Protocol of the Session on December 17, 2015

Wenn die Absicht, „allen, egal ob sie als Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge oder aus anderen Gründen nach Thüringen geflüchtet sind, [...] mit Respekt und Würde“ zu begegnen, ein ideologisches Projekt ist, dann bitte sehr, Herr Kowalleck, dann ist es eben eins.

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Sie neh- men das viel zu persönlich!)

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Oder Sie!)

Ja, das nehme ich persönlich.

Fast täglich werden Flüchtlingsunterkünfte beschädigt, angegriffen, angezündet. Menschen werden rassistisch beleidigt, bedroht, verletzt. Und Ihnen, liebe Damen und Herren der CDU, fällt darauf nichts Besseres ein, als von ideologischen Projekten zu reden, da, wo es um Menschenwürde geht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihnen fällt nichts Besseres ein, als Standards bei der Unterbringung senken zu wollen, Flüchtlingen kein Einkommen zum Auskommen zugestehen zu wollen, den Familiennachzug einschränken zu wollen und damit Frauen und Kinder auf lebensgefährliche Fluchtwege zu zwingen. Ihnen fällt nichts Besseres ein, als Abschiebezentren und schnelleres Abschieben und kürzere Rechtswege zu fordern, wenn es eigentlich darum geht, den „Ich-bin-jakein-Rassist – aber“-Behauptern und den „rechtspopulistischen Rattenfängern“ durch tatsächlich menschenrechtsorientierte Politik für Flüchtlinge klare Kante zu zeigen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie tun genau das Gegenteil. Sie spannen sich selbst „vor den Karren derjenigen“, so hat es dieser Tage der stellvertretende Fraktionsvorsitzende meiner Partei im Bundestag formuliert, Sie spannen sich selbst „vor den Karren derjenigen, die die allgemeine Erklärung der Menschenrechte infrage stellen“. Oder um es mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 29.11. zu sagen, Zitat: „Doch die öffentliche Debatte wird mittlerweile von Politikern bestimmt, die auf die Fragestellung des 21. Jahrhunderts vor allem Antworten aus dem frühen 20. Jahrhundert geben. Grenzen. Kontrolle. Überwachung. – Weil die Stimmung gleichzeitig einfach nicht kippt, werden die Maßnahmen vorauseilend damit legitimiert, dass die Stimmung möglicherweise kippen könnte.“ Wozu brauchen wir dann noch die AfD, meine Damen und Herren?

Wir – Rot-Rot-Grün – wollen eben nicht, dass die Bundesrepublik Kaltland bleibt. Deswegen bin ich der Landesregierung, dem Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, aber insbesondere auch dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie und dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport dankbar dafür, dass an der Umsetzung unseres flüchtlingspolitischen Anspruchs gearbeitet wird, auch wenn das gerade nicht populär ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dieser Landesregierung ist Flüchtlingspolitik, sind die Aufnahme und Unterbringung und die Ermöglichung von Integration Querschnittsaufgaben geworden. Dies findet seinen Ausdruck darin, dass beispielsweise die psychosoziale Versorgung geflüchteter Menschen gesichert und mit 1 Million Euro im Einzelplan 08 verankert ist, dass zum Beispiel das Bildungsministerium ein Freiwilliges Soziales Jahr Migration neu einführt und dafür 252.000 Euro pro Jahr veranschlagt, dass bei den Zuschüssen an Sportvereine und -verbände ein neuer Bereich mit dem Titel „Integration von Flüchtlingen“ mit einem Ansatz von jeweils 90.000 Euro für 2016 und 2017 angefügt wurde. Und es findet auch seinen Ausdruck darin, dass bei der Aufnahme und Betreuung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nicht von der Absenkung der Qualitätsstandards oder dem Abweichen vom Fachkräftegebot ausgegangen wird, sondern versucht wird, diese Herausforderung unter Beachtung des Kindeswohls zu meistern. Hierzu kann ich mir weitere Ausführungen sparen, das hat Frau Rothe-Beinlich schon sehr deutlich mit „Janusköpfigkeit“ betitelt.

Wieder zurück zum Einzelplan 05: Mit dem Haushaltsplanentwurf hat die Landesregierung die im Koalitionsvertrag verankerte Stärkung der Wohnungsunterbringung berücksichtigt – auch das ist schon von Frau Lehmann erwähnt worden –, die bereits mit der Änderung der Flüchtlingskostenerstattungsverordnung, der Einführung der Investitionskostenpauschale für Wohnungen, nun haushalterisch umgesetzt wurde. Die Mittel für Maßnahmen zur Integration wurden vervierfacht, um nur zwei der Änderungen zu nennen, die der Umsetzung des menschenrechtsorientierten Anspruchs der Koalition dienen.

Aber ich möchte auf einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen noch etwas näher eingehen, der Eingang in die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses gefunden hat, nämlich den neu eingefügten Titel 427 01 – Ehrenamtskoordination zur Unterstützung ehrenamtlicher und zivilgesellschaftlicher Hilfe für geflüchtete Menschen –.

Mit diesen Mitteln wird ein Teil des Landtagsbeschlusses in der Drucksache 6/945 vom August umgesetzt, nämlich Punkt 10, in dem wir beschlossen hatten, die „solidarische, ehrenamtliche und zivilgesellschaftlich in Thüringer Gemeinden geleistete Hilfe für geflüchtete Menschen durch eine Ehrenamtskoordination zu unterstützen und damit zur Stärkung praktischer Willkommenskultur beizutragen“. Veranschlagt sind auf zwei Jahre befristete Projektmittel zur Koordinierung und Netzwerkbildung lokaler Unterstützungsinitiativen. Wir möchten, dass diese Ehrenamtskoordination bei der Be

auftragten für die Integration, Migration und Flüchtlinge angesiedelt ist. Diese Koordination soll Ansprechstelle sein, Kontakte vermitteln, Unterstützung und Beratung ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit Engagierter leisten und vernetzen. Wir gehen davon aus, dass nach einer Projektlaufzeit von zwei Jahren dann die Koordinierungs- und Netzwerkstrukturen selbstständig arbeiten können.

Meine Damen und Herren, es ist überwältigend, wie viele Menschen sich derzeit ehrenamtlich engagieren und Flüchtlinge unterstützen. Bei der Präsentation der Shell Jugendstudie wurde gesagt, das seien 9,2 Millionen der über 12-jährigen deutschen Einwohnerinnen und Einwohner. Diese Menschen, denen man gar nicht oft genug danken kann, sind keine, die man offensichtlich im Stadtbild sieht, das sind keine, die laut auf sich aufmerksam machen oder laut schreiend den rechten Rattenfängern hinterherlaufen. Aber es sind viele und sie engagieren sich mit und für Flüchtlinge. Wenn wir ehrlich sind, fangen diese Menschen auf, was staatlicherseits versäumt wurde. In der „Zeit“ stand geschrieben: „Der Staat sei jetzt auch deswegen auf das Engagement der freiwilligen Helfer angewiesen, weil er es schlicht verschlafen habe, sich vorzubereiten: Institutionen zu gründen, Leute anzustellen, ein Budget zu reservieren. Vielen Politikern sei es nur einfach zu peinlich, das einzugestehen.“ Häufig, so konstatieren die Autoren einer Studie zu den Strukturen und Motiven der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit, „übernehmen Freiwillige Aufgaben, die staatliche Defizite ausgleichen müssen, zum Beispiel wenn Helfende Flüchtlinge auf Ämter begleiten und dort die Rolle eines Übersetzers einnehmen oder wenn sie Rechtslagen erklären müssen, die eigentlich nur ein Anwalt versteht.“ Unsere Aufgabe als Politik ist es, diese Menschen zu unterstützen, Hürden für ehrenamtliches Engagement zu überwinden bzw. abzuschaffen, Informationen zu vermitteln, Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen. Ohne Ehrenamt wäre Frau Merkels „Wir schaffen das!“ überhaupt nicht denkbar, meine Damen und Herren. Wir sind in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich daraus nachhaltig Netzwerke und Strukturen der Willkommenskultur entwickeln können. Dieser Verantwortung wollen wir mit unserer Änderung im Haushalt gerecht werden. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Ich sehe jetzt keinen Redebeitrag mehr – doch, eine Wortmeldung von Herrn Abgeordneten Möller, AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Kollegin Berninger, mal vom Juristen zur Sozialarbeiterin.

(Zwischenruf Abg. Kummer, DIE LINKE: Oh, standesunwürdig!)

Es ist – ich muss es jetzt einfach so sagen – Unsinn, wenn Sie sagen, dass

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Machen Sie nur weiter!)

eine Duldung nichts mit einem illegalen Status als Aufenthaltsstatus zu tun hat. Das ist tatsächlich so. Ich meine, Gesetze zu lesen, ist natürlich schwierig, das Aufenthaltsgesetz ist noch einmal ein ziemlich schwieriges Produkt. Aber dann machen Sie es sich doch einfach, selbst bei Wikipedia steht es drin, Sie brauchen es einfach nur nachlesen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lassen Sie doch mal Ihre Arroganz!)

Eine Duldung beseitigt nicht den illegalen Aufenthaltsstatus. Das zu Frau Berninger.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Das ist totaler Blödsinn!)

Dann lesen Sie es doch nach. Eine Duldung ist letztendlich nichts anderes als die Aussetzung der Abschiebung. Eine Abschiebung setzt immer voraus, dass gerade kein Aufenthaltstitel vorliegt, keine Aufenthaltsgenehmigung, nichts dergleichen. Das ist Voraussetzung für eine Abschiebung, sonst könnten wir sie abschieben.

So, Nächster, der Herr Padawan Herrgott. Padawan Herrgott, das war ja eine tolle Nummer, muss ich sagen: Erst einmal selbst zu faul sein, einen Änderungsantrag fertig zu bekommen,

(Unruhe CDU)

dann den rot-rot-grünen Haushalt zu verteidigen gegen eine andere Oppositionsfraktion, das auch noch mit dem Argument, mit dem falschen Argument, dass diese realitätsferne Zahlen aus dem Jahr 2013 nutzen würde. Aber ich kann Sie beruhigen, junger Padawan.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Das habe ich so nicht gesagt!)

Das haben Sie gesagt, sehr wohl haben Sie das gesagt. Wir lesen es dann noch einmal gemeinsam im Protokoll nach. Ich kann Ihnen sagen: Bei unseren Kürzungsanträgen haben wir selbstverständlich aktuelle Zahlen, aktuelle Annahmen der Landesregierung zugrunde gelegt. Alles andere wäre unseriös und Unseriosität können Sie bei der AfD-Fraktion nun wirklich nicht erwarten.

(Unruhe CDU)

(Beifall AfD)

(Abg. Berninger)

Dann noch zur Kollegin Rothe-Beinlich. Ganz kurz einfach nur der Hinweis: Wenn jemand aus Somalia nach Deutschland kommt, dann heißt das erstens nicht zwangsläufig, dass er aus einer Bürgerkriegsregion kommt. In Somalia gibt es durchaus auch Regionen, in denen schon relativ lange Zeit befriedete Gebiete vorhanden sind. Da ist es vielleicht nicht so schön zu leben wie in Deutschland oder auch in anderen wohlhabenderen Regionen der Welt,

(Unruhe DIE LINKE)

aber Bürgerkrieg herrscht dort eben nicht überall. Im Puntland zum Beispiel ist das der Fall. Und zweitens, wenn Sie von Somalia nach Deutschland kommen, dann durchqueren Sie mindestens drei sichere Drittstaaten. Mittlerweile haben Sie sicherlich mal einen Blick ins Grundgesetz geworfen, danach ist das Recht, Asyl zu beantragen, für diese Menschen eigentlich ausgeschlossen, sodass ich Ihr Engagement gerade in Bezug auf Somalier nicht so recht verstehen kann.

(Beifall AfD)

Drittens fände ich es ziemlich kollegial, wenn Sie merken, dass auf der Seite von der Kollegin Muhsal irgendeine komische Gruppierung irgendeinen Post hinterlassen hat, dann seien Sie doch einfach so kollegial und geben Sie ihr einen Hinweis, anstatt hier groß die Empörung spielen zu lassen.

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Was ist denn das für eine Art und Weise! Seien Sie doch einfach mal nett, das machen wir mit Ihnen doch genauso, wenn Sie das mal machen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So was Scheinheiliges!)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Nein, Sie!)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten vor. Ich erteile das Wort Herrn Minister Lauinger.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich zunächst mit dem Justizteil des Einzelplans 05 beginnen und mit einigen Worten zum Verbraucherschutz, bevor ich zu dem großen Thema „Flüchtlinge und Geflüchtete“ komme.

Herr Scherer, wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile