Protocol of the Session on September 15, 2023

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Merz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, tatsächlich hat das Thema „Straßenausbaubeiträge“ viele Jahre sehr polarisiert, je nachdem, ob man betroffen oder gar nicht betroffen war. Für Mieter war das meistens nicht so ein großes Thema. Natürlich sind die Interessenslagen immer sehr unterschiedlich gewesen. Meistens auch bei den kommunalen Haushalten, die den Straßenbau maßgeblich mitfinanzieren mussten.

Am Ende steht freilich die Erwartungshaltung der Allgemeinheit und konkret vor Ort, dass die Straßen im Endeffekt in einem vernünftigen Zustand sind und gebracht werden müssen. Wir haben hier schließlich in dem Hohen Haus in der letzten Wahlperiode eine Grundsatzentscheidung getroffen, bei der wir gesagt haben, wir erkennen die hohen Belastungen der Anwohner, der Bürgerinnen und Bürger an und wir handeln dementsprechend mit der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge.

Letztendlich werden wir da nie volle Gerechtigkeit schaffen, weil es jahrzehntelang Bürgerinnen und Bürger gab, die zahlen mussten. Dann wurde ein Cut gemacht; danach muss man nicht mehr zahlen. Ebenso – das hat Kollege Bilay schon erklärt – gab es die Verabredung, einen Härtefallfonds für die Übergangszeit zu

schaffen, den wir heute hier vorlegen.

Auch hier werden wir sicher nicht alle Gerechtigkeitsfragen lösen. Aber wir haben versucht, es so unbürokratisch wie möglich aufzusetzen, um das auch nachvollziehbar zu machen. Wir wollen mit diesem Fonds tatsächliche Härten abgelten. Berechtigt sind nach unseren Vorschlägen diejenigen Betroffenen, die hier bereits tätig geworden sind, das heißt die, die zu ihrer Kommune, zu ihrer Gemeinde, zu ihrer Stadt gegangen sind und zum Beispiel schon eine Stundung beantragt haben. Mit anderen Worten, es kommt qua Gesetz dann auf eine erhebliche Härte an, darauf, dass mit einer Stundung wirkliche Gefahren für die persönliche, wirtschaftliche Existenz abgeholfen wurden. Über diese erheblichen Härten haben die Gemeinden bereits vorab entschieden. Darauf werden wir uns beziehen. Die Bürgerinnen und Bürger, denen im Zeitraum 2015 bis 2018 Beitragspflichten erwachsen sind, die wollen wir über einen möglichst unkomplizierten Fonds entlasten. Der Vorschlag von Rot-Rot-Grün sieht eben nicht vor, dass wir hier noch einmal ein kompliziertes neues Verwaltungsverfahren aufsetzen, sondern es genügt ein formloser Antrag, denn die kompletten Unterlagen und Prüfunterlagen liegen den Gemeinden ja schon vor. Es muss keine erneute Papierflut an Nachweisen von den Betroffenen an die Amtsschreibtische gehen. Die Grundlagen sind gelegt. Ich hatte gesagt, wir kümmern uns in diesem Gesetz um Zahlungspflichten, die im Zeitraum von vor acht bis fünf Jahren entstanden sind. Das ist jetzt schon eine ganze Zeit her. Deswegen lassen Sie uns ganz schnell zu

(Abg. Bilay)

einer Einigung kommen, lassen Sie uns das Gesetz schnell im Innenausschuss beraten und dann auf den Weg bringen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächstes hat für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Kellner das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Zuschauer auf der Tribüne! Wir beraten heute wieder das Thema, das in den zurückliegenden Jahrzehnten Grundstückseigentümer erzürnt, verunsichert, verärgert hat und das als zutiefst ungerecht empfunden wird. Es handelt sich hier um die Straßenausbaubeiträge. Heute liegt uns ein Gesetzentwurf der Fraktionen von Rot-Rot-Grün vor, in dem die Härtefallregelung nach der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge eingeführt werden soll. Im Grunde geht es im Entwurf zusammengefasst darum, dass Beitragspflichtigen, die ihre Straßenausbaubeiträge bisher stunden, der zu zahlende Beitrag bei 4.000 Euro gekappt werden soll, den Rest der Beitragspflicht übernimmt das Land für sie. Schon bei der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zum 1. Januar 2019 wurde von den Regierungsfraktionen eine Ungleichbehandlung der Bürger in Kauf genommen – ich meine, auch das gehört zur Wahrheit dazu –,

(Zwischenruf Abg. Dr. Lukin, DIE LINKE: Wer hat die Beiträge erfunden?)

nämlich dadurch, dass eine rückwirkende Erstattung an diejenigen, die bereits bezahlt hatten, mit dem Verweis auf die damit verbundenen hohen finanziellen Belastungen der öffentlichen Haushalte abgelehnt wurde. Diejenigen, die schon bezahlt hatten, die ihre Ersparnisse genutzt haben oder Kredite aufgenommen haben, um die Straßenausbaubeiträge zu begleichen, gingen leer aus. Denn antragsberechtigt sind ja grundsätzlich auch nur diejenigen, die bereits eine Stundung bewilligt bekommen haben, frühere Beitragszahler gehen leer aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, problematisch ist also, dass durch das Gesetz Ungerechtigkeiten geschaffen werden. Auch das war bekannt, als man die Straßenausbaubeiträge abgeschafft hat. Erstens: Entstandene Beitragspflichten von vor dem 1. Januar 2015 werden nicht berücksichtigt. Beitragspflichten, die bereits geleistet wurden und wofür einzelne Kredite aufgenommen haben oder anderweitig die Mittel aufgebracht haben, bleiben unberücksichtigt. Anfallende Zinsen werden nicht berücksichtigt.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus dem Entwurf ergeben sich weitere Fragen, wie etwa, wie sie auf die 4.000 Euro Deckung kommen.

(Zwischenruf Abg. Bilay, DIE LINKE: Na, weil mindestens 1.000 Euro Stundung! Vier mal 1.000 Euro sind 4.000 Euro!)

Es scheint mir doch sehr willkürlich zu sein. Die Frage stellt sich dann als nächstes: Wie viele der Betroffenen können davon profitieren? Reichen die 8 Millionen Euro aus, die dafür vorgesehen sind? Was passiert, wenn die 8 Millionen Euro ausgeschöpft sind? Geht der Rest wieder leer aus? Das sind Fragen, die nach wie vor im Raum stehen, die auch geklärt werden müssen. Deswegen sind wir auch offen, über diesen Gesetzentwurf im Ausschuss weiter zu diskutieren, um diese Fragen eventuell zu lösen und damit auch unseren Beitrag zu leisten, dass so viele wie möglich die Entlastung erfahren. Darüber sollte man im Ausschuss ausgiebig Gespräche führen. Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.

(Abg. Merz)

(Beifall CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abgeordnete Henfling das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Präsidentin! Es ist schon erwähnt worden: Mit der vollständigen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zum 1. Januar 2019 haben wir die Grundstückseigentümerinnen und ‑eigentümer in Thüringen deutlich entlastet. Das war damals ein wichtiger Schritt, von dem seitdem viele Menschen profitieren. Bei der Stichtagsregelung liegt es leider in der Natur der Sache, dass sich gewisse Ungerechtigkeiten nicht gänzlich vermeiden lassen. Ich verweise da auch gern zum Beispiel auf die Einführung des Elterngelds. Auch da gab es eine Stichtagsregelung, von der Menschen, die ihr Kind früher zur Welt gebracht haben, nicht mehr profitiert haben. Das ist leider häufig bei Stichtagsregelungen so, dass man das natürlich, zumindest gefühlt, nicht für alle gerecht hinbekommt.

Ich glaube aber, dass eine Stichtagsregelung nötig und legitim ist und die Vorgehensweise auch vernünftig und für die Bürgerinnen und Bürger gut nachvollziehbar ist, zumal die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge die Menschen nicht belastet, sondern deutlich entlastet hat und dabei auch unerwartete finanzielle Risiken genommen hat. Trotzdem war es für uns wichtig und es gehört auch zu einer verantwortlichen Politik, auftretende Ungerechtigkeiten und insbesondere Härten infolge des Stichtags auszugleichen. Es ist kein Geheimnis, dass wir auch innerhalb der Koalition sehr lange darum gerungen haben, was eine sinnvolle, gerechte und auch noch für das Land in der finanziellen Belastung stemmbare Lösung sein kann. Auch vor dem Hintergrund einer damals verkürzt geführten Debatte, bei der der Anschein erweckt worden war, dass mit dem Stichtag 1. Januar 2019 auch die Beiträge für Straßenausbaumaßnahmen der Vorjahre plötzlich entfallen, was natürlich nie der Fall war.

Mit dem Härtefallfonds bringen wir jetzt das passende Instrument auf den Weg, um den Übergang zwischen dem alten und dem neuen Recht verantwortlich zu gestalten. Uns war es dabei ein besonderes Anliegen,

möglichst keine neuen Ungerechtigkeiten gegenüber Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern zu schaffen, die jahrelang mühsam hohe Straßenausbaubeiträge entrichten mussten. Aus diesem Grund beschränken wir den Härtefallfonds auf einen klar begrenzten Zeitraum, für den regelmäßig auch nach dem 1. Januar 2019 noch Beiträge erhoben worden sind, und verlangen zugleich, dass von der betroffenen Gemeinde eine Stundung gewährt worden ist, es sich also um eine tatsächliche Härte handelt, weil das ja genau das ist, was da festgestellt wird. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir nun eine aus meiner Perspektive austarierte und möglichst faire Lösung für alle, um den Übergangsprozess zwischen altem und neuem Recht bestmöglich zu gestalten. Klar ist, absolute Gerechtigkeit kann und wird es nicht geben können.

Ein kleiner Nebeneffekt ist, dass zugleich auch die Städte und Gemeinden profitieren, weil sie die teils jahrelangen Stundungen nicht mehr aufwendig überwachen müssen, sondern das Geld frühzeitig und in voller Höhe vom Land zur Verfügung gestellt bekommen. Ich glaube, dass das eine gute Lösung ist. Ich möchte mich auch jetzt schon für die konstruktive Erarbeitung ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalition, aber auch bei der Staatssekretärin Katharina Schenk bedanken, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass wir jetzt an dieser Stelle sind und eine Lösung für ein lange schwelendes Problem gefunden haben, die, glaube ich, eine wirklich gute Lösung ist. Sicherlich müssen wir – das habe ich bei Herrn Kellner

(Abg. Kellner)

gerade gemerkt – noch einige Details im Ausschuss besprechen und vielleicht auch noch mal erklären. Ich bitte aber erst mal um die Überweisung in den Ausschuss und die weitere Beratung dort. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordneter Höcke das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, es ist mir eine große Freude und eine große Ehre zugleich, zu diesem wichtigen Thema sprechen zu dürfen, das in den letzten Jahrzehnten und immer noch hunderttausende Thüringer bewegt und berührt hat, natürlich in negativer Art und Weise. Machen wir uns ehrlich, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete von den Altfraktionen, Mitte der 2010er-Jahre war der Diskurs um die Straßenausbaubeiträge in gewisser Weise erstarrt, eingefroren. Es war die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, die in der 6. Legislatur dieses Thema wieder auf die politische Agenda gesetzt hat, die den Diskurs wiederbelebt hat.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch völliger Quatsch!)

Ja, Frau Kollegin Henfling,

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich bin nicht Ihre Kollegin!)

ich habe doch auch einen Beleg für Sie mitgebracht. Es wird Sie jetzt freuen, mal ein Exemplar der Fraktionszeitung der AfD hier im Thüringer Landtag zu Gesicht zu bekommen. Ich gebe Ihnen das auch gleich gern zur Lektüre.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich möchte es nicht haben!)

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Ich mache gern Lagerfeuer für Sie!)

Zumindest historisch ist es interessant. Das ist nämlich die Ausgabe von Juni 2017. Wenn Sie da die dritte Seite aufschlagen, dann werden Sie einen Artikel lesen können mit der Überschrift – es ist schön, dass Sie Freude beim Aufschlagen der AfD-Fraktionszeitung haben, wie gesagt, Sie können den auch noch mal nachlesen – „Stoppt die kalte Enteignung durch Straßenausbaubeiträge“.

(Beifall AfD)

Herr Abgeordneter Höcke, ich möchte Sie darauf hinweisen …

Das war die Überschrift in der Juni-Ausgabe 2017 der Zeitung der AfD-Fraktion. Wir haben damals das Thema nicht nur in unserer Zeitung ventiliert, sondern wir haben den Worten auch Taten folgen lassen, und zwar im April 2018 als erste Fraktion im Thüringer Landtag zu diesem konkreten Thema, das heute hier ventiliert wird.

(Beifall AfD)

(Abg. Henfling)

Ja, 2018, April 2018, da gab es nämlich einen Gesetzentwurf der AfD-Fraktion in der 6. Legislatur, wo wir das Ende der Straßenausbaubeiträge, das Ende dieses unsäglichen Kapitels hier gefordert haben. Wir haben damals schon die Gedanken hier ins Hohe Haus getragen, wie wir mit den Altfällen umgehen können, wie wir zu einer Beitragsgerechtigkeit kommen können, wie wir zu Entschädigungsleistungen über ein Vormodell kommen können. All das wurde im April ausführlich diskutiert und danach noch nicht mal in die Ausschüsse überwiesen – das nur mal zum Stichwort „demokratische Kultur“, die heute hier auch schon sehr oft gelobt und beschworen worden ist.

(Beifall AfD)

Im April 2019 waren Sie dann so weit. Da ging es dann schon in den Vorwahlkampf, im Oktober waren ja dann die Wahlen 2019. Wie wir das jetzt in den letzten Tagen häufiger schon mitbekommen haben: Dann werden die Altfraktionen wach. Im April 2019 gab es dann Ihren Gesetzentwurf. Die Erhebung der Straßenausbaubeiträge wurde eingestellt, der Regelungszeitraum 2015 bis 2018 wurde in den Blick genommen. Aber was Sie unterließen, war eine Regelung der Altfälle; der Härtefallfonds war damals für Sie kein Thema.

Herr Innenminister Maier, ich kann mich noch gut an eine gutachterliche Expertise aus Ihrem Haus erinnern. Sie vielleicht auch. Im Juli 2020 muss es gewesen sein. Da kam die gutachterliche Expertise aus dem Hause Maier zu der Erkenntnis, dass ein Härtefallfonds nicht notwendig und nicht erforderlich sei. Deswegen sahen wir als AfD-Fraktion die Notwendigkeit der parlamentarischen Nachbereitung und Nacharbeit, weil wir uns mit dieser Ungerechtigkeit nicht zufriedengeben konnten.

(Beifall AfD)

Es war April 2021, da haben wir einen Gesetzentwurf „Härtefallfonds für Straßenausbaubeiträge eingebracht“. Wieder wurde dieser Antrag noch nicht einmal in die Ausschüsse überwiesen. Er wurde noch nicht mal für diskussionswürdig erachtet.

Und jetzt kommen Sie wiederum über drei Jahre – nein –, über zwei Jahre später und wiederum im Vorwahlkampf mit Ihrem Gesetzentwurf um die Ecke. Wie gesagt, das riecht einfach, das schmeckt einfach, das hört sich einfach nach Wahlkampfgetöse an – das sei mir an dieser Stelle als Anmerkung erlaubt. Aber nichtsdestotrotz sind wir froh, dass das Thema endlich hier noch mal auf die Agenda gesetzt wird, nachdem wir uns in gewisser Weise eine blutige Nase geholt haben bzw. an Ihrem Unwillen zur Regelung dieses wichtigen Sachverhalts für die Thüringer gescheitert sind.

(Beifall AfD)