Protocol of the Session on March 17, 2016

Meine Damen und Herren, wir hätten in Thüringen nie eine soziale Infrastruktur aufbauen können, wir hätten nie eine ländliche Infrastruktur aufbauen können, hätten wir nicht die europäischen Fördermittel gehabt. Wir haben in der Förderperiode 2007 bis 2013 2,1 Milliarden Euro erhalten und haben in dieser Förderperiode 2014 bis 2020 rund 1,6 Milliarden Euro erhalten. Wichtig ist für uns – und da muss der Landtag einbezogen werden –, wie wir diese europäischen Fördermittel einsetzen. Dazu gehört für mich: Wenn wir schon weniger bekommen – dazu ist heute viel gesagt worden, warum und weshalb –, dann müssen wir die europäischen Fördermittel so einsetzen, dass sie bei den Menschen unten ankommen. Wir müssen diese europäischen Fördermittel vernetzen. Wir brauchen Multifonds, damit wir verschiedene Mittel aus dem ESF, dem EFRE und dem ELER nutzen, um zum Beispiel ländliche Infrastruktur aufzubauen. Positiv finde ich, dass die Landesregierung auch die EFRE-Mittel nutzt, um die touristische Infrastruktur aufzubauen, aber Tourismus ist Wirtschaft und geht

andere Ministerien nichts an. Das heißt, wir brauchen hier eine stärkere Vernetzung, um die europäischen Mittel, die wir haben, noch zielgerichteter einzusetzen.

Was wir auch brauchen, ist, dass die Antragstellung für europäische Fördermittel besonders im Bereich des ESF vereinfacht wird, dass die Bürokratie abgebaut wird, denn da brauchen wir für Bürokratie nicht immer nur nach Brüssel schauen. Da hat auch oft die Nachweisführung von ESF-Mitteln etwas mit Bürokratie im eigenen Land zu tun. Auch das heißt, wenn wir den europäischen Gedanken ausprägen wollen, dass wir unsere eigene Bürokratie, wenn es um europäische Fördermittel geht, wenn es um Nachweisführung geht, wenn es um Abrechnung geht, abbauen, damit es für die Träger leichter wird, Fördermittel zu bekommen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Noch etwas zur Kohäsionspolitik: Jawohl, Deutschland ist ein großes Geberland. Dafür sind wir auch ein reiches Geberland. Wenn wir gleiche Lebensverhältnisse wollen – und das ist ein Wert, ein Ziel der EU –, dann ist es doch selbstverständlich, dass die Reichen den Schwächeren unter die Arme greifen und ihnen die Gelder noch mehr zur Verfügung stellen. Achten müssen wir darauf, dass diese Gelder auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Ich sage aber auch an dieser Stelle: Wer europäische Fördermittel bekommt, muss sich auch in die Solidargemeinschaft der EU einbringen. Das gehört einfach dazu. Europa wird in Thüringen gelebt, wird viel gelebt. Wenn ich immer sage, das Schlagwort „Europa“ muss für unsere Bürger, für unsere Thüringerinnen und Thüringer erlebbar sein, so heißt das vor allem: erlebbar vor Ort. Das wird aber schon gelebt. Thüringen hat seit vielen Jahren gute Erfahrungen. Viele Beispiele gibt es dafür, die heute schon genannt wurden: wirtschaftliche Zusammenarbeit von Betrieben und Einrichtungen über die Landesgrenzen hinaus, gemeinsame Forschungsprojekte, die wir mit anderen europäischen Universitäten haben. Ich nenne nur die Schüleraustausche der beruflichen Schulen von Thüringen, die Lehrlingsklassen austauschen, wo die Ausbildung in Frankreich oder in anderen europäischen Ländern stattfindet. 23 Schulen in Thüringen tragen den Titel „Europaschule“. Der Titel „Europaschule“ ist ein Titel, den ich nicht einfach verliehen bekomme, sondern da müssen die Schulen Projekte machen, den Titel müssen sie beantragen, den müssen sie verteidigen und den müssen sie zweimal verteidigen. Also einmal den Titel „Europaschule“ zu bekommen, heißt noch nicht, dass ich den ewig habe. Ich muss also noch das zweite Mal diesen Titel bekommen. Da haben wir in Thüringen 23 Schulen. Am 12. Mai, glaube ich, haben wir auch wieder den Europatag in den Thüringer Schulen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen

auffordern, sich an diesem Tag in den Schulen zu beteiligen. Wir haben auch junge Menschen hier. Ladet Abgeordnete ein! Sprecht über Europa! Ich muss feststellen bei solchen Besuchen, gerade auch jetzt bei der Flüchtlingsproblematik, als ich in vielen Klassen war, in denen unsere Kinder mit ausländischen Kindern gemeinsam lernen: Die Kinder haben die wenigsten Berührungsängste und Kinder gehen offen miteinander um und nehmen jeden auf. Das finde ich gut und das sollte für uns Erwachsene oft ein Beispiel sein.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Ich finde gut, dass die Landesregierung auch das Erasmus-Programm wieder nutzen will, gerade was den Austausch von Studenten betrifft und Studiengänge in anderen Universitäten, das hilft, sich gegenseitig zu verstehen. Ich erinnere auch an weitere Sachen, die wir hier in Thüringen haben, zum Beispiel auch die Europäische Jugendbildungsstätte in Weimar, die eine hervorragende Arbeit leistet.

Jawohl, Frau Walsmann, Sie haben recht: Diese Partnerschaftsbeziehungen, die wir zu anderen Staaten der Europäischen Union als Freistaat Thüringen pflegen, die müssen wir weiter pflegen und noch intensivieren. Gerade wenn wir zum Beispiel in Polen einen gewissen Demokratieabbau erleben, umso wichtiger ist es, dass wir mit polnischen Menschen, mit polnischen Parlamentariern ins Gespräch kommen und ihnen auch vermitteln, wie es bei uns läuft. Nur wer miteinander spricht, kann Misstrauen abbauen. Ich möchte noch an eins erinnern: Wir haben das Weimarer Dreieck. Auch daran sollten wir uns erinnern, was damals geboren wurde, entstanden ist hier in Weimar zwischen Frankreich, Polen und Deutschland. Auch das dürfen wir nicht vergessen, das ist in Thüringen entstanden und sollte weiter gepflegt werden.

Jawohl, wir brauchen eine Stärkung der Thüringer Präsenz in Brüssel – dazu wurde viel gesagt, auch in der europapolitischen Strategie der Landesregierung – und die Fortsetzung der europatauglichen Verwaltung. Da baut die Landesregierung auf Vorhandenem auf. Ich finde aber auch gut, dass dieses Qualifizierungskonzept, was noch mit eingebaut ist, ausgebaut wird, und ich finde auch die Vorhaben zur weiteren Stärkung der Thüringer Vertretung gut. Auch das ist ein Thema, dem wir uns im Ausschuss widmen sollten. Thüringen sollte auch durch die Vertretung noch stärker in Brüssel präsentiert werden durch die eine oder andere Veranstaltung. Aber wichtig ist, dass die Thüringen-Vertretung die Aufgabe hat, uns frühzeitig zu informieren über politische Vorhaben und Tendenzen aus Brüssel. Je mehr wir Wissensfortschritt haben, umso besser können wir uns darauf einstellen.

Und ich möchte es mal, Frau Walsmann, so machen und es deutlich aussprechen – es ist auch eine Selbstkritik –: Wir sollten in Thüringen darüber

nachdenken, wie vielleicht manche Tradition der Thüringen-Vertretung in Brüssel wieder modernisiert aufleben kann. – Das war jetzt mein Beitrag zur Selbstkritik, Sie verstehen das. – Das sollten wir machen, manches Bewährte in einer anderen Form, aber man kommt mit Menschen ins Gespräch. Das ist wichtig und man kann Thüringen darstellen.

Ich habe keine Angst, dass wir Abstriche erleiden werden, was die Frage der Subsidiarität betrifft, wie wir mit dem Subsidiaritätsprinzip hier im Landtag umgehen werden. Da wird es keine Abstriche geben. Ich glaube, da sind wir auch als Ausschuss stark genug. Und die Landesregierung will es gar nicht, im Gegenteil, die Landesregierung will sogar, wie wir die Vereinbarung evaluiert haben, gerade solche Sachen wie Weißbücher und Grünbücher rechtzeitig in den Ausschuss einbringen und darüber im Vorfeld debattieren. Und wir werden als Ausschuss – da bin ich überzeugt – auch weiterhin diese Debatte um Frühwarndokumente auch so führen, dass wir unsere politischen Bedenken zu Inhalten dieser Dokumente weiterhin artikulieren werden und die Landesregierung auffordern werden, dass diese Bedenken auch im Bundesrat, wenn sie politischer Natur sind, bearbeitet bzw. auch eingebracht werden.

Wir sollten uns jetzt Gedanken machen: Wie gehen wir mit dieser europapolitischen Strategie, die eine europapolitische Strategie des Freistaats Thüringen werden wird und ist, um, wie können wir das hier im Landtag besprechen? Die Landesregierung hat entsprechend § 34 unserer Geschäftsordnung dem Präsidenten die europapolitische Strategie übergeben mit der Bitte um Beratung hier im Landtag. Ich kann nur die Bitte an den Präsidenten äußern, dass diese europapolitische Strategie in allen Ausschüssen des Thüringer Landtags behandelt wird, dass der Europaausschuss der federführende Ausschuss dazu sein wird. Wir sollten uns auch in unserer nächsten Ausschusssitzung damit beschäftigen: Welchen Weg gehen wir, welchen Zeitablauf setzen wir uns, bis wann wollen wir in der Lage sein, der Thüringer Landesregierung zur Fortschreibung der Strategie Empfehlungen zu geben?

Es hindert uns als Ausschuss auch keiner daran, mit Thüringerinnen und Thüringern ins Gespräch zu kommen. Vielleicht kann man auch über eine Form einer Anhörung zur europapolitischen Strategie nachdenken. Aber das sollten wir im Ausschuss beraten und dort darüber befinden.

Ich möchte mich bei der Landesregierung für die Einbringung dieser Strategie bedanken und erwarte – und das erwarten auch die Menschen von uns –, dass wir mit dieser Strategie offen und transparent umgehen und dass wir diese Strategie fortschreiben. Das Wichtigste ist, dass die Strategie nicht auf

dem Papier stehen bleibt, sondern dass sie bei den Menschen ankommt. Ich danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat die Abgeordnete Henfling, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Präsidentin, es ist eine Binsenweisheit, dass ein Nationalstaat allein im globalen Zeitalter nur wenig Gewicht hat. Klimaverhandlungen, der sozialökologische Umbau der Wirtschaft – solche Fragen sollten wir besser gemeinsam anpacken. Die Europäische Union ist für uns Bündnisgrüne daher ein gewichtiger politischer Raum und eine gewichtige politische Akteurin, um grüne Werte und Ziele umzusetzen. Daher begrüßen wir natürlich auch die europäische Strategie der Landesregierung ausdrücklich, besonders die Art der Konzipierung, eine Strategie des Landes daraus zu machen. Das zeigt auch den geänderten und offenen Umgang dieser Regierung mit dem Thema „Europäische Union“ und versucht, Anonymisierungserscheinungen der bisherigen Handelnden entgegenzuwirken.

Wir haben uns die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auf die Fahnen geschrieben. Mehr Transparenz, mehr Mitsprache und dazu gehört auch die parlamentarische Diskussion über die Europastrategie, wenn wir denn tatsächlich ernsthaft Einfluss nehmen wollen als Abgeordnete in diesem Parlament. Gerade wenn jetzt im Augenblick – das ist heute schon mehrfach angeklungen – die Staatsund Regierungschefs in Brüssel um weitere Schritte in der Bewältigung der Flüchtlingskrise ringen, ist der Blick zurück richtig und wichtig. Die europäische Integration ist eine beispiellose Geschichte für dauerhaften Frieden, das Überwinden von Grenzen, für ein immer engeres Zusammenwachsen von Staaten und Menschen unterschiedlicher Herkunft. Der Euro ist nach wie vor das täglich sichtbare Zeichen dieser europäischen Erfolgsgeschichte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Zeiten, in denen globale Konzerne vernetzt sind und in denen viel über die digitalen Verbindungen abläuft, ist es natürlich wünschenswert, dass auch Politik und die, die handeln, und die, die den Rahmen für so etwas schaffen, auf diesen Ebenen eine Tragfähigkeit haben. Was die AfD in ihrem Schrei nach dem Nationalstaat nicht erklären kann, ist, wie sie denn als Nationalstaat Konzerne wie Facebook, Google oder Monsanto gegenübertreten möchte, wenn sie darüber redet, wie diese die Gesetze und die Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Länder ein

(Abg. Kubitzki)

halten. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das nur hinbekommen, wenn wir das gemeinsam tun und wenn wir uns in der Europäischen Union darauf verständigen, welche Rahmenbedingungen wir auch Wirtschaftsunternehmen mit auf den Weg geben, damit sie nicht dafür sorgen, dass hier Gentechnik auf unsere Felder kommt oder dass der Datenschutz unserer Bürgerinnen und Bürger ausgehebelt wird.

Der fehlende Handlungsspielraum kann – aus meiner Sicht – nur supranational gelöst werden, meine Damen und Herren. Da sind wir uns hier auch im Wesentlichen einig. Wo wir uns nicht einig sind, Frau Walsmann, ist die Debatte um das Mehr oder das Weniger von Europa. Ich finde, diese Debatte ist überholt. Ich finde, es geht nicht um mehr oder weniger Europa, sondern es geht um eine Ganzheitlichkeit. Da hat der Kollege Hey – finde ich – einen guten Satz gesagt. Er hat gesagt: „alle Ebenen zu einem Ganzen integrieren“. Ich finde, das ist es, was wir machen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Ganze rund ist und dass alle Ebenen einbezogen werden, dass alle Ebenen gehört werden und dass uns die Europäische Union die Möglichkeit gibt, die Sachen auch tatsächlich umzusetzen. Das hat nichts mit mehr oder weniger Europa zu tun. Ich würde mir wünschen, dass wir von dieser Debatte wegkommen und den Blick etwas weiten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es muss also unser Anliegen sein, das Vertrauen in Europa durch Authentizität und Ehrlichkeit zu stärken. Dazu gehört auch, auf die immer noch bestehenden Schwächen der Europäischen Union hinzuweisen. Die soziale Dimension spielt in der Strategie eine große Rolle und ich glaube, sie muss auch eine große Rolle spielen in den Debatten in den nächsten Monaten und Jahren, nicht nur hier auf Landesebene, sondern auch in den Ebenen darüber.

Ein wesentlicher Aspekt ist die Rückbesinnung auf die tragenden Werte und Motive, die den Motor des Projekts Europa bilden. Dabei bleiben Binnenmarkt und Wirtschaftsunion nur kleine Teile des wichtigen Grundgerüsts. Hier legt die Landesregierung den Fokus richtig und ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Hoff dort auch voll und ganz an. Die EU hat deutlich Schlagseite. Während die Integration des Binnenmarkts fleißig voranschreitet und insbesondere den Unternehmen und Dienstleistern zugute kommt, hinkt die soziale Absicherung dieser wirtschaftlichen Integration deutlich hinterher. Lange war das auch so gewollt, denn die sozialen Belange konnten und können gut auf der nationalen Ebene geregelt werden. Wenn Güter, Waren, Dienstleistungen und insbesondere Arbeitskräfte mobil sind, ist es jedoch nicht länger möglich, im

Nationalen soziale und arbeitsrechtliche Standards zu setzen. Hinzu kommt – und das ist wahrscheinlich das Wichtigste – die Frage, wie sich die Bürgerinnen und Bürger mit der Europäischen Union identifizieren sollen, wenn eines ihrer wichtigsten Bedürfnisse, nämlich die soziale Absicherung, von der Europäischen Union nicht beachtet wird. Und so müssen wir aus meiner Sicht über genau diese sozialen Aspekte der Europäischen Union intensiver und vor allen Dingen nach vorn denkend diskutieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das Thema der Geflüchteten ist hier heute schon angeklungen. Wir hatten vor zwei Tagen den Bürgerdialog. Und ich gebe

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Schöner Be- griff, Frau Henfling, Bürgerdialog!)

meinen Vorrednerinnen und Vorrednern recht: Wir müssen da am Dialog arbeiten. Ich habe diesem Bürgerdialog tatsächlich beigewohnt und ich fand eher, es war maximal ein – na ja, sagen wir mal – Austausch. Dass Bürgerinnen und Bürger sich tatsächlich einbringen können, müssen wir deutlich verbessern. Das ist nicht ganz einfach, weil, wenn hier der Plenarsaal mit 150 Menschen vollsitzt, dann muss man wirklich sehr gut sortiert überlegen, worüber man diskutieren will und worüber die Bürgerinnen und Bürger diskutieren wollen und vor allen Dingen, wie man eventuell auch bestimmte Sachen festhält. Denn, das ist auch schon angeklungen, den Menschen geht es natürlich um ganz viele unterschiedliche Fragen.

Das Thema „Geflüchtete“ war in diesem Bürgerdialog auch ein großes Thema. Wenn wir nämlich über die soziale EU sprechen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie wir mit den Schwächsten in der Europäischen Union umgehen. Da geht es einerseits beispielsweise um Minderheitenpolitik. Wir wissen, dass die Roma beispielsweise eine der größten Minderheiten in der Europäischen Union, in Europa sind. 12 Millionen Menschen zählen zu den Roma. Wenn wir aber überlegen, wie wir mit diesen Menschen in der EU und in Europa umgehen, dann müssen wir uns die Frage stellen, ob wir hier tatsächlich alles getan haben. Es gibt auf europäischer Ebene Programme, insbesondere für die Westbalkanstaaten, die darauf angelegt sind, die Roma in diesen Staaten zu integrieren und ihnen dort eine Perspektive zu bieten. Dass dieses Geld – und das hat der Kollege Kubitzki angesprochen – nicht dort ankommt, das ist das Problem. Dass es keine Kontrolle gibt, was mit dem Geld dort passiert, das ist ein riesengroßes Problem. Wir haben dort Staaten, in denen Korruption immer noch ein Thema ist, und dort versickert Geld. Darum müssen wir uns als Europäische Union und als Europäerinnen und Europäer kümmern.

Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, wie die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ausgestaltet werden soll. Ich glaube nicht, dass hier irgendjemand ernsthaft der Meinung ist, dass wir die momentane Situation auch nur ansatzweise nationalstaatlich regeln können. Das ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Wir brauchen eine europäische Strategie, wie wir damit umgehen.

Vor zwei Tagen ist auch über das Dublin-System diskutiert worden. Auf dem Podium ist gesagt worden: Dublin war richtig und wichtig, super und wir machen das wieder. Ich bin der festen Überzeugung, Dublin war erstens nie richtig und zweitens ist Dublin definitiv gescheitert. Und man kann doch nicht sagen, ein System ist gescheitert und dann legen wir es wieder neu auf, denn dieses System ist unsolidarisch. Wenn wir über die Europäische Union reden, dann müssen wir meines Erachtens noch mehr darüber reden, wie wir die Solidarität innerhalb der Europäischen Union stärken können. Mit einer Neuauflage des Dublin-Systems werden wir das ganz sicher nicht tun. Denn damit verschieben wir die Krisen wieder an die Ränder der Europäischen Union in die Länder, die einfach nichts dafür können, dass sie geografisch nun mal am Mittelmeer liegen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann müssen wir uns als Deutsche eben auch fragen, was wir zu der momentanen Situation und den momentanen Diskussionen beigetragen haben. Wir haben Griechenland, wir haben Italien gesagt: Hier habt ihr Dublin, und alle Flüchtlinge, die hierherkommen, dürfen nur Asyl in dem Land beantragen, das sie zuerst betreten. Nun ja, wenn man über das Mittelmeer kommt, betritt man selten zuerst Deutschland. Das ist eben genau der Punkt. Und das ist eine Entsolidarisierung auch Deutschlands gewesen, was dieses Dublin-System mit vorangetrieben hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Unsere Grünen-Europaabgeordneten haben sich Gedanken darüber gemacht und sie haben gesagt: Wir brauchen dieses solidarische System. Also ein System, das auf einer gerechten Verteilung der Asylsuchenden auf alle EU-Mitgliedstaaten basiert und für diese Mitgliedstaaten verbindlich ist. Ein System, das die Anknüpfungspunkte und Präferenzen der Asylsuchenden für einen bestimmten Mitgliedstaat berücksichtigt. Denn auch diese Menschen haben hier Familien, haben hier Bekannte und diese Menschen sollten gehört werden, wenn es darum geht, wo sie eventuell in Zukunft leben sollen. Ein System, das darauf basiert, Anreize für die Asylsuchenden zu schaffen, in ihrem Mitgliedstaat zu bleiben, statt eine Abwanderung und sekundäre Migrationsbewegung in andere Mitglied

staaten durch Zwangsmaßnahmen zu verhindern. Ein integriertes EU-Asylsystem zur besseren Umsetzung der EU-Asylvorschriften in allen Mitgliedstaaten, das substanzielle Integrationsmaßnahmen beinhaltet, positive gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen, sodass Flüchtlinge ein Jahr nach ihrer Anerkennung als schutzbedürftig in einen anderen Mitgliedstaat ziehen können, um dort zu arbeiten oder zu studieren.

Meine Damen und Herren, das hat sehr viel mit Thüringen zu tun, denn es würde auch uns hier in Thüringen und in allen anderen Bundesländern helfen, mit dieser Situation gezielter und besser umzugehen.

Entscheidend und wichtig dabei ist die Frage: Wir kritisieren die Europäische Union, wir kritisieren ihre Institutionen, das ist auch völlig richtig und das ist auch völlig wichtig, das machen wir als Grüne schon länger und auch sehr ausdauernd. Die Antwort darauf ist – und das habe ich hier auch schon deutlich gesagt – eben nicht, wenn es auf der EUEbene nicht gut läuft, zu sagen: Wir fallen zurück in nationalstaatliche Überlegungen und schaffen den Euro ab oder Schengen oder was auch immer sich die AfD da immer so gern ausdenkt und ihre rechtspopulistischen Freundinnen und Freunde aus unterschiedlichen anderen Staaten der Europäischen Union. Sondern die Antwort darauf ist eine Demokratisierung und eine Transparenzoffensive, die wir da brauchen. Und für eine Stärkung des Vertrauens muss das eben tatsächlich passieren.

Der Reformbedarf dabei ist aus meiner Sicht gewaltig. Wir brauchen eine Union, die über einen Kern und über eine Peripherie verfügt. Wir brauchen eine Union, in der es nicht nur darum geht, dass sich Regierungschefs treffen und etwas aushandeln und dabei wiederum nur auf ihre nationalstaatlichen Interessen schauen. Wir brauchen also ein europäisches Parlament, was tatsächlich eine Legitimität hat, was über nationalstaatliche Grenzen hinweg denkt und was tatsächlich gemeinsame Ziele und gemeinsame Programme entwickelt. Das gilt natürlich auch für das Parteiensystem. Wir brauchen auch eine Europäisierung des Parteiensystems. Nur dann können wir tatsächlich eine Ebene schaffen, in der jenseits nationaler Grenzen für die Menschen in Europa gedacht und entschieden wird.

Wir müssen außerdem die Abschottung der Europapolitik vom heimischen Wählerpublikum beenden. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen teilhaben können an dem, was auch wir hier zum Beispiel im Europaausschuss beraten. Der Europaausschuss tagt zu den Europathemen öffentlich, aber ich finde das nicht ausreichend. Wenn die Menschen nicht zu uns kommen, müssen wir zu den Menschen kommen. Das wird auch die Aufgabe, denke ich, der Landesregierung sein, diese Themen zu den Leuten zu tragen, sonst diskutieren wir

weiterhin immer nur über Glühbirnen und gerade oder krumme Gurken, denn das ist natürlich das, was bei den Leuten als Aufreger am Ende ankommt.

Die geraden Gurken wollten übrigens die Logistiker, nicht die Menschen, die im Europäischen Parlament sitzen, sondern das ist eine Initiative der Wirtschaft gewesen. Da sind wir bei dem anderen Thema: Wir müssen darüber reden, wer denn eigentlich Einfluss auf die Entscheidungen hat, die auf europäischer Ebene getroffen werden. Auch da müssen wir endlich über mehr Transparenz reden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf ein Thema eingehen, was hier von noch keiner Rednerin und keinem Redner angesprochen wurde: Datenschutz und digitaler Binnenmarkt. Auch das ist ein Thema in der Strategie der Landesregierung. Das Internet ist weit mehr als nur ein neuer Marktplatz. Es hat die einzigartige Fähigkeit, Menschen auf neue Arten miteinander zu vernetzen, um Probleme kollaborativ zu lösen und das Ergebnis der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Wenn wir die Öffnung des digitalen Binnenmarkts richtig anpacken, haben wir weitaus mehr zu gewinnen als einen optimierten Austausch von Waren und Dienstleistungen.

Daher setzen wir uns für die Verabschiedung eines verbindlichen Netzneutralitätsgesetzes auf EU-Ebene ein. Das bedeutet, dass im offenen Internet alle Datenpakete gleich behandelt werden und sogenannte spezialisierte Dienste, die den Datenverkehr einer Sonderbehandlung unterziehen, nicht als Ersatz zum offenen Internet vermarktet und verkauft werden dürfen. Das müsste aus meiner Sicht auch den Unternehmen und den Kleinunternehmen in Thüringen zugutekommen. So wird sichergestellt, dass eben nicht nur die großen Konzerne ihre Sachen anbieten können, sondern dass es auch die kleineren und innovativeren machen können. Wir brauchen also auch eine Diskussion über Fragen der Open-Source-Software, wir brauchen gemeinschaftlich betriebene WLAN-Netzwerke und wir brauchen Crowdfunding, was die Menschen zusammenbringt. Wir brauchen eine Diskussion über das Urheberrecht. Unser Urheberrecht endet noch an nationalen Grenzen, das tut das Internet aber nicht. Unser Urheberrecht ist so hinterher, dass es unglaublich komplex und unglaublich aufwendig geworden ist, bestimmte Dinge zu klären, und das ist weder nutzerinnenfreundlich, noch ist es irgendwie angemessen für diejenigen, die dieses Urheberrecht in Anspruch nehmen, weil sie ihre Texte, ihre Bilder oder ihre sonst anderweitige Kreativität zur Verfügung stellen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)