Protocol of the Session on May 19, 2016

Junge Fachkräfte wollen natürlich nicht auf einen Dienstposten, den sie 40 Jahre ausfüllen,

(Beifall DIE LINKE)

sondern sie brauchen im Regelfall mindestens zwei Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb ihrer Berufskarriere. Wenn das die Verwaltung nicht bieten kann, bekommen wir nicht mehr die erforderlichen Fachkräfte, weil sie in die Privatwirtschaft abwandern. Dieses Problem ist in diesen kleinen Verwaltungen nicht lösbar. Das heißt, man hat Allrounder, die alles können müssen. Dabei habe ich immer vor den Mitarbeitern Hochachtung. Ich kenne Mitarbeiter, die machen morgens Bauamt, nachmittags sind sie im Standesamt und auf dem Heimweg sind sie noch Ordnungsbehörde und verfolgen gefährliche Tiere und schauen, ob sie gechippt sind. Das kann doch aber nicht die Lösung sein. Insofern ist auch dieses Problem nicht heilbar und wir müssen uns damit beschäftigen. Insofern haben wir nicht von ungefähr schon eine Untergrenze mit den 6.000 im Vorschaltgesetz geregelt. Im Regelfall kann man 1,9 Vollbeschäftigteneinheiten pro 1.000 Einwohner rechnen. Das heißt, bei 6.000 Einwohnern ist man dann irgendwo bei 12, vielleicht 14. Daher ist klar, wohin die Reise geht. Also auch das ist nicht innerhalb der Verwaltungsgemeinschaft lösbar. Diese Mehrfachbeschäftigung mit dem Ortsrecht entfaltet aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger oder der Wirtschaft keine Außenwirkung.

Das letzte Problem ist die Identität, die die Mitarbeiter mit ihrer Gemeinde entwickeln. Mitarbeiter der Verwaltungsgemeinschaft entwickeln diese Identität nicht im gleichen Maße wie Mitarbeiter von Gemeindeverwaltungen. Ranis-Ziegenrück hat 19 Mitgliedsgemeinden – mit welcher Gemeinde sollen sie sich denn identifizieren, mit 19? Das ist also äußerst kompliziert. Es ist aber für die Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz wichtig, dass eine Identifikation mit der Gemeinde erfolgt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die AfD meint, durch die Übertragung weiterer Aufgaben aus dem eigenen Wirkungskreis auf die Verwaltungsgemeinschaft – jetzt darf ich zitieren, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis – werden die Gemeinden gestärkt. Das ist ein Widerspruch an sich. Wenn die Gemeinden aus ihrem eigenen Wirkungskreis Aufgaben abgeben, dann werden sie ausgehöhlt; zum Schluss sind sie nur noch eine leere Hülle, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil gerade Zweckvereinbarungen keiner demokratischen Kontrolle und Steuerung mehr unterliegen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Zweckvereinbarungen – das wissen Sie, das steht im Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit – finden nur noch zwischen den Behördenleitern statt, also nur noch zwischen Bürgermeister und VG-Vorsitzenden. Der Gemeinderat ist außen vor. Das wollen wir eben nicht. Wir müssen die Gemeinderäte stärken – keine weitere Aushöhlung.

Wie ist denn die Situation in den Verwaltungsgemeinschaften, in den Mitgliedsgemeinden? Wir haben 69 VG – ich lasse mal die besondere Form der erfüllenden Gemeinde weg – mit rund 600 Gemeinden. 571 Gemeinden haben weniger als 1.000 Einwohner. Wir hatten 2013, 2014 und 2015 Hilfsprogramme im dreistelligen Millionenbereich. Das Geld versickert in dieser Kleinstruktur. Wenn diese Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaften die Kreisumlage und die VG-Umlage zahlen, dann übersteigt das meist das Realsteueraufkommen, das sie haben. Das Realsteueraufkommen bei Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft liegt bei nicht einmal 400 Euro pro Einwohner und Jahr. Nicht mal 20 Prozent der Gesamteinnahmen können diese Gemeinden aus eigenem Steueraufkommen generieren. Das bedeutet eine hohe Abhängigkeit vom Land: Über 60 Prozent der Einnahmen dieser Mitgliedsgemeinden kommen vom Land.

Da kann ich natürlich sagen, okay, wenn das Land noch mehr gibt, ist die Welt in Ordnung. Das geht aber nicht dauerhaft. Die Gemeinden müssen mindestens 35 bis 40 Prozent ihrer Einnahmen durch eigene Steuern generieren. Nur können sich die Verwaltungsgemeinschaften gar nicht darum kümmern, ob die einzelne Mitgliedsgemeinde ihre Steuerpotenziale ausschöpft. Wenn ich mich mit den Kämmerern der Verwaltungsgemeinschaft über solche Probleme wie Grundsteuerstelle beim Finanzamt oder Zerlegung der Gewerbesteuer bei mehreren Betriebsstätten unterhalte, da gucken die mich an, das haben die noch nie gehört. Das können die auch gar nicht, denn da in der Kämmerei sind meist zwei oder drei Leute, die sind froh, dass sie die Bescheide rausgeben können. Da findet keine Überprüfung statt, ob die Messbescheide des Finanzamts tatsächlich stimmen; es finden keine Betriebsprüfungen statt, obwohl die kommunale Behörde das Finanzamt bei den Betriebsprüfungen begleiten und nachschauen könnte, ob zum Beispiel die Gewerbesteuer dort ordnungsgemäß berechnet wird. Das können die alles nicht aufgrund der Struktur.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das heißt, bei den jetzigen Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft findet de facto kommunale Selbstverwaltung nur noch auf sehr kleiner Sparflamme statt, weil die Potenziale nicht da sind, und es funktioniert überhaupt nur noch, weil wir als Land ständig in diese Struktur Geld reinpumpen.

Ich darf daran erinnern: Wir haben mit dem Finanzausgleich 2016 erst den Mehrbelastungsausgleich für die Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaften von 25 auf 36 Euro erhöht. Das Geld fließt direkt in die VGs. Welche VG hat denn die VG-Umlage deswegen gesenkt? Ich kenne nur ganz wenige. Das heißt also, wir halten diese Struktur seit Jahren künstlich am Leben. Mit Selbstverwaltung, mit Verlaub, hat das wenig zu tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ist unser Konzept überzeugender.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Unruhe CDU)

Unser Konzept ist überzeugender, denn wir stärken die gemeindliche Ebene.

(Unruhe CDU)

Wir gestalten die Ortsteile und Ortschaftsverfassungen aus. In dieser Kombination profitiert jede bisher selbstständige Gemeinde. Jetzt wird immer gesagt, es geht um Identifikation. Meine sehr geehrten Damen und Herren, womit identifizieren sich denn Menschen, wie machen sie Identifikation fest? Machen sie das wirklich mit der allgemeinen Verwaltungsstruktur? Unsere Erfahrungen sind andere: Menschen orientieren sich bei ihrer Identifikation immer an der Siedlungsstruktur, aber niemals an der allgemeinen Verwaltungsstruktur.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben doch Erfahrungen. Seit 1994 gibt es Einheitsgemeinden, seit 2009 Landgemeinden.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir haben Erfahrung! Wir?)

Ich komme aus dem Ilm-Kreis. Die Gemeinde Ilmtal mit über 20 eigenständigen Siedlungsgebieten oder die Gemeinde Wipfratal, die bestehen seit 1994. Wenn Sie durch die Ortsteile fahren, dann ist alles in Ordnung und keiner kommt dort auf die Idee, dass einer aus Marlishausen sagt, er wohne in der Gemeinde Wipfratal. Er wohnt in Marlishausen und die wohnen in Schmerfeld, die identifizieren sich damit. Oder schauen Sie Leinefelde-Worbis, also eine Doppelstadt. Da fragen Sie in Worbis, da sagen die, na klar bin ich Worbiser, es ist ja egal, wo die Stadtverwaltung dort ist.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das war aber freiwillig!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, insofern schüren Sie Ängste. Identität wird als Erstes mit den Arbeits- und Wohnbedingungen, die ich vorfinde, festgemacht.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Keine Ah- nung!)

Damit identifizieren sich Menschen. Dort ist ihre Heimat, wo sie arbeiten und wohnen.

Das Zweite ist die Vereinsstruktur. Das ist ganz wichtig. Mit der Vereinsstruktur identifizieren sich Menschen. Mit Traditionspflege identifizieren sich Menschen. Gehen Sie mal nach Holzhausen. Da sagt doch keiner, Sie wohnen im Amt Wachsenburg. Da lachen die sich kaputt. Die identifizieren sich mit dem ersten deutschen Bratwurstmuseum. Das ist für sie das Identifikationsmerkmal, damit wird die Gemeinde nach außen repräsentiert und mit der Wachsenburg,

(Unruhe CDU)

aber doch nicht mit dem Amt Wachsenburg und mit Ichtershausen, wo die Gemeindeverwaltung sitzt. Das ist doch jenseits des realen Lebens. Identifikation wird an der vorhandenen Infrastruktur festgemacht, sowohl technische Infrastruktur als auch soziale Infrastruktur. Zur sozialen Infrastruktur gehören auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen, also: Gibt es ein Dorfgemeinschaftshaus? Das ist doch viel entscheidender als die Selbstständigkeit.

Identifikation ist auch abhängig von der Verkehrsanbindung, also: Wie ist der öffentliche Personennahverkehr ausgestaltet, inwieweit ist eine Anbindung an das überörtliche Verkehrsnetz vorhanden, wie schnell komme ich in die zentralen Orte? Das ist viel entscheidender für die Qualität und Identität einer Siedlungsstruktur. Und irgendwann kommt sicherlich auch die Frage: Welche allgemeine Verwaltungsstruktur besteht denn überhaupt?

Im Übrigen ist mal untersucht worden, wenn Menschen nach einem neuen Wohnsitz suchen, da fragt nicht einer zuerst, ist das eine Verwaltungsgemeinschaft, ist das eine Einheitsgemeinde,

(Beifall DIE LINKE)

sondern die fragen: Wo ist ein Arbeitsplatz – als Erstes –, welche Wohnbedingungen finde ich vor? Und als Zweites kommt schon die soziale Infrastruktur

(Unruhe CDU)

in Bezug auf Kinder, das gewinnt immer mehr an Bedeutung,

(Beifall DIE LINKE, SPD)

also: Habe ich eine Kindertagesstätte? Wo ist die Schule? Das ist viel entscheidender, aber doch bitte schön nicht, welche allgemeine Verwaltungsstruktur dahintersteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was werden wir als Rot-Rot-Grün tun? Wir werden die gemeindliche Ebene stärken, auch durch die Übertragung weiterer Aufgaben, und wir werden leistungsfähige Gemeinden haben, nicht wie jetzt 100 Gemeinden ohne Haushalt, 125 in der Haushaltssiche

rung, jede zweite Gemeinde kann den Haushalt nur durch Entnahme aus der Rücklage ausgleichen,

(Zwischenruf Abg. Liebetrau, CDU: Wer?)

jede vierte Gemeinde hat gar keine Rücklage mehr. Das ist das Ergebnis von 25 Jahren CDU-Politik

(Unruhe CDU)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

und dem Festhalten an Strukturen aus dem vergangenen Jahrtausend. Damit wollen Sie Thüringen fit machen.

(Unruhe CDU)

Nein, damit fahren Sie Thüringen vor die Wand.

(Unruhe DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gemeinden werden wir insgesamt stärken und wir stärken die Ortsteil- und Ortschaftsverfassung. Zum ersten Mal werden wir ein gesetzlich garantiertes Budgetrecht für die Ortsteile und Ortschaften einführen.

(Unruhe CDU)

Das hätten Sie auch machen können! 25 Jahre hatten Sie Zeit. Das haben Sie versäumt!

(Unruhe CDU)

Wir werden die Beteiligungsmöglichkeiten des Ortsteil- und Ortschaftsrats hinsichtlich der Haushaltsaufstellung, hinsichtlich der Entscheidung über Investitionen, hinsichtlich des Vorhaltens kommunaler Einrichtungen stärken. Die Ortsteile und Ortschaften bleiben zuständig für die Vereinsförderung, für die Traditionspflege,