Von daher ist der Bezug auf die friedliche Revolution heute nicht nur unhistorisch, sondern vor allem demagogisch.
In einem Rechtsstaat ist es das Parlament und in unserem Freistaat ist es der Thüringer Landtag, wo auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie Debatten und politische Auseinandersetzungen geführt werden. Das gehört zur politischen Kultur in unserem Land. Hier sitzen demokratisch gewählte Volksvertreter und keine Volksverräter!
Wer die Straße mobilisiert und hier vor diesem Hohen Haus Hetzparolen artikuliert, der zeigt, wie sehr er das Parlament und die Demokratie verachtet und missachtet.
Dem setzen wir unsere politische Kultur entgegen. Zur Demokratie gehören der Streit, aber notwendigerweise auch der Konsens und der Kompromiss. Wir werden nicht zusehen, wie die rechte Szene versucht, die allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung politisch für sich auszunutzen.
Es ist völlig inakzeptabel, wenn einige in dieser Situation die Büchse der Pandora öffnen und aus der Angst den Hass machen, aus dem dann die Gewalt wird.
Wer Häuser ansteckt nur aus dem Grund, weil dort Flüchtlinge ein Dach über den Kopf bekommen sollen, ist ein Gewalttäter der schlimmsten Art. Dieser Akt ist ein Terrorakt,
(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, AfD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, frak- tionslos; Abg. Helmerich, fraktionslos)
Vielleicht verstehen nicht alle, warum diese Völkerwanderung begonnen hat und warum sie nicht per Knopfdruck zu stoppen ist. Aber alle müssten verstehen, dass ein Kind einen Platz zum Schlafen braucht.
Eines muss ich aber an dieser Stelle mit Blick auf die Integration von Flüchtlingen, Asylbewerbern und mit dem Blick auf die Zuwanderung sagen: Unser Land Thüringen wird sich ändern! Es muss sich heute wie vor 25 Jahren neu positionieren. 1990 haben die Menschen in Thüringen und in Ostdeutschland das „Wunder Deutschland“ geschafft. Die Deutsche Einheit ist ihnen nicht in den Schoß gefallen, sie musste hart errungen werden.
Die Befunde des Thüringen-Monitors zeigen, dass die Bewertung der individuellen finanziellen Lage im 25. Jahr der Deutschen Einheit den höchsten Durchschnittswert im ganzen Untersuchungszeitraum erreicht hat. Die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage Thüringens stabilisiert sich auf einem sehr hohen Niveau. 73 Prozent der Befragten sind mit dem Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes der Meinung, dass Thüringen den Vergleich mit dem Westen nicht scheuen muss.
Allein die 450.000 Thüringerinnen und Thüringer, die wir seit 1990 an den Westen als „Entwicklungshelfer“ abgegeben haben, leisten einen riesigen Beitrag zur deutschen Einheit, und wir können nur vermuten, wo Thüringen heute im Länderranking stehen würde, hätte es die deutsche Teilung nicht gegeben.
Deshalb beginnt die Aufholjagd jetzt! Wenn wir es schaffen, die Asylverfahren zu beschleunigen, damit Menschen schneller in Lohn und Brot kommen, wenn wir die Tausenden freien Ausbildungsplätze besetzen können, wenn wir die Zehntausenden leerstehenden Wohnungen mit den Menschen füllen, die dauerhaft bei uns bleiben und leben, und
wenn diese Menschen hier arbeiten und ihre Familien ernähren, dann wird unser Land stärker und reicher, weil aus den Leistungsempfängern von heute die Steuerzahler von morgen werden.
Dieser Prozess der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten wird Thüringen ebenso verändern wie der Gewinn der Einheit nach 40 Jahren Teilung. Wie vor 25 Jahren werden wir einen Weg finden, wie wir miteinander leben und wie wir den erneuten Wandel unserer Gesellschaft gemeinsam gestalten.
Die vermeintliche Polarisierung von Humanität und Realismus ist künstlicher Natur, weil beides wichtig und richtig ist. Es ist ein Grund, stolz darauf zu sein, dass Thüringen kein Land mehr ist, aus dem die Menschen flüchten, sondern – im Gegenteil – ein sicherer Fluchthafen für Tausende Menschen geworden ist. Es gehört zu einem historisch belehrten Realismus, einzusehen, dass kein Zaun der Welt eine Völkerwanderung stoppt ebenso wenig wie eine Obergrenze für das Grundrecht auf Asyl oder Aufstockung der Frontex-Mittel. Ich kann die Forderung nach Zäunen überhaupt nicht verstehen.
Es ist wirklich noch nicht lange her, dass wir uns von Mauern und Zäunen befreit haben. Ich habe, wie viele andere auch, bei der ungarischen Grenzöffnung und bei der deutschen Grenzöffnung geweint. Ich schäme mich dieser Tränen nicht. Jetzt wieder über die Errichtung von martialischen Grenzanlagen, ausgestattet mit tödlicher Abschreckungslogik zu diskutieren, verkennt einfach das gesamte Problem. Alle Menschen beim Grenzübertritt wirklich zu erfassen, halten wir als Landesregierung für dringend notwendig und für längst überfällig. Aber zu glauben, dass durch höhere Zäune die Problemlagen verringert werden können, das hat sich schon bei dem Zaun – sei er nun sechs oder neun Meter hoch – in Melilla oder Ceuta, den spanischen Enklaven, als absoluter Irrweg erwiesen. Deshalb sage ich: Scheinlösungen helfen nicht als Antwort auf reale Probleme und gegen ein Gefühl der subjektiven Überforderung bei der Aufnahme von sehr vielen Menschen in sehr kurzer Zeit. Und ich sage: Nicht die Flüchtlinge bekämpfen, sondern endlich die Fluchtursachen bekämpfen, muss die Antwort sein.
Ja, das Krisenmanagement ist angelaufen. Oftmals haben Bürgerinnen und Bürger schneller und effektiver reagiert als die Behörden. Die vielen freiwilligen Helfer haben ihr Herz und ihren Verstand sprechen lassen. Diese Sprache kennt weder Vorschriften, Verordnungen oder gar bürokratische Hürden. Die schnelle und humanitäre Hilfe hat es erst mög
lich gemacht, dass viele Flüchtlinge heute menschenwürdig untergebracht sind. Darunter verstehe ich auch, dass helfende Hände gereicht werden, wenn sie gebraucht werden. Ich danke an dieser Stelle allen freiwilligen, ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern und den Landkreisen, den Kommunen. Ohne all diese Helferinnen und Helfer konnten und werden wir das Flüchtlingsproblem nicht lösen können.
Ich sage ausdrücklich, lieber Herr Carius als Vorsitzender des Deutschen Roten Kreuzes in Thüringen, herzlichen Dank an das DRK.
(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos; Abg. Helmerich, fraktionslos)
Ich sage ausdrücklich an das Technische Hilfswerk herzlichen Dank für das aktive Helfen. Ich sage den Vertretern der Bundeswehr ein herzliches Dankeschön für den Einsatz tausendfacher Hilfe seit Monaten, wo Bundeswehrsoldaten im Einsatz sind, wo Kasernen zur Verfügung gestellt werden, damit Menschen ein Dach über dem Kopf haben, ein Bett haben, in dem sie schlafen können. Eine friedenspolitischere Bundeswehr habe ich noch nie erlebt. Ich sage ausdrücklich Danke schön auch an Sie und Ihre Arbeit und an alle Kameradinnen und Kameraden der Bundeswehr, die in Thüringen bislang ohne jede Debatte sofort geholfen haben. Das ist großartig.
Ich sage aber auch: Das Krisenmanagement der Behörden in der Bundesrepublik hat wirklich noch viel Luft nach oben, denn niemand hat – wie bei der Wiedervereinigung – einen Plan für diese Situation in der Tasche. Wir arbeiten aber hier in Thüringen und überall fortwährend daran, dass die Lage unter Kontrolle bleibt. In Thüringen wird niemand im Zelt überwintern. Damit ist Thüringen neben dem Saarland das einzige Bundesland, das in der Erstaufnahme ohne jedes Zelt auskommt.
Nicht alle, die wir aufnehmen, sind von Anfang an bereit – und hier zitiere ich wieder Dr. Bernhard Vogel –, „unsere Hausordnung zu akzeptieren“. Dazu gehört die durch das Grundgesetz vorgegebene Werteordnung, die demokratischen Grundregeln einer modernen Gesellschaft ebenso wie die Akzeptanz der mitteleuropäisch-christlichen Werte. Aber wir werden diese Werteordnung ohne Rabatt und ohne Kompromiss durchsetzen. Nach den Anschlägen von Paris dürfen wir nicht in Klischees und Reflexe verfallen. Wir müssen einen breiten Dialog mit der Mehrheit der Muslime suchen, auch mit den