Drittens ist uns die Anerkennung und Stärkung der pädagogischen Kompetenz bei den Bildungsempfehlungen und Versetzungsentscheidungen wichtig. Nichts ist so, wie es Frau Rothe-Beinlich beschrieben hat, dass wir das Pädagogische, was die Kollegen in den Schulämtern oder in den Schulen haben, übergehen wollen – im Gegenteil. Wir wollen es zur Grundlage des Entscheidungsrechts der Eltern machen.
Unser gemeinsamer Gesetzentwurf von CDU und FDP ist getragen von der Anerkennung der Schulpraxis und der tiefen Überzeugung, dass Schulentwicklung und schülerorientierte Inklusion nicht gegen Schüler, nicht gegen Eltern, nicht gegen Lehrer und Schulleitungen und Schulverwaltungen gelingen kann. Momentan erleben wir aber eine klare Dominanz von Wissenschaft und von Schulamt. Das halten wir für falsch, nicht weil Wissenschaft irgendwie nicht anzuerkennen ist, aber weil wir auch wissen müssen, dass Wissenschaft immer kontrovers ist. Wer an den Runden des Inklusionsbei
rats teilgenommen hat und dann die verschiedenen Wissenschaftler gehört hat, der weiß, wie weit die Meinungen bei der Inklusion auseinandergehen. Ich glaube, da sind wir uns hier im Parlament oftmals näher, als es die Wissenschaft ist. Und wir sollten dann auch nicht versuchen, das im Grunde auszuspielen und als Argument stark zu machen.
Meine Damen und Herren, gut zehn Jahre sind vergangen, seit Thüringen begonnen hat, den Gemeinsamen Unterricht zu stärken – und das war auch gut und richtig so. Aber gut zehn Jahre sind auch vergangen, um Erfahrungen zu sammeln, Erfahrungen, die vor allem die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen, die Schülerinnen und Schüler und Eltern gesammelt haben. Und schlimm genug, dass es erst praktischer Versuche bzw. auch – muss man an manchen Stellen sagen – Experimente bedarf, um viele in der Wissenschaft – da sind wir wieder – lange bekannte und zwingend nötige Voraussetzungen für den Gemeinsamen Unterricht zu erkennen. Es reicht eben nicht, dass nur in das Gesetz zu schreiben, da steht es schon lange drin, der Ressourcenvorbehalt, sondern man muss es als Allererstes umsetzen und dann könnte man es normalerweise ins Gesetz schreiben. Wir müssen allerdings feststellen, dass die Voraussetzungen nicht gegeben sind, dass sie auch nicht geschaffen wurden.
Und jeder, der ehrlich und ohne Ideologie auf diese zehn Jahre schaut, der erkennt auch, dass der Gemeinsame Unterricht nie voraussetzungslos ist. Es braucht qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen, es braucht zusätzliche Lernunterstützer und Begleiter, es braucht zusätzliche Hilfsmittel und Hilfsangebote, es braucht vielfach bauliche und investive Voraussetzungen dafür. Und jeder, der ehrlich auf diese zehn Jahre/zwölf Jahre zurückschaut, muss sagen und erkennen, dass die Voraussetzungen für den Gemeinsamen Unterricht in Thüringen nicht besser, sondern schlechter geworden sind. Allein wenn man schaut, wie sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat und wie sich der Unterrichtausfall beispielsweise entwickelt hat, dann sieht man gerade an unseren Grund- und an unseren Regelschulen, wie problematisch es ist, wenn man nur allein auf Gemeinsamen Unterricht setzt.
Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Bildungserfolge sind seither für viele Schülerinnen und Schüler nicht besser geworden – im Gegenteil. Es gibt mehr Schüler ohne Schulabschluss – und ich habe die Zahlen hier schon oft vorgelesen, komme dann auch noch mal darauf –, es gibt mehr Schüler, die das Klassenziel nicht erreichen, die in Doppeljahrgangsstufen eben nicht zum Erfolg ge
führt werden können, was nichts gegen die Doppeljahrgangsstufen sagt; und Doppeljahrgangsstufen kann man auch nicht allein an Lehrplänen festmachen. Da müssten wir im Grunde genommen den kompetenzorientierten Lehrplan von 1999 nehmen, der ja immer noch gilt, mit den Thüringer Kompetenzmodellen. Dann müssten wir sagen, wir machen nur noch eine Klassenstufe, weil im Grunde ist es ja ein Feld, das wir am Ende hin zum mündigen Bürger auch erziehen wollen.
Meine Damen und Herren, wir erleben aber auch eine Zunahme von Schulangst – und das muss uns sehr betroffen machen – und eine Zunahme von Schuldistanz. Böse Zungen würden sagen, wir haben mehr Schulschwänzer, aber das passt in diesem Zusammenhang wirklich nicht, weil das sind keine Schüler, die bewusst die Schule schwänzen, das sind Schüler, die tatsächlich Angst haben, in die Schule zu gehen, die Angst haben vor Misserfolgen. Und wer sich ein bisschen mit Pädagogik auskennt, der weiß, was „erfolgsmotiviert“ heißt und was „misserfolgsmotiviert“ heißt. Gerade in den letzten Jahren erleben wir, wie auch unser Schulsystem dazu beiträgt, dass die misserfolgsmotivierten Schüler leider mehr werden.
Meine Damen und Herren, die CDU-Landtagsfraktion steht für Bildungsgerechtigkeit und wir stehen gemeinsam mit der FDP auch für Chancengleichheit. Für uns galt und gilt der Satz von Humboldt – Goethe hatten wir heute schon, jetzt noch Humboldt –: „Bildung ist die [Anstrengung] aller Kräfte [des] Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt [...] entfalten und zu einer sich selbst [bestimmten] Individualität und Persönlichkeit führen.“ Nicht Gleichheit und nicht Uniformität, sondern Individualität und Vielfalt – ja, das ist unsere Ideologie, Herr Wolf – gilt es anzuerkennen und zum Ausgangspunkt des Lehrens und Lernens in unseren Schulen zu machen. Selbstständigkeit und Mündigkeit durch das Fördern und Fordern unserer Schülerinnen und Schüler mit viel Fachlichkeit und Motivation unserer Lehrer – das ist der Erfolg und die beste Voraussetzung für gute Schule in Thüringen.
Meine Damen und Herren, das aktuell geltende Recht bewirkt einen traurigen Überlebenskampf der Förderschulen in Thüringen. Hatten wir 2008 in Thüringen noch 4,5 Prozent der Schüler an den Förderschulen, hat sich dieses in den letzten Jahren bis 2020 halbiert. Krasser, problematischer und nachdenklicher muss uns der Schüleranteil mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den Grundschulen machen. Da waren es 2008 rund 2 Prozent, jetzt sind es rund 3,5 Prozent, also eine Zunahme von 30 Prozent von Schülern mit
sonderpädagogischem Förderbedarf an den Grundschulen. Man kann sagen, ja, ist schön, wir wollen Inklusion, Gemeinsamen Unterricht machen. Ich sage Ihnen aber gleich auch noch die Lehrerzahlen dazu. Das muss man nämlich ins Verhältnis setzen, wenn wir sagen, wir haben mehr Kinder mit Förderbedarf in den Grundschulen, aber – ich sage es gleich – weniger Lehrer dafür.
In den Regelschulen ist es noch krasser. Da hat sich im Grunde der Anteil von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf von 2008 bis 2021 verdoppelt. Wer ein bisschen in den Regelschulen in Thüringen unterwegs ist, der weiß, wie die – im wahrsten Sinne des Wortes – momentan leider oftmals personell auf dem Zahnfleisch gehen.
Meine Damen und Herren, um noch einmal auf das Thema der UN-Konvention einzugehen: Die AfD hat es sehr ausführlich gemacht, ich möchte es aber auch noch einmal machen, weil immer so unterstellt wird – das kommt sonst meist von Astrid Rothe-Beinlich, heute nicht –, aber ich will es noch mal sagen: In der UN-Konvention steht nicht drin, dass die Förderschulen Teufelswerk sind – im Gegenteil. Dort steht drin, ich zitiere: „Menschen mit Behinderungen [dürfen] nicht [...] vom [...] Bildungssystem ausgeschlossen werden“ und es müssen „angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden.“ Dort steht eben nicht, dass hochspezialisierte Förderschulen und bestens qualifizierte Pädagogen nicht gebraucht werden oder dass es Versager sind. Woher nimmt sich eigentlich der Staat oder woher nimmt sich der Gesetzgeber, woher nimmt sich dieser Landtag das Recht, über die Freiheit der Menschen zu entscheiden, und woher nimmt er das Recht, Familien und Erziehungsverantwortlichen abzusprechen zu wissen, was für das eigene Kind das Beste ist? Natürlich sollen die Eltern immer beraten werden – das ist ganz klar. Deswegen gibt es ja Pädagogen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Politik hat die Aufgabe, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, nicht nur die Wissenschaft. Seit der Einführung des Gemeinsamen Unterrichts haben sich die Voraussetzungen für den Gemeinsamen Unterricht nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ich habe es gerade schon ausgeführt und will es auch noch mal an den Lehrerzahlen deutlich machen: 2008 hatten wir in Thüringen rund 2.000 Förderschullehrer. Jetzt haben wir in Thüringen 500 Förderschullehrer weniger, 1.500 Förderschullehrer. Wir hatten in den Grundschulen 2008 4.400 Lehrer. Jetzt haben wir in den Grundschulen 3.800 Lehrer, das sind 600 Lehrer weniger oder 12 Prozent weniger Lehrer in den Grundschulen bei 5 Prozent mehr Schülern plus den Kindern, die unsere beste und größte Un
terstützung brauchen. Bei den Regelschulen hatten wir 5.500 Lehrer 2008. Jetzt haben wir 2.000 Lehrer weniger in den Regelschulen, nicht mehr 5.500, sondern 3.500, 40 Prozent weniger Lehrer in den Regelschulen innerhalb von zwölf Jahren bei 6 Prozent mehr Schülern in diesem Zeitraum plus die 50 Prozent mehr Inklusionsquote. Dass da bei Ihnen, Herr Wolf, nicht mehr irgendwie sagen, es gibt Probleme, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber es kann natürlich sein – es gibt ja in Jena keine Regelschulen –, dass Sie da gar nicht in den Kontakt gekommen sind.
Meine Damen und Herren, die Leidtragenden sind nunmehr die überlasteten Lehrkräfte in den Klassen und die Schülerinnen und Schüler, die unter den schlechteren Rahmenbedingungen nicht so gefördert werden können, wie es möglich ist. Wer schon mal eine Klasse unterrichtet hat, der weiß, dass es zur DNA des Lehrers gehört, dass man jeden Schüler mitnehmen will und dass man sich dann auch vor allem an den schwächeren Schülerinnen und Schülern orientieren muss. Wenn dieses Gefälle zu weit auseinanderklafft, dann es ist nun mal so, dann ist die Klasse oder die Kette nur so stark, wie das schwächste Glied. Das müssen wir akzeptieren, das müssen wir als Politik anerkennen und sollten uns da auch nichts vormachen – auch nicht von irgendwelchen Professoren, die das vielleicht in ihrer Theorie anders sehen.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle – Herr Dittes hat es ja gewünscht – möchte ich noch mal auf ein paar Stellungnahmen eingehen, die wir im Rahmen unserer Anhörung bekommen haben. Ja, in der Tat, es gab – wie das so ist – Anzuhörende, die stimmen unumwunden zu. Es gab auch sehr kritische Anmerkungen, die aber in der Minderheit waren – der Kinderschutzbund war das. Aber es gab auch sehr viele sehr differenzierte Stellungnahmen. Da muss ich sagen: Eine der besten Stellungnahmen war tatsächlich die der GEW. Ich stelle sie auch gern zur Verfügung, wenn Sie sie nicht schon haben, Herr Dittes. Ich kann mir aber vorstellen, dass Sie sie schon bekommen haben. Aber ich will nur mal auf das Thema der Wahlfreiheit der Eltern eingehen, was die GEW da schreibt – ich zitiere –: „Dabei ist fortlaufend durch sinnvolle Zwischenschritte eine tatsächliche Wahlfreiheit der Eltern im Sinne [...] beste[r] Entwicklungsmöglichkeit[en] für alle Kinder und Jugendlichen, aber besonders derjenigen mit [Förderbedarf], zu gewährleisten.“ Und die GEW schreibt weiter: „Die Änderungen in [§ 8 Abs. 3]“ – da geht es um die Einschulung von Kin
dern in die 6./7. Klasse – „sind eine Schärfung und Erweiterung der Voraussetzung[en] für [die] Rückstellung [vor der Einschulung] und daher begrüßen wir [diesen Vorschlag].“ Die GEW hat auch zur Versetzungsentscheidung geschrieben – das will ich gleich noch mal nehmen, weil das immer so umstritten ist –: „Ein Versetzungsentscheid in der flexiblen Schuleingangsphase [1 bis 3] macht keinen Sinn.“ Das haben wir auch berücksichtigt.
„[Die] Entscheid[ung] über die Versetzung am Ende der Klassenstufe 2 würde mit einer beabsichtigten Verlängerung der Schuleingangsphase am Ende der Klassenstufe 2 kollidieren.“ Das haben wir jetzt in unserem Gesetzentwurf auch berücksichtigt. „Wenn, dann würde“ – und das sagt die GEW – „ein Versetzungsentscheid frühestens in Klasse 3 Sinn machen.“
Deswegen: Geben Sie mir recht, dass die GEW mitgeteilt hat, dass sie die Beteiligung der Eltern bzw. die Berücksichtigung des Elternwillens auch im bisherigen Gesetz gewährleistet gesehen hat? Und würden Sie mir recht geben, dass die GEW Ihnen auch mitgeteilt hat, dass Ihr Vorschlag zu § 7a Thüringer Schulgesetz eine Diskriminierung von Schülerinnen mit Fördernotwendigkeiten in der emotionalen und sozialen Entwicklung darstellt?
Genau das hat sie mitgeteilt, deswegen haben wir das auch im neuen Gesetzentwurf berücksichtigt. Und die GEW hat geschrieben: „Die grundsätzliche Stärkung des Elternwillens können wir mittragen, wobei wir sie auch im bisherigen Gesetz gewährleistet gesehen haben.“ Aber jetzt lese ich es Ihnen weiter vor, auch von der Landeselternvertretung, die deutlich gesagt hat: Wir wollen eine größere Berücksichtigung, wir wollen das Elternrecht gestärkt haben. Da muss ich sagen, bei aller Freundschaft zu den Lehrerverbänden – ich bin ja selbst in einem Mitglied –, aber wenn es um die Elternrechte geht, dann schaue ich natürlich als Allererstes auf die Stellungnahmen der Experten. Das sind in dem Fall die Eltern, die auch einen sehr guten Draht– eine Standleitung ja fast – zum Minister haben und das sicherlich auch mitteilen.
thüringer lehrerverband – sie teilen mit: Das Ansinnen der CDU, die Förderschulen in ihrer Bedeutung und Weiterführung von Unterricht zu stärken, ist etwas Positives. Ebenso positiv ist dabei das Augenmerk der Stärkung der Entscheidungsmöglichkeiten zur Empfehlung und Wahl des Lernortes unter Berücksichtigung der Gegebenheiten an den Schulen für den Gemeinsamen Unterricht auch zu sehen. – Und es kommt dann noch mal der eindringliche Appell: Unbedingt muss es wieder wirkliche Perspektiven für Förderschulen geben. Nicht alle Kinder können inklusiv unterrichtet werden, zumal der Entwicklungsplan Inklusion scheinbar höchst lückenhaft ist, was die Personal- und sächliche Ausstattung betrifft. Inklusion geht nur mit dem entsprechenden Personal und der Ausstattung an den Schulen. Da sind wir uns einig, es ist immer nur die Frage, wie weit unsere Schulen da in Thüringen schon gebracht wurden.
Auch der Verband der Berufsschulen hat sich geäußert und begrüßt die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Familien ausdrücklich. Dies entspricht eher dem Geist des Artikels 21 unserer Landesverfassung als die hierzu gültigen Regelungen im Thüringer Schulgesetz, sagen die Berufsschullehrer.
Selbst die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege äußert sich – ich zitiere –: „Unverzichtbar sind dabei die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Rechts auf freie Schulwahl durch die Eltern. Beides darf nicht offen und/oder schleichend aufgeweicht werden“, sagt die LIGA. „Eine staatliche Bevormundung wird grundsätzlich [von uns] abgelehnt.“
Meine Damen und Herren, zur Versetzungsentscheidung noch ein paar Worte: Viele von uns Bildungspolitikern besuchen regelmäßig die Schulen.
In den vergangenen Jahren – wie gesagt, ich gehe gern an die Regelschule, weil ich früher auch selbst Regelschüler war und dann erst das Abitur gemacht habe und mir schon immer das Herz blutet, wenn ich erlebe, wie mit dieser Schulart umgegangen wird. In den vergangenen Jahren kam es bei diesen Besuchen an den Regelschulen immer wieder vor, dass mir Schulleitungen und Klassenlehrer unaufgefordert mal die Notenbücher gezeigt haben, und was ich da gesehen habe, das haut einem wirklich die Füße weg. Vor allem in den 6. Klassen, aber noch schlimmer in den 8. Klassen, wie sich die Leistungen dort entwickelt haben. Wir haben jetzt noch ein Zusatzproblem durch Corona, dass wir sowieso gesagt haben, jeder Schüler kann machen, was er will. Manche Lehrer sind froh, wenn die Schüler überhaupt noch früh zum Unterricht kommen. Die Aussage „Geben Sie mir doch die 6, Frau Müller, Meier, Schulze“ ist mittlerweile in unseren Schulen in Thüringen gang und gäbe, denn es gibt keine Konsequenzen mehr für den Hauptschüler, für den Lehrer. Die sagen „Geben Sie mir doch die 6, ist mir doch egal, kann eh nicht sitzenbleiben und gehe dann irgendwo Flaschen zählen.“ So eine Motivation, so eine Perspektive, glaube ich, das kann von Bildungspolitik nicht gewollt sein, und so tun wir auch unseren Lehrern und unseren Schulen nichts Gutes.
Wir tun auch dahin gehend unseren Schülern nichts Gutes, wenn wir nicht auch mal frühzeitig eine Versetzungsentscheidung einführen, weil am Ende doch die Schüler ohne Schulabschluss in den letzten Jahren mehr geworden sind. Die Statistiken haben wir hier auch schon oft diskutiert. 2014 bis 2019 haben wir in Thüringen eine Steigerung um 30 Prozent von Schülern, die unsere Schulen ohne Schulabschluss verlassen. Unter Rot-Rot-Grün, 30 Prozent mehr Schüler ohne Schulabschluss. Und wenn wir schauen, wie viele Schüler – jetzt nicht mehr, weil das durch Corona auch abgeschafft ist – in den letzten Jahren in der 8. Klasse sitzengeblieben sind, da haben wir auch innerhalb von fünf Jahren eine Steigerung von 33 Prozent mehr Schülern, die dann noch in den Schulgängen, wo das Sitzenbleiben möglich war oder ist – in der 6. Klasse und in der 8. Klasse –, sitzengeblieben sind. 33 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler, die dann noch mal ein Jahr wiederholen, obwohl sie vielleicht ein Jahr eher besser davon profitiert hätten, den Stoff noch mal zu wiederholen. Auch hier mein/unser dringender Appell: Finden wir Regeln im Interesse der Schulfamilie und vor allem eines guten und motivierten Starts für unsere Schülerinnen und Schüler in das Leben. Ich habe so ganz leicht bei Torsten Wolf herausgehört, dass er hier scheinbar auch Diskussionsbedarf sieht, er hat das
jetzt mal auf die 8. Klasse reduziert. Ich glaube, wir müssen hier sehr offen und sehr intensiv mit den Praktikern diskutieren, wie wir in Thüringen mit der Frage der Versetzungsentscheidung weiterverfahren. Vielleicht sollten wir auch mal einen Blick um Thüringen herum machen. Es lohnt sich auch immer zu vergleichen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. In Anerkennung der Realität und auch in der tiefen Überzeugung, dass Schulentwicklung und schülerorientierte Inklusion – schülerorientierte Inklusion, nicht wissenschaftsorientierte Inklusion – nicht gegen Schüler, nicht gegen Eltern, Lehrer, Schulleitungen und Schulverwaltung gelingen kann, schlagen wir gemeinsam mit der FDP diesen Gesetzentwurf vor. Lassen Sie uns unser Schulsystem offen, fachlich, unideologisch, aber kontrovers im Ausschuss mit allen Akteuren, die uns hier gut beraten können, noch mal betrachten und beraten und dann gute Entscheidungen treffen im Sinne unserer Schülerinnen und Schüler – das ist das Wichtigste, das wir immer im Blick haben sollten – und derer, die das Bildungssystem in Thüringen tragen, nämlich der Lehrerinnen und Lehrer. Vielen Dank.
Vielen Dank. Als nächster Rednerin erteile ich Frau Abgeordneter Baum von der Gruppe der FDP das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, Zuhörerinnen und Zuhörer, es ist schon viel gesagt worden. Auch wenn ich hier eine überwältigende Redezeit angezeigt kriege, möchte ich es auch nicht überstrapazieren.
Kollege Wolf, ich danke Ihnen recht herzlich für die Blumen, ich nehme die gern an, ich versichere Ihnen auch, dass ich meine Arbeit im Ausschuss weiter fortführen werde. Allerdings ist es auch immer so, dass unsere Gesellschaft immer ein bisschen diverser ist, als wir das selbst in unserem kleinen Kreis vermuten. Ich werde Ihnen um Gottes Willen nicht unterstellen, dass Sie nicht mit den richtigen Leuten gesprochen haben, aber Sie haben mit den Lehrerinnen und Lehrern und mit den Eltern gesprochen, mit denen Sie gesprochen haben, und ich habe mit den Lehrerinnen und Lehrern und mit den Eltern gesprochen, mit denen ich ge
sprochen habe. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass wir das Thema „Inklusion“, das Thema der Beschulung von Kindern, die mit einer Behinderung leben müssen, hier debattieren, auch hier sehr ausführlich debattieren. Deswegen haben wir das letzte Mal diesen Gesetzentwurf zum Anlass genommen, einen Antrag einzubringen, um das Thema, bei dem durchaus Kritik zu hören ist, nicht einfach hinten runterfallen zu lassen.
Für uns Freie Demokraten gibt die UN-Behindertenrechtskonvention einen ganz klaren Auftrag, nämlich dass Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems lernen können sollen und dass – und das ist der wichtige Teil – sie dafür die notwendige Unterstützung erhalten müssen. Im Vordergrund stehen dabei immer die Betroffenen und deren bestmögliche schulische und persönliche Entwicklung.
Um flächendeckend inklusive Bildung voranzutreiben, bedarf es auch entsprechender sachlicher, baulicher, personeller Voraussetzungen, vor allem um den Gemeinsamen Unterricht oder Unterricht allgemein an der Stelle für alle Schülerinnen und Schüler erfolgreich umzusetzen. Wer der besonderen fachlichen, inhaltlichen Kompetenz der Lehrkräfte an den Förderschulen bedarf, der muss diese auch bekommen. Daher sind diese Förderschulen für uns nicht nur zu erhalten, sondern in ihrer Rolle zu stärken.
Dem Entscheidungsrecht der Eltern muss bei dieser freien Schulwahl gerade für Kinder, die mit einer Behinderung leben, die sich auf ein Leben einstellen müssen, das nicht so einfach geht wie für uns andere, Rechnung getragen werden.
Herr Jankowksi, hier spielt eine ganze Reihe Sachen zusammen. Es geht an der Stelle um eine Transparenz, die ermöglicht, dass Eltern überhaupt einschätzen können, welche Gegebenheiten sie an welcher Schule vorfinden, um dann sagen zu können, das ist eine Schule, damit können wir leben. Da geht es nicht darum, ein Label auszudrucken, dass die einen ausschließt, sondern es geht darum, eine Transparenz zu schaffen: Wir sind übrigens bestens vorbereitet für die und die und die Kinder.