Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle erinnern uns an den 4. November 2011. Ich weiß noch sehr genau, was ich an diesem Tag gemacht habe. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir uns heute in dieser Form mit diesem Tag beschäftigen. Das brennende Wohnmobil und die Fahndungsbilder von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sind uns alle in Erinnerung und alle von uns kennen das Paulchen-Panther-Video. Das über Jahre Ungesehene und Unaufgeklärte ist das, was wir versucht haben, hier ein Stück weit zu erhellen. Ich kann mich den Kolleginnen gut anschließen: Wir haben viel dafür getan, die Aufklärung voranzutreiben, aber wir sind hier unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass uns das Innenministerium einen Teil von Akten nicht zur Verfügung gestellt hat. Das liegt auch viel daran, dass Leute nicht reden und dass natürlich bestimmte Dinge einfach auch in Akten nicht stehen, sondern dass Menschen sich dazu äußern müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sprengstoffanschläge in Nürnberg, in Köln in der Probsteigasse und der Keupstraße, die 15 Raubüberfälle und die zehn Morde an Enver Şimşek, an Abdurrahim Özüdoğru, an Süleyman Taşköprü, an Habil Kılıç, an Mehmet Turgut, an İsmail Yaşar, an Theodoros Boulgarides, an Mehmet Kubaşık, an Halit Yozgat und an Michèle Kiesewetter dürfen wir nicht vergessen.
Als Abgeordnete des Thüringer Landtags und auch im Namen meiner Fraktion möchte ich gerade den Angehörigen, die heute hier sind, und auch den Betroffenen noch mal ganz ausdrücklich mein Bedauern ausdrücken.
Wir können das, was passiert ist, nicht ungeschehen machen, aber unsere Pflicht ist es, alles zu tun, um für Aufklärung zu sorgen. Wir müssen dranbleiben und wir müssen geschehene Ungerechtigkeiten klarmachen.
Wieso haben wir uns also für einen zweiten Untersuchungsausschuss entschieden? Die Kolleginnen und Kollegen haben das hier schon ausgeführt, der erste Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss hatte eine sehr gute Arbeit geleistet in sehr kurzer Zeit, auch für viel Aufklärung gesorgt. Da aber dieser Ausschuss nicht zum Abschluss gekommen ist und viele Fragen noch offengeblieben sind, wurde am Anfang dieser Legislaturperiode dieser Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ eingesetzt. So haben wir versucht, unserer Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier nachzukommen. Im Untersuchungsausschuss haben wir uns vor allem mit vier Themenkomplexen auseinandergesetzt, auch das haben die Kolleginnen hier schon gesagt: Der Komplex Eisenach-Stregda, das NSU-Netzwerk bzw. das Umfeld, die Verflechtung von extrem Rechten und der organisierten Kriminalität. Mit den Thüringer Ermittlungsansätzen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter haben wir uns ganz zuletzt beschäftigt.
Wenn wir unsere Erkenntnisse zusammenfassen und auf wesentliche Punkte reduzieren, dann bleiben für mich drei Stichpunkte, die unsere Aufklärungsarbeit begleitet haben: Das sind der mangelnde sachgerechte Umgang von Teilen der Sicherheitsbehörden, der Mangel an Sach- und Fachkenntnissen von Teilen von Sicherheitsbehörden und der Schleier des Vergessens, den einige Zeuginnen und Zeugen vor allen Dingen über die Sache legen wollten.
Als Beispiel sei hier die Fotokamera der Berufsfeuerwehr genannt, die von den polizeilichen Einsatzermittlern beschlagnahmt wurde, obwohl solch ein Vorgehen nicht begründet und notwendig war, oder dass der Einsatzleiter mit einer Gartenharke im Wohnmobil offensichtlich herumgestochert hat. Sichtbar waren auf den Bildern Anhaftungen von Blut an der Gartenharke. Ob das Wohnmobil vom Tatort weggebracht werden musste, konnte nicht nachvollziehbar erläutert werden. Zwar wurde ein Zelt vom Technischen Hilfswerk angefordert, allerdings wurde dieses nach rund einer halben Stunde wieder abbestellt. Der Abtransport des Wohnmobils fand gegen den Willen und gegen Bedenken der Tatortgruppe statt. Ungewöhnlich war auch das Verbringen der zwei Leichen im Wohnmobil in die Garage, wo die Tatortarbeit durchgeführt werden sollte. Keiner der angehörten Zeugen erinnert sich an solch einen Vorgang in seiner Berufslaufbahn. Man hat in Kauf genommen, dass damit Beweismittel unbrauchbar werden. Es wurden zwar vom sogenannten NSU-Prozess fünf Personen angeklagt und verurteilt, aber aus den Erkenntnissen des Thüringer Untersuchungsausschusses kommen wir
zur Feststellung, dass das Kerntrio ein Netzwerk von Unterstützerinnen und Unterstützern hatte, ja, ein Netzwerk von militanten Neonazis. Aus den uns vorliegenden Akten und den detailreichen Erörterungen von sachverständigen Zeuginnen und Zeugen können wir davon ausgehen, dass das Unterstützernetzwerk aus mehreren Dutzend Personen bestand.
Im Untersuchungsausschuss haben wir festgestellt: Hätten die Sicherheitsbehörden in Thüringen – aber nicht nur in Thüringen – bereits 1998 und 1999 den vorliegenden Informationen zu dem untergetauchten Kerntrio auch die erforderlichen Maßnahmen folgen lassen, dann hätte möglicherweise die Mordserie des NSU verhindert werden können,
weil Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefasst worden wären. Es ist davon auszugehen, dass das Kerntrio auch gut in andere Bundesländer vernetzt war. Das haben uns die Sachverständigen veranschaulicht. Nur so lassen sich die Tatorte der Morde und Sprengstoffanschläge Thüringer Täterinnen begründen. Wir haben auch beispielhaft an dem Bordell „Blue Velvet“, das mit Geld aus einem Auftragsraubüberfall auf einen Geldtransporter, beauftragt durch Neonazis, erworben wurde, gesehen, dass auch der Phänomenbereich der organisierten Kriminalität und Rechtsextremismus verflochten sind. Rechtsextreme haben sich in diesem Zusammenhang mit Autoschieberei und Menschenschmuggel beschäftigt. Teile der Sicherheitsbehörden haben bei solchen Phänomenmischformen in Schubladen gedacht – das hat die Kollegin Pelke vorhin auch ausgeführt – und den rechtsextremen Hintergrund übersehen bzw. ausgeblendet. Häufig war es so, wenn Neonazis in der organisierten Kriminalität aufgetaucht sind, dass der Verfassungsschutz dann gesagt hat, na ja, dann sind das keine Neonazis mehr. Da fragt man sich natürlich: Wie kann man zu solch einer Erkenntnis kommen?
Ermittlungsansätze zur organisierten Kriminalität spielten auch bei den Ermittlungen um die aus Thüringen kommende Polizistin Michèle Kiesewetter eine Rolle. Michèle Kiesewetter wurde am 25. April 2007 in Heilbronn erschossen. Sie machte mit ihrem Kollegen Martin A. im Streifenwagen neben einem Trafohäuschen auf der Theresienwiese eine Pause, als Bewaffnete von hinten den Polizisten lebensgefährlich verletzten und die Polizistin erschossen. Die Täter entwendeten ihren Opfern Dienstwaffen, Handschellen und weitere polizeiliche Gegenstände. Wenig glaubhaft ist für mich das Tatmotiv: Besitzergreifen von Polizeiwaffen. Das ist der Versuch, das zu erklären, aber ich glaube, dass
das nicht das einzige Tatmotiv sein kann. Selbst die Angeklagte Beate Zschäpe zweifelte ja – nicht dass ich dem viel zumesse – das vorgegebene Motiv der zwei Rechtsterroristen vor Gericht an. Weil die Polizistin und das NSU-Kerntrio aus Thüringen kommen, haben wir uns im Untersuchungsausschuss gefragt, ob es in irgendeiner Form Motive gibt, die den Mord an Michèle Kiesewetter erklären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dabei sind wir auch nicht zum Ende gekommen. Eine Sache möchte ich hier aber nicht unerwähnt lassen. Aus den uns vorliegenden Akten war nicht ersichtlich, ob beispielsweise auch die Staatsschutztätigkeiten des Onkels von Michèle Kiesewetter betrachtet wurden. Hier hätte man unserer Ansicht nach untersuchen müssen, ob der Onkel von Michèle Kiesewetter, der hier in Thüringen beim Staatsschutz tätig war, gegen den Personenkreis um den Thüringer Heimatschutz oder die extrem rechte Szene ermittelt hat und ob sich so Ermittlungsansätze ergeben könnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss haben wir einige Empfehlungen herausgearbeitet, auf die ich noch ganz kurz eingehen möchte. Einmal sollen die Unterlagen, die dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung stehen, dem Staatsarchiv zugeführt werden. Das ist ein gemeinsamer Beschluss, den wir hier gefasst haben. Ich habe vorhin nicht so ganz verstanden, Herr Kellner, warum Sie unserem Entschließungsantrag nicht zustimmen können, denn nichts anderes steht auch in diesem Entschließungsantrag drin. Die Empfehlung zu einem NSUArchiv haben wir gemeinsam beschlossen und der Entschließungsantrag widerspricht dem nicht. Deswegen müssen Sie mir vielleicht noch mal erklären, wie die CDU zu der Erkenntnis kommt, dass wir das nicht brauchen.
Eine unserer wichtigsten Feststellungen – auch das ist heute gesagt worden – ist, dass menschliche Quellen der Polizei, also V-Männer und -Frauen, die von der Polizei geführt werden, keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Das ist nicht nur ein Problem in Thüringen. Das ist auch in anderen Bundesländern und sicherlich auch beim Bund ein Problem. Die Kollegin Marx hat es aber deutlich gesagt: Es darf in einem demokratischen Rechtsstaat keine kontrollfreien Räume geben. Deswegen müssen wir dafür eine Lösung finden und darüber diskutieren, wie das geregelt werden kann.
Wir wollen die Zivilgesellschaft stärken. Wir wollen, dass die Zivilgesellschaft denjenigen zur Seite
steht, die von Rassismus betroffen sind, denjenigen zur Seite steht, die sich in diesem Land gegen Rechtsextremismus stemmen.
Deswegen wollen wir eine Finanzierung insbesondere all der Organisationen, die sich damit beschäftigen. Wir wollen eine neue Fehlerkultur bei der Polizei etablieren, die dazu führt, dass solche Fehler, wie sie im NSU-Komplex gemacht wurden, nicht wieder passieren können.
Ich habe noch ganz viel auf meinem Zettel stehen, was ich sagen wollte, aber meine Zeit ist gleich um, deswegen will ich die wichtige Sache noch sagen: Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss bedanken, die den demokratischen Fraktionen angehören, ganz besonders bei Katharina König-Preuss und bei Dorothea Marx für die gute Zusammenarbeit. Ich möchte mich aber auch ganz besonders bei meinem Mitarbeiter Tamer Düzyol bedanken. Danke schön. Ich weiß, unsere gemeinsame Zeit geht heute hier zu Ende, das prägt natürlich. Herzlichen Dank für deine Arbeit.
Herzlichen Dank an meine Fraktion für die Unterstützung. Ich hoffe, dass wir in einer nächsten Legislatur die Chance haben, hier weiterzuarbeiten. Vielen Dank.
Aus den Reihen der Abgeordneten liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Für die Landesregierung hat sich der Ministerpräsident Bodo Ramelow zu Wort gemeldet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt nicht aus dem Nichts und es verschwindet nicht einfach, wenn wir nicht hinsehen, wenn wir nicht genau hinsehen, wenn wir nicht nachspüren, was passiert ist. Deswegen, meine Damen und Herren, bedanke ich mich sehr herzlich, dass die Angehörigen der Familien, die ihre Liebsten durch Täter verloren haben, die aus Thüringen gekommen sind, und wo die Taten in ganz Deutschland geschehen sind, heute bei uns sind und der Debatte folgen. Denn wir diskutieren diese Fakten und Hintergründe auch, damit Sie ein Gefühl dafür haben, dass wir verstanden haben, dass das, was Ihnen angetan wurde, nicht zu akzeptieren ist und wir
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann den Bogen weiter ziehen, wenn ich sage, es kommt nicht aus dem Nichts. Herr Kellner sprach von den Verschwörungstheorien, die mir wohl vertraut sind. Aber diese Verschwörungstheorien sollen nur von einer langen Spur ablenken, auf die Sie auch hingewiesen haben. Ich will die Spur noch mal kurz beleuchten. Das Attentat auf das Oktoberfest in München scheint in keinem Zusammenhang mit dem zu stehen, was wir heute diskutieren. Tatsächlich ist am gleichen Tag Karl-Heinz Hoffmann mit einer großen Gruppe von Autos von Nürnberg losgefahren und man weiß nicht so genau, wohin er wollte. Dieser Karl-Heinz Hoffmann, aus Thüringen kommend, nach der Grenzöffnung vor 30 Jahren nach Kahla zurückkehrend, hat angefangen, Netzwerke aufzubauen. Deswegen ist es eben nicht von ungefähr, dass auf einmal Sprengstoff in Jena und in der Region auftauchte und Fotos belegen, dass in Kahla brennende Kreuze das Zeichen des KuKlux-Klan abgebildet haben. Wenn man dann in die Kollegenschaft von Michèle Kiesewetter schaut und auf einmal zwei Ku-Klux-Klan-Mitglieder in der direkten Vorgesetzteneigenschaft der Kollegin Kiesewetter sieht, dann kommt es einem schon merkwürdig vor, wenn man sagt, welch ein Zufall oder auch nicht Zufall. Die Verbindung ist zumindest, wenn man hört, sieht und hinschaut, erkennbar, eine Verbindung, mit der man sich weit über den Thüringer Landtag hinaus beschäftigen müsste. Insoweit ist das Urteil, über das wir gerade geredet haben, das auf einen Vorfall ergangen ist, der sich auf das Oktoberfestattentat in München bezieht, ein Urteil, das es uns nicht leicht gemacht hat. Deswegen will ich das am Anfang wenigstens deutlich erwähnen.
Es war nicht die Absicht der Landesregierung, die Aufklärung zu behindern, sondern wir sind gehalten, darauf zu achten, welche Akten etwas mit dem ganzen Vorgang zu tun haben und welche Akten möglicherweise in Bezug auf die organisierte Kriminalität dem Vorgang nicht zuzuordnen sind. Deswegen haben wir im Kabinett mehrfach darüber geredet, wie wir dafür sorgen können, dass die einschlägig zuzuordnenden Akten auch dem Untersuchungsausschuss zugänglich gemacht werden. Das ist ein ärgerlicher Vorgang, das will ich einräumen, aber es ist ein Vorgang, bei dem wir auch Verfassungsrecht umzusetzen haben. Das sage ich als jemand, der es sich heute sehr schwer macht, hier vorn zu stehen.
Meine damalige Kollegin Undine Zachlot ist auch da. Wir haben 1996 noch gut in Erinnerung, als im Gewerkschaftshaus in Erfurt die Wehrmachtsausstellung gezeigt wurde und der Rechtsterrorist Manfred Roeder, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden ist, die Ausstellung überfallen hat. Wir haben ihn gestoppt dabei, als er diese Ausstellung zerstören wollte, und danach gab es einen Prozess. In dem Prozess war ich auf einmal mit einer Situation konfrontiert, dass ich angeklagt werden sollte, eine Anzeige bekommen hatte von Manfred Roeder, weil ich ihn festgehalten hatte und ihn gehindert hatte, die Ausstellung zu zerstören.
Bei dem Prozess ist etwas passiert, bei dem ich lange Zeit nicht einordnen konnte, was da eigentlich passiert ist. Ich wusste, dass ich verfolgt werde, und ich wusste, dass ich Angst hatte, aber ich wusste nicht genau, warum. Ich habe es in meiner Seele verschlossen und es hat sich erst wieder geöffnet, als ich die Bilder von Stregda gesehen habe. Madeleine Henfling sprach gerade davon und Birgit Pelke hat es erwähnt. Auf einmal sah ich die Augen von Mundlos und Böhnhardt und dachte, die kennst du. Es war ein seltsames Gefühl zu erleben, dass man sich auf einmal alte Bilder wieder ranholen musste. Wir haben den MDR gebeten, uns einen alten Filmeinspieler zu zeigen von Nachrichten und siehe da, es waren Mundlos und Böhnhardt, die mich verfolgt haben. Ich erinnere mich sehr genau, Undine, Einbruch in unser Büro, der Täter eindeutig gekennzeichnet mit rechtsradikalen Kennzeichen – abgehandelt wurde es als normaler Büroeinbruch. Dann hat unser Keller gebrannt, da war gerade eine neue Ausstellung und die war angezündet. Ermittlungsergebnis: Da seien Kerzen umgefallen und Kinder hätten gespielt usw.
Also wenn wir uns an das Jahr 1996 hier in Thüringen erinnern, dann darf ich einfach daran erinnern, es waren Angelo Lucifero und ich, die wir sozusagen die vom Verfassungsschutz Observierten waren, und Tino Brandt bekam das Geld, mit dem er diese Strukturen aufgebaut hat, und er hat es jedem in die Kamera gesagt. Er hat das Geld genommen, um die Kameradschaft aufzubauen, staatlich gepamperte Nazistrukturen – made in Thüringen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir dankbar, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, weil wir mit Ihnen auch darüber reden wollen, dass, wenn wir nicht wachsam sind in ganz Deutschland, in ganz Europa, sich diese Strukturen weiter ausbreiten. Sie sind nicht einfach weg, nur weil da zwei in einem Camper in Stregda gelegen
Ich danke den beiden Untersuchungsausschüssen, die sich damit beschäftigt haben. Ich sage ausdrücklich: Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung mit Ihnen, Frau John, eine Beauftragte eingesetzt hat, die sich auch den Mund nicht hat verbieten lassen und – wenn es notwendig war – für die Angehörigen das Wort ergriffen hat, um darauf hinzuweisen, dass wir eine Verantwortung haben, eine Verantwortung für die Taten, die nimmt uns keiner von den Schultern, auch wenn wir nicht ad persona die Schuldigen sind, aber wir sind die Vertreter eines Staates, in dem das geschehen konnte. Darin muss die Aufgabe liegen, diesen Staat wehrhaft zu machen gegen die Anfälligkeit, entweder Mittäter zu sein oder wegzugucken. Diesen Spannungsbogen nimmt uns niemand von den Schultern. Deswegen wäre das Hinschauen und nicht das Wegsperren von Akten 120 Jahre das Richtige.
Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir natürlich auch an einem Punkt angelangt, bei dem der Thüringer Landtag mit zwei Untersuchungsausschüssen auch die Dinge nicht leisten kann, die in anderen Bundesländern halbherzig oder gar nicht angefasst worden sind. Es ist heute schon sehr viel dazu gesagt worden, an welchen Stellen man überall hinschauen müsste.
Ich erinnere mich, meine Damen und Herren – und ich weiche komplett von meinem Redemanuskript ab –, an lange Gespräche, die ich mit Clemens Binninger von der CDU hatte, der den Untersuchungsausschuss im Bundestag geleitet hat. Ich habe immer wieder mit ihm über die Erkenntnisse aus Thüringen geredet und er wieder mit mir und er hat mir Fragen gestellt, die ich wieder mit nach Thüringen genommen habe. Ich war jedes Mal irritiert, wenn er mir Hinweise gegeben hat, wo er gesagt hat: „Hier kommen wir nicht weiter.“ Ich erinnere mich, dass er mir als Polizist – er ist Polizeibeamter, ist gut ausgebildeter Polizeibeamter, und er ist völlig unverdächtig, parteipolitisch in irgendeiner Ecke zu stehen – gesagt hat: „Das Geschehen, das rund um die Ermordung von Michèle Kiesewetter festzustellen ist, stimmt nicht mit dem überein, was immer wieder in den Ergebnissen aufgezeigt worden ist.“
Deswegen sind das die Akten, an die auch der Untersuchungsausschuss von Thüringen mit dem Untersuchungsauftrag nicht herangekommen ist. Deswegen kann man es nur streifen und feststellen: Die Geschichte ist nicht zu Ende erzählt. Aber ob das Format der Untersuchungsausschüsse in Thüringen dazu noch ausreichend ist, da habe ich auch Zweifel. Die Frage ist, ob wir nicht einen größeren
Bogen brauchen, wie wir auch wissenschaftlich die Teile untersuchen, die zusammengehören, und wie wir andere Bundesländer und andere Parlamente auffordern und ermuntern, sich ihrer eigenen Verantwortung zu stellen
und zu sagen: „Guckt doch dahin“, wenn ein Verfassungsschutz-V-Mann geführt von einem Verfassungsschutz-Beamten ein Handy hat, das zugelassen ist auf ein Innenministerium. Und auf diesem Handy erfasst man dann: „Wo bleibt der Bums?“ – also die Anfrage, wann kommen die Waffen und was ist mit den Waffen. Und das alles ist aktenkundig. Oder wenn in MAD-Protokollen steht – es wird ja immer gesagt, der MAD hätte nichts gesehen, der MAD hat sich ziemlich geärgert, also Militärischer Abschirmdienst, der andere Geheimdienst – und der MAD sagt: „In den Akten ist klar festzustellen, da kommen junge Bundeswehrangehörige aus Südafrika zurück von einer bestimmten Farm, wo sie immer wieder schießen trainieren konnten“, und sie kommen wieder und der MAD-Beamte notiert: „Wir konnten alles schießen, nur Handgranaten werfen konnten wir nicht, dafür müssen wir noch mal nach Polen fahren.“ Ich zitiere aus den Akten des MAD – im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags thematisiert. Deswegen bleibt die Frage und die uns begleitende Frage nach dem darunter liegenden Netz und nach der Einbindung: Wie weit zieht sich der Faden? Und ist der wirklich beendet, der Faden? Ist wirklich der Komplex NSU abgeschlossen?