Vielen Dank. Gibt es weitere Redemeldungen aus der Reihe der Abgeordneten? Das sehe ich nicht. Dann erteile ich der Landesregierung das Wort, Herr Minister Prof. Dr. Hoff.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Oben auf der Besuchertribüne sitzen Schülerinnen und Schüler – ich darf Sie ganz herzlich begrüßen –
und die stellen sich natürlich die Frage: Worüber diskutiert der Landtag hier eigentlich gerade? Gegenstand der Debatte hier im Landtag ist: Wie sprechen wir eigentlich über die Verbrechen und die angemessene Erinnerung an das, was in der DDR passiert ist, also in dem Staat, der durch eine friedliche Revolution im Herbst 1989 durch die Bürgerinnen und Bürger selbst befreit wurde und in dem Bürgerinnen und Bürger in einer friedlichen Revolution ihr Schicksal in die eigene Hand genommen haben? Ich habe hier im Landtag schon an verschiedener Stelle gesagt: Im September 1989 – da waren Sie oben auf der Tribüne noch lange nicht geboren und Ihre Eltern wahrscheinlich noch ziemlich jung – haben sich Menschen in Leipzig vor eine Kirche gestellt, weil sie wussten, dass es eine internationale Aufmerksamkeit gibt, weil es eine Messe gibt, und haben für das Recht auf freie Meinungs
äußerung protestiert, so ein bisschen wie das, was jetzt Menschen beispielsweise im Iran oder in Weißrussland machen, die unter schwierigsten, auch diktatorischen Bedingungen das Recht auf freie Meinungsäußerung in die Hand nehmen. Und wenn die sich im September 1989 vor so eine Kirche in Leipzig stellen, dann wissen die nicht, dass es eine friedliche Revolution gibt. Dann gehen die erst mal davon aus, dass sie so einen Protest allein machen, dass sie festgenommen werden, dass sie nicht wissen, wie lange sie in Haft bleiben, ob sie misshandelt werden, wie es ihrer Familie geht usw. Und im September 1989 haben die dann aber etwas ausgelöst, was am Ende zu dieser friedlichen Revolution führte. Dass wir heute hier in diesem Landtag diskutieren können, dass die Landesregierung vom Parlament kontrolliert wird, ist genau dieser Ausdruck von Demokratie und der ist erkämpft worden und da gab es Opfer in diesem Kampf, weil die misshandelt worden sind, weil bei der Grenzabriegelung hier in Thüringen schon deutlich vor 1961 – nämlich im Jahr 1952 – Menschen aus Orten an der früheren Grenze deportiert worden sind usw. Es sind Menschen für ihren Glauben diskriminiert worden. Ich selbst habe als zuständiger Minister Menschen erlebt, die mir ihre Zeugnisse gezeigt und gesagt haben: Ich durfte mein Abitur nicht machen, aber ich war wirklich gut in der Schule. Über diese Ungerechtigkeiten und was das für diese Menschen heißt diskutieren wir hier. Herr Bergner, der vor mir gesprochen hat, hat deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, dass man ein möglichst ritualisiertes Bekenntnis hat, also dass man sich an einem Tag – an welchem auch immer – hinstellt und sagt: Wir müssen uns erinnern. Sondern es geht neben diesem Erinnern auch darum, was wir konkret für diejenigen tun, die Opfer geworden sind. Darum geht es.
Jetzt ist hier im Landtag viel darüber diskutiert worden, wer das am besten macht und ob das konsequent genug gemacht wird. Jetzt antworte ich an den Kollegen Christian Herrgott, der als Erster hier in dieser Debatte gesprochen hat: Nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen kann. Was mir aber in der Debatte, in der Betrachtung dieser Diskussion aufgefallen ist – ohne dass ich mir rausnehme, irgendeinen Redebeitrag zu bewerten, das steht mir als Mitglied der Regierung nicht zu –, aber ich habe das Gefühl, dass wir in dieser Debatte ganz viel darüber geredet haben: Wer hat als Erster einen Antrag eingereicht? Kollege Bergner hat aus meiner Sicht noch mal einen wichtigen Punkt angesprochen. Es geht nicht zwingend um die Frage, wer als Erstes einen Antrag eingereicht hat, sondern was wir konkret gemeinsam tun, um denjenigen, die auch heute Unterstützung brauchen
mehr als 30 Jahre nach der friedlichen Revolution –, auch Unterstützung zukommen zu lassen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Und das Zweite: Wie schaffen wir es eigentlich, das euch in eurem Lebensalltag – ihr als Schülerinnen und Schüler, für die das ultralange her ist – irgendwie begreiflich zu machen, und wie reden wir eigentlich – ich habe das selbst mit meiner Großmutter gemacht – mit Eltern, Großeltern über das, was sie erlebt haben, auch darüber, wo man weggeschaut hat, wo man hätte etwas tun können? Die große Philosophin Hannah Arendt hat mal einen Text geschrieben, der heißt: Über das Handeln des Einzelnen in einer Diktatur. Das heißt, sich die Frage zu stellen: Was hätte ich eigentlich gemacht oder was habe ich gemacht? Das ist das, worüber wir hier diskutieren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in den vergangenen Jahren hier im Thüringer Landtag auch ganz im Gegensatz zu dem sehr begrenzten Erinnerungsvermögen, das die Abgeordnete Herold hier in der Debatte gezeigt hat, in intensiven Debatten darüber diskutiert haben – auch in der Arena drüben, als wir noch unter Coronabedingungen ganz anders getagt haben –, wie die Erinnerungslandschaft aussehen muss, was ein zeitgemäßes Erinnern an die DDR-Diktatur ist, auch an stalinistische Verbrechen am Beginn der DDR, zu Zeiten der Ausbürgerung von Wolf Biermann usw. Insofern ist die wichtige Aussage dieser Diskussion, die wir hier führen, dass auch etwas, das schon längst vergangen ist, eine Generation her ist, trotzdem nicht zu Ende ist und dass Erinnerung und Gedenken und Handeln kein Ende haben, sondern dass dies immer wieder eine Aufgabe ist. Das ist der Gegenstand dessen, worüber wir hier diskutieren, liebe Schülerinnen und Schüler, und es ist auch eine Einladung an euch, euch genau diese Fragen zu stellen: Was heißt Erinnerung an die DDR heute, an die Verbrechen, die es in dieser Diktatur gab, und was heißt das für einen adäquaten Umgang damit? Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister. Gibt es weitere Wortmeldungen? Das sehe ich nicht. Es war Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Europa, Kultur und Medien beantragt, weitere Ausschussüberweisungen gab es nicht. Dann lasse ich darüber abstimmen, den Bericht bzw. den Antrag der CDU dazu an den Ausschuss für Europa, Kultur und Medien zu überweisen. Wer der Ausschussüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Hand
zeichen. Das sind wohl alle hier im Haus. Gibt es Gegenstimmen? Gibt es Enthaltungen? Enthaltungen gibt es bei der Gruppe der Bürger für Thüringen. Dann ist die Überweisung aber mit großer Mehrheit so wie beantragt erfolgt.
Nur Frau Dr. Bergner von der Gruppe der Bürger für Thüringen, gut, der Rest war dafür. Dann haben wir das auch ordnungsgemäß festgehalten.
Damit kann ich diesen Tagesordnungspunkt schließen und wir kommen zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 11
Deeskalation auch bei CoronaProtesten in Form von Spaziergängen – friedlichen Spaziergängern nicht mit unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahmen begegnen! Antrag der Fraktion der AfD - Drucksache 7/5037 -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete und ein herzliches Willkommen auch an die Zuschauer auf der Tribüne und am Livestream, der eine oder andere dürfte das Zitat kennen: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ Dieses Zitat, welches vor allem den Genossen auf der – von mir aus – rechten Seite des Plenums ein liebgewonnener Kampfruf sein wird, kennen die meisten. Wer jedoch nach 1989, als der Zitatgeber das damals zum 40. Jahrestag letztmalig gerufen hat, wer in den letzten Jahren jetzt aktuell am ehesten danach verfahren hat, war ausgerechnet ein Westimport in unserem schönen Thüringen. Unser liebgewonnener Besserwessi im Innenministerium scheint genau nach dieser Losung verfahren zu haben, als er im vergangenen Winter mit wöchentlich teils mehreren Hundert sogenannten Spaziergängern zu tun hatte, die die Landesregierung von Beginn an als Versammlungen einstufte. Aber nicht etwa, dass dieser Import ein Herz für die Probleme oder die Sorgen der Menschen auf der Straße entwickelt hätte, nein, stur durch, hat er die Polizei noch zum Fahnenappell aufgerufen und zum Einsatz eingeschworen. Auf was eigentlich?
Herr Maier, Sie können es uns ja sagen. Sie sind der Einzige aus dem Rund hier, der damals dort gewesen ist, bei diesem Fahnenappell. Auf was haben Sie die Beamten denn eingeschworen? Ich war jedenfalls auch nicht dort. Aber ich weiß etwas anderes: Die Einstufung als Versammlung bringt einiges an Verpflichtungen mit sich,
und zwar für die Versammlungsbehörde, aber auch die eilzuständige Polizei – nicht nur für die, die sich dort versammeln. Dazu gehört beispielsweise auch – das ist nur ein Auszug – die Sicherstellung der grundsätzlichen Möglichkeit der Inanspruchnahme des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 im Grundgesetz.
Nun wissen wir alle in der Rückschau auf den vergangenen Winter, dass es diese rot-rot-grüne Minderheitslandesregierung mit der Gewährleistung von Rechten aus dem Grundgesetz – und ich muss es so klar und ganz deutlich sagen – nicht so genau nimmt. Zumindest gab es wohl bisher in der Geschichte unseres Freistaats keine Landesregierung, die jemals so in die Grundrechte eingegriffen hat und diese den Thüringern möglichst umfassend entzogen statt gewährt hat.
Daher braucht es an dieser Stelle schon während der Einbringung dieses Antrags einen Einwurf zum Grundgesetz, der einigen hier scheinbar nicht bekannt ist: Grundrechte sind nicht dazu da, um Staatsbürgern irgendwelche Rechte oder Vorzüge zu gewähren. Grundrechte sind, wie es selbst die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, Abwehrrechte und Grundlage unserer Werteordnung. Die Bundeszentrale schreibt, ich zitiere: „Grundrechte schützen den Freiheitsraum des Einzelnen vor Übergriffen der öffentlichen Gewalt, es sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.“
Wenn ich nun darauf schaue, was im vergangenen Winter hier in Thüringen stattfand, dann sehe ich – natürlich nur mit meiner subjektiven Brille – vor allem die erhebliche Einschränkung von Grundrechten. Ob das alles rechtens war, wird die Geschichte schreiben.
Der Antrag beschäftigt sich nun schwerpunktmäßig mit einem Detail dabei: der Deeskalation bei den Protesten. Gerade weil dieses Prinzip Bestandteil allgemeingültiger polizeilicher Leitlinien ist, ist deren Einhaltung im Dienst für die Polizei natürlich umso
wichtiger. Herr Maier, ich habe Sie das nicht umsonst in zahlreichen Antworten auf meine Anfragen schreiben lassen.
Selbst Sie müssten es nun oft genug gelesen und unterschrieben haben, um das Prinzip und dessen Anwendung durch die Polizei grundsätzlich verstanden zu haben.
So etwas wie letzten Winter darf sich nicht wiederholen. Die Versammlungsfreiheit ist vor allem ein viel zu hohes Gut, um es auf irgendwelchen Fahnenappellen zu opfern. Genau wegen solcher Bilder braucht es solche Anträge.
Vielen Dank, Herr Mühlmann. Herr Abgeordneter Mühlmann, für den Begriff „Besserwessi“ erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. Für die SPD-Fraktion hat sich jetzt Frau Kollegin Marx zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist immer wieder schön, wenn sich die AfD jetzt hier wieder einmal als Anwalt von vermeintlichen Opfern zu erheben versucht. Vermeintlichen Opfern!
Ich erkläre Ihnen das noch. – Ach so, gestern Abend wurde ja spät beschlossen, dass man nicht mehr gendern soll. Ich verwende jetzt das generische Femininum.
Da meinen Sie, dass man den Spaziergängerinnen mit unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahmen begegnet sei. Das ist schon mal nicht richtig.
Das Versammlungsrecht ist ein großes Grundrecht. Das Versammlungsrecht hat aber natürlich immer Auflagen. Die werden mit der Versammlungsbehörde zusammen besprochen und die werden dann zusammen vereinbart. Allerdings haben wir – und das haben wir diese Woche bei der Beantwortung einer Mündlichen Anfrage des Kollegen Walk er
fahren – 2.412 Versammlungen allein in diesem Jahr gehabt, von denen 78 Prozent überhaupt nicht angemeldet waren. Da ist es schon einmal sehr schwer gewesen, deeskalierende Maßnahmen zu vereinbaren.
Jetzt sagen Sie aber: Es geht gar nicht um die aktuellen Spaziergängerinnen, sondern es geht um die Spaziergängerinnen im Winter, die von den Polizistinnen irgendwie nicht angemessen behandelt worden sein sollen. Es gibt aber keinerlei Erkenntnisse darüber, dass es da in vielfältiger Weise zu irgendwelchen Zusammenstößen gekommen sei.
Sie haben aber ein viel grundsätzlicheres Problem. Das ist mir heute, jetzt hier noch mal besonders aufgefallen. Wenn Sie immer sagen, es würden Menschen eingeschüchtert, auch davon reden, dass andere Menschen andere Meinungen vertreten, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass Sie so eine gewisse Autoritätsfixierung haben. Natürlich kann jeder demonstrieren und natürlich mit jeder Position. Aber er muss auch ertragen, dass es Leute gibt, die anderer Meinung sind.