Protocol of the Session on September 26, 2019

Es ist unglaublich, was Sie uns hier vorwerfen.

Als Nächste hat sich Frau Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Sehr geehrte Damen und Herren, drei Dinge: Es war eine Zwangsfusion. Vielleicht schlagen Sie einfach mal nach, was das bedeutet.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was haben Sie denn gemacht oder was machen Sie?

(Unruhe AfD)

Sie missbrauchen die friedliche Revolution für Ihre Wahlkampfzwecke. Wenn Sie mir vorhin zugehört haben: Ich habe an keiner Stelle die friedliche Revolution für uns reklamiert, obwohl ich selbst aus der kirchlichen Opposition und aus dem Neuen Forum komme. Das habe ich an keiner Stelle getan, sondern ich habe den mutigen Bürgerinnen und Bürgern gedankt, im Namen unserer Fraktion, die im Herbst 1989 auf die Straße gegangen sind für Reisefreiheit, für Meinungsfreiheit, für Pressefreiheit und für vieles mehr – für Demokratie.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben diese Aktuelle Stunde heute angesetzt, um für die Demokratie für morgen zu streiten. Was Sie machen, ist billiges populistisches Kalkül, um daraus Ihren Gewinn für die Wahl zu ziehen. Das ist schäbig und das ist Missbrauch der friedlichen Revolution. Schämen Sie sich einfach dafür!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Schäbig ist Ihr Auftreten!)

Frau Abgeordnete Pelke von der SPD-Fraktion, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kießling als Abgeordneter dieses Landtags. Ich gehöre eigentlich zu den Menschen, die immer versuchen, mit Andersdenkenden vernünftig zurande zu kommen. Ich habe leider akustisch nicht gehört, was Sie gesagt haben – vielen Dank, Herr Prof. Hoff, dass Sie das noch mal deutlich gemacht haben –, Ihre Aussage gegenüber der SDP bzw. der SPD. Aber was Sie hier behaupten und was Sie hier an diesem Rednerpult losgelassen haben, das ist ekelhaft, das ist pervers, das ist populistisch – ich weiß gar nicht mehr, was ich sonst noch sagen soll.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Sie gehen von sich selbst aus!)

Jetzt sage ich Ihnen mal was: Ich wünschte mir immer, dass mein Vater noch leben würde, das wünsche ich mir sehr. Mein Vater saß, weil er Flugblätter der SPD für das Ostbüro 53 verteilt hat, schon in Brandenburg in Haft, zum 17. Juni, und war dann vier Jahre in Waldheim. Ein politisches Urteil von 25 Jahren, das nach vier Jahren aufgehoben wurde. Er hat aufgrund dieser Erfahrung dann – nicht freiwillig – noch vor dem Mauerbau seine Heimat hier verlassen, in Hessen ein neues Leben aufgebaut, meine Mutter ist hinterhergegangen, meine Großeltern lebten in Brandenburg, die ganze Familie. Trennung einer Familie, die über solche Dinge zustande gekommen ist, dazu könnte ich Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen. Aber dass Sie damit all die Menschen, die inhaftiert waren, aus welchen Gründen – aus parteipolitischen Gründen oder aus anderen Gründen –, diskreditieren und beleidigen, das halte ich für das Dreckigste, was ich je hier in diesem Haus gehört habe.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr, dann schließe ich diesen Teil der Aktuellen Stunde. Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind übereingekommen, dass wir jetzt noch den weiteren Teil der Aktuellen Stunde behandeln und dann in die Mittagspause gehen und nach der Mittagspause die Fragestunde und danach den Tagesordnungspunkt 22 – ich sage nur Stichwort „Wolf“ – und dann den Tagesordnungspunkt 9 behandeln, Stichwort „Datenschutz“, damit Sie sich in den jeweiligen Fraktionen vorbereiten können.

Ich rufe jetzt den fünften Teil der Aktuellen Stunde auf

(Abg. Kießling)

e) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Pflegekosten in Thüringen“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 6/7779 -

Ich eröffne die Aussprache und als Erster hat Abgeordneter Kubitzki das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, stellen Sie sich die Frage: Hat eine 75 Jahre alte Dame, die in einem Pflegeheim lebt – Sie wissen, das Leben spielt manchmal böse –, das Recht, einen Frisör zu besuchen? Die Frage mag für Sie vielleicht unverständlich sein – Frau Tasch, ich bitte Sie –, das Recht hat sie. Aber in der Regel ist es so, dass sie sich das nicht leisten kann. Warum kann sie sich das nicht leisten? Sie ist Bewohnerin eines Pflegeheims und ihre Rente, die sie noch hat, geht für die Zuzahlung für dieses Pflegeheim drauf, wird vollständig aufgebraucht.

Oder bei mir im ambulanten Bereich: Ich habe jetzt die Pflegesätze erhöhen müssen und konnte das aufgrund der Pflegesatzverhandlungen, weil mein Personal mehr Geld bekommt. Da sagt mir eine Pflegebedürftige, die sich da beschwert hatte: Herr Kubitzki, es ist ja schön, wenn Ihr Personal mehr Geld verdient, aber warum muss ich das bezahlen? Ich habe mir einen Notgroschen für meine Beerdigung erspart, der wird jetzt wohl draufgehen.

Wenn Sie so was hören, meine Damen und Herren, ich glaube, da erstirbt jedes Lächeln und da kriegt man einen Kloß im Hals, wenn Menschen, die viele Jahre gearbeitet haben, jetzt ein Pflegefall sind, ihr letztes Hab und Gut für diese Pflege aufgeben müssen. Wenn sie nichts mehr bezahlen können, fallen sie dann der jeweiligen Kommune zur Last.

Versetzen Sie sich auch in meine Kolleginnen, die sich freuen, dass sie mehr Geld für ihre anstrengende Arbeit in der Tasche haben, die das aber ihren zu Pflegenden, ihren Patienten verkaufen müssen und sagen müssen: Ich freue mich, dass ich mehr Geld kriege, aber Oma, wir erhöhen unsere Pflegesätze und du musst in Zukunft mehr bezahlen. Welche Gewissensbisse diese Kolleginnen haben, die da täglich in der Pflege sind, sich zwar über mehr Geld freuen, aber genau wissen: Es bezahlen eigentlich die, die die Hilfe brauchen.

Das, meine Damen und Herren, ist ein Zeichen dafür, dass das System der Pflegeversicherung so,

wie wir es hier in der Bundesrepublik haben, am Ende ist mit seinem Latein

(Beifall DIE LINKE, SPD)

und wir alle – die Politik – die Aufgabe haben, darüber nachzudenken, wie dieses System reformiert, wie es so gestaltet werden kann, dass Pflege nicht in Altersarmut führt. Das ist ein deutschlandweites Problem. Wenn wir in der Zeitung lesen, Heimbewohner müssen in Thüringen 1.400 Euro mehr bezahlen, dann ist das kein Thüringer Problem, sondern dieses System funktioniert in der ganzen Bundesrepublik. Die Thüringerinnen und Thüringer trifft es nur härter, weil deren Rente auch nach 30 Jahren Einheit immer noch niedriger ist als in der gesamten Bundesrepublik. Dass es immer noch diese Rentenunterschiede zwischen Ost und West gibt, ist auch eine Ursache dafür, dass wir zu Pflegende enteignen und dass sie weniger Geld haben. Deshalb fordern wir als Linke: Das System muss geändert werden! Wir sagen, wir brauchen eine Pflegevollversicherung. Da muss natürlich geklärt werden, ob das aus höheren Beiträgen bezahlt wird oder steuerfinanziert werden soll. Ich sage an dieser Stelle: Pflege ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen und diese Pflegeversicherung soll aus Beiträgen und Steuern bezahlt werden und die Pflege soll dort abgesichert werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was jetzt vorgesehen ist, die Deckelung der Zuzahlungen per Gesetz, könnte ein erster Schritt sein. Aber, meine Damen und Herren, das ist noch nicht die Lösung, denn wenn wir die Zuzahlung deckeln, kommen wir den Pflegebedürftigen zwar entgegen, aber so, wie das System funktioniert, sind dann die Kommunen die Zahlenden. Wenn ich heute in der Zeitung lese, Weimar, Eisenach, und es war noch ein Kreis, haben wegen zu hohen Sozialkosten und Jugendausgaben Haushaltssperren verhängt, so kann ich nur für meinen Landkreis sagen: Wir mussten jetzt zusätzliche Haushaltsmittel bereitstellen, umschichten, weil der Posten „Hilfe zur Pflege“ auch bei uns im Kreis angestiegen ist. Das heißt, die Kommunen müssen viel mehr Menschen unterstützen, damit diese Pflege wahrnehmen können, weil ihr eigenes Geld dazu nicht reicht. Wie gesagt, deshalb sage ich an dieser Stelle: Wir brauchen eine Systemänderung.

Mein letzter Satz: Ich glaube, das ist die Verantwortung aller Politiker unserer Gesellschaft. Wir müssen uns zukünftig die Frage beantworten: Was ist dieser Gesellschaft das Älterwerden wert? Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Präsidentin Diezel)

Danke schön. Für die Fraktion der CDU hat das Wort Abgeordneter Thamm.

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste, ja, Herr Kubitzki, es ist richtig, die Pflege kostet uns graue Haare. Das sage ich einfach mal so dahin. Es kann nicht sein, dass eine 75-Jährige sich keinen Frisörbesuch leisten kann, das ist auch richtig. Nur die Regel, wie Sie sagen, ist es nicht. Das sind die, die in der Einrichtung sind. Und dass der Notgroschen für die Pflege aufgebracht werden muss, kann sicherlich nur die Ausnahme sein und darf so eigentlich nicht sein. Da gebe ich Ihnen auch vollkommen recht.

Aber Sie sprachen auch von einer Pflegevollversicherung. Wie soll eine Pflegevollversicherung finanziert werden? Es hat, glaube ich, 2012 schon eine Studie dazu gegeben und wir haben im Podium letzte Woche darüber gesprochen: Es würde circa 7 bis 9 Prozent kosten. Wir sind jetzt bei den Abgaben bei 3,25 bzw. bei den Kinderlosen bei 3,75 Prozent.

(Zwischenruf Abg. Kubitzki, DIE LINKE: Des- halb habe ich ja „Steuern“ gesagt!)

Da gebe ich Ihnen insoweit recht. Als Kommunalpolitiker muss ich Ihnen sagen: Natürlich gehören die Wahrheit und die Klarheit darüber, wie ich die Pflege finanziere, dazu. Wenn ich letztendlich von ehemals 8 Prozent, die zum Amt gehen müssen, auf 20 bis 25 Prozent komme und – Sie sagten es eben – das dann mehr durch den Kreis, durch die Kommunen getragen wird, ist das natürlich letztendlich auch eine Steuerfinanzierung. Wo nehmen denn die Kreise und die kreisfreien Städte ihre Gelder her? Die nehmen sie letztendlich auch nur von den Kommunen über Grundsteuern, Gewerbesteuern usw. Da wünschte ich mir mehr Klarheit und Wahrheit, auch im System, um hier auch den zu Pflegenden und Pflegenden eine Zukunft zu geben.

Ich habe auch im persönlichen Gespräch gerade die letzten Monate immer wieder erleben müssen, dass gefragt wird: Wie kann es denn sein, dass mein Pflegeplatz jetzt mit einem Mal 400 oder 500 Euro mehr kostet? Wie kann das denn sein, dass das nicht gegenfinanziert wird? Es ist auch richtig, dass es dann die Generation trifft – wir haben gerade im vorhergehenden Punkt über die Wende gesprochen –, die gebrochene Erwerbsbiografien hat, die sich also oftmals nach der Wende mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen usw. durchhangeln musste. Und ja, dies wird eine große ge

sellschaftliche Herausforderung sein, denn wir nehmen mit steigendem Alter auch die zunehmenden gesundheitlichen Einschränkungen mit. Das heißt, wir werden also auch da steigende Kosten bekommen. Natürlich werden auch diese Menschen das Nötige bekommen.

Meine Damen und Herren, die Kosten – Herr Kubitzki hat es schon benannt – werden uns in den nächsten Jahren ereilen. Wir haben dieses Jahr schon mal über 500 Euro gesprochen. Wir werden durch die generalisierte Ausbildung eine weitere Kostensteigerung erfahren, denn wir werden nicht umhinkommen, dass sich die Pflegekräfte des Krankenhauses und der Altenpflege einander angleichen. Das wird noch mal eine mittlere dreistellige Prozedur werden. So sind wir schon locker bei 1.000 Euro, was ein Platz mehr kostet.

Umso mehr verwundert waren wir natürlich – und das muss ich hier an der Stelle noch mal sagen –, dass im Sommer die ganze Geschichte mit der Durchführungsverordnung des Wohn- und Teilhabegesetzes aufgeschlagen ist. Auch diese Verordnung hätte noch mal 350 Euro gekostet, haben die Einrichtungen gesagt. Sie haben es glücklicherweise auf Druck der Einrichtungen und der Anhörung zurückgenommen, denn es war nicht nachvollziehbar, wie Sie über diese Teilhabeverordnung zum Beispiel den Pflegeschlüssel erhöhen wollten und wie Sie durch diese Teilhabeverordnung auch die Standards ändern wollten. Es geht bis dahin, dass Einrichtungen gesagt haben – gerade die kleinen Einrichtungen im ländlichen Raum, die dann gefährdet worden wären –, dass zwei Quadratmeter in der Unterbringung gefehlt hätten und sie eigentlich gar keine Umbaumöglichkeiten mehr gehabt hätten, ganz abgesehen von der Finanzierung. Wir sind froh darüber, dass Sie das zurückgenommen haben, dass Sie das wieder eingefangen und es in die Schublade gesteckt haben.

Wie können wir die Pflege in Zukunft vielleicht bewältigen? Wir haben Vorstellungen dahin gehend, die Angehörigen durch den Ausbau von Kurzzeitund Verhinderungspflege, die ganz dringend notwendig ist, weiter zu stützen und zu fördern, damit wir auch die, die zu Hause ihre Personen pflegen, entlasten. Die finanzielle Belastung muss begrenzt werden. Da sind wir auf dem besten Weg. Wir befürworten die Deckelung dieser Beiträge. Es kann nicht sein, dass ein unaufhörlicher Aufwuchs kommt. Wir müssen bedarfsgerechtes Wohnen hervorheben und müssen das fördern. Wir müssen Fachkräfte bekommen, wir müssen Pflege- und Betreuungskräfte auf den Weg bringen und wir müssen die Verbesserung der Verdienstmöglichkeiten weiterhin betrachten.

Meine Damen und Herren – ich bin gleich am Ende –, wir werden uns weiter und sehr intensiv mit der Pflege und deren Bezahlung beschäftigen müssen, wir werden den Beruf attraktiver machen müssen. Die Bezahlung muss den Anforderungen, Herausforderungen und der erbrachten Leistung gerecht werden.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

Ja. – Die Belastung der Einzelnen muss tragbar und solidarisch sein und ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben sichern. Vielen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Danke schön. Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Abgeordnete Pfefferlein.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste, in unserem derzeitigen Pflegeversicherungssystem werden die tatsächlichen Bedarfe nicht gedeckt. Die Leistungen der Pflegeversicherung reichen nicht zur Deckung aller entstehenden Kosten aus. Wenn der Platz im Pflegeheim teurer wird, muss das Geld irgendwie aufgebracht werden. Und ja, dieser Anteil wird auch in Thüringen immer höher. Diese Entwicklung ist nicht schlecht, geht man davon aus, dass damit endlich mehr Lohngerechtigkeit in der Pflegebranche ankommt. Andererseits geht es aber zulasten der Bewohnerinnen und Bewohner, die sich höhere Beiträge aufgrund eines geringen Lebenseinkommens oft nicht leisten können.

Pflegebedürftigkeit darf nicht zum Armutsrisiko werden. Ein Ausweg kann die Einführung eines Pflegewohngelds sein. Pflegewohngeld ist ein bewohnerorientierter Zuschuss zur Finanzierung von betriebsnotwendigen Kosten. Die Zahlung eines solchen Zuschusses als freiwillige Leistung stünde Thüringen gut zu Gesicht, deshalb setzen wir uns als Bündnis 90/Die Grünen dafür ein. Das aber kann nur ein kleiner Beitrag zur Entlastung sein, ein Beitrag für die, die jetzt in der Situation sind und Unterstützung brauchen.