Es gibt Gott sei Dank trotzdem noch Menschen, die zu Europa stehen. Die jüngste Bertelsmann-Studie sagt eindeutig: Die Mehrheit der jungen Mittel- und Osteuropäer – man hat dort eine Untersuchung bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren gemacht – steht fest hinter der EU. 75 bis 81 Prozent sehen die EU vor allem als Garant für den Frieden, 61 bis 65 Prozent sehen vor allem die Möglichkeit des Studiums in der EU für sich als Vorteil und 60 bis 72 Prozent sagen, die Freizügigkeit in der Arbeitswelt ist besonders wichtig. Natürlich ist nicht zu verschweigen, sie haben auch Angst vor Terrorismus und sie haben Angst vor Zuwanderung. Aber ich sage, schuld an der Krise der Europäischen Union ist nicht maßgeblich die Flüchtlingswelle. Alle gegenwärtigen Probleme, die die EU hat, haben aus meiner Sicht mit einem Problem zu tun, und zwar damit, dass die soziale Dimension innerhalb der EU bisher nicht beachtet wurde. Mit dem Ziel eines gemeinsamen Binnenmarkts und dem damit angestrebten freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen und dem freien Verkehr des Kapitals standen von Beginn an nur ökonomische Interessen im Mittelpunkt der EU-Politik und der Vergemeinschaftung. Die soziale Komponente innerhalb der EU wurde den Mitgliedstaaten überlassen. Bisher entsteht der Eindruck – und das wurde real gemacht –, dass eher die Interessen der Banken und die Spekulationen an den Finanzmärkten im Mittelpunkt standen und dass die Interessen der Finanzwirtschaft eindeutig zu dieser Krise in der EU geführt haben. Nicht der Euro als Währung ist schuld, dass wir die Finanzkrise in der EU haben, dafür kann der Euro nichts, sondern insgesamt die Geldpolitik in der EU und die Politik der Banken sind schuld an der Krise, die wir auf den Finanzmärkten haben. Das ist eindeutig. Wir sprechen hier von einer Staatsverschuldung, und zwar aus dem Grunde, dass wir keine einheitliche Steuerpolitik haben bzw. in den Mitgliedstaaten betreiben – und dazu zählt leider auch unser Land –, sodass von Großunternehmen Steuern abgebaut werden. Dabei besteht die Aufgabe der Steuern eigentlich darin, dass der Staat sie einzunehmen hat, um seine sozialen Aufgaben zu erfüllen. Das ist Aufgabe einer Steuerpolitik. Die Bankenrettung ging bisher in der EU nur zulasten derjenigen, die mit ihrer Hände Arbeit für den Reichtum der anderen gesorgt haben. Das macht die Menschen in Europa wütend. Die Politik der Troika, nämlich des Schuldenabbaus, hat dazu geführt, dass besonders in den südeuropäischen Staaten und in Griechenland dieser Schuldenabbau zulasten der arbeitenden Menschen durchgeführt wurde. Das macht diese Menschen wütend.
Neuausrichtung der Europäischen Union, wir brauchen neben einer Wirtschafts- und Währungsunion eine Sozialunion. Es ist schon bezeichnend, dass besonders nach dem Brexit jetzt auch konservative Politiker beginnen, darüber nachzudenken, dass wir in den Mitgliedstaaten der EU soziale Gerechtigkeit brauchen. Ich freue mich auch, dass der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments die soziale Gerechtigkeit jetzt in den Mittelpunkt seines Handelns stellen will. Wir brauchen gleiche soziale Mindeststandards in allen europäischen Mitgliedstaaten, damit die Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können. Das wurde auch in der EU erkannt, deshalb arbeitet man an einer Säule des sozialen Rechts. Ich finde es gut, dass sich die Landesregierung an dieser Diskussion beteiligt und dass wir in der letzten Ausschusssitzung auch mit beteiligt worden sind und beteiligt werden.
Nur durch die Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten, durch die stärkere Prioritätensetzung sozialer Fragen in der EU und durch gemeinsame europäische Grundsätze für existenzsichernde nationale Sozialleistungen kann die EU gegenüber den Menschen wieder bestehen. Das sollte in Angriff genommen werden und das bringt auch die Europapolitische Strategie der Landesregierung zum Ausdruck. Deshalb ist diese Strategie in dieser Frage richtig. Es muss die Armut bekämpft werden, es muss die Angst der Menschen bekämpft werden, dass sie von heute auf morgen in Armut und in Existenznot fallen können, und das, meine ich, betrifft auch die Mittelschicht. Den Menschen muss die Angst genommen werden, dass ihnen von der Politik etwas weggenommen wird, dass ihre Existenz gefährdet ist. Wenn wir das nämlich schaffen, dann kann die Truppe „Angst für Deutschland“ mit ihren Argumenten nicht mehr erreichen, dass diesem Argument Menschen hinterherlaufen, nämlich Argumente „die Flüchtlinge gefährden euch“, „die Polen nehmen euch etwas weg“, „die Rumänen sollten endlich arbeiten“.
Und was zum Beispiel die Rumänen betrifft, das spricht keiner von Ihnen an. Die Rumänen sind zum Beispiel gut genug, dass sie in Schlachthöfen großer Fleischunternehmen hier bei uns für Billiglöhne arbeiten dürfen. Dafür sind die genug. Oder dass bisher polnische Arbeiter auf den Erntefeldern den Spargel gestochen haben, dafür waren sie gut genug. Aber das hat auch dazu geführt, dass nämlich Arbeitnehmer zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten auch sozial ausgespielt wurden und dass damit auch soziale Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten erzielt wurden. Und diese sozialen Spannungen, meine Damen und Herren, führen zu diesem Europa der Vaterländer, was diese
Truppe hier drüben will. Das sollten wir durch soziale Gerechtigkeit, durch eine Politik der sozialen Gerechtigkeit vermeiden. Wir sollten endlich dem sozialen Neid zwischen den europäischen Staaten den Boden entziehen. Das schaffen wir nur durch soziale Mindeststandards in allen europäischen Staaten. Das sollte unser Ansinnen sein.
Ich bin davon überzeugt, wenn uns das gelingt, meine Damen und Herren, dann gewinnen wir auch die Menschen wieder für Europa. Und wir vier Fraktionen hier sollten gemeinsam konstruktiv diesen Dialog führen und gemeinsam mit der Landesregierung an der Fortschreibung der Europapolitischen Strategie weiterarbeiten. Danke schön.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte meine Rede in zwei Hauptteile untergliedern, wobei ich in einem einführenden unwesentlicheren Teil auf den Antrag „Für eine Europapolitische Strategie im nationalen Interesse“ eingehen möchte und mich dann aber im inhaltlichen Hauptteil der eigentlichen Europapolitischen Strategie des Freistaats Thüringen widmen werde.
Zum Initiator bzw. zum populistischen und teilweise auch europafeindlichen Antrag der AfD-Fraktion möchte ich kurz Folgendes ausführen:
Sowohl der Anschlag in Brüssel vor einem Jahr, in Berlin kurz vor Heiligabend und jetzt auch der Anschlag in London machen uns neben der Gefahr des politischen Islamismus vor allem eins deutlich: Europa muss zusammenstehen. Allein jeder Nationalstaat für sich wird die Terrorgefahr des IS nicht bannen können und wird das Problem nicht lösen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, von dieser Stelle aus möchte ich nochmals gegenüber allen Opfern und Hinterbliebenen der Getöteten namens meiner Fraktion unser tiefstes Mitgefühl zum Ausdruck bringen und vor allen Dingen auch Großbritannien unsere Solidarität versichern.
Nun zur inhaltlichen Bewertung des AfD-Antrags: Beim Lesen des vor Europaphobie strotzenden Antrags fiel mein erster Blick darauf, dass dieser Antrag aufgrund des fehlenden Thüringenbezugs und seiner eher bundespolitischen Gewichtung wenig brauchbare Ansätze für die Diskussion einer Europapolitischen Strategie, wie wir sie von Thüringen aus führen, hat und an einigen Stellen sogar unzulässig ist. Aber wir sind ja großzügig. Und eigentlich müsste Ihnen als AfD-Fraktion auch aufgefallen sein, dass, wenn es um den im Antrag geforderten Schutz der Außengrenzen geht, Thüringen doch keine Außengrenzen zu anderen Nationalstaaten hat, und die Sprachbarriere zu Bayern und Sachsen finde ich beherrschbar.
Der Grundtenor des Antrags ist einfach, der ist auch nicht neu. Sie bieten ihn immer wieder in anderen Aufgüssen, Sie verkaufen die antiquierte Idee vom Europa der Vaterländer als eine neue.
Meine Damen und Herren, in Richtung Antragsteller sage ich: Schade! Das Europa der Vaterländer war eben eine Ursache für zwei große Kriege in Europa
und ist heute wieder oder immer noch – wie man das in der Ukraine sehen kann – das geistige Fundament für Kriege und für Elend. Nur noch geistige Brandstifter setzen heute auf Nationalismen und riskieren damit erneut das Ende einer langen Friedensperiode.
Damit spreche ich ganz und gar nicht – das sage ich hier auch sehr deutlich – gegen einen gesunden Nationalstolz auf das eigene Heimatland, einen Patriotismus, der mit Selbstbewusstsein dazu dient, dass wir auf Augenhöhe mit unseren europäischen Nachbarn für dieses gemeinsame Europa Politik machen. Das ist das, was wir brauchen. Da brauchen wir auch keine Verklemmtheit. Was wir nicht brauchen, ist das Zurückfallen in Klein-Klein und die Abgrenzungsmechanismen einer althergebrachten, überwundenen Strategie.
Meine Damen und Herren, bestimmte Dinge gehen in Europa nur gemeinsam. Wenn die Russen und die Chinesen versuchen, Europa auseinanderzudividieren und auch Amerika damit anfängt, dann müsste uns mittendrin, hier an diesem Ort, eigentlich ziemlich klar sein, dass wir nur gemeinsam in dieser multipolaren Welt Chancen haben werden.
Die europäischen Interessen sind da ganz einfach auch ganz uneigennützig unsere Interessen, denn wir wollen unseren Wohlstand hier in Thüringen auch weiter behalten, das will keiner aufgeben. Deshalb sind wir in diesem Staatenverbund auf vertraglicher Grundlage – und keiner will etwas anderes, wir jedenfalls nicht – an eine Zusammenarbeit gebunden, die zu unser aller Wohl auch weiter bestehen muss. Für diese Sicherung tragen wir Verantwortung. Auch der AfD muss wohl klar sein – und Sie haben es ja selbst auch anerkannt –, dass uns die europäische Idee über sieben Jahrzehnte den Frieden in Europa gebracht hat. Über sieben Jahrzehnte Frieden! Ich möchte noch ein bisschen mehr Frieden hier an dieser Stelle, in dieser Welt genießen können.
Meine Damen und Herren von der AfD, die europäischen Völker gegeneinander auszuspielen, was soll der Quatsch? Was soll es? Es bringt nichts! Gestalten Sie lieber konstruktiv.
Schließlich noch ein wichtiges Proargument für Europa: Ohne die Europäische Union wäre auch die deutsche Wiedervereinigung undenkbar gewesen. Das müssen wir auch mal deutlich sagen.
Nur mit dem Verweis auf die Einbindung des wiedervereinten Deutschlands in die EU konnten kritische Stimmen wie von Margaret Thatcher oder François Mitterrand eingefangen werden, ihre Zustimmung zu geben. Herr Höcke ist Geschichtslehrer und müsste eigentlich wissen, wie das war in dieser Zeit. Deshalb appelliere ich an das einheitliche Gedächtnis, das mal nicht zu streichen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir nun in der gebührenden Kürze auch eine parlamentarische Wertung des Antrags. Seit Unterrichtung der Landesregierung über die Europapolitische Strategie des Freistaats Thüringen und einer Regierungserklärung der Landesregierung dazu im März 2016 hat sich auch der Ausschuss für Europa, Kultur und Medien in einer ausführlichen, einer wirklich intensiven Beratung mit dieser Thematik beschäftigt und sich schließlich am 20. Januar dieses Jahres auf eine gemeinsame Beschlussfassung verständigt. Alle Fraktionen, auch Sie, meine Damen und Herren von der AfD, hatten die Möglichkeit, ihre zum Teil euroskeptischen Gedankenspiele in das gemeinsame Beratungsergebnis einfließen zu lassen. Natürlich hatten auch Sie die Möglichkeit, Ihre Positionen in der Beschlussfassung des Ausschusses als die Ihrigen kenntlich zu machen und dort einzubringen. Leider hat sich die AfD im Ausschuss verweigert und hat keine konkreten Formulierungsvorschläge für die Europapolitische Strategie beigesteuert.
Ich kann es Ihnen aber auch erklären. Der Grund dafür – das erleben wir ja sehr oft in Ausschüssen – scheint mir klar. Mit den Mühen der Ebene, die die nicht öffentliche Ausschussarbeit so bietet und fordert, kann man natürlich keine öffentliche Aufmerksamkeit erheischen. Populismus macht sich da nur ganz schlecht.
Nur deshalb kommt die AfD-Fraktion, nachdem sie die Möglichkeit der Beratung im Ausschuss fast ein Jahr nicht genutzt hat, jetzt mit einem Plenarantrag – Oh Wunder! – zur erneuten Behandlung der Europapolitischen Strategie des Freistaats Thüringen um die Ecke. Prima! So dusselig sind wir nicht, dass wir auf dieses Szenario nicht entsprechend reagieren würden.
Meine Damen und Herren, antiquierte Ideen sind rückwärtsgewandt. Lassen Sie uns lieber ein bisschen nach vorn schauen und die Europapolitische Strategie des Freistaats Thüringen so entwickeln, dass sie unser Land in der Gemeinschaft frei von Egoismen – wie sie von der AfD favorisiert werden – voranbringt. Meine Fraktion hat ganz konkrete Vorschläge im Europaausschuss des Landtags entwickelt, die ich kurz anreißen darf, denn letztendlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Interessen Thüringens und die Auswirkungen der europäischen Politik auf Thüringen. Letztendlich geht es uns darum, dass wir eine Europäische Union gestalten wollen, der es gelingen möge, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in das gemeinsame europäische Projekt gewinnen. Dazu muss die Europäische Union stärker von der Basis ausgehen und angemessene, nachvollziehbare und wirksame, wirkungsvolle Lösungen für die anstehenden Herausforderungen anbieten. Die vielen Dinge, die nur grenzübergreifend funktionieren, und die Städte, Regionen und Einzelstaaten nicht allein bewältigen können, muss man anpacken. Wo wir immer ein Stoppschild gesetzt haben, war, wenn es die Subsidiarität überschritten hat. Wir wollen nicht eine ausufernde Europäische Union,
sondern wir wollen, dass der Vertrag von Lissabon mit Lebendigkeit erfüllt wird. Manches, was nicht in Ordnung ist, kann man kritisieren und kann …
Ach, Herr Brandner, gehen Sie nachher hier vor, reden Sie hier vorn und quasseln Sie nicht ständig je
mandem ins Wort. Das bringt nichts, ist zwar manchmal ganz amüsant, aber an der Stelle geht es einfach fehl.
Meine Damen und Herren, zunächst ist festzuhalten, dass die jetzige Landesregierung auf bewährten, von der CDU-geführten Vorgängerregierung bereits umgesetzten Projekten aufbauen kann. Allerdings möchte ich auch nicht verhehlen, dass wir uns in einigen Aussagen noch mehr Klarheit und Präzision gewünscht hätten, denn die Zeit ist ja auch vorangegangen. So sehen wir in folgenden Kernbereichen einen Änderungs- und Ergänzungsbedarf, den wir im Gegensatz zu anderen im Ausschuss angezeigt haben, weshalb es auch im Papier drinsteht: Wie Rot-Rot-Grün sehen auch wir in der Schaffung der Europäischen Sozialunion eine wichtige Kernaufgabe künftiger Europapolitik. Doch im Gegensatz zu Rot-Rot-Grün wenden wir uns gegen einen Missbrauch dieser Sozialunion durch Einwanderung in unsere Sozialsysteme. Genau dieser Missbrauch, meine Damen und Herren, gefährdet auf Dauer die Akzeptanz der freien Wählbarkeit des Wohn- und Arbeitsorts für jeden EUBürger im Besonderen und die Akzeptanz der europäischen Idee insgesamt. Daher haben wir uns für folgende Formulierung in der Strategie starkgemacht – ich darf das zitieren –: „Es ist deshalb richtig, dass EU-Bürger weder Hartz IV noch Sozialleistungen erhalten, wenn sie sich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, ohne hier vorher erwerbstätig gewesen zu sein.“