lich zum Ausdruck gebracht. Ich finde, dass unseren Sicherheitskräfte in unserem Land – denen unsere Hochachtung gebührt für all das, was sie in den letzten Wochen und Monaten auch in Bezug auf eine verschärfte und ganz andere Sicherheitslage in diesem Land geleistet haben – natürlich auch die Wahrheit erzählt gehört: dass dieses Bild, dieser Schnappschuss – der mir, wie gesagt, sehr leid tut, ich habe auch bei den Polizeigewerkschaften damals angerufen – nur der eine Teil der Wahrheit ist. Der andere Teil ist aber auch, dass diese drei Fraktionsvorsitzenden, dass dieses Regierungsbündnis sich im Moment stark macht für einen Stopp des Stellenabbaus bei der Polizei, für eine Erweiterung des Einstellungskorridors beispielsweise in der Lehrausbildung bei der Polizei. Auch das ist ein Teil der Wahrheit, den Mike Mohring heute in seiner Stellungnahme zum Thüringen-Monitor vielleicht wieder bewusst weggelassen hat.
Das Zweite ist – auch das kann er im Protokoll nachlesen, das hat sich mittlerweile leider auch bei seinen Kolleginnen und Kollegen in der CDU-Fraktion so ein bisschen mit ausgebildet –, dass man auf Umfragewerte oder auch tatsächliche Wahlergebnisse abstellt. Ich habe das vorhin auch wieder gesehen. Ich stehe nicht hier vorne, um beispielsweise meine Koalitionskollegen von den Grünen zu verteidigen. Aber sich hier vorn hinzustellen und zu sagen: Sie haben nur 6 Prozent, sie bilden nicht die Mehrheit der Bevölkerung ab – damit hat er ja recht, natürlich. Die Grünen mit ihren 6 Prozent, wir mit unseren mickrigen 12,4 Prozent damals zur Wahl: Wir sind nicht die Mehrheit der Bevölkerung, aber die CDU mit ihren konstanten 35 Prozent ist es eben auch nicht.
Es gibt 65 Prozent der Leute, die bewusst keine CDU wählen. Ich finde das insoweit ganz lustig, weil ich finde, wenn die große Mutterpartei CDU momentan in Berlin versucht, mit zwei genauso kleinen Parteien, die auch nicht die Mehrheit der Bevölkerung abbilden, ein Bündnis zu schmieden, dass es die Fairness auch gebietet, dass man auch mit kleinen Parteien – auch hier in diesem Hause – versucht, anders umzugehen. Die CDU wird das in Berlin schon schaffen. Jamaika ist auch ein schönes Land. Ich habe da überhaupt keine Zweifel, dass das auch zustande kommt. Aber ich finde, das gehört auch zur Wahrheit dazu, dass auch Mike Mohring und auch Mitglieder seiner Fraktion, die in letzter Zeit immer sehr hämisch sind, das anerkennen. Ich habe das neulich mal miterlebt: Wir hatten eine INSA-Umfrage, da lag meine Partei bei
10 Prozent. Da ist ein Mitglied von unserer Fraktion zu einem Redebeitrag aufgestanden – oder ich war es selbst –, da kam sofort hämisch die Debatte: Jetzt kommen 10 Prozent, die hier reden. Ja, was glauben Sie denn, dass Sie immer nur die Mehrheit in der Bevölkerung abbilden? Das tun Sie auch nicht.
Das ist aus meiner Sicht heraus jetzt mal eine klare Ansage und ich finde, auch Mike Mohring sollte – vieles von dem, was er hier gesagt hat, kann ich ja unterschreiben – auch schauen, wie man mit kleinen Parteien in diesem Parlament umgeht. Es ist ein hoch geschätzter Wert dieser Demokratie, dass auch kleine Parteien im Zusammenschluss beispielsweise mit großen – wir werden das in Berlin erleben – dann die Mehrheit im Parlament abbilden und dadurch auch für die Mehrheit draußen in der Bevölkerung Gesetzesinitiativen und auch legislative Maßnahmen treffen. Diese Form der demokratischen Mitwirkung auch für kleine Parteien lassen wir uns hier in diesem Hause nicht schlechtreden.
Es ist bereits eine Menge über den Begriff der gesellschaftlichen Mitte gesagt worden. Ich muss jetzt nicht noch weitere Definitionen anfügen, ich will mich deshalb vor allem auf ein paar Befunde in diesem Werk beziehen, die man als beunruhigend bezeichnen kann, manchmal auch als nicht immer schlüssig. Einer der Thüringen-Monitore der vergangenen Jahre – letztes oder vorletztes Jahr – hatte beispielsweise den Titel „Gemischte Gefühle“. Wenn man den jetzt wieder zurate zieht – dieses Kompendium, diesen Thüringen-Monitor –, dann könnte man auch unterschreiben: Ja, wenn man viele Umfragewerte zusammenlegt, dann hat man auch diese gemischten Gefühle. Aber ich will auf drei allgemein festzustellende Dinge mal näher eingehen und die will ich jetzt herausgreifen.
Erstens: Es gibt nach wie vor breite Teile der Gesellschaft, die sich als Ostdeutsche benachteiligt fühlen.
Drittens: Es gibt nicht Wenige, die insbesondere der Politik und auch den Politikern sehr skeptisch gegenüberstehen.
Einen breiten Teil des Thüringen-Monitors nimmt – wenn ich den ersten Punkt anspreche – also auch wieder das Thema „Ostdeprivation“ ein. Das ist dieser Begriff, den man Menschen zuordnet, die sich benachteiligt fühlen, weil sie Ostdeutsche sind oder weil sie im Osten unserer Republik leben. Wir hatten uns bereits in den Vorjahren über dieses Phä
nomen unterhalten, weil das nicht zum ersten Mal im Thüringen-Monitor auftaucht. Im aktuellen Monitor steht zu lesen, dass von 37 Prozent, zum Teil sogar 49 Prozent der Befragten eine individuelle Benachteiligung empfunden wird. Also fast die Hälfte der Befragten fühlt sich benachteiligt, weil sie Ostdeutsche sind und/oder in Ostdeutschland leben. Ein von mir persönlich sehr geschätzter Journalist einer großen Thüringer Zeitung hat sich dieser Tage im Zuge der Feierlichkeiten um den 3. Oktober und zu einer Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit in einer Kommentarspalte auch schon mal über das Thema „Ostdeprivation“ geäußert. Er schreibt – Sie gestatten zu zitieren, Frau Präsidentin –: „Ja, es ist an der Zeit, allerdings für Worte, die nicht im Schloss Bellevue sorgfältig abgewogen wurden, sondern Worte, die sagen, was ist.“ Ich möchte zu gegebener Zeit auf die bemerkenswerte Aussage zurückkommen.
Ich gestehe es gern ein: Ich habe mit dem Begriff „Ostdeprivation“ vor einigen Jahren und bevor der Thüringen-Monitor das in der Form auch thematisiert hat, auch noch gar nicht viel anfangen können. Aber es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Das Gefühl, als Ostdeutscher in der Bundesrepublik benachteiligt zu sein, ist nämlich sehr entscheidend für manche Umfrageergebnisse in diesem Thüringen-Monitor. Und dieses Gefühl, diese Ostdeprivation, ist vor allem deswegen so wichtig, weil die Verfasser feststellen – ich zitiere –: weil es „einen signifikanten Erklärungsbeitrag für Rechtsextremismus, Neo-Nationalsozialismus und Fremdenfeindlichkeit leistet. Eine Dämpfung der ‚Ostdeprivation‘ würde einen Risikofaktor für die politische Kultur Thüringens vermindern“. Ich glaube das auch, aber ich will es ganz ehrlich sagen: Ich habe offen gestanden die Nase voll davon, dass wir alljährlich nämlich diesen Thüringen-Monitor hier im Landtag auswerten und ernst nehmen und darüber debattieren, welche Handlungsempfehlung das jetzt für die Politik bedeutet, aber aus vielleicht falsch verstandener Korrektheit in schöner Regelmäßigkeit auch immer wieder betont wird – zum Teil auch von unserer Seite –, dass das mit dem Benachteiligkeitsgefühl ja stimmen mag, aber trotzdem das Zusammenwachsen von Ost und West eine wichtige Sache ist, wichtiger denn je, und die Mauer in den Köpfen, die es hier und da noch gibt, weg muss und daran gearbeitet werden muss und das wichtig für den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft wäre. Das ist alles richtig, aber ich zitiere gern noch einmal den Thüringer Chefkommentator: „Ja, es ist an der Zeit [...] für Worte, [...] die sagen, was ist.“ – Und ich sage das jetzt mal ganz deutlich: Es gibt nicht nur ein Gefühl der Benachteiligung, es gibt nicht nur eine Mauer in den Köpfen. Diese zu Recht angesprochene Ostdeprivation ist real. Ich sage Ihnen auch gern, warum, und dazu serviere ich Ihnen gern mal ein paar Zahlen: In der Bundesrepublik machen die Ostdeutschen rund 20 Prozent der Be
völkerung aus. Die leben jetzt zwar nicht alle in Ostdeutschland, viele sind mittlerweile beispielsweise auch im Westen beheimatet, aber 20 Prozent von all denen, die in Deutschland leben, sind Ostdeutsche also, jeder Fünfte. Das sagt noch gar nichts aus. Aber wenn ich fragen würde: Wie bilden sich diese 20 Prozent denn in der gesamtdeutschen Gesellschaft ab? – Dann wird es spannend. Es gab um den diesjährigen Tag der Deutschen Einheit hierzu ein paar ganz besondere, interessante Fakten, die in den Medien zum Teil herausgestellt wurden. Ich habe mal ein paar für mich selbst und für diese Rede zusammengestellt.
Fangen wir in der Wirtschaft an: Von den 30 größten Dax-Konzernen haben die wenigsten in den Vorstandsetagen ostdeutsche Manager sitzen. Um ganz genau zu sein: Von 201 Vorstandsmitgliedern, die zu diesen Gremien gehören, was schätzen Sie, wie viele kommen aus Ostdeutschland? Wenn wir jetzt auf die 20 Prozent abstellen würden, die ja den Gesamtanteil an der deutschen Bevölkerung ausmachen, dann müssten das so um die 40 sein. Glauben Sie, dass das 40 sind? Nein? Vielleicht die Hälfte, 20? Auch nicht? Sind es vielleicht zehn? Es sind im Ganzen vier; vier von 201!
Jetzt wollen wir mal weiterschauen – in Verwaltung und Politik: Von 109 Abteilungsleitern in den Bundesministerien kommen aus Ostdeutschland: vier. Von insgesamt 64 Staatssekretären in den Bundesministerien kommen derzeit aus Ostdeutschland: drei. Drei Viertel aller Abteilungsleiter in ostdeutschen Ministerien stammen aus dem Westen. Sie können auch gern einfach mal die hiesigen Ministerien im Kopf durchgehen oder nehmen Sie sich mal so ein Telefonverzeichnis, ob das auch für Thüringen zutrifft. Ich kann das mit einer starken vertikalen Kopfbewegung bejahen. Ja, das ist auch bei uns so.
94 Prozent der Richter an den obersten ostdeutschen Gerichten kommen aus Westdeutschland. Und schätzen Sie doch mal bitte, wie viele von den 89 Rektoren und Präsidenten an staatlichen Universitäten Ostdeutsche sind, einfach mal schätzen: Es sind null, kein einziger, es gibt keinen.
Es ist also kein Gefühl der Benachteiligung, es ist kein Eindruck, dass Ostdeutsche in dieser Gesellschaft nicht in Schlüsselpositionen sitzen – es ist eine Tatsache. Und Punkt. Mike Mohring hat vorhin berechtigterweise gesagt: Ja, es geht darum, die Augenhöhe zwischen denen herzustellen, die in Ostdeutschland Verantwortung tragen, und denen, die in Westdeutschland Verantwortung tragen. Aber wenn Sie allein dieses Zahlenmaterial nehmen, wissen Sie, das wird noch ein verdammt schwerer und ein sehr weiter Weg werden.
Es ist doch kein Wunder, dass die Leute draußen im Land – auch die, die im Thüringen-Monitor befragt werden und dieses Gefühl der Ostdeprivation
dann eben auch in diesen Befragungen widerspiegeln – das so wahrnehmen. Jeder, der sich in Verwaltungen, großen Wirtschaftsunternehmen, Gerichten und in der Politik umschaut, weiß das. Es gibt auch keine Erklärung für das, was sich hier selbst 27 Jahre nach der Wiedervereinigung abspielt. Oder will mir jemand ernsthaft sagen, dass ostdeutsche Richter, ostdeutsche Abteilungsleiter oder ostdeutsche Firmenbesitzer immer die jeweils schlechteren sind, die schlechter Qualifizierten? Will mir das irgendjemand sagen? Gibt es dafür Beweise? Ich glaube, das geht gar nicht, weil es auch nicht stimmt.
Und jetzt noch mal der entscheidende Satz aus dem Thüringen-Monitor: „Eine Dämpfung der ‚Ostdeprivation‘ würde einen Risikofaktor für die politische Kultur Thüringens vermindern.“ Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Einschätzung. Aber dazu ist es auch notwendig, dass man nicht aus falsch verstandener politischer Korrektheit diesen entscheidenden Faktor wegblendet oder mit der Feststellung übertüncht: Eigentlich würde doch sonst im Prozess der Wiedervereinigung alles ganz prima laufen. Ich glaube auch, dass das möglich ist und dass das möglich sein muss, dass man nicht in der Ecke der ständigen Nörgler steht, dass es nicht eine bloße Einteilung zwischen Jammerossis und Besserwessis gibt und dass man trotzdem diese Fakten, die ich eben angesprochen habe, offensiv ansprechen muss, um zu begreifen, weshalb dieses Gefühl der Ostdeprivation nach wie vor so präsent ist.
Das zweite Phänomen: Der Zweifel an demokratischen Prozessen, der Demokratie schlechthin. Das höre ich auch immer wieder: Wie sehr wir uns als Politiker anstrengen müssen, mit den Leuten sprechen, alles noch transparenter machen, ihnen begreiflich machen, wie politische Prozesse ablaufen. Auch Mike Mohring hat vorhin darauf abgestellt, ich zitiere ihn mal auch als Oppositionsführer, weil er gesagt hat, wir müssen mit den Leuten reden, reden, reden, damit die wissen, warum die Dinge sind, wie sie sind. Das stimmt natürlich, ich will das gar nicht in Abrede stellen. Aber das allgemein dargestellte Gefühl, das nicht nur im Thüringen-Monitor dargestellt wird, sondern das auch Leute sagen, die zu mir ins Bürgerbüro kommen, oder wenn ich generell auf der Straße bin, mit ihnen ins Gespräch komme, ist, dass bestimmte Prozesse „da oben“ – wie die Leute immer gern sagen – nicht wirklich beeinflusst werden können. Das ist wie ein Gefühl der Ohnmacht, das diese Leute haben. Selbst politisch Interessierte, selbst Menschen, die wissen, wie Politik im Großen und Ganzen funktioniert, haben dieses Gefühl – und mittlerweile immer verstärkter. Und das bildet sich eben auch in den Umfragewerten des heutigen Kompendiums ab, das wir hier diskutieren.
Ich sage Ihnen, woran das vielleicht auch liegen kann: Weil es tatsächlich eine Ebene in unserer Gesellschaft oder im gesamten westlichen System gibt, die sich vollständig losgekoppelt hat von Demokratie, wie Sie und ich sie hier in diesem Raum verstehen, und die sich krakenartig ausbreitet. Es gibt sie nämlich längst: eine Reihe von Institutionen, die niemand auf dieser Welt je gewählt hat, die Sie und ich und die Bürger draußen auch niemals wählen können, die von keinem Parlament kontrolliert werden. Ich will da mal ganz oben anfangen, bei Einrichtungen, die Ihnen und allen Bürgerinnen und Bürgern draußen im Land in fast jeder Nachrichtensendung über den Weg laufen.
Können Sie sich noch an die große Bankenkrise, die Eurorettung, die Hilfspakete an Griechenland erinnern? Immer wieder war damals auch die Rede von Ratingagenturen, die mit ihren Einschätzungen ganze Volkswirtschaften entweder in den Himmel heben oder runter in die Hölle schicken können – von „Triple A“ bis „D“, da ist alles dabei.
Solche Ratingagenturen bewerten international, ob jemand kreditwürdig ist oder nicht. Und dieser jemand, der da bewertet wird, kann ein Unternehmen sein, eine Bank, aber auch ein kompletter Staat. Vor einiger Zeit hatten die Hochkonjunktur – keine einzige Meldung ohne irgendeine Ratingagentur. Es gibt drei ganz große: Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch – und die entscheiden ernsthaft, ob, wann und zu welchen Bedingungen ein ganzer Staat kreditwürdig ist. Vorstände von Ratingagenturen werden aber nicht gewählt, sie sind nicht demokratisch legitimiert, aber sie entscheiden zum Teil über ganze Volkswirtschaften.
Fast genauso verrückt: Der Internationale Währungsfonds, der IWF, entscheidet über Kredite an Länder, die in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sind. Wer oder was, frage ich Sie, ist dieser IWF eigentlich? Das ist eine Sonderorganisation der UNO, die darüber entscheidet, wer wann frisches Geld bekommt, und sie diktiert in diesem Sinne auch die Bedingungen dafür. Insbesondere im Falle Griechenlands sind dabei verheerende Fehler gemacht worden. Das gibt der IWF übrigens auch selbst unumwunden zu, ein entsprechendes Dossier von 2013 ist im Internet jederzeit abrufbar. Wie diese Entscheidungen über Hilfe oder Nichthilfe an Griechenland gefallen sind, an welche Kriterien sie gekoppelt werden, das hat der IWF ganz allein entschieden und da zählte es auch nicht, welche Beschlüsse beispielsweise das griechische Parlament dazu gefasst hat. Damit das klar gesagt wird: Ein Parlament, vom Volk gewählt, kann entscheiden, was es will – der IWF wird seinen eigenen Kurs vorgeben.
Die große Schwester des IWF ist die Weltbank – das ist auch eine ganz fabelhafte Einrichtung. Die Weltbank reguliert nämlich nicht Bedingungen in
der Finanzwirtschaft, sie kümmert sich mit milliardenschweren Geldprogrammen um die Realwirtschaft. Sie repräsentiert 188 Länder – hauptsächlich –, hat allerdings für die Industrienationen dort das Wort. Und diese Weltbank hat nachweislich vor allem in Afrika und Südamerika mit völlig falschen Strukturprogrammen Tausenden Menschen die Lebensgrundlagen genommen und massiv Menschenrechte verletzt. Der UN-Sonderberichterstatter Philip Alston
Noch mal: Diese ganzen Institutionen – Ratingagenturen, globale Finanzmärkte, Investmentbanken –, weltweit handelnde Organisationen, wie die, die ich eben aufgezählt habe – sind nie von einem Volk irgendwo auf der Erde gewählt worden. Sie werden von keinem Parlament kontrolliert, aber sie bestimmen unser Leben. Sie diktieren unter anderem auch die Politik in vielen Ländern der Erde. Ich frage Sie: Mit welchem Recht eigentlich?
Man kann jetzt sagen: Das ist alles halb so wild, das sind ja nur wenige Beispiele, deshalb ist die Demokratie ja noch nicht in Gefahr und außerdem sind das ja ganz große, riesige, international wirkende Organisationen. Das stimmt sicher. Aber wenn es so ist, dass der Fisch in der Regel vom Kopf her stinkt, dann heißt das: Wenn Menschen draußen im Land – mögen sie jetzt zur gesellschaftlichen Mitte zählen oder nicht – die Nachrichten verfolgen und Anteil nehmen und solche Dinge verfolgen und bereits an diesen Strukturen zweifeln, wie ich sie eben beschrieben habe, dann müssen wir uns nicht wundern, dass dieses Misstrauen auch irgendwann zur Bundes- und Landesregierung durchsickert.
Wer glaubt, dass die Menschen keinen Anteil mehr nehmen an den vielen Widersprüchen, die sie täglich serviert bekommen, der irrt. Und die Widersprüche nehmen massiv zu. Den Menschen in diesem Land, in dieser Republik wird an allen möglichen und unmöglichen Stellen klargemacht, dass kein Geld da ist für den Straßenbau, für ein verbessertes Krankensystem, für höhere Renten – und wenn, nur sehr bedingt. Aber sie schalten den Fernseher ein und sehen in schöner Regelmäßigkeit Bilder vom Berliner Flughafen, der vor elf Jahren eröffnet werden und 3 Milliarden Euro kosten sollte. Jetzt kostet er bereits über 10 Milliarden Euro und nach wie vor startet und landet dort kein einziges Flugzeug. Ich habe manchmal den Eindruck, es wäre billiger und günstiger, Berlin in Kisten zu packen und neben einem funktionierenden Großflughafen wieder aufzubauen; das wäre ja auch mal eine Idee.
Ich könnte hier noch mehr aufzählen: die Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21. Ich muss gar nicht so weit gehen, ich kann in Thüringen bleiben und nur ein paar mittlerweile insolvente Spaßbäder hierzulande nennen. Natürlich fragen sich die Bürgerinnen und Bürger draußen: Woher stammt eigentlich dieses ganze Geld, woher kommt das – für Flughäfen, für die Rettung maroder Banken, für Auslandseinsätze unserer Soldaten bei Konflikten, bei denen mittlerweile in manchen Regionen keiner mehr durchblickt, wer da eigentlich gegen wen kämpft und warum und wofür? Aber der Förderverein der Schule um die Ecke muss Spenden sammeln für das nächste Sommerfest.
Genauso bildet sich das im Thüringen-Monitor auch wieder ab. Mehr als zwei Drittel der Befragten – es sind 69 Prozent – stimmen der Aussage zu: In unserer Demokratie werden die Anliegen der Menschen nicht mehr wirksam vertreten. 69 Prozent! Wenn wir in unserer heutigen Debatte über die gesellschaftliche Mitte sprechen, da dürfte bei solchen Umfragewerten eigentlich klar sein: Diese Einschätzung über die Wirksamkeit der Demokratie ist doch etwas, das auch längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Diese 69 Prozent bilden ja nun weiß Gott nicht mehr die Ränder ab.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der dritte, wie ich finde, sehr wichtige Befund dreht sich auch um unser Kerngeschäft hier im Hohen Haus: Es geht um die Politik und um ihre Glaubwürdigkeit. Es gibt eine Reihe von sehr bemerkenswerten Befunden hier im Thüringen-Monitor, die einen aufhorchen lassen. Der eine oder andere Vorredner hat auch schon das eine oder andere aus dem Thüringen-Monitor oder auch Daten, Umfragewerte, Befunde daraus zitiert. Im Bundestagswahlkampf – das mal als Beispiel – hat die SPD den Slogan „Für mehr Gerechtigkeit“ gehabt, den konnte man an jeder Straßenecke lesen: „Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit“ – und damit gemeint, dass Teilhabe am unbestritten gewachsenen Wohlstand in diesem Land nicht für alle möglich ist und dass das vor allem eine Gerechtigkeitsfrage ist, wie es um diese Teilhabe aussieht, wie es um diese Teilhabe bestellt ist. Eines der markanten Beispiele, das die SPD immer wieder anführte, ist die Frage der Möglichkeit nach guter Bildung, die eben nicht, wie allgemein angenommen, jedem in unserem Land offensteht, sondern es gibt da feine Unterschiede, die sich daran festmachen, aus welcher sozialen Schicht man kommt. Letztlich entscheidet der Status dieser sozialen Schicht auch über den möglichen sozialen Aufstieg in der Gesellschaft. Man hat dann im Thüringen-Monitor die Befragten einschätzen lassen, zu welcher Gesellschaftsschicht sie sich zählen und wie sie ihre Aufstiegschancen sehen. Das Überraschende, das vielleicht aber sehr Wichtige ist: Von denen, die sich selbst zur soge
nannten Unterschicht in unserem Land zählen, sagen 83 Prozent – also vier von fünf Leuten –: Sie haben schlechte bzw. sehr schlechte Chancen auf einen sozialen Aufstieg. Das bedeutet, dass einem wesentlichen Teil der Befragten der Aspekt sehr genau bewusst ist, dass es ungleiche Zugangschancen zu gesellschaftlichem Wohlstand gibt.
Aber wenn das so ist, wenn man diesen Umfragewert beispielsweise eins zu eins in den politischen Alltag, auch in den Bundestagswahlkampf mit übernehmen würde: Warum sind dann solche Slogans wie zum Beispiel „Mehr Gerechtigkeit“ nicht der Renner im Wahlkampf und warum gab es dann ein solches Wahlergebnis? Die Antwort findet sich im Thüringen-Monitor ein paar Seiten weiter. Der Aussage „Die Parteien wollen die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht“ stimmen 74 Prozent der Befragten zu – das sind nahezu drei Viertel. Drei Viertel der Leute sagen: Völlig egal, was die da reden, denen geht es eigentlich nur darum, dass sie meine Stimme bekommen; meine Interessen zählen da gar nichts. Das heißt also: Man glaubt den Parteien nicht mehr und offenbar tun das 74 Prozent – na klar, auch die Mitte unserer Gesellschaft.
Woran kann das liegen? Versteht man uns vielleicht nicht mehr? Sind das, was wir sagen, für viele nur noch so etwas wie unglaubwürdige Worthülsen? In der letzten Zeit gab es eine Reihe von Wahlen – ich will mal nur die letzte herausgreifen, in Niedersachsen. Jetzt werden Sie sagen: Na klar, das macht der, weil die SPD da gewonnen hat, und das ist dem gerade recht. Aber darauf kommt es gar nicht an. Es gibt am Wahlabend – deswegen will ich dieses Beispiel gern nehmen – immer so nette Runden, wo alle Spitzenkandidaten um einen schicken Tisch stehen. Da müssen sie schon kurz nach der ersten Hochrechnung allerhand Fragen beantworten. Ich habe mir das mal angeschaut, ich sehe mir das immer sehr gern an. Da wird der Wahlsieger – das war Ministerpräsident Stephan Weil – nach der Meinung zum Wahlausgang gefragt. Das ist dann immer noch relativ leicht: Er war der Sieger, er sagt solche Sachen wie „prima Sache“, „toller Wahlkampf“, „schöner Abend“. Dann geht die Runde aber weiter an die, die nicht so gut abgeschnitten haben. Jetzt wird es interessant. Ich habe diese Fragen und Antworten später in der Mediathek einfach mal mitgeschrieben, weil das wirklich spannend ist. Da fragt die Moderatorin wörtlich: „Bernd Althusmann, der Herausforderer, Sie wollten wieder stärkste Kraft werden im Niedersächsischen Landtag, das haben Sie nicht geschafft. Haben Sie sich vielleicht auch selbst ein Beinchen gestellt, denn Sie wollten diese vorgezogenen Neuwahlen ja so schnell. Es war ein kurzer Wahlkampf. Sie waren als Gesicht noch nicht so bekannt. War das vielleicht ein Grund für die Verluste?“ Jetzt denkt
man sich, das ist eine interessante Frage. Wie reagiert der jetzt? Achtung, jetzt kommt es – Bernd Althusmann sagt: „Ach, jetzt lassen wir bitte mal die Kirche im Dorf. Die CDU ist mit 35 Prozent die zweitstärkste Kraft in Niedersachsen. Wir haben einen sehr engagierten Wahlkampf geführt. Ich danke allen Mitgliedern und insbesondere meinem Team hier in Niedersachsen, die einen tollen Wahlkampf gemacht haben. Wir hätten uns ein besseres Ergebnis gewünscht, ohne Zweifel. Aber wir werden uns der politischen Verantwortung in Niedersachsen nicht entziehen.“ Da staunt man. Aber es wird noch besser. Der Moderator der Runde fragt: „Stefan Wenzel, grüner Umweltminister hier im Land, dass Rot-Grün hier nicht mehr funktioniert geht auf das Konto der Grünen. Sie haben deutlich verloren nach einem starken Ergebnis beim letzten Mal. Wie verhalten Sie sich dazu? Sollte die CDU jetzt fragen, ob Sie vielleicht auch zu Jamaika bereit wären?“ Und man denkt, gute Frage, ist ja auch richtungsweisend für den Bund, was Jamaika betrifft, und dann antwortet Stefan Wenzel: „Erst mal möchte ich meinen Dank richten an die Wählerinnen und Wähler und den Glückwunsch an den Ministerpräsidenten. Das Regierungsbündnis von SPD und Grünen hat derzeit keine Mehrheit, aber wir gucken jetzt mal, was die Briefwähler gewählt haben, wir gucken mal, ob es ein Überhangmandant gibt. Beim letzten Mal wussten wir erst etwa um 11.00 Uhr abends, dass wir mit einer Stimme die Mehrheit hatten im Landtag. Und ich sehe erst einmal, dass die CDU eines ihrer schlechtesten Ergebnisse eingefahren hat, dass die AfD fast an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist. Das ist erst mal ein großer Erfolg dieses Regierungsbündnisses.“ Es ist eigentlich völlig gleichgültig, wen ich da jetzt zitiere – ob das Rechts, Links, Grün, Gelb ist. Was ich Ihnen damit sagen will, ist: Politiker bedienen sich auch einer ganz eigenen Sprache. Ich nehme mich da nicht aus. Ich bin mittlerweile seit acht Jahren Mitglied des Thüringer Parlaments, des Hohen Hauses, und ich merke auch an mir selbst, dass man sich eine ganz eigenartige Ausdrucksweise angewöhnt hat. Diese besondere Form des Drumherum-Redens, insbesondere bei unangenehmen Dingen – das ist schon was ganz Eigenes. Bernd Althusmann antwortet einfach nicht darauf, ob es ein Fehler war, so schnell Neuwahlen in Niedersachsen zu fordern. Er sagt keinen Ton zur Frage, ob er selbst vielleicht noch zu unbekannt im Land war. Und Stefan Wenzel sagt überhaupt nichts zu der Frage, wie er oder seine Partei reagieren, falls jemand Jamaika ins Spiel bringt, das sagt er mit keiner Silbe. Die sagen beide etwas und das klingt auch relativ gut. Aber eigentlich sagen sie nichts. Und diese besondere Form der Politikersprache hat sich mittlerweile so ausgeprägt, dass eine Vielzahl von Leuten darauf hoch allergisch reagiert.
Lebensgefährtin – mal als Beispiel – nach Hause kommt, den Kühlschrank aufmacht und feststellt, dass der zwar nicht leer ist, es aber für ein ordentliches Abendessen auch nicht mehr reicht, und mich jetzt fragt: Mensch, das sieht alles gar nicht so gut aus, was wollen wir denn heute Abend eigentlich essen? Dann stellen Sie sich mal vor, ich würde antworten: „Zunächst einmal bedanke ich mich bei allen, die dafür gesorgt haben, dass in den letzten Wochen und Monaten durch gezielte Einkaufsmaßnahmen immer für Nachschub im Kühlschrank gesorgt wurde. Wir sollten jetzt aber erst einmal Ruhe bewahren,
die Situation analysieren und dann gemeinsam entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Und ich bin mir sicher, dass wir diese Aufgabe auch verantwortungsvoll meistern werden.“