(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht nicht um Labor, das passiert doch in der Realität!)
Es geht nicht um Labor, Herr Tischner, sondern es geht – nein, entschuldigen Sie, aber an der Stelle muss ich das vielleicht noch einmal sagen: Auch in dieser Frage müssen Sie sich einmal Klarheit verschaffen, was die CDU eigentlich will. Es war doch die CDU, die hier in Thüringen vor 14 Jahren – 2003 – ins Förderschulgesetz geschrieben hat: Die inklusive Beschulung, also der gemeinsame Unterricht, so hieß das Stichwort damals, hat Vorrang vor der Förderschule. Der gemeinsame Unterricht hat Vorrang vor der Förderschule!
Das haben Sie ins Gesetz geschrieben. Das haben Sie als CDU ins Gesetz geschrieben. Das Problem ist nur, Sie haben sich dann überhaupt nicht darum gekümmert, wie man eigentlich die Umsetzung organisiert, die Schulen sind genau mit dieser Frage allein gelassen worden.
Ja, die Schulen sind mit dieser Frage allein gelassen worden. Das zeigt die Schizophrenie. Da gab es ein paar Leute, die sind vorgeprescht,
die wussten um das gesellschaftliche Problem, was sich da aufbaut, wenn man dem nicht begegnet in der Schule, aber die CDU als Ganzes hat diese Entwicklung nie nachvollzogen. Von der AfD will ich gar nicht reden. Also dieser Beitrag, den Sie, Herr Höcke, dazu geliefert haben, der war einfach nur
Ihr Menschenbild, das Sie hier gezeigt haben – der „Normalo“ muss geschützt werden vor denen, die anders sind –, das ist wirklich ein Menschenbild, das nicht mehr ins 21. Jahrhundert gehört.
Menschen haben gleiche Rechte in diesem Land, egal ob sie Handicaps haben oder nicht, und zwar „Normalos“ und Menschen mit Einschränkungen, mit Behinderung, mit Handicaps. Das ist gesellschaftliche Wirklichkeit und nicht Ausschluss von Menschen, die größere Probleme haben.
Aber wir dürfen nicht verkennen, welche Probleme in diesem komplizierten Prozess der Inklusion liegen. Und alle, die sich ein bisschen näher damit beschäftigt haben, wissen, dass Inklusion nur dann gelingen kann, wenn die Beteiligten selbst diesen inklusiven Weg wollen, wenn sie ihn gestalten wollen, wenn sie nach Lösungen für die Inklusion suchen.
Und ich kenne viele Lehrer, die sich auf diesen Weg machen, die nach den besten Möglichkeiten suchen, jedes Kind, was im gemeinsamen Unterricht beschult werden kann, auch im gemeinsamen Unterricht zu beschulen,
(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Das ist ziem- lich schwierig bei diesem Laden von Landes- regierung!)
und die teilweise bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gehen, um das an Schulen möglich zu machen, weil sie von der Idee überzeugt sind. Und da, wo das geschieht, da gelingt Inklusion auch und da ist es ein Gewinn für alle Beteiligten und eben nicht ein Nachteil für die einen und die anderen, wie Sie das behaupten, Herr Höcke.
Schauen Sie sich mal solche Beispiele an. Ich erinnere mich auch an Gespräche. Ich habe Gespräche geführt mit erwachsenen Menschen, die das am eigenen Leib erlebt haben. Ich habe mal mit einem Mann geredet, der mir gesagt hat: Ich werde das mein Lebtag nie vergessen, dass ich als kleines Grundschulkind rausgerissen worden bin aus dem Zusammenhang von Kindern, die um mich herum gewohnt haben, und irgendwo weit weg in eine Förderschule gehen musste, es hat mein Leben schwer belastet und ich trage an dieser Last heute noch. – Das ist auch menschliche Wirklichkeit und da lohnt es sich, jede Anstrengung zu unternehmen, damit Menschen genau das nicht erleiden
Dass das keine Hexerei ist, dass das geht, das zeigen ganz viele gelingende Beispiele. Natürlich müssen wir dabei über Ressourcen reden, wir müssen über Zeitpläne reden. Und ich finde es gut, Herr Hoff, dass Sie gesagt haben: Der Entwicklungsplan Inklusion, den wir ja vor einigen Jahren aufgelegt haben und den wir hier gemeinsam, und zwar alle gemeinsam im Parlament
die AfD war noch nicht dabei; aber die anderen alle hier gemeinsam – beschlossen haben, dass der fortentwickelt wird, weil der genau den richtigen Ansatz wählt. Wir schauen uns jede Region einzeln an, wir scheren nicht alle über einen Kamm. Wir schauen: Wo steht ihr und was können eure nächsten Schritte sein? Und dann müssen wir aber auch noch die Frage beantworten – und das ist noch nicht ausreichend geschehen –: Welche Ressourcen brauchen wir dafür an Personal, an Zeit, an Geld und wie können wir das dann gemeinsam umsetzen? Dann entstehen auch tragfähige Wege hin zu einer Gesellschaft, in der wir lernen, alle miteinander in unserer Verschiedenheit, die wir haben, zu leben, diejenigen, die mit Einschränkungen leben müssen, genauso wie diejenigen, die hochbegabt sind und auch manchmal ihre Probleme im Schulsystem haben.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich will auch noch ein Thema ansprechen, das mir sehr am Herzen liegt, nämlich ich glaube, dass zu den wichtigen Entwicklungsimpulsen der letzten Jahre auch die Möglichkeit gehört, die wir zum längeren gemeinsamen Lernen geschaffen haben. In der äußeren Form heißt das „Thüringer Gemeinschaftsschule“. Ich sage das deshalb, weil ich überzeugt bin, dass es hilft, auch den Druck rauszunehmen, der immer mehr im Kessel steigt und der für die Kinder schon in der Grundschule beginnt. Ganz viele Eltern haben den Eindruck: Wenn mein Kind es nicht schafft, auf das Gymnasium zu kommen, dann ist die Hälfte des Lebenswegs schon verbaut, dann sind schon die ersten Chancen weg. Und dieser Druck steigt immer weiter und immer mehr Eltern versuchen, ihre Kinder auf das Gymnasium zu bringen, und dazu müssen die in der 4. Klasse schon einen bestimmten Notenspiegel haben.
(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Es war Ihre Idee, Ihre Partei, die in den 70er-Jahren die Bildungsoffensive gestartet hat!)
Diesen Druck herauszunehmen und die Entscheidung „Macht das Kind Abitur oder den Hauptschulabschluss oder den Realschulabschluss?“ später zu fällen, nämlich erst in der achten Klasse, ist ein richtiger Weg der Schulentwicklung.
Er entlastet Eltern und Kinder von einem unnötigen Druck, den wir ins Schulsystem hineinbringen. Wir haben ganz bewusst gesagt, das ist keine Entwicklung, die wir in Erfurt am grünen Tisch entscheiden, sondern das ist eine Schulentwicklung, die vor Ort entschieden wird. Es sind die Lehrer, die Eltern und die Schüler gemeinsam, die in der Schulkonferenz entscheiden müssen: „Wir wollen Gemeinschaftsschule“, und dann die entsprechenden pädagogischen Konzepte auf den Weg bringen. Diese Entwicklung müssen wir aber etwas engagierter weiter begleiten. Davon bin ich auch überzeugt. Wir haben gesehen, dass zwischen 2012 – nachdem wir die gesetzliche Möglichkeit geschaffen haben – und 2014 fast 50 Gemeinschaftsschulen an den Start gegangen sind. Wir sind jetzt bei 64. Es hat sich weiterentwickelt, aber ein bisschen ist auch die Luft aus der Entwicklung heraus. Deshalb sage ich auch ganz deutlich mit Blick auf die Landesregierung: Ich wünsche mir wieder ein bisschen mehr frischen Wind bei der Unterstützung der Thüringer Gemeinschaftsschule. Sie ist ein wichtiges Schulentwicklungsprojekt und wir sollten sie stärker unterstützen.
Dies ist übrigens neben ihren pädagogischen Möglichkeiten und neben der Tatsache, dass wir Druck herausnehmen für Eltern und Schüler, auch eine hervorragende Möglichkeit, in ländlichen Räumen wohnortnah alle Abschlüsse anzubieten und nicht den Kindern lange Wege zuzumuten, wenn sie irgendwann mal Abitur machen wollen. Auch das ist ein wichtiger Entwicklungsimpuls für den ländlichen Raum.
Werte Kolleginnen und Kollegen, auch zum Ganztagsausbau möchte ich ein paar Sätze sagen. Zum Hort nur so viel: Ich glaube, es war und bleibt eine strategische Fehlentscheidung, und zwar deshalb, weil wir die Möglichkeit damit aufgegeben haben, die Gestaltung von Ganztag viel enger mit kommunalem Engagement zu verknüpfen. Das ist verschüttete Milch. Das muss man nicht weiter beklagen, sondern gucken, was man jetzt aus der Situation machen kann. Da will ich aber auch in Richtung CDU sagen: Da hilft es nichts, Herr Tischner, wenn Sie über diese Entscheidung Krokodilstränen vergießen und die bitter beklagen. Sie selbst hatten die Möglichkeit, die Entscheidung zu treffen, dass wir die Horte insgesamt in kommunaler Verantwortung führen. Ich habe das als Bildungsminister vor
geschlagen. Ich habe alles, was dazugehört, vorbereitet und eine Entscheidung auf den Tisch gelegt. Wissen Sie, weshalb sie nicht zustande gekommen ist? Weil die CDU am Ende nicht den Mut zu dieser Entwicklung hatte, weil der Finanzminister gesagt hat, es kostet 30 Millionen Euro, die Altersansprüche überzuleiten. Diese 30 Millionen Euro aufzubringen, war die CDU nicht bereit. Deshalb hat sie dieses Vorhaben abgeblasen. Wir hätten es alles haben können, wenn Sie zu einer mutigen Entscheidung bereit gewesen wären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben der Entwicklung des Horts stellt sich natürlich auch die Frage: Wie gehen wir mit den Ganztagsangeboten nach der Grundschule weiter um? Wir wissen, dass sich viele Eltern genau solche Angebote wünschen, insbesondere auch in Klasse 5 und 6. Auch da müssen wir fragen, welche Ressourcen wir überhaupt in den nächsten Jahren für eine solche Entwicklung zur Verfügung stellen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es noch einmal sagen: Wir sind in der Mitte der Legislaturperiode. Wir sind kurz vor der Entscheidung zum nächsten Doppelhaushalt. Deshalb noch einmal die Bitte an die Landesregierung, die Entscheidungen, die jetzt zu treffen sind, möglichst rasch zu treffen.
Ich will mich bedanken bei den ganz vielen engagierten Lehrerinnen und Lehrern, bei den vielen Eltern, die sich große Gedanken machen und die sich in die Schulentwicklung einbringen, und auch bei den Schülervertretungen. Ich habe mit zwei Landesschülersprechern reden können über die Frage, wie sie die Situation sehen. All das gehört dazu, wenn wir gute Schule machen wollen.
Ich will aber auch so realistisch sein und sagen, es gibt natürlich auch die schwierigen Eltern. Sie haben auch Beispiele angesprochen, Herr Hoff, und es gibt auch die Lehrer, deren Motivation nicht mehr wirklich ausreicht. Ich bin mal in einer Grundschule gewesen, da sollten mir die Schüler Fragen stellen. Nachdem die ihre Zettelchen abgearbeitet hatten, die die Lehrer brav mit ihnen vorbereitet hatten, habe ich gesagt: Und was habt ihr denn noch für Fragen, die euch wirklich bewegen? Da hat mich so ein Knirps aus der 3. Klasse gefragt: Herr Matschie, mögen Sie eigentlich Lehrer? Es wurde mucksmäuschenstill, die paar Lehrer, die drum herum standen, hatten erstarrte Gesichter. Ich habe dann gesagt: Mir geht es wahrscheinlich genauso wie euch, es gibt ganz tolle Lehrer, die mich begeistern, es gibt aber auch welche, denen gehe ich lieber aus dem Weg. Auch das gehört zur Schulwirklichkeit dazu. Ich sage das deshalb, weil
wir Wege suchen müssen, wie wir die Lehrer, die begeistern können, die sich einsetzen für ihre Schule, in ihrem Engagement stärken und sie darin unterstützen.
Dazu gehört für mich auch – und damit bin ich beim letzten Vorschlag, den ich hier machen will –, dass wir die Frage eigenständiger Schulentwicklung noch mal stärker in den Blick nehmen.
Eigenverantwortliche Schule ist ein Projekt, das über Jahre hinweg langsam vorangetrieben wurde, das aber noch mal eine neue Betrachtung braucht, denn am Ende, bei den vielen Problemen, die an Schulen zu lösen sind, wird uns auch klar, dass wir viele Probleme nicht von Erfurt aus lösen können, nicht mit dem besten Gesetz, nicht mit der besten Verordnung, nicht mit der besten Richtlinie oder dem Hinweis, den das Ministerium geben kann. Sondern viele der Probleme, die wir in den Schulen haben, lösen wir nur, wenn wir aktive, wache Lehrerkollegien haben, wenn wir Schulleitungen haben, die möglichst viele Entscheidungen auch selbst treffen können und nicht irgendwo anfragen müssen oder viele Formulare dazu ausfüllen müssen.
Deshalb ist es mir wichtig, dass wir gemeinsam noch mal hinschauen und sagen: Wir wollen eigenständige, eigenverantwortliche Schule stärken. Wo eine Entscheidung vor Ort getroffen werden kann, soll sie auch vor Ort getroffen werden.