(Zwischenruf Tiefensee, Minister für Wirt- schaft, Wissenschaft und Digitale Gesell- schaft: Studierende kommen nicht nur aus Thüringen!)
Das stimmt. Aber wir haben ja generell in Deutschland sinkende Bevölkerungszahlen – oder? Ich würde dazu nicht demografischer Wandel sagen, weil auch dafür politische Fehlsteuerungen verantwortlich sind. Aber insofern, dass es weniger werden, da sind wir überein.
Das Desaster ist angerichtet und nun versucht die CDU, mit ihrem Antrag Politik fürs Schaufenster zu machen. Der Antrag strotzt vor klingenden Worten wie „besondere Herausforderungen“, „mehr Wertschätzung“ oder „Zukunftssicherung“. Allein diese Worte bleiben Worthülsen, weil der CDU-Antrag nichts bietet, um sie inhaltlich zu unterfüttern.
Die CDU möchte eine, wie sie sagt, Imagekampagne machen, die sich nicht etwa an die zukünftigen Auszubildenden, sondern an die Eltern der Auszubildenden richtet. Dazu ist zweierlei zu sagen. Erstens: Die duale Ausbildung braucht nicht eine Verbesserung ihres Images, die duale Ausbildung braucht vor allem eine Verbesserung der Bedingungen vor Ort. Das, fand ich, ist auch ein interessanter Gedanke, dass Sie hier wieder auf das Gefühl eingehen, auf das Image. Sie haben ja noch einen Antrag im Plenum, wo Sie das Sicherheitsgefühl der Menschen in Thüringen verbessern wollen. Auch da sieht man genau das Gleiche. Sie gehen nicht an die Wurzel, Sie sagen nicht, dass Sie die Sicherheit verbessern wollen, sondern Sie wollen, dass die Leute halt nicht mehr so richtig merken, dass sie unsicherer leben als früher.
Das ist genau der falsche Weg. Wie auch immer! Jetzt komme ich zu Ihnen und den Lösungen, Herr Tischner. Dazu gehört ein Stopp des Akademisierungswahns und dazu gehört eine politische Wertschätzung der dualen Ausbildung, die sich in konkreten gesetzlichen Regelungen äußert, wie zum Beispiel in einer solchen, für die sich die AfD schon
lange einsetzt, nämlich die Einführung einer Auszubildendenfahrkarte, die sich an den Bedingungen des Semestertickets orientiert.
Auch hier interessant, dass Sie sich, Frau RotheBeinlich, als Vertreterin einer Regierungsfraktion herstellen und sagen, Sie sind da ja wahnsinnig dafür. Sie regieren jetzt schon drei Jahre und bislang haben wir vom Auszubildendenticket leider noch nichts gesehen. Die Anträge der AfD dazu werden abgelehnt. Dazu gehört auch der Erhalt möglichst vieler Standorte berufsbildender Schulen und keine Schließungen, wie sie die Landesregierung plant. Die Wertschätzung für die duale Ausbildung ist in der Bevölkerung zumindest immer noch tief verwurzelt, weil die Thüringer auf Leistung, Tradition und gute Arbeit bauen.
Allein die Politik der Altparteien ist es, die das nicht widerspiegelt. Das müssen wir ändern. Zweitens ist zu dieser Imagekampagne zu sagen: Sie richtet sich, wie ich gerade sagte, nicht an die Auszubildenden selbst, sondern an deren Eltern. Verehrte Mitglieder der CDU-Fraktion, Eltern sind Eltern. Sie sind weder Diener ihrer Kinder noch deren Kindermädchen. Eltern haben eine Leitbildfunktion für ihre Kinder. Sie können sicher bei der Entscheidung für oder gegen eine Ausbildung unterstützen, aber dafür brauchen sie keine bevormundende Imagekampagne.
Genau diese Leitbildfunktion ist aber eine Sache, die von der Politik der Altparteien, insbesondere der SPD, den Grünen und den Linken, kontinuierlich schlecht geheißen wird. Wie oft hören wir aus der Politik, wie arm und benachteiligt diejenigen seien, die wie ihre Eltern einen Ausbildungsberuf ergreifen und nicht studieren. Auch hier brauchen wir keine Bevormundung durch den Staat, sondern Unterstützung bei der Entscheidung und bei der Durchführung der Entscheidung jedes Einzelnen, so wie sie von ihm getroffen wurde. Dafür stehen wir als AfD.
Das liegt natürlich auch an dem Bildungsbegriff, den wir zugrunde legen. Bildung, die seitens des Staats vermittelt wird, hat vor allem das Ziel, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die die Selbstentwicklung des Einzelnen unterstützen. Jeder Einzelne soll gebildet werden mit dem Ziel, ein selbstbestimmtes und freies, von der Verantwortung für die Gemeinschaft getragenes Leben innerhalb unseres Staats zu führen. Bildung hat das Ziel, freie Staatsbürger heranzubilden. Dazu gehört natürlich auch, dass ein 16-Jähriger selbst entscheidet, welche Ausbildung er wählt oder ob er, sofern er die Leistung erbringt, ein Studium anstrebt und eben
nicht den Weg geht, den die Eltern gegangen sind, und schon gar nicht, dass die Eltern das entscheiden.
Die von der CDU verfolgte Imagekampagne ist eine Luftnummer, die den von mir aufgezeigten Grundsätzen entgegensteht, und deswegen lehnen wir sie selbstverständlich ab.
Dann kommen Sie mit dem Vorschlag, ein Unternehmergymnasium nach bayerischem Vorbild zu schaffen, das das Interesse junger Menschen an einer Existenzgründung wecken soll. Schön und gut, darüber kann man nachdenken. Viel wichtiger wäre es doch aber, bürokratische Hindernisse abzubauen, damit Existenzgründer mit all den Regelungen nicht vollkommen überlastet sind, mit denen sie momentan konfrontiert werden. Was wir brauchen, sind keine zusätzlichen Lasten, sondern die Erleichterung der Aufzeichnungspflichten, ein Ende von Doppelprüfungen, eine weitergehende Reform des Insolvenzanfechtungsrechts und der stetige Abbau bürokratischer Lasten.
(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Und da- mit wollen Sie junge Menschen überzeugen? Hören Sie sich doch selbst mal zu! Das ist ja unglaublich!)
Ein letzter Punkt: Ein Schulabschluss als solcher ist schon lange kein Garant mehr dafür, ausbildungsfähig zu sein. Seit Jahren klagen Unternehmen über mangelnde Fähigkeiten und eine nicht vorhandene Ausbildungsreife der Schulabgänger. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen einer DIHK-Studie aus dem Jahr 2016 gab an, dass sie bei ihren Azubis Mängel bei mündlichem und schriftlichem Ausdrucksvermögen feststellen. Kritik an elementaren Rechenfertigkeiten äußerten 47 Prozent. Wir müssen also festhalten, dass unsere Schulen dank Ihrer Politik nicht das tun, was sie sollen.
Sie lehren den Schülern zwar sexuelle Vielfalt und den Umgang mit Rechts, aber das Lesen, Schreiben und Rechnen kommt ganz offenbar deutlich zu kurz.
Ich wende mich auch an die CDU, Herr Adams, ich will nicht alles den Grünen anlasten, da haben Sie vollständig recht. Ich wende mich auch an die CDU, Sie sind jetzt sozusagen als Altparteien global angesprochen.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was würden Sie denn sagen, was Ihre Ausbildung wert ist? Was ist Ihre Ausbil- dung wert?)
Gerade da, was die Bildung angeht, sehe ich in den letzten drei Jahren in der Tat noch mal eine deutliche Verschlechterung, auch wenn die CDU schon einiges nicht so ganz gut gemacht hat. All diese Dinge sind tief gehende Probleme unserer Gesellschaft, die die Politik der Altparteien forciert hat.
Der Antrag der CDU – das sage ich noch mal abschließend – doktert an Symptomen herum, bietet aber keine überzeugenden Lösungsansätze, die wirklich an die Wurzel gehen. Deswegen ist er als solcher nicht zuständig. Im Ausschuss kann man meinetwegen über alles diskutieren, aber wirklich sinnvoll wird das mit den Ansätzen nicht werden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe zwei Besucher, liebe Zuhörerinnen am Livestream, werte Kolleginnen, wer heute in Thüringen eine Ausbildung anfangen will und sich erst jetzt im November entscheidet, hat dennoch immer noch eine riesige Auswahl an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Kauffrau für Verkehrsservice, Gebäudereinigerin, Elektronikerin für Betriebstechnik, Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik, Elektronikerin für Informations- und Telekommunikationstechnik, Maler und Lackiererin, Trockenbaumonteurin, Kauffrau im Einzelhandel, Kauffrau für Büromanagement, Kauffrau für Dialogmarketing, Kauffrau für Groß- und Außenhandel, Kauffrau für Versicherung und Finanzen, Industriekauffrau, Sport- und Fitnesskauffrau, Köchin, Hotelfachkraft, Hörakustikerin, Metallbauerin, Restaurantfachkraft, Fachkraft für Systemgastronomie, Berufskraftfahrerin, Alltagsbegleiterin, Technische Zeichnerin, Veranstaltungstechnikerin, Friseurin, Fachkraft für Lagerlogistik, Anlagenmechanikerin für Sanitär, Heizung und Klimatechnik, Fachkraft für Lederbearbeitung, Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Tierwirtin, Werkzeugmechanikerin – dies alles sind Berufe, in denen allein im Raum Erfurt jetzt noch Ausbildungsplätze frei sind, also wo junge Menschen ab morgen anfangen könnten. Denn wie bereits 2015 und 2016 sind
auch in diesem Jahr im Herbst noch rund 6.000 Ausbildungsplätze in ganz Thüringen unbesetzt. In vielen Branchen gibt es durch diese Entwicklung bereits einen erheblichen Mangel an beruflichen Nachwuchskräften.
Ein Ergebnis dieser Situation ist es, dass die Neigung von Betrieben, auszubilden, weiter zurückgeht. Das ist ein ernstes Problem, denn an dieser Stelle ist die Zukunft des dualen Ausbildungssystems direkt betroffen. Insofern ist das Thema, das die CDU mit ihrem Antrag hier anspricht, durchaus wichtig und aktuell. Dennoch halten wir als Linksfraktion den Antrag der CDU für nicht weitgehend genug, denn er bezieht sich vor allem auf die Berufsorientierung an Gymnasien. Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass immer mehr junge Menschen einen Studienplatz einer dualen Berufsausbildung vorziehen. Unserer Ansicht nach liegt das jedoch nicht allein an mangelnden Informationen über die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung, denn junge Menschen haben nämlich durchaus gute Gründe, wenn sie sich für ein Studium entscheiden. So sind zum Beispiel immer noch Menschen mit einer akademischen Ausbildung seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen mit einem Abschluss einer dualen Berufsausbildung. Außerdem erscheint vielen jungen Menschen die Studienzeit attraktiver als Ausbildungsjahre, denn viele Auszubildende sehen sich unverändert mit großen Belastungen konfrontiert. Natürlich spricht sich das rum, denn auch junge Menschen reden mit ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis darüber, über ihre Arbeitsbedingungen, über Überstunden, fachlich ungenügende Anleitung, eine unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung oder schlicht und einfach das Gefühl, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden. Die duale Berufsausbildung gewinnt erst an Attraktivität, wenn es selbstverständlich ist, dass gute tarifliche Vergütung gezahlt wird und betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen gewährleistet wird. Das spricht junge Menschen an. Nur so können Ausbildungsstellen auch besetzt werden. Dies bestätigt auch immer wieder der jährliche Ausbildungsreport der DGB-Jugend. Der ist für dieses Jahr, 2017, bereits erschienen. So wird darin zum Beispiel jedes Jahr aufs Neue festgestellt, dass Auszubildende in Betrieben mit betrieblicher Mitbestimmung viel zufriedener mit ihre Ausbildung sind.
Gelingt es uns also nicht, die Berufsausbildung massiv qualitativ zu verbessern, die Tarifbindung der Thüringer Betriebe signifikant zu erhöhen und Mitbestimmung weiter flächendeckend zu verankern, so nützt uns auch die schönste Imagekampagne nichts.
Letztendlich aber muss es auch wirksame Kontrollen zur Überwachung der Ausbildungsqualität geben. Verstöße und Nichteinhaltung gesetzlicher Re
gelungen und Verordnungen sind nämlich keine Kavaliersdelikte. Es ist Aufgabe der Kammern, dafür Sorge zu tragen, dass vor Ort die festgelegten Standards eingehalten werden. Doch gerade hier offenbart sich ein zentrales Problem. Auf der einen Seite sind sie für die Kontrolle der Ausbildung zuständig, auf der anderen Seite sind sie ein arbeitgeberfinanzierter Interessenverband. Diese Doppelstruktur führt häufig dazu, dass der Kontrolle der Ausbildung nur unzureichend nachgekommen wird. Wenn Missstände aufgedeckt werden, dann folgen darauf meist keine wirklichen Sanktionen. Hier liegt der Fehler im System. Die Kammern sind gezwungen, ihre zahlenden Mitglieder zu sanktionieren. Das kann nicht funktionieren. Unabhängige Kontrollinstanzen könnten da ein Ausweg sein.
Auszubildende brauchen eine Beschwerdestelle, der sie auch vertrauen. Es bedarf eines Beschwerdemanagements, das Auszubildende in ihren Problemen tatsächlich ernst nimmt, ihnen Schutz gewährt und das für die Auszubildenden auch leicht zugänglich ist.
Nicht umsonst fordern die Gewerkschaften schon lange eine Reform des Berufsbildungsgesetzes, um die Qualität der Berufsausbildung zu verbessern und somit auch attraktiver zu machen. Doch alle Novellierungs- und Reformversuche wurden bisher seitens der CDU-Fraktion im Bundestag blockiert und zurückgewiesen. Davon jetzt einmal abgesehen gibt es immer noch Hunderte Jugendliche, die den Einstieg in eine berufliche Ausbildung gar nicht erst schaffen. In Thüringen haben wir – wie in vielen anderen Bundesländern auch – einen hohen Sockel an jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, von denen die wenigsten nach dem Verlassen der Schule einen Weg in eine berufliche Zukunft finden. Trotz aller demografischen Probleme ist diese Zahl der Jugendlichen in den letzten Jahren kaum zurückgegangen. Die Ursachen dafür sind so vielfältig wie die Menschen selbst: problematische Familiensituationen, gesundheitliche Einschränkungen, eine Reihe unterschiedlicher Belastungen, denen junge Menschen ausgesetzt sind und bei denen sie Unterstützung brauchen; gesundheitliche Unterstützung, sozialpädagogische Unterstützung oder manchmal auch einfach nur konzentrierte Nachhilfe, um die nächste Prüfung zu bestehen.
Auch wenn es vielleicht möglich sein sollte, einen Teil der jungen Menschen, die sich auf das Studium orientieren, für den dualen Bereich zurückzugewinnen, so ist es aus Sicht der Linksfraktion dringlicher, auf die Jugendlichen mit Problemlagen zu schauen und hier neuere und bessere Wege zu finden. Erfahrungen aus anderen Bundesländern, wie zum Beispiel aus Hamburg, zeigen, dass man mit kooperativen Ansätzen, die die Unterstützungsmöglichkeiten der verschiedenen Systeme koppeln, weiterkommt. Manches ist hier bereits in Bewe
gung. Es ist daher gut, diesen Stand zu bilanzieren und über die Dinge zu reden, die als Nächstes getan werden müssen.
Ich möchte noch mal auf zwei Themen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, insbesondere eingehen: die Berufsorientierung an den Schulen und die begleitenden Hilfen beim Übergang von den Schulen in die Ausbildung. Im Sommer 2016 hat die von Bundes- und Landesregierung gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung „Abschluss und Anschluss [...]“ das Ziel gestellt, die Zahl der Schulabgängerinnen ohne Schulabschluss zu verringern und den Anteil der Jugendlichen, die eine Ausbildung erfolgreich abschließen, zu erhöhen. Hierfür soll die Landesstrategie zur praxisnahen Berufsorientierung strukturell optimiert werden – ein Ziel, das ich so auch in den ersten Anstrichen Ihres Antrags herauslese, liebe CDU-Fraktion, und wo wir uns durchaus treffen könnten.
Leider ist das Niveau der Berufsorientierung an Thüringer Schulen sehr unterschiedlich. Es gibt einerseits sehr gute Beispiele mit festen Kooperationen, mit ortsnahen Unternehmen und vielen Möglichkeiten für die Schülerinnen, sich auszuprobieren. Aber es gibt auch Schulen, an denen diesen Bereichen immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Eine Möglichkeit, dem abzuhelfen, wäre vielleicht, die Berufsorientierung im Zuge der aktuell vorgesehenen Novellierung des Thüringer Schulgesetzes als verbindliche Aufgabe für alle allgemeinbildenden Schulformen festzuschreiben, wie es unter anderem der Landesausschuss für Berufsbildung – kurz LAB – vorschlägt. Dadurch wäre es möglich, die Berufsorientierung landesweit qualitativ und quantitativ nachhaltig zu sichern.