Protocol of the Session on March 17, 2016

Jenseits der konkreten Frage der Einlagensicherung bedarf es aber mittel- und langfristig einer gemeinsamen Antwort auf die Frage der Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet auch, sich über die allgemeine Zielrichtung zu verständigen. Wir lehnen jedenfalls eine Politik ab, die neue Kompetenzen und Institutionen einseitig unter dem Aspekt der fiskalischen Disziplinierung einzelner Mitgliedstaaten betrachtet. Ich hoffe sehr, dass es gelingen wird, die Wirtschafts- und Finanzkrise im Geiste der europäischen Solidarität zu bewältigen. Dazu bedarf es, neben einer Stärkung der sozialen Komponente und einer verbesserten Regulierung der Finanzmärkte, natürlich auch der Anstrengungen der betreffenden Mitgliedstaaten, aber eben auch eines besseren Zusammenwirkens der europäischen Institutionen, insbesondere einer Einbeziehung des europäischen Parlaments und einer Stärkung dessen Rechte.

Ganz im Sinne von Robert Schumann, der im Zusammenhang mit der europäischen Einigung von einer „Solidarität der Tat“ gesprochen hat, wollen wir Solidarität nicht nur predigen, sondern wir praktizieren solidarische Politik. Deshalb hat Thüringen gegenüber Griechenland erst kürzlich ein deutliches Signal gegeben, dass wir bei der Bewältigung der erschreckend hohen Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland Hilfe leisten wollen. Die Thüringer Arbeitsministerin Heike Werner und die Präsidentin der griechischen Arbeitsmarktbehörde unterzeichneten am 19. Februar hier in Thüringen einen Letter of Intent zur Ausbildung von Jugendlichen aus Griechenland im Freistaat Thüringen. Die Ausbildung in Thüringer Betrieben und Berufsbildungszentren soll nicht nur die Berufsperspektive einzelner junger Menschen verbessern, sondern auch den Aufbau eines modernen Berufsbildungssystems in Griechenland unterstützen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke an dieser Stelle ganz ausdrücklich den Kammern und Verbänden, die in den letzten Monaten intensiv in der Diskussion um den Flüchtlingszustrom immer wieder deutlich gemacht haben, dass Zuwanderung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der offenen Ausbildungsplätze in Thüringen als eine sinnvolle, positive Entwicklung gesehen wird. Ich danke der Arbeitsministerin und dem Wirtschaftsminister, dass sie intensiv zusammenarbeiten, um genau an dieser Schnittstelle zwischen Arbeits- und Wirtschaftspolitik dafür Sorge zu tragen, dass Gewerkschaften, Kammern und Verbände hier an einem Strang ziehen können. Auf der einen Seite wird die Nachfrage nach Arbeitskräften befriedigt, auf der anderen Seite leistet Thü

(Minister Prof. Dr. Hoff)

ringen über einen solchen Beitrag auch einen ganz praktischen Beitrag für europäische Entwicklungszusammenarbeit. Ich denke, das ist das, was ich von Robert Schumann als „Solidarität der Tat“ zitiert habe.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, Kommissionspräsident Juncker hat bei seinem Amtsantritt angekündigt, sich verstärkt auf große, wichtige Themen zu konzentrieren. Zu diesen Themen mit dem viel zitierten europäischen Mehrwert gehört ohne Zweifel die Nachhaltigkeit sowohl im sozialen und ökonomischen Sinne als auch die Klima- und Energiepolitik. Das zeigt sich im Koalitionsvertrag hier in Thüringen und jetzt auch in der europäischen Strategie, dass diesem Themenfeld auch die Landesregierung besondere Aufmerksamkeit widmet.

Bis zum Jahr 2040 wollen wir unseren eigenen Energiebedarf bilanziell durch einen Mix aus 100 Prozent regenerativer Energie selbst decken. Gerade vor dem Hintergrund des positiven Signals, das vom Weltklimagipfel Ende des letzten Jahres in Paris ausgegangen ist, hätten wir uns auf europäischer Ebene noch ehrgeizigere und zum Teil auch verbindlichere Ziele für die Zeit bis zum Jahr 2030 gewünscht. Die EU sollte die geplante Energieunion stärker in den Dienst einer nachhaltigen Energieversorgung ohne Risiken für nachfolgende Generationen stellen.

Erst vor wenigen Wochen ist Thüringen in diesem Sinne der Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg beigetreten. Das Netzwerk der gentechnikfreien Regionen, dem Thüringen ebenfalls angehört, ist ein sehr erfolgreiches Beispiel der Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg. Es dient als Vorbild, erneut einen internationalen Prozess anzuschieben, auf subnationaler bzw. subföderaler Ebene in Gang zu bringen. Nicht zuletzt muss auch die europäische Energiepolitik die Bürgerinnen und Bürger einbinden. Eine Energiewende braucht dezentrale Energiegewinnung mit Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung.

Allein daran zeigt sich aus Sicht dieser Landesregierung, dass Europa die verstärkte demokratische Mitwirkung seiner Bürgerinnen und Bürger braucht. Europa braucht mehr Demokratie. Was hier im Land bei der Debatte über die europapolitische Strategie gilt, muss erst recht auch auf europäischer Ebene gelten. Die kritische Auseinandersetzung mit TTIP, die großen Demonstrationen, in denen Befürchtungen gegenüber diesem Freihandelsabkommen zum Ausdruck gebracht wurden, zeigen, dass so wichtige Themen wie die Zukunft des Welthandels nicht Expertenkommissionen überlassen bleiben dürfen, sondern dass es einen öffentlichen Resonanzraum braucht, um diese Fragen zu diskutieren.

(Beifall DIE LINKE)

Die Proteste in vielen der sogenannten Krisenländern der EU speisen sich auch aus der Sorge, dass die eigenen nationalen Parlamente nichts mehr zu sagen haben. Wachsende Europaskepsis hat viel mit dem Gefühl von Ohnmacht zu tun. Im digitalen Zeitalter wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr länger nur zusehen, sondern sie wollen aktiv eingebunden sein, ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen, selbstständig agieren, wollen in die Gestaltung der Zukunft eingreifen.

In unserer europapolitischen Strategie zeigen wir verschiedene Ansatzpunkte für eine Stärkung der Demokratie in Europa auf: Wir unterstützen Forderungen des Europäischen Parlaments, als einziges direktes EU-Organ mehr Rechte zu erhalten, zum Beispiel ein eigenes Initiativrecht, damit nicht nur die Kommission und der Rat die politische Agenda definieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Wahlen zum Europäischen Parlament sollten europäischer werden. Hier wurde mit der 2014 erstmals praktizierten Aufstellung von Spitzenkandidaten ein Weg gewiesen, der nun zum Beispiel mit einem einheitlichen Wahlrecht und Wahltag weiter beschritten werden könnte.

Wenn wir über mehr Demokratie reden, gehört dazu – ich bin darauf bereits eingegangen – die Stärkung direktdemokratischer Elemente. Die Einführung der Europäischen Bürgerinitiative mit dem Vertrag von Lissabon war ein richtiger Ansatz. Dass sie unzureichend genutzt wird, liegt daran, dass sie nicht praktikabel ausgestaltet wurde. Insofern geht es in der kritischen Auseinandersetzung mit der Europäischen Bürgerinitiative nicht darum, sie zurückzuführen, sondern sie in einer Weise auszugestalten, dass sie tatsächlich mit Leben erfüllt werden kann. Insgesamt müssen wir mutiger sein und Erfahrungen mit der direkten Demokratie auf EUEbene sammeln. Gleichermaßen halten wir eine Stärkung der europäischen Öffentlichkeit für erstrebenswert, um die Entscheidungsprozesse konstruktiv zu begleiten. Ich wünsche mir eine europäische Debattenkultur. In Thüringen leisten wir mit dem Europäischen Informationszentrum hierzu einen engagierten Beitrag, um die Debatte zur europäischen Politik weiter zu befördern.

Die nationalen Parlamente – in Deutschland Bundestag und die Länderkammer Bundesrat – spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die demokratische Legitimation europäischer Entscheidungen geht. Zwar sind sie heute bereits frühzeitig in den Gesetzgebungsprozess eingebunden, jedoch könnte auch ihnen eine Art europäisches Initiativrecht zugestanden werden, um die Wirksamkeit der Mitgestaltung europäischer Politik zu erhöhen. Unter

(Minister Prof. Dr. Hoff)

dem Stichwort „Grüne Karte“ wird das bereits diskutiert. Mit Blick auf das britische EU-Referendum hat der Europäische Rat Verabredungen getroffen, die es den nationalen Parlamenten leichter machen sollen, ein Regelungsvorhaben zu stoppen. Natürlich verfolgen auch wir diese Entwicklung mit Interesse, weil wir über den Bundesrat von ihr profitieren könnten. Das ist die eine Seite. Gleichzeitig können die Regelungen, die im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen geführt wurden, auch dazu beitragen, Europa weiter auseinanderzudividieren als zusammenzuführen. Insofern ist die Brexit-Debatte, die wir derzeit führen, für Europa hoch ambivalent. Lassen Sie mich klarstellen: Solche Konstruktionen zugunsten nationaler Parlamente dürfen nicht dazu führen, dass die EU in ihrer Handlungsfähigkeit unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Das Spannungsverhältnis zwischen den Beteiligungsinteressen der nationalen Parlamente und europäischer Gestaltungsfähigkeit müssen wir genau im Blick behalten.

Die Entwicklung von Normen und Standards in Handelsabkommen – ich komme noch mal auf TTIP, TiSA und CETA zurück – muss sich konsequent an demokratischen Prinzipien ausrichten. Die Definition dieser Standards und Zulassungsverfahren ist genauso wie ihre Weiterentwicklung allein Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Die Landesregierung lehnt spezielle Investitionsschutzvorschriften und Streitbeilegungsmechanismen im Verhältnis Investor und Staat ab.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sollte ein vollständiger Verzicht nicht erreichbar sein, unterstützt Thüringen die Einrichtung eines dauerhaften, multilateral legitimierten und rechtsstaatlichen internationalen Handelsgerichtshofs. Daran werden wir die Vorschläge der Kommission und auch etwaige Verhandlungsergebnisse messen. Dabei werden uns CETA, TTIP und andere Handelsabkommen wie das Dienstleistungsabkommen TiSA in einem Gesamtkontext beschäftigen.

Ich erinnere daran, dass nach Auffassung aller deutschen Länder TTIP und CETA der Zustimmung nicht nur des Europäischen Parlaments, sondern auch von Bundestag und Bundesrat bedürfen. Sie sind als sogenannte gemischte Abkommen einzuordnen, weil sie auch Gesetzgebungszuständigkeiten der Mitgliedstaaten betreffen. Beispiele sind der Investitionsschutz, das Verkehrsrecht, die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Arbeitsschutz. Aus diesem Grund bedürfen sie der mitgliedstaatlichen Ratifikation. In Deutschland wiederum ist nach unserer Überzeugung die Zustimmung des Bundesrats im Rahmen der Ratifikation erforderlich. Dies folgt entweder schon aus Artikel 23 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz, weil durch die Handelsabkommen Hoheitsrechte auch an die EU übertra

gen werden. Es folgt jedenfalls aber auch aus den nach Artikel 59 Abs. 2 Grundgesetz anwendbaren allgemeinen Regeln für die Ratifikation völkerrechtlicher Verträge.

Wir können unsere Mitwirkungsrechte bei TTIP nur dann voll wahrnehmen, wenn wir Zugang zu allen relevanten Informationen haben und wenn in Bezug auf die Verhandlungen größtmögliche Transparenz herrscht. Die Einrichtung des TTIP-Leseraums im Bundeswirtschaftsministerium ist ein erster kleiner Fortschritt. Aber es ist eine Mindestlösung und sie reicht nicht aus für die Einlösung tatsächlicher Transparenz. Dass der Zugang zu diesem Leseraum für die deutschen Bundesländer zurzeit allein auf Bundesratsmitglieder beschränkt bleibt – das heißt also, weder Staatssekretärinnen und Staatssekretäre noch leitende Beamte der deutschen Länderbehörden können in diesem TTIP-Leseraum die Unterlagen einsehen und damit tatsächlich das tun, was ihre eigentliche Aufgabe ist: Politik, Beratung im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit TTIP zu gestalten –, das halte ich für hoch bedenklich, für unpraktisch und für eine Einschränkung unserer Informations- und Mitwirkungsrechte, die nicht gerechtfertigt ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern kann die Kurzfassung nur lauten: Macht die Türen des Leseraums weiter auf. Ein Kollege der SPD-Bundestagsfraktion hat seine Erfahrung – weil man ja darüber nicht reden darf – auf Youtube in einem Tanz ausgebracht. Das ist mit Sicherheit – wir bewegen uns in einem Jahrestag des Dadaismus – eine gute Umgangsweise mit TTIP. Ich bin mir aber nicht sicher, ob diese Form der nonverbalen Kommunikation die adäquate Form der Herstellung von Transparenz im Hinblick auf TTIP ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderer Themenkomplex, der in der laufenden Legislaturperiode für intensive Diskussionen sorgen dürfte – nach dem Prinzip „Am Gelde hängt, zum Gelde drängt…“ –, betrifft uns als Land finanziell ganz unmittelbar. Es geht um den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU und dabei besonders um die Frage, wie viel Geld für die europäische Kohäsionspolitik nach 2020 noch nach Thüringen fließen wird. Man muss kein Prophet sein, um Verteilungskämpfe von bisher unbekannter Härte vorherzusagen. Ich bin überzeugt, dass dieses Mal nicht wieder alles beim Alten bleiben wird. Wir brauchen mehr Haushaltsflexibilität, um schneller auf neue Herausforderungen, wie sie jetzt die Flüchtlingspolitik darstellt, reagieren zu können. Die EU braucht eine stabile und gerechte Einnahmebasis. Vonseiten progressiver Ökonomen wird hierzu eine EU-Steuer in die Diskussion gebracht.

(Minister Prof. Dr. Hoff)

Ich denke, dass hierzu der Meinungsbildungsprozess im deutschen politischen und wirtschaftspolitischen Raum noch lange nicht erschöpft ist. Aber die Diskussion zumindest als eine Überlegung zu führen, sollten wir uns vorbehalten, anstatt voreilig Nein zu sagen. Und die Mitgliedstaaten werden nicht umhinkommen, einen neuen Konsens über die Schlüsselausgaben der EU zu finden.

Bislang fließt ein Großteil des EU-Haushalts in die klassischen Ausgabenbereiche wie die Agrar- und die Kohäsionspolitik. Der Trend, diese Ausgaben weiter zurückzufahren, dürfte sich fortsetzen. Dabei müssen wir aufpassen: Wenn es mehr Geld für die europäische Flüchtlingspolitik oder für den Ausbau der europäischen Innovationspolitik geben soll – um zwei wichtige Beispiele zu nennen –, sollten diese Ausgaben nicht über zentrale EU-Programme fließen, sondern über dezentrale regionale Förderprogramme, wie zum Beispiel den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung oder den Europäischen Sozialfonds. Die europäische Strukturpolitik ermöglicht effektive regionale Lösungen für europäische Probleme. Das gilt auch für Programme wie den ELER, also diejenigen Förderprogramme, die in den Bereich der ländlichen Entwicklung fließen.

Die Thüringen aus den Struktur- und Investitionsfonds zugewiesenen Mittel für die aktuelle Förderperiode sind erstmals stark rückläufig. Aber durch die Einordnung als sogenannte Übergangsregion fielen die Einschnitte weniger deutlich aus als befürchtet. In dieser Förderperiode erhält Thüringen immerhin aus den drei Struktur- und Innovationsfonds, die ich genannt habe, Mittel in Milliardenhöhe. Ziel der Landesregierung ist es, dass die ostdeutschen Länder auch in der nächsten Förderperiode eine Art Sonderstatus erhalten. Ja, wir haben wirtschaftlich stark aufgeholt als ostdeutsche Länder, aber wir sind noch weit von einer selbsttragenden Wirtschaftsstruktur entfernt, die die stärker entwickelten Regionen kennzeichnet. Ich werde deshalb mit meinen ostdeutschen Europaminister- und -ministerinnenkollegen alle Einflussmöglichkeiten nutzen, um eine übergangslose Absenkung der EUFörderung auf das Niveau der stärker entwickelten Regionen zu verhindern.

Sehr geehrte Damen und Herren, das zivil- und bürgerschaftliche Handeln basiert immer stärker auf regionalen Aktionsformen. Global denken, lokal handeln oder regional Handeln – das kann dafür als Maxime gelten. Diese Entwicklung sollte eine europäische Region wie Thüringen als Chance und Auftrag begreifen. Wir alle – und damit meine ich Regierung, Parlament, Bürgerinnen und Bürger, kommunale Gebietskörperschaften, Vereine, Verbände – müssen uns noch stärker als Mittler zwischen Europa und den Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger hier im Land engagieren. Denn starke Regionen sind ein weiterer wichtiger Baustein für

ein demokratisches Europa. Unsere Verantwortung hat dabei zwei Seiten:

Erstens: Als Mittler haben wir als Landesregierung, als Landesparlament den Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger über Europa zu informieren und sie über komplexe Sachverhalte und Entscheidungsverfahren aufzuklären. Transparenz, Offenheit und Bürgernähe sind Leitbilder unserer europapolitischen Öffentlichkeitsarbeit. Gleichzeitig geht es nicht darum, nur quasi paternalistisch Informationen nach unten zu geben, vielleicht auch als negativ empfundene Entwicklungen zu erklären, sondern es geht darum, in einen Austausch zu treten, das konkrete Feedback aufzunehmen und auch zum Gegenstand unseres Handelns zu machen bzw. uns dabei auseinanderzusetzen, wenn es konkret um Werteauseinandersetzung geht zwischen Positionen, die wir als politische Akteure teilen, und um Positionen, die wir als politische Akteure aber auch nicht teilen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Europäische Informationszentrum nimmt hier eine zentrale Rolle ein. Es ist offen für alle Bürgerinnen und Bürger. Ich freue mich über jeden europakritischen Bürger, der den Weg in das Europäische Informationszentrum findet. Denn nur wenn wir den Dialog suchen, können wir die Zukunft der europäischen Integration gestalten. Wir brauchen eine Diskussion über prägende Gemeinsamkeiten. Die schulische Bildung wird auch künftig ein Schwerpunkt der europäischen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sein – hier werden die Grundlagen für kulturelle Toleranz, Offenheit und Werteverbundenheit gelegt. Nur dann können EU-geförderte Austausch-, Partnerschafts- und Studienprogramme auf fruchtbaren Boden fallen. Sie sind gerade jetzt so wichtig wie nie zuvor.

Zweitens: Wir sind aufgefordert, den europäischen Einigungsprozess konstruktiv von unten mitzugestalten und dem Subsidiaritätsgedanken – also dem Gedanken, dass jede Ebene genau so viel tragen soll, wie sie tragen kann, und nur, wenn sie diesen nicht mehr tragen kann und überfordert ist, an die nächst höhere Ebene zu geben – als Beitrag zu mehr Bürgernähe in Europa Geltung und Achtung zu verschaffen. Der Thüringer Landtag und die Landesregierung haben das Subsidiaritätsfrühwarnsystem in Thüringen beispielhaft umgesetzt und damit Europa fest im parlamentarischen Alltag verankert. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die europapolitische Debatte hier im Parlament und im Land noch intensiver, noch aufgeklärter, noch klüger geführt wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich versichere Ihnen, Thüringen wird engagiert für seine Interessen eintreten. Wir tun dies über den Bundesrat, die Europaministerkonferenz, über den Ausschuss der

(Minister Prof. Dr. Hoff)

Regionen, in dem wir Mitglieder von der Landesregierung und der Opposition vertreten haben, über die Thüringer Landesvertretung – also unsere eigene Botschaft – in Brüssel. Unsere Möglichkeiten, Einfluss auf den Gang der Dinge in Brüssel und Straßburg zu nehmen, sollten wir nicht unterschätzen. Frühzeitiges, zielgerichtetes Agieren und die Suche nach strategischen Partnern bilden die Basis für erfolgreiches europapolitisches Handeln.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei baut die Landesregierung auf die Unterstützung der demokratischen Kräfte hier in diesem Parlament. Wir tun das in dem Bewusstsein, dass im Bereich der Europapolitik hier im Landtag in der Vergangenheit stets auch parteiübergreifend gedacht und gehandelt wurde. Die Arbeit des Europaausschusses und seines Vorsitzenden ist hier exemplarisch. In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion heute hier im Plenum. Frau Walsmann, wir haben Ihnen als europapolitische Sprecherin mit dieser Europastrategie quasi ein Geschenk zu Ihrem Geburtstag heute gemacht. Ich freue mich aber auch auf die Diskussion in den Ausschüssen, in der wir natürlich noch viel detaillierter als heute hier im Landtagsplenum auf die konkreten Gegenstände der Europastrategie eingehen werden. Ich würde es begrüßen, wenn der Landtag dabei den von der Landesregierung begonnenen Weg der Einbindung interessierter Bürgerinnen und Bürger als direktdemokratisches Element der Debatte fortsetzt.

Die Debatte zur Europastrategie fällt – ich habe das bereits gesagt –, wenn wir das in den nächsten Wochen und Monaten tun, in die Zeit der britischen Brexit-Volksabstimmung, also dem möglicherweisen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Lassen Sie uns hier dafür streiten, dass Europa nicht als ein Kuchen wahrgenommen wird, von dem sich möglichst jeder das größte Stück abschneiden möchte, sondern als der Ort des Zukunftsversprechens, der die notwendige Lehre aus dem Zeitalter der Extreme zieht, wie Eric Hobsbawm das kurze 20. Jahrhundert nannte, einen Ort der Verständigung zwischen den Völkern und des Friedens – durch die Europäische Union hat es in Europa eine so lange Phase nichtkriegerischer Auseinandersetzungen gegeben –, einen Ort der Freizügigkeit, der Solidarität und der Integration. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos; Abg. Helmerich, fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Minister Prof. Hoff. Ich frage: Wer wünscht die Aussprache zur Regierungserklärung? Alle Fraktionen, sodass ich Frau Walsmann als Geburtstagskind die Gelegenheit gebe, sich für

das Geburtstagsgeschenk in angemessener Weise zu bedanken. Wir sind gespannt.

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für das Geschenk. Europa ist ein Geschenk und, ich glaube, an dem Punkt sind wir uns alle einig, ein Geschenk, das es gilt als eine Friedensgarantie zu bewahren. Das ist auch eine Herausforderung.