Weltweit haben über 650 Millionen Menschen – circa 10 Prozent der Weltbevölkerung – eine Behinderung. Diese Gruppe wird durch das Anwachsen der Weltbevölkerung, den medizinischen Fortschritt und die alternde Gesellschaft weiter wachsen. Allein in der Europäischen Union hat jeder sechste eine leichte bis schwere Behinderung. Auch in Deutschland sind es über 9,6 Millionen Menschen, die mit einer Behinderung durch das Leben gehen.
Ich möchte es an dieser Stelle gleich sagen: Frau Stange, das Thema der Behindertenpolitik ist keines, was nur Die Linke für sich gepachtet hat. Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten uns in den letzten Jahren diesem Thema zu wenig gewidmet, dann sage ich Ihnen: Es kommt nicht auf Schaufensteranträge an, sondern es kommt auf tatsächliche Entscheidungen und letztendlich Maßnahmen an, die bei den behinderten Menschen für Erleichterung und Anerkennung sorgen.
Deswegen hoffe ich, dass Sie sich nicht hinter diesem Argument verstecken, sondern unserem Antrag, auch wenn er nicht von Ihnen kommt,
entsprechende Bedeutung zumessen. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde von Deutschland – als einem der ersten Mitgliedstaaten – schon am 30. März 2007 unterzeichnet. Zwei Jahre später folgte die Ratifizierung und mit Beschluss vom 18. September 2009 forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu entwickeln. Thüringen hat diesem Beschluss zuge
stimmt und sich in enger Abstimmung mit den Kommunen und den Interessenvertretungen behinderter Menschen aktiv in den Prozess der Umsetzung des Übereinkommens eingebracht. Teil dieser UN-Behindertenrechtskonvention – man kann es nicht oft genug sagen – ist die Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen, die volle und wirksame Teilhabe dieser an der Gesellschaft und die Einbeziehung in die Gesellschaft. Hintergrund ist die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und Menschheit.
Auch Thüringen – Sie hatten es gesagt – hat einen Maßnahmenplan nicht nur auf den Weg gebracht, sondern auch umgesetzt. Dieser wurde der Öffentlichkeit Mitte Juli 2012 in Erfurt vorgestellt. Er umfasst einen Katalog von 285 Maßnahmen zur Herstellung gesellschaftlicher Zugänglichkeit bzw. Barrierefreiheit, insbesondere mit den Schwerpunkten der Bildung, Ausbildung, Arbeit und Barrierefreiheit. Uns als CDU-Fraktion hätte es interessiert, wie sich dieser Maßnahmenplan letztendlich ausgewirkt hat. Deswegen hatten wir vom Ministerium, von der Ministerin heute auch einen Sofortbericht zu unserem Antrag erwartet, um darzustellen, wie sich dieser Maßnahmenplan in Thüringen ausgewirkt hat.
Frau Stange, wenn Sie sagen, dass wir das damals abgelehnt haben, dann muss ich ganz ehrlich sagen, sind Sie heute nicht besser. Ich kann mich an den Ministerpräsidenten
damals noch Kandidat der Linken – erinnern, der auf Plakaten groß titelte: Wir machen nicht alles besser, aber vieles anders. An der Stelle haben Sie da Ihren Worten jedenfalls keine Taten folgen lassen.
In dem Sofortbericht hätte die Landesregierung darauf eingehen können, wie sie diesen Maßnahmenplan in Thüringen evaluieren will. Am Ende dieser Evaluation muss auch eine Fortschreibung stehen. Diese Fortschreibung ist dann natürlich auch geeignet, um entsprechende neue Akzente zu setzen. Darauf – und das wissen Sie, Frau Stange – warten auch die vielen Behindertenverbände. Wir hatten es erst beim außerparlamentarischen Bündnis, die Evaluation, die Fortschreibung ist notwendig und es gibt auch durchaus Dinge, die da neu angepackt werden müssen, beispielsweise die bessere Koordinierung der Umsetzung in den einzelnen Ministerien. Der Parallelbericht der Monitoring-Stelle sieht in diesem Zusammenhang zum Beispiel staatliche Anlaufstellen, sogenannte Focal Points vor, die zur
Der Sofortbericht hätte uns vielleicht auch auf den neuesten Stand gebracht, was das Gleichstellungsgesetz in Thüringen macht, auch Inklusions- oder Antidiskriminierungsgesetz genannt. Ja, Frau Stange, Sie haben recht, dieses Gesetz ist vor langer Zeit schon auf den Weg gebracht worden. Aber das ist es doch auch wert, mal nachzufragen, wie der derzeitige Erarbeitungsstand im Ministerium ist. Ich bin gespannt, ob wir diese Frage noch aufklären können und inwieweit da auch die Interessenvertreter eine Antwort bekommen.
(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Das haben Sie doch gehört beim außerparlamen- tarischen Bündnis!)
Kern unseres Antrags – und Sie sagten es – ist die Stellung des Thüringer Beauftragten für Menschen mit Behinderungen. Seine Aufgaben sind in § 17 des Thüringer Gesetzes zur Gleichstellung und Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen festgelegt. Seine Aufgabe ist es, darauf hinzuwirken, dass Benachteiligungen abgebaut werden und die Verbesserung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen erreicht wird. Bei der Erstellung von Rechtsvorschriften soll er mitwirken, um die Belange von Menschen mit Behinderungen mit einfließen zu lassen und dort entsprechend beratend mitzuwirken. Er soll Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen, ihre Angehörigen, Verbände und Institutionen sein. In diesem Zusammenhang soll er Öffentlichkeitsarbeit betreiben mit dem Ziel, das Verständnis für Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit zu erweitern. In regionalen und überregionalen Gremien soll er mitarbeiten und auch eng mit den Institutionen, Verbänden und Selbsthilfegruppen von Menschen mit Behinderungen zusammenarbeiten.
Jetzt haben wir zehn Jahre lang einen aktiven Behindertenbeauftragten gehabt, der das verantwortungsvoll ausgeübt hat, und wir wollen jetzt diesen Wechsel nutzen, um ihn auch in Zukunft unabhängig und einflussreich arbeiten zu lassen.
Deswegen sind wir der Meinung, dass es jetzt ein guter Zeitpunkt ist, dass diese Aufgaben nicht mehr nur beim Sozialministerium angesiedelt werden, sondern hier beim Thüringer Landtag.
In diesem Zusammenhang gilt es auch zu prüfen, welche Ausweitung von Rechten des Behindertenbeauftragten es in Thüringen geben könnte. Bisher hat der Behindertenbeauftragte nur ein Auskunfts
recht. Wir wollen prüfen, inwieweit eine Ausweitung in Form eines Eingriffs- und Kontrollrechts möglich ist. Das würde nicht nur die Stellung des Behindertenbeauftragten stärken, sondern es würde auch die Möglichkeit für ihn stärken, in den einzelnen Ministerien hier vom Landtag aus einzuwirken. In diesem Zusammenhang wollen wir auch die Unabhängigkeit im Rahmen der Personal- und Haushaltshoheit verbessern.
Dazu gehört es, und wir werden sehen, ob das die neue Landesregierung im nächsten Haushalt berücksichtigt, dass im Sinne der Haushaltswahrheit und -klarheit der Behindertenbeauftragte ein eigenes Kapitel bekommt und nicht ein Kapitel für alle Beauftragten zusammengeführt wird.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass der Behindertenbeauftragte auch Entscheidungskompetenzen hat, was Fördermöglichkeiten in seinem Zuständigkeitsbereich und im Rahmen seiner Haushaltsmittel betrifft.
Das betrifft Projekte, Initiativen, Maßnahmen und Veranstaltungen von Vereinen und Verbänden, deren Menschen mit Behinderung von Unternehmen, Einzelgruppierungen und Personen, die zum Ziel haben, die Lebens-, Arbeits- und Teilhabebedingungen von Menschen mit Behinderung im Freistaat Thüringen nachhaltig zu verbessern. Hier soll er ein Budget haben und dort soll er seine Schwerpunkte selbst setzen können und auch selbst entscheiden können, wer hier Fördermittelempfänger ist. Ebenso betrifft dies Maßnahmen und Projekte, die die Barrierefreiheit herstellen bzw. Barrieren weitestgehend abbauen.
Das sich offenbarende Demokratieverständnis der Fraktion Die Linke habe ich im „Freien Wort“ vom 17.06. zur Kenntnis genommen und ich darf zitieren. Dort sagt nämlich die Vorsitzende der Fraktion: Dass die Fraktion hätte einbezogen werden müssen, wie es einige Abgeordnete fordern, hält sie für einen Trugschluss. Schließlich berufe der Ministerpräsident den neuen Beauftragten. – Jetzt will ich mich nicht einmischen, wie die Fraktion, die Partei das innerparteilich regelt. Aber ich finde schon, dass man bei so einer Entscheidung zumindest die Interessen der Betroffenen berücksichtigen sollte. Da finde ich es in dem Zusammenhang schon traurig, wenn es diverse Abgeordnete Ihrer Fraktion und Partei gibt, die sich da nicht nur ärgern, sondern sicherlich auch Bedenken anmelden, dass so eine hoheitliche Entscheidung nur vom Ministerpräsidenten getroffen wird. Wir unterstützen Sie darin, zu sagen, dass nicht nur die Fraktionen und Abgeordneten mitreden sollen, sondern wir wollen, dass das Ganze auf eine breite Basis, auf eine breite Mehrheit hier im Parlament gestellt wird. Deswegen freue ich mich, dass wir, so wie es in der „TLZ“ vom 16.06. geschrieben steht, in Ihren Reihen zumindest fünf Abgeordnete haben, die uns in dieser Forderung unterstützen. Das ist der Herr Kummer, das ist die Frau Skibbe, das ist der Herr Harzer, das ist die Frau Stange, das ist die Frau Leukefeld. Sie alle haben sich in diesem Artikel geäußert, dass Sie den Beauftragten durch den Landtag wählen lassen wollen. Dann lassen Sie uns das doch gemeinsam angehen. Jetzt haben wir die Chance, bevor der neue Behindertenbeauftragte berufen ist, hier die entsprechenden Regelungen zu verändern und gemeinsam diese Entscheidung zu treffen. Dann dürfen Sie auch in Ihrer Partei mitreden und vielleicht hilft das auch den betroffenen Verbänden.
Alles in allem, ich möchte mich nicht darüber äußern, welche Vorschläge getroffen worden sind bzw. welche Personen es da gibt, die sich jetzt benachteiligt fühlen. Fakt ist eins: Viele in diesem Land wollen wissen, wie es nach dem 01.08. weitergeht, wenn Dr. Paul Brockhausen in den Ruhestand gegangen ist.
Da bitte ich Sie um Aufklärung, denn zum einen heißt es: „Ein Gesetzentwurf zur Struktur und Besetzung aller Beauftragtenposten soll erarbeitet werden.“ Da frage ich mich: Wann soll das kommen und was geschieht bis dahin? Ist dann diese Stelle des Behindertenbeauftragten gar nicht besetzt? Und zum anderen gibt es die Aussage vom Ministerpräsidenten, der sagt, er will jetzt abwarten, wie die Justiz den Fall beurteilt, nämlich bis es eine Entscheidung im Fall Leibiger gibt. Und dann frage
ich mich: Wie lange soll das denn dauern? Alles in allem: Wenn ich diese Aussage aus Ihrer Partei werte, so heißt das für mich, es wird wohl noch eine lange Zeit dauern, bis der Thüringer Behindertenbeauftragte wieder besetzt wird.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das dauert vor allem lan- ge, weil ein ehemaliger Beauftragter klagt!)
Wenn Sie sich da auf Konkurrentenklagen bzw. Gerichtsverfahren zurückziehen, dann müssen Sie doch auch mal die Frage stellen, warum es so weit gekommen ist, dass man in diesem Bereich keine Lösung gefunden hat.