Meine Damen und Herren! Zu Beginn der heutigen Plenarsitzung habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie alle, sich zu erheben.
Am 21. Mai 2011 ist der ehemalige Abgeordnete und Senator Horst Wagner im Alter von 80 Jahren verstorben. Mit Horst Wagner verliert Berlin einen engagierten und mutigen Gewerkschafter und Politiker, der über 40 Jahre in der Landes- und Kommunalpolitik die Geschicke unserer Stadt mitgestaltet hat.
Horst Wagner wurde am 21. April 1931 in Berlin auf dem Wedding geboren. Nach Abschluss der Volksschule absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum Industriekaufmann in einem Berliner Metallbetrieb. Zusammen mit seiner Frau zog er drei Söhne groß.
Noch als Lehrling trat Horst Wagner 1947 in die Industriegewerkschaft Metall ein. Damals war er der jüngste hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionär. In der Zeit, als die Stadt gespalten wurde, arbeitete er in der Unabhängigen Gewerkschaftsopposition UGO mit. Neun Jahre lang, von 1980 bis 1989, leitete er als Erster Bevollmächtigter die Verwaltungsstelle Berlin der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland. Ein Jahrzehnt lang war Horst Wagner Chef der Metallarbeiter im alten West-Berlin. Er gehörte zu den großen Persönlichkeiten der Gewerkschaftsbewegung in unserer Stadt. Für seine Gewerkschaft saß er im Aufsichtsrat von Siemens, Osram, der Neuen Heimat und von Orenstein & Koppel. Er hat die Substanz der Metallindustrie in West-Berlin gegen drohenden Schwund durch Wegzug und Schließung verteidigt – zusammen mit dem Senat und dem Abgeordnetenhaus. Er nannte diese Form der Kooperation intelligente Interessenvertretung für die Arbeitnehmer, und das war es ja auch. Für seine langjährige engagierte Gewerkschaftsarbeit wurde er anlässlich seines 40-jährigen Dienstjubiläums mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
In der freien Gewerkschaftsbewegung, die in den Jahren nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg wieder entstanden war, galt die besondere Aufmerksamkeit von Horst Wagner den jungen Menschen. Aktive Jugendarbeit war für ihn unverzichtbarer Bestandteil des Prozesses der Demokratisierung in Deutschland. Damit verband er immer auch den Gedanken der Aussöhnung mit den Menschen in Israel und den Völkern Osteuropas. Dafür organisierte er Reisen und Begegnungen als Jugendvertreter und Gewerkschafter.
Nach der Wende wurde Horst Wagner am 9. Oktober 1990 zum Leiter des neu gegründeten IG-MetallBezirks Berlin-Brandenburg bestellt. Horst Wagner arbeitete im Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Metall
genauso wie im Landesbezirksvorstand Berlin des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mit großem Enthusiasmus engagierte er sich auch im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
Eine klare wirtschaftspolitische Linie und die Vertretung einer allgemeinen wirtschafts-politischen Position führten ihn als Arbeitnehmervertreter zwangsläufig in die Politik. Schon 1950 trat er in die SPD ein. Von Juni 1981 an bis 1991 gehörte er als Mitglied der SPD-Fraktion dem Abgeordnetenhaus von Berlin an. Während seiner Parlamentszugehörigkeit setzte Horst Wagner sich besonders für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. Er war stolz darauf, und die damalige SPD-Fraktion war auch stolz darauf, ihn als Gewerkschafter in ihren Reihen zu haben. Er vertrat seine Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft als wirtschaftspolitischer Sprecher. Von 1983 bis 1989 war Horst Wagner stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, und ab 1979 war er auch Mitglied im Landesvorstand der Berliner SPD.
1989 holte der damalige Regierende Bürgermeister Horst Wagner als Senator für Arbeit, Verkehr und Betriebe in den rot-grünen Senat. Für die Umsetzung des rot-grünen Verkehrsprogramms brauchte Horst Wagner starke Nerven. Was damals noch hoch umstritten war: Tempo 100 auf der Avus, Tempo 30 im Wohngebiet sowie die Einführung von Busspuren, ist heute ganz selbstverständlich. Die Wiederverknüpfung des Verkehrsnetzes und die Zusammenarbeit mit den Ostberliner Eigenbetrieben waren nach der Öffnung der Mauer große Aufgaben, die Horst Wagner tatkräftig anging und auch erfolgreich bewältigte.
In seine Amtszeit als Senator fiel die Entwicklung des arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramms für Berlin.
Horst Wagner war auch ein Freund und Förderer der Kunst. Er gründete 1963 zusammen mit Jule Hammer, Günter Grass und Wolfgang Neuss den Förderkreis „Haus am Lützowplatz“. Als Vorsitzender dieser Kunstinstitution hat er sich auch im Ruhestand jahrelang für eine Symbiose von Kunst, Politik und Arbeitnehmern engagiert.
Humorvoll, schlagfertig, hart in der Sache und zuverlässig – das zeichnete Horst Wagner aus! Selbst seine politischen Gegner wussten seine Offenheit und Gradlinigkeit zu schätzen.
Wir nehmen Abschied von unserem ehemaligen Kollegen Horst Wagner und gedenken seiner mit Hochachtung.
Die 83. Sitzung habe ich schon eröffnet. Ich begrüße Sie alle, begrüße unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich. Unter den Gästen begrüße ich zum einen eine Delegation der Christlich Demokratischen Union Chiles unter Leitung ihres Vorsitzenden. – Herzlich willkommen in Berlin!
Dann begrüße ich Gäste aus dem Stadtparlament unserer Partnerstadt Budapest von der Grünen-Fraktion, die uns ebenfalls herzlich willkommen sind. – Herzlich willkommen in Berlin!
Zuerst geht es wieder um Geschäftliches, und zwar sind fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen.
1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Ein Jahr Berliner Vergabegesetz – mit öffentlicher Auftragsvergabe Lohndumping verhindern“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Polizei kaputtgespart, leere Versprechungen zur ÖPNVSicherheit, brennende Autos: Das ist das sichere Berlin von Klaus Wowereit!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Rot-Rot lässt Kinder und Familien im Stich – Bildungspaket muss endlich bei ihnen ankommen“,
4. Antrag der Linksfraktion zum Thema: „Ein Jahr Berliner Vergabegesetz – mit öffentlicher Auftragsvergabe Lohndumping verhindern“,
5. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-rote Wirtschaftspolitik verursacht schwere Hypothek für Berlin bis ins Jahr 2030 – Berlin braucht jetzt liberale Rahmenbedingungen statt immer mehr Verschuldung und unfinanzierbare Rekommunalisierungsfantasien!“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der SPD das Wort. Das ist der Kollege Jahnke. – Bitte, Herr Jahnke, ergreifen Sie das Wort!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Jahr ist es nun fast her, seit wir hier im Abgeordnetenhaus das neue Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz beschlossen haben. Es trat an die Stelle des Berliner Vergabegesetzes aus dem Jahr 1999 in der Fassung vom 19. März 2008. Eine lange Debatte war dem neuen Gesetz vorangegangen, ausgelöst durch das sogenannte Rüffert-Urteil des EuGH, das eine Regelung im niedersächsischen Vergabegesetz außer Kraft gesetzt hatte, die in ähnlicher Form auch ein Kernstück unserer Gesetzesnovelle von 2008 war. Die Gegner jeglicher Mindestlöhne sahen sich durch das Rüffert-Urteil bestärkt, und die FDP – wie immer etwas neben den Erfordernissen der Zeit stehend – forderte natürlich die völlige Abschaffung des Vergabegesetzes statt einer Novellierung.
Dabei hatte der EuGH überhaupt nicht zu unserem Gesetz geurteilt und auch keine Aussage zu der darin enthaltenen Mindestlohnregelung getroffen, sondern lediglich die Anwendbarkeit regional gültiger Tariflöhne als Kriterium bei öffentlicher Auftragsvergabe verneint. Doch selbst
verständlich war auch für uns in Berlin die Anwendung der Tarifverträge entscheidend. Der im Fokus der öffentlichen Debatte stehende Mindestlohn von 7,50 Euro war ja keineswegs das Lohnniveau, das wir uns generell für alle Landesaufträge wünschten, sondern der im Gesetz festgelegte Mindestlohn stellt eine absolute Lohnuntergrenze dar, die sicherstellt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Auftrag des Landes Berlin oder eines Landesunternehmens arbeiten, von dem Einkommen aus ihrer Arbeit auch leben können.
Für alle über dem Mindestlohn liegenden Tariflöhne bedurfte es einer mit dem Rüffert-Urteil konformen Regelung, wie sie nach ausführlicher Beratung und durch Gutachten renommierter Rechtsexperten gestützt in Paragraph 1 des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes formuliert wurde.
An die Adresse der großen Deregulierer von der FDP gerichtet, möchte ich hervorheben, dass eine solche Mindestlohnregelung, die dem Lohndumping klare Grenzen setzt, auch im Interesse der vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Berlin liegt, als deren Sachwalter sich dieselbe FPD gern aufspielt.
Nicht umsonst stand die Handwerkskammer unserer Gesetzesnovelle von Beginn an positiv gegenüber, weil man sich dort durchaus bewusst ist, wie sehr ein völlig ungeregelter Wettbewerb durch ruinöses Lohndumping gerade kleinen und kleinsten Unternehmen schadet.
Ich verhehle nicht, dass unser eigentliches Ziel ein gesetzlicher, landesweiter Mindestlohn für alle Branchen bleibt. Über 20 Staaten der EU leben damit, ohne die in Deutschland an die Wand gemalten Gefahren zusätzlicher Arbeitslosigkeit zu erfahren – eher im Gegenteil. Die schwarz-gelbe Bundesregierung mauert derzeit noch, aber innerhalb der CDU ist Bewegung in die Diskussion gekommen. Der Vorsitzende der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann, hat unlängst die Forderung nach einer allgemeinen Lohnuntergrenze erhoben, die für alle Branchen in Deutschland gelten soll, was ja wohl nichts anderes als ein landesweiter Mindestlohn wäre.
Ein Jahr ist das Ausschreibungs- und Vergabegesetz in diesem Sommer in Kraft. Es hat sich nicht als großes Bürokratiemonster erwiesen, wie seinerzeit in der Diskussion auch an die Wand gemalt wurde. Es hat Klarheit auch in andere wichtige Bereiche der Vergabe gebracht, die von CDU, FDP und IHK gerne als „vergabefremd“ bezeichnet werden, obwohl sie ursächlich damit zusammenhängen, unter welchen Bedingungen das Land Berlin seine Aufträge erfüllt sehen will – in ökologischer Hinsicht, bei der Frauenförderung oder bei den ILO-Kernarbeitsnormen.
Der Mindestlohn von 7,50 Euro ist nicht für alle Zeiten festgeschrieben, sondern kann gemäß § 2 des Ausschreibungs- und Vergabegesetzes durch Rechtsverordnung angepasst werden, wenn es wegen veränderter wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse notwendig ist. Eine solche Anpassung sollte überlegt werden.
Es gäbe also genug aktuellen Anlass, heute über das Ausschreibe- und Vergabegesetz zu debattieren. Allerdings haben wir uns entschlossen, dem CDU-Vorschlag über ein Thema zu folgen, das zweifelsohne ebenfalls von hoher Relevanz für unsere Stadt ist. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Danke schön, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion hat nunmehr der Kollege Henkel, der Fraktionsvorsitzende, das Wort. – Bitte schön, Herr Henkel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollten schon vor zwei Wochen hier im Parlament mit Ihnen über das Thema Sicherheit sprechen. – Sie aber, Herr Wowereit, haben es damals für wichtiger gehalten, den Medien ein paar hektisch zusammengestellte Maßnahmen zu präsentieren. Ich erwarte, dass Sie sich heute dieser Diskussion im Abgeordnetenhaus stellen und dass wir endlich darüber reden, wie wir die Berlinerinnen und Berliner wirksam vor Kriminalität schützen und die Folgen Ihrer Politik bereinigen können.
Ein Blick in die Zeitungen der letzten Wochen reicht aus, um zu wissen, warum Sie an diesem Thema nicht vorbeikommen. So vergeht kaum eine Nacht, in der nicht Autos durch Brandanschläge zerstört werden. Brutale Schläger haben U-Bahnhöfe zu Schauplätzen unfassbarer Gewalt gemacht, mit entsetzlichen Bildern, die weit über die Grenzen Berlins hinausgegangen sind. In Kreuzberg überrumpeln rechtsextreme Demonstranten die Polizei und greifen Passanten an. Am S-Bahnhof Ostkreuz zünden linke Terroristen Kabel an und legen den Bahnverkehr in der Innenstadt über Stunden lahm. All diese Taten treffen uns dort, wo wir am verwundbarsten sind: in unserer Freiheit, in unserer Sicherheit und in unserem friedlichen Zusammenleben.
Aber der Anschlag vom Montag hat auch die Lebensadern unserer Stadt getroffen. Ich lasse mich dabei gar nicht auf die Debatte ein, dass die Bahn mehr für den Schutz ihrer Infrastruktur hätte tun müssen. Aber ich finde es perfide, wenn jetzt einige so tun, als wäre die Bahn schuld an dem Anschlag, als hätte sie diesen Anschlag provoziert.
Ich und meine Partei werden es nicht zulassen, dass in dieser Stadt aus Opfern Schuldige gemacht und die Täter in Ruhe gelassen werden. Für solche Verbrechen kann und darf es keine Entschuldigung geben!
Die Polizeigewerkschaften haben Recht, wenn sie das Wort „Terrorismus“ in den Mund nehmen. Ich sage: Das war eine Kampfansage an ganz Berlin, und die müssen wir entsprechend beantworten.