Fraktion spricht sich mit den vorliegenden Anträgen für die Beibehaltung der bisherigen Regelung zur Bildung der Bezirksämter aus und möchte dafür heute die verfassungsrechtliche und auch die einfach-gesetzliche Grundlage schaffen. Kollege Birk hat darauf hingewiesen, dass meine Fraktion dies schon seit langem wollte, und insofern hoffe ich darauf, dass Sie meinen in Ruhe vorzutragenden sachlichen Argumenten, die für die Beibehaltung des proportionalen Bezirksamtes sprechen, Ihre Aufmerksamkeit schenken.
Zunächst hilft ein Blick auf die Rechtsnatur unserer Berliner Bezirke. Diese sind Selbstverwaltungseinheiten Berlins, allerdings ohne eigene Rechtspersönlichkeit, was – wie Sie wissen – dem Stadtstaatenstatus Berlins und dem damit einhergehenden zweistufigen Verwaltungsaufbau – eingeteilt in Haupt- und Bezirksverwaltung – geschuldet ist. Deshalb können die Berliner Bezirke nicht als Gemeinden angesehen werden, denn ihnen fehlt die Rechtsfähigkeit und der Körperschaftsstatus. Wir haben in Berlin keine kommunale Selbstverwaltung, sondern
Thomas Kleineidam
eine Beteiligung der Berliner Bezirke an der Verwaltung nach den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung.
Danke für den Hinweis, Herr Präsident! – Also zum Ergebnis: Wir haben folgende Ausgangslage: Die Rechtsnatur unserer Bezirke besteht darin, dass wir nur eine kommunalähnliche Selbstverwaltung haben. Daraus folgt auch, dass wir im Unterschied zu vielen Flächenstaaten keine Bezirksregierungen haben, sondern ausschließlich Bezirksverwaltungen.
Vor diesem Hintergrund scheint es sachgerecht, alle maßgeblichen politischen Kräfte auf kommunaler Ebene wie bisher nach dem D’Hondt-Verfahren an der Verwaltung des Bezirkes zu beteiligen. Wenn man ein politisches Bezirksamt will – und darüber kann man selbstverständlich reden –, müsste man in einem ersten Schritt den Berliner Verwaltungsaufbau ändern. Man müsste die Bezirke erheblich stärken und sie unabhängiger von der Hauptverwaltung machen. Man müsste also zunächst tatsächlich eine kommunale Selbstverwaltung einführen. Dies kann man wollen. Auch ich wäre dafür offen, dieses zu diskutieren. Solange aber dieser erste Schritt nicht getan ist, kann man nicht den zweiten Schritt gehen und das politische Bezirksamt einführen.
Ein weiterer Punkt, der für die Beibehaltung des bisherigen D’Hondt-Verfahrens bei der Bezirksamtsbildung spricht, ist – wie es auch in der Begründung des Antrags zum Ausdruck kommt – der positive Erfahrungswert. Die Einbeziehung aller maßgeblichen politischen Kräfte hat sich grundsätzlich bewährt, und insofern müsste es starke Argumente geben, die für ein politisches Bezirksamt sprechen. Die habe ich aber bisher nicht gehört.
Schließlich sollten wir uns die politische Realität in unseren Bezirken vor Augen führen. Gerade auf bezirklicher Ebene hat der Dienst am Bürger – die Bürgerfreundlichkeit und die Bürgernähe – im Vordergrund zu stehen. Die bezirkliche Verwaltung ist oft der erste und sicherlich auch der häufigste Anlaufpunkt für die Berliner. Eine Einbindung aller maßgeblichen politischen Kräfte in die Bildung des Bezirksamtes kann damit sicher helfen – gerade durch den damit verbundenen Zwang zur Zusammenarbeit –, dieses Ziel besser zu erreichen. Auch aus meiner eigenen persönlichen Erfahrung in zehn Jahren Kommunalpolitik als Bürgerdeputierter und Bezirksverordneter kann ich sagen, dass eine unnötige Aufteilung der bezirklichen Verwaltung in Regierung und Opposition sicherlich nicht helfen würde, die in unseren Bezirken doch bisher – Gott sei Dank! – öfter gemeinsam fraktionsübergreifend in den Griff genommenen Probleme
sachlich zu lösen. Unabhängig davon wäre es, wie gesagt, auch systemfremd. Das hatte ich eingangs dargelegt.
Abschließend möchte ich festhalten: Auf unserer bezirklichen Ebene gibt es heute schon kaum noch Spielräume. Der absolute Großteil der Verwendung der bezirklichen Mittel ist sowieso vorgegeben. Freiräume für eine effektive politische Schwerpunktsetzung sind eigentlich gar nicht und wenn überhaupt, dann nur kaum vorhanden. Wenn man das sieht, sollte man daran auch ablesen können, dass das gemeinsame Verwalten des Bezirkes im Vordergrund steht – und eben nicht das Regieren nur eines Teils der politischen Kräfte auf kommunaler Ebene. Nach all dem bleibt für mich und meine Fraktion festzuhalten, dass wir uns auch aus diesen Gründen für die Beibehaltung des Proporzbezirksamtes aussprechen müssen.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Meine Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen, wenngleich wir einige Bauschmerzen im Detail haben und es keinen Anlass für die Lobrede gibt, die der
Sven Kohlmeier
Kollege Kohlmeier gerade auf diesen Gesetzentwurf gehalten hat.
Im Grunde – das wissen wir alle – ist es so, dass bei der Normierung des Vollzugs der Untersuchungshaft die besondere Herausforderung darin besteht, einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen. Hier stehen sich nämlich naturgemäß unterschiedliche Interessenlagen gegenüber. Auf der einen Seite müssen wir die Rechte des Beschuldigten sehen, der hier als unschuldig zu gelten hat. Für ihn streitet die Unschuldsvermutung. Auf der anderen Seite steht das berechtigte Interesse des Staates an der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens. Das können Sie auch in den §§ 2 und 4 des Gesetzentwurfs nachlesen. Diese beiden Aspekte, die die Grundbetrachtung rechtfertigen, scheinen im vorliegenden Gesetzentwurf im Großen und Ganzen in Einklang gebracht worden zu sein.
Die Sorge meiner Fraktion bezieht sich vielmehr auf die Umsetzbarkeit und insbesondere auf die Praktikabilität dieses Gesetzentwurfs.
Hier schwingt nämlich die Sorge mit, die wir als Unionsfraktion bei der sozialdemokratischen Justizverwaltung häufig haben müssen, dass wieder einmal in Teilen eine bloße Luftnummer produziert wird: hohe Standards in Gesetzen festschreiben, aber keinen Blick und auch nicht die Möglichkeiten dafür haben, dies dann praktisch umzusetzen.
Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: § 33 des Gesetzentwurfs regelt das Besuchsrecht Untersuchungshaftgefangener. Hier wird eine Verdopplung der Besuchszeiten vorgesehen. Dagegen ist dem Grunde nach überhaupt nichts einzuwenden. Es muss dann aber auch in der Praxis umsetzbar sein. Es bringt meines Erachtens wenig und erscheint mir auch nicht anständig, solche weitreichenden Regelungen zu beschließen, dann aber die Anstalten mit der Frage der Umsetzung allein zu lassen. Eine Verdopplung der Besuchszeiten erfordert nämlich zwingend mehr Personal. Das sollte jedem von uns klar sein. Das liegt auf der Hand. Woher soll jedoch dieses Personal kommen, nachdem Rot-Rot den allgemeinen Vollzugsdienst systematisch kaputtgespart und ausgedünnt hat und sich die Senatorin für Justiz auch im Rahmen dieser Haushaltsberatungen erneut mit ihrer Forderung nach mehr Personal nicht durchsetzen konnte?
Außerdem bringt eine Verdopplung der Besuchszeiten zwingend mit sich, dass auch bauliche Voraussetzungen zu schaffen sind, die diesem Mehrbedarf Rechnung tragen. Jedenfalls in der Jugendstrafanstalt – dort habe ich mir einen eigenen Eindruck verschafft – sind diese räumlichen Möglichkeiten jetzt schon nicht gegeben. Das heißt also, ab 1. Januar nächsten Jahres – in wenigen Wochen – werden wir eine Rechtslage haben, die schlichtweg so nicht umsetzbar sein wird.
Darüber hinaus muss man, wenn man in der heutigen Zeit über die Untersuchungshaft spricht, auch auf einen weiteren traurigen Punkt eingehen. Der Kollege Kohlmeier hat den entsprechenden Paragrafen – § 5 Absatz 1 Satz 3 – angesprochen, der regelt: Besonderes Augenmerk ist auf die Verhütung von Selbsttötungen zu legen. Wir alle wissen von der besorgniserregenden Häufung von Suiziden in der Untersuchungshaft. Allein in den letzten knapp vier Wochen gab es drei aufsehenerregende Fälle von Suiziden. Hier wird der Rechtsausschuss überprüfen müssen, ob dieser gerade zitierte gesetzgeberische Anspruch in der Praxis auch seine adäquate Umsetzung erfährt.
Insgesamt stimmen wir trotz dieser soeben kursorisch genannten Bedenken diesem Gesetzentwurf zu, weil der Vollzug der Untersuchungshaft auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden muss, damit auch ab Januar nächsten Jahres eine Rechtsgrundlage für die auch in der Untersuchungshaft erforderlichen grundrechtsrelevanten Eingriffe gegeben ist. Details werden sicher nachzubessern sein. Das wird die Vollzugspraxis zeigen, die wir im Auge zu behalten haben. Außerdem werden wir weiter darauf drängen, dass die Standards, die hier ins Gesetz geschrieben sind, durch die zuständige Senatsverwaltung auch eingehalten werden bzw. deren Einhaltung durch die dafür zuständigen Stellen auch ermöglicht wird. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das waren ja kurze Kurzinterventionen! – Lieber Herr Behrendt! Natürlich gehört die Debatte in das Plenum, dafür ist es da. Das ist auch gut und richtig. Allerdings wissen alle, dass alle Heidering wollen – mit Ausnahme der Grünen. Das ist seit Langem bekannt. Wir haben es x-mal im Rechtsausschuss diskutiert, und wir haben es x-mal in diesem Rahmen diskutiert. Wenn ich nach oben schaue, habe ich die Freude, einen Wachtmeister und Herrn Abou zu begrüßen. Die Kameras stehen beiseite. Die Hälfte des Hohen Hauses ist nicht mehr da und hört nicht mehr zu. Also stelle ich mir die Frage: Wozu dient das hier?
Ich kann nur mutmaßen, lieber Herr Behrendt, dass das etwas mit Profilierungsdruck zu tun hat. Wahrscheinlich müssen Sie in Ihrer Kreuzberger Basis kurz vor der Sommerpause abliefern: Ich habe 17-mal im Parlament geredet und alleine die Fahne der Grünen hochgehalten. Ich sage Ihnen: Sie isolieren sich damit nicht nur inhaltlich, sondern auch, was die Frage des gemeinsamen parlamentarischen Umgangs angeht.
Aber zur Sache! Wir brauchen Heidering. Das kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Der Berliner Strafvollzug krankt an vielen Stellen. Ein wesentliches Problem ist die chronische Überbelegung mit all den schädlichen Folgen für den hohen Anspruch der Resozialisierung. Und gerade auch mit Blick auf unser Justizpersonal, das einen schweren Job zu verrichten hat, muss man sagen, dass moderner Strafvollzug des 21. Jahrhunderts allein schon rein baulich gesehen nur schwer in Gebäuden des 19. Jahrhunderts vollzogen werden kann.
Ich will den Antrag kurz zum Anlass nehmen, um meiner Sorge Ausdruck zu verleihen, dass die geplante Inbetriebnahme von Heidering angesichts der bekannten Reibungsverluste zwischen Stadtentwicklungsverwaltung und Justizverwaltung noch verzögert werden könnte.
Das wäre nicht gut, weil wir Heidering dringend brauchen.
Auch die skandalöse Kostenexplosion – da sind wir gar nicht weit auseinander – ist nicht in Ordnung. Das kann man sicherlich kritisieren. Da muss man der Senatsverwaltung auch peinliche Planungsfehler in der Anfangsphase attestieren. Das kann aber nicht dazu führen, dass man dieses notwendige Projekt beerdigt.
Verehrte Kollegen der Grünen! Lieber Herr Behrendt! Dieser Antrag offenbart ganz klar eine Janusköpfigkeit. Kollege Kohlmeier hat es zum Ausdruck gebracht. In puncto Strafvollzug sagen Sie auf der einen Seite, dass
Sven Kohlmeier
wir eine massive Überbelegung haben. Das kritisieren Sie, seitdem ich hier dabei sein darf. Damit haben Sie im Großen und Ganzen auch recht. Auf der anderen Seite stellen Sie sich aber der einzigen Maßnahme entgegen, die spürbar Entlastung bringen könnte. – Herr Kollege Lux! Wir haben uns gerade in Leoben eine Haftanstalt angeschaut, an der Heidering sich ein bisschen orientieren wird. Wenn Sie sich die Pläne von Heidering anschauen, auch mit Blick nach Leoben, werden Sie feststellen können, dass – überspitzt gesagt – einiges für Hotel und nicht für Strafvollzug sprechen wird, was in Heidering realisiert werden wird. Das müsste doch eigentlich eine Einrichtung ganz nach Ihrem grünen Geschmack werden! Da sollten Sie sich doch freuen! Das ist moderner grüner Strafvollzug.
Peinlich, lieber Her Behrendt, wird es, wenn man hört und liest, welche Alternativvorschläge Sie zum Bau dieser Haftanstalt haben.
Sie schreiben in Ihrer Antragsbegründung, es gebe bei den Inhaftiertenzahlen eine leichte Rückläufigkeit. Herr Behrendt sagt sogar, es gebe eine Entspannung bei der Belegungssituation. Das ist ein ganz neuer Ton von den Grünen, den ich erstmals in diesem Antrag vernommen habe. Im Ausschuss und sonst haben Sie immer anderes behauptet. Anders ist im Übrigen auch die Vollzugsrealität bei uns in der Stadt. Lieber Herr Behrendt, Sie sind ja ein fleißiger Kollege! Die Mittwochszahlen von gestern, Sie haben Sie bestimmt gelesen – ich mache ganz schnell: JVA Moabit 103 Prozent Belegung; JVA Tegel 103 Prozent; JVA Plötzensee 112 Prozent Belegung; JVA Charlottenburg 106 Prozent Belegung; die Summe im geschlossenen Männervollzug – ich kürze ab: 104 Prozent. Das ist eine Überbelegung, wie wir sie seit Jahren in unserer Stadt haben.
Dann, meine lieben Grünen, lese ich auf Ihrer Homepage, was Sie über Strafvollzug denken. Artikel vom 28. November 2008:
Es fehlt an finanziellen und räumlichen Ressourcen.
Auch ein neues U-Haft-Gesetz wird dem nur begrenzt abhelfen können, denn für eine Ausweitung der Besuchszeit oder eine verbesserte Regelung des Paketempfangs ist nicht genügend Personal vorhanden. Zudem ist die Haftanstalt überbelegt. Es fehlt an Zellen und Räumlichkeiten, der Bau ist sanierungsbedürftig.
Hallo! Was passt denn hier zusammen?
Das passt doch mit Ihrer beinahe schon peinlichen Ablehnung von Heidering überhaupt nicht zusammen!
Herr Präsident! Sie erlauben mir, meinen geschätzten Kollegen noch einen letzten Knaller grüner Dialektik zu Gehör zu geben.
Herr Behrendt hat im Rechtsausschuss gemerkt, dass diese pauschale Ablehnung des Neubaus von Heidering ein bisschen unglaubwürdig ist. Darum hat er sich Gedanken gemacht, wie wir die Belegungssituation in der Haft entspannen können und hat in der 40. Sitzung des Rechtsausschusses gesagt: Hohes Alter sollte doch per se einen Haftunfähigkeitsgrund darstellen. – Ganz toller Gedanke! Ich glaube auch nicht, dass er das ernst gemeint hat. Das würde doch bedeuten, nähme man diesen Vorschlag von Herrn Behrendt ernst, –
würde bei einer willkürlich gesetzten Altersgrenze – –
Dann ende ich, Herr Präsident, und wünsche uns allen eine schöne Sommerpause.
Danke, Herr Präsident! – Meine Frage richtet sich an die Senatorin für Justiz. – Frau von der Aue! Wie erklären Sie sich den Fund eines halben Kilogramms Haschisch, das nach Medienberichten am 4. Dezember 2008 zwischen dem Sicherheitszaun und der Teilanstalt V E in der JVA Tegel gefunden wurde? Wie ordnen Sie diesen Vorfall ein? Und wie bewerten Sie ihn? Was planen Sie konkret, um künftig solche Vorfälle zu verhindern?
Frau Senatorin! Eine Nachfrage: Ich habe Sie eben richtig verstanden, dass in der JVA Tegel keine weiteren Maßnahmen geplant sind?
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich müsste eigentlich den Präsidenten und Sie um etwa vier Stunden Redezeit bitten, um mit diesen Halbwahrheiten und der Angstmacherei aufzuräumen, die hier betrieben werden, die von den SPD-geführten Ländern seit einigen Wochen über die Medien betrieben werden.
Ich muss der FDP danken. Der FDP ist zu danken, dass sie dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat, weil es nicht angehen kann, dass Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hiermit einfach so durchkommen,
dass der SPD-Innensenator, der heute bedauerlicherweise nicht hier sein kann, und unsere Justizsenatorin per gemeinsamer Presseerklärung vom 10. November 2008 mitteilen, das Gesetz sei nicht zustimmungsfähig.
Das ist eine Posse. Jeder, der heute zum BKA-Gesetzentwurf spricht, muss darauf hinweisen, denn etwa zwei Jahre hat die große Koalition aus Union und SPD im Bund über diesen Gesetzentwurf beraten.
Ich will Ihnen noch ein paar andere Zahlen nennen: Bereits im Koalitionsvertrag von Union und SPD im Jahr 2005 stand geschrieben, dass man dem BKA präventive Befugnisse zur Terrorbekämpfung einräumen will. Dann wurden grundgesetzliche Kompetenzen durch die Föderalismuskommission I geschaffen, durch die klargelegt worden ist, dass das BKA in diesem Bereich tätig werden
soll. Jetzt fällt der SPD ein, dass dies doch nicht geht. Ich empfinde das als staatspolitisch unverantwortlich.
Ohne auf aktuelle Ereignisse eingehen zu wollen, denke ich, dass wir nicht die Zeit haben, weitere Verzögerungen zu akzeptieren. Es ist aus meiner Sicht angesichts des allgegenwärtigen internationalen Terrorismus unverantwortlich, hier eine Verzögerung zu betreiben.
Ein Gesetz, liebe Damen und Herren der SPD, an dem zwei Jahre gemeinsam gearbeitet wurde, jetzt zu blockieren, das bedeutet nicht nur, dass Sie Ihren eigenen Genossen in den Rücken fallen, sondern es stellt gerade angesichts der Vorgeschichte eine aus meiner Sicht kaum noch vertretbare Verzögerung dar.
Wollen wir einmal betrachten, wie andere das beurteilen, nicht wie der Christdemokrat Sven Rissmann das sieht, sondern was zum Beispiel Ihr SPD-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, Herr Peter Struck, dazu sagt – er darf bald gehen, er will nicht mehr in den Bundestag und kann sich insofern vielleicht etwas offener äußern. Er sagt: Das Gesetz ist gut. Es trägt sozialdemokratische Handschrift. – Er sagt weiter, das Nein zu diesem Gesetzentwurf im Bundesrat ist ärgerlich und unbegründet. Die Kritik an den neuen Kompetenzen des BKA ist eher emotional als rational.
Heute nicht, lieber Herr Kohlmeier! Ich möchte diesmal gern im Zusammenhang sprechen.
Das können Sie auch in der „Berliner Zeitung“ nachlesen. Lesen bildet bekanntermaßen.
Was sagt der Präsident des BKA, Herr Jörg Ziercke? – Er warnt: Weitere Kompromisse, gerade bei der Onlinedurchsuchung, würden das Instrument im Grunde unbrauchbar machen. – Was sagen Sie dazu, meine Damen und Herren von der SPD? Hat er unrecht? Was sagt Ihre Bundestagsfraktion in ihrer Gesamtheit dazu? Auf ihrer Homepage steht unter dem Datum vom 14. November 2008:
Die Entscheidung, dem BKA in bestimmten Fällen im Bereich des internationalen Terrorismus die Kompetenz zur Gefahrenabwehr einzuräumen, wurde im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes umgesetzt. Insgesamt sind wir auch beim BKA-Gesetz unserer Linie der Sicherheitspolitik mit Augenmaß treu geblieben. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit bleibt gewahrt.
Dem kann ich eigentlich kaum etwas hinzufügen!
Irrt sich Ihre Bundestagsfraktion? Und was heißt dies eigentlich im Umkehrschluss, lieber Herr Kohlmeier, wenn Ihre Bundestagsfraktion sagt, diese Entscheidung sei im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes getroffen worden, für die Politik dieses Senats? Denken Sie einmal darüber nach!
Ich kritisiere nicht, dass die SPD ein peinliches Schauspiel bietet. Ich habe ein wenig Mitleid, das Ihr Selbstzerlegungsprozess noch nicht aufgehört hat. Machen Sie ruhig weiter, das kritisiere ich nicht!
Ich kritisiere, dass Sie wertvolle Zeit verspielen, und ich erlaube mir, den Innensenator und die Kollegen der SPD daran zu erinnern, dass für den Fall der Verhinderung des BKA-Gesetzes durch die Länder diese für die Abwehr von Gefahren aus dem Bereich des internationalen Terrorismus zuständig bleiben. Ich frage Sie: Können Sie und wollen Sie diese Verantwortung tragen?
Wollen Sie darauf beharren? Ist es nicht vielmehr so, dass § 4a des BKA-Gesetzentwurfes deutlich festlegt, dass das BKA lediglich – nur und von vornherein – auf die Fälle terroristischer Gefahrenabwehr beschränkt wird?
Meine Damen und Herren von der SPD! Ich ermahne Sie, unsere Freiheitsrechte, die Freiheitsrechte unseres Rechtsstaates, brauchen den Schutz durch den Rechtsstaat, wenn sie dauerhaft Bestand haben sollen. Liebe Sozialdemokraten! Da ist ein solches Gesetz besser, als – wie der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily es tat – Onlinedurchsuchungen ohne jede gesetzliche Grundlage durchzuführen. Ich appelliere an alle: Es gibt eine gemeinsame Verantwortung –
des Bundes und der Länder für die Sicherheit in unserem Land. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie diese Verantwortung wahr!
Frau Präsidentin! Verehrten Damen! Meine Herren! Lieber Herr Kollege Kohlmeier! Sie haben wieder einmal meine Erwartungen und mutmaßlich die Erwartungen derer, die Sie aus gewohnter Übung im Rechtsausschuss kennen und erleben, voll erfüllt. Sie haben den Staatsauftrag übererfüllt. Schönreden, Dinge gutheißen bzw. sich mit der plumpen Argumentation, das sei früher alles auch schon so und schlechter gewesen, damit kommen Sie hier nicht durch. Sie haben hier geredet, aber nicht verstanden,
denn Sie lehnen Dinge ab, die wir gar nicht beantragt haben. Insofern hätte ich mich gefreut, wenn Sie die vielfachen Beratungen, die wir zu unserem Antrag hatten, genutzt hätten, um zu sehen, was wir wirklich beantragen. Darauf gehe ich später ein.
Wir müssen heute wieder einmal über Justiz und Strafvollzug sprechen, und das leider berechtigterweise. Allein die Fülle der heute hier zu behandelnden Anträge – es sind vier – zum Thema Strafvollzug in Berlin zeigt, dass trotz gegenteiliger Beteuerungen von der Senatorin für Justiz die Dinge weiter im Argen liegen, weiterhin erheblicher Handlungsbedarf besteht und trotz der Diskussion, die wir in Berlin seit vielen Monaten führen, keine Besserung eingetreten ist. Der Vertreter der PDS im Rechtsausschuss
Verzeihung, der Vertreter der SED im Rechtsausschuss, wenn Ihnen das besser gefällt –
zeigt sich bei den letzten Beratungen zum Strafvollzug immer genervt und weist darauf hin, er habe keine Lust mehr und wolle darüber nicht mehr sprechen.
Die SPD taucht bei diesen Fragestellungen im Rechtsausschuss grundsätzlich ab oder macht es so, wie es der Kollege Kohlmeier hier gerade getan hat, erzählt, alles sei schön, von rosaroten Elefanten oder von heiler Welt, oder sagt, es sei schon immer schlecht gewesen.
Das ist schon traurig, wenn man feststellen muss, dass sich die Regierungskoalition ausschließlich auf das Schönreden von Problemen beschränkt und damit ihren parlamentarischen Auftrag als verwirklicht ansieht.
Das, was ich gerade beschrieben habe, findet seine Bestätigung in den heutigen Anträgen der drei Oppositionsfraktionen dieses Hauses. Denn nur die Opposition beschäftigt sich mit den Problemen im Strafvollzug, die Regierungskoalition ist für Aussitzen. Ich sehe keine Beteiligung bei diesen Fragestellungen.
Es ist bemerkenswert, wie Sie versuchen, mich zu stören. Das beeindruckt mich wenig, deutet aber darauf hin, welches parlamentarische Verständnis Sie haben.
Wenn Sie sich sachlich daran beteiligen wollen, drücken Sie auf Ihr Knöpfchen,
Sie können eine Zwischenfrage stellen, aber stören Sie doch nicht durch diese plumpen Zwischenrufe!
Von Herrn Kohlmeier? – Bitte!
Ich kann bestätigen, dass wir momentan eine leichte Verbesserung bei der Überbelegungssituation haben,
was nichts daran ändert, dass wir weiterhin eine Überbelegung haben. Wenn Sie stolz darauf sind, dass sich die Überbelegung von etwa 115 oder 120 Prozent
auf meinetwegen 103 Prozent im Moment abgesenkt hat, dann herzlichen Glückwunsch, wenn Sie damit zufrieden sind und dieses Ergebnis offenbar konservieren wollen.
Ich möchte etwas zu den einzelnen Anträgen sagen,
oder zuerst noch etwas zu Heidering. Sie haben vollkommen recht, Heidering ist beschlossen worden. Dafür haben Sie aber sechs Jahre Regierungszeit gebraucht, um etwas, was seit Jahren dringend notwendig und für jeden erkennbar notwendig war, zu beschließen, sechs Jahre, um Ihre internen Streitigkeiten beizulegen. Herzlichen Glückwunsch dazu, wenn Ihr Regierungshandeln diese Zeitdauer erfordert, um sachlich nötige Beschlüsse zu vollziehen!
Die FDP greift das Problem der chronischen Überbelegung im Strafvollzug in zwei Anträge auf, die bereits angesprochen wurden. Das Motto des Senats bei dieser Mehrfachbelegung ist offensichtlich, wie die Zwischenfrage von Herrn Kohlmeier es gerade deutlich machte, der
Verweis auf den Neubau Heidering. Wir als Union haben uns immer dafür eingesetzt, dass wir diese neue Vollzugsanstalt in Großbeeren-Heidering brauchen. Ich habe das bereits ausgeführt. Aber im Jahr 2008 bei der Problematisierung der Frage der Überbelegung im Strafvollzug darauf zu verweisen, dass wir im Jahr 2011, 2012 oder bei der Unfähigkeit dieses Senats wahrscheinlich deutlich später eine zusätzliche Haftanstalt haben wollen, ist eine Kapitulation Ihrerseits, weil Sie damit bereit sind, die Überbelegung für die nächsten vier, fünf oder sechs Jahre, wie lange es immer dauern wird, bis Sie die Haftanstalt umgesetzt haben werden, zu konservieren. Das ist inakzeptabel. Das werden wir nicht mitmachen.
Die FDP zeigt zwei denkbare Wege, zum einen die Schaffung von Vollzugsgemeinschaften mit anderen Bundesländern und die Möglichkeit der Haftverbüßung im Heimatland. Man muss sagen, dass es dank des permanenten Thematisierens des Problems durch die Opposition gelungen ist, dass das Instrument der Vollzugsgemeinschaften stärker zur Anwendung kommt. Aber auch da gibt es ganz sicher weiteren Nachholbedarf.
Die Haftverbüßung im Heimatland ist etwas, das sich schon anders darstellt. Da besteht immer noch ganz erheblicher Nachholbedarf. Wir haben einen Ausländeranteil von etwa 40 Prozent – –
Meine Redezeit ist beendet. – Letzter Satz:
Wir haben etwa 40 Prozent Ausländeranteil bei den Berliner Strafgefangenen; im letzten Jahr wurden meines Wissens drei zur Strafverbüßung in ihr Heimatland überstellt. Da drängt sich der Verdacht auf, dass von diesem Instrument nicht mit dem nötigen Nachdruck Gebrauch gemacht wird. – Ich belasse es dabei, bedanke mich für Ihre geteilte Aufmerksamkeit. Vielen Dank!
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Frau von der Aue! Sie entwickeln sich zu einem Dauerbrenner für Aktuelle Stunden in diesem Haus. Vor der Sommerpause mussten wir an dieser Stelle unter der Überschrift „Pleiten, Pech und Pannen – Maulkord statt schonungsloser Problemanalyse in der Berliner Justiz“ mit Ihrem völlig überzogenen Umgang mit den Äußerungen eines Berliner Oberstaatsanwalts ins Gericht gehen. Schon damals stand nicht nur dieser Punkt bei uns im Fokus, sondern auch Ihre bis dahin gebotene Pleitenserie. Jetzt, nach der Sommerpause, müssen wir nicht nur erneut zu dem Instrument der Aktuellen Stunde greifen, um Sie zum Jagen zu tragen, sondern mittlerweile ist auch allen klar geworden, dass Ihre offensichtliche Überforderung im Amt weitaus größere Ausmaße hat, als bisher angenommen.
Wie so oft mussten wir aus den Medien erfahren, dass die Jugendstrafanstalt Plötzensee, ein Ort, der eigentlich der Erziehung junger Menschen dienen soll, zu einem Drogensumpf verkommen ist,
wo Handys, Döner und andere Dinge über die Mauer fliegen und ein Regime von Gewalt unter den Häftlingen herrscht. Das hat Jugendrichter und Staatsanwälte dazu veranlasst, medienöffentlich mitzuteilen, dass sie ernsthaft prüfen, ob sie Jugendliche überhaupt noch in diese Jugendstrafanstalt schicken können. Sie befürchten, dass diese mit mehr kriminellen Erfahrungen herauskommen, als sie hineingeschickt wurden.
Es ist schwierig, Frau von der Aue, eine ordentliche Chronologie zu erstellen, da Sie bisher jede Gelegenheit verpasst haben, einen Sachverhalt abzuliefern, der beständig ist und auf dessen Grundlage man eine belastbare Bewertung der Vorgänge ausführen kann. Aber nach dem, was Sie uns bisher kursorisch mitgeteilt haben, wissen wir, dass Sie im Frühjahr, wohl im März, erfahren haben, dass eine an das Gelände der Jugendstrafanstalt Plötzensee angrenzende Laubenkolonie zum Stützpunkt von Drogendealern verkommen ist, von dem aus diese in schöner Regelmäßigkeit Drogen in die Jugendstrafanstalt befördern. Dass auch Waffen und andere gefährliche Gegenstände dabei waren, wissen Sie nicht, können Sie nicht ausschließen.
Und nun nimmt eine unglaubliche Posse ihren Lauf. Ihr Amtsschimmel, Frau von der Aue, wiehert verzagt. Man handelt sofort – das sagen nur Sie –, indem man Fenstergitter bestellen will. Das dauert dann etliche Monate. Vor Ort, in der Jugendstrafanstalt Plötzensee, passiert nichts. Der Drogen- und Handyhandel nimmt ungebremst seinen Lauf. Angesichts dieser Tatsache ist es im höchsten Maße lächerlich, wenn Sie sagen, Sie hätten sofort gehandelt.
Erst als Ende August, Anfang September die Öffentlichkeit durch Medienberichterstattungen in Sorge gerät und Druck auf Sie ausgeübt wird, nehmen Sie Kontakt zum Innensenator und zur Berliner Polizei auf, um etwas zu unternehmen. Sie verkünden dann Sofortmaßnahmen: Streifengänge der Polizei und Videoüberwachung. Warum Sie diese Maßnahmen nicht schon sechs Monate zuvor angeordnet haben, bleibt allein Ihr Geheimnis.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Rolle der Innensenator und die Berliner Polizei in diesem Zusammenhang gespielt haben. Das ist aber nicht das Thema der heutigen Aktuellen Stunde. Insofern werfe ich nur die Frage in den Raum, warum die Polizei nicht von sich aus gehandelt hat. Man sollte davon ausgehen, dass eine Strafanstalt ein sicherheitsrelevanter Bereich ist. Es gab auch Anzeigen und Meldungen der besorgten Kleingärtner.
Grundsätzlich stelle ich klar: Uns allen ist bewusst, dass es im Justizvollzug zu Fluchten, zu Drogenhandel und zu anderen Fehlerscheinungen kommen kann und auch kommt. Das ist auch nicht das Thema, um das es geht. Das Thema ist, wie Sie damit umgehen, Frau von der Aue.
Deswegen ist es auch nicht das übliche Ritual, das die Opposition betreibt,
wie es die Regierungskoalition behauptetet hat und wahrscheinlich gleich wieder behaupten wird, weil sie sehr berechenbar ist. Es geht hier um Ihr Krisenmanagement, Frau von der Aue, es geht um Ihre Informationspolitik, Ihr Problembewusstsein und letztendlich im Kern um Ihre
Eignung, einer so wichtigen und von Rot-Rot so vernachlässigten Behörde vorzustehen.
Schon in der Vergangenheit sind Sie, Frau von der Aue, durch Deckelung, Verharmlosung und Leugnung von Problemen aufgefallen: Veröffentlichungsverbot von Suiziden in den Haftanstalten, Maulkorb für die Staatsanwaltschaft und dergleichen mehr. Diese Mittel sind nicht nur zweifelhaft, sie sind nach meiner festen Überzeugung auch vollkommen untauglich, die krisengeschüttelte Berliner Justiz in den Griff zu bekommen. Warum haben Sie, Frau von der Aue, den Rechtssausschuss anlässlich seines Besuchs in der JSA Plötzensee am 9. Mai 2007, also zwei Monate, nachdem Sie mutmaßlich Kenntnis von den Geschehnissen in der JSA Plötzensee hatten, nicht informiert?
Warum behaupten Sie jetzt noch, im März sofort gehandelt zu haben, obwohl selbst der SDP-Landes- und Fraktionsvorsitzende, Herr Müller, sich mit der Aussage zitieren lässt:
Es ist nicht akzeptabel, dass es von Frühjahr bis Herbst braucht, bis neue Fenstergitter an den Zellen angebracht sind. Bei einem solchen Problem ist das einfach zu langsam.
Noch besser sind SPD und Linke in diesem Haus. Sie haben ihre Aktuelle Stunde heute unter die Überschrift gestellt „Situation in der Jugendstrafanstalt Plötzensee – Sicherungs- und Schutzmaßnahmen zügig umsetzen“.
Das impliziert wohl Unzufriedenheit, impliziert, dass selbst die eigene Regierungskoalition mit Ihnen nicht mehr zufrieden ist. Besser spät als gar nicht!
Ich sage, ohne Prophet zu sein, Frau von der Aue: Das Eis für Sie wird dünn. Warum haben Sie die Berliner Polizei erst am 3. September 2007 über die Vorkommnisse informiert, wie es jedenfalls der Polizeipräsident, Herr Glietsch, sagt? Was haben Sie dem Regierenden Bürgermeister erzählt, dass dieser zu der vollkommenen Fehleinschätzung gelangt, ich zitiere:
Man hat reagiert, die Videokontrollen und Wachen verschärft, es ist nicht nichts getan worden.
Wobei Sie, Frau von der Aue, aber am selben Tag sagten:
Seit März haben wir an der Videoüberwachung nichts geändert. Wir überlegen, ob wir einen weiteren Posten einsetzen.
Sie nennen das Missverständnis. Ich frage Sie: Hat Herr Wowereit nicht zugehört, oder haben Sie ihn falsch informiert?
Nur eines von beiden kann es sein.
Wie können Sie, Frau von der Aue, sich in der letzten Woche im Rechtsausschuss zu der Aussage versteifen, sofern Sie nicht unter Realitätsverlust leiden, dass es in Berlin einen guten Strafvollzug gebe? Angesichts des jüngsten Justizskandals, der in weiten oder jedenfalls nennenswerten Teilen verfassungswidrigen Überbelegungen und der Gewalt in unseren Haftanstalten weiß man nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll, wenn man das von Ihnen hört.