Wir fürchten, dass der politische Kurs der Gegenwart in Thüringen in eine Gesinnungsdiktatur führt. Dazu hatten wir auch gestern gerade wieder Veranlassung, das zu fürchten, bei der Veröffentlichung dieses mit politischen und gesellschaftsklempnerischen Grausamkeiten vollen Berichts der Enquetekommission. Wir teilen die Sorgen vieler Menschen, die genau das sehen – egal ob es um vermeintlichen Klimaschutz, um gesellschaftspolitische Ansagen, um Schulpolitik oder um Familienpolitik geht. Viele Ihrer ehemaligen Mitstreiter wenden sich mittlerweile gegen diese rezente gegenwärtige rot-grüne sozialistische Politik. Ich nenne beispielhaft Herrn Hubertus Knabe, Frau Vera Lengsfeld, Frau Angelika Barbe oder Gunter Weißgerber – ehemalige SPD-Mitglieder.
Wer diesen Leuten abspricht, die friedliche Revolution zu vertreten, der spaltet. Genau das machen Sie als Grüne hier.
Meine Damen und Herren von den Grünen, heute hat der Bundestag die Abschaffung der Gauck-Behörde auf der Tagesordnung.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst mal möchte ich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für diese Aktuelle Stunde danken, die Sie uns hier vorgegeben haben, sodass wir noch mal die Möglichkeit haben, hier im Plenum zu diskutieren. Ich will auch gar nicht weiter auf die Vorrednerin Frau Herold eingehen. Es hätte mich jetzt nur mal wirklich interessiert, wo Sie denn zu dieser Zeit, über die Sie jetzt gesprochen haben,
demonstriert haben, wo Sie sich eingesetzt haben, wo Sie mitgetan haben, wenn Sie sich hier an diesem Rednerpult anmaßen, über die Intentionen von damals Bündnis 90 oder vom Demokratischen Aufbruch
oder vielleicht auch von der SDP zu diskutieren. Ich glaube, all diejenigen, die damals dabei gewesen sind und die zu dieser friedlichen Revolution beigetragen haben, finden das schon ein ganzes Stück anmaßend, was Sie hier von sich gegeben haben.
Zur friedlichen Revolution vor 30 Jahren, zu den Ereignissen: Die gefälschten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989, die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990, die gesamte Einbettung in die europäische Entwicklung – die Solidarność-Bewegung in Polen und die Perestroika – sind bereits angesprochen worden, aber ich will insbesondere noch mal den Beitrag der Thüringerinnen und Thüringer zur Überwindung der SED-Diktatur ansprechen. Auch diesen haben wir in der letzten Zeit hier im Plenum schon diskutiert, aber ich glaube, auch an dieser Stelle ist dieses noch mal besonders hervorzuheben. Auch über das Engagement der Landesregierung bei der Aufarbeitung der Diktatur und ihrer Folgen haben wir schon gesprochen, zuletzt im Zusammenhang mit dem Aufarbeitungsbericht 2019. Also all das, was wir schon beraten haben, glaube ich, brauchen wir nicht noch mal wiederholen.
Ich will nur so viel auch im Namen meiner Fraktion sagen: Unser jetziges modernes und demokratisches Thüringen verdanken wir eindeutig dem Mut derjenigen, die 1989/1990 für die Freiheit auf die Straßen gegangen sind.
Und ich sage ganz deutlich: Für die Thüringer Sozialdemokratie und natürlich auch für die rot-rot-grüne Koalition, die insgesamt auch ihre Wurzeln in der friedlichen Revolution haben, und für mich ganz persönlich bleibt dieser Freiheitswunsch und diese friedliche Revolution eine Verpflichtung völlig unabhängig von irgendwelchen Jahrestagen und geht für mich weit über die jetzige Legislaturperiode hinaus.
Der zweite Aspekt, den die Grünen in dem Antrag zur Aktuellen Stunde mit angesprochen haben, nämlich die Dreistigkeit, mit der die AfD die friedliche Revolution für sich vereinnahmt und ihre eigene – und ich sage das ganz deutlich – antidemokratische und gesellschaftsspaltende Agenda als Vollendung der Wende propagiert – darüber muss man schon mal zwei Minuten nachdenken. Ich kann gar nicht sagen, wie unverschämt und wie anmaßend das ist.
Das Ganze hat zugegebenermaßen mittlerweile schon bizarre Züge, nämlich dann, wenn Björn Höcke, der 1989 Schüler in Rheinland-Pfalz war, gemeinsam mit seinem Gesinnungsgenossen Kalbitz, der 1989 Schüler in München gewesen ist, öffentlich darüber diskutiert, wie denn so das Leben in der DDR gewesen sei und wie beide damals quasi im Alleingang an vorderster Front mitgemacht haben, das SED-Regime zu stürzen. Da fällt mir nichts mehr ein. Das muss mir jetzt mal jemand erklären!
Das würde ich mir nicht mal anmaßen, die ich zu DDR-Zeiten regelmäßig meine Großeltern in Brandenburg besucht habe.
Ich hätte mir trotzdem nicht angemaßt zu behaupten, ich wisse, wie das Leben hier läuft, wenn man einmal eine Woche oder vierzehn Tage – sehr viel länger durfte man ja gar nicht da sein – hier gewesen ist. Moralisch ist es auch nur schwer erträglich und politisch geradezu unanständig, wenn es so weit ist, dass die AfD die 1989 im Osten errungene Demokratie mit der SED-Diktatur in eins setzt. Wenn eine Partei wie Sie, die die Menschheit tagtäglich in den Medien ungestraft mit ihren Hasstiraden fertigmacht, bombardiert und behauptet – wie Sie es tun –, es gäbe heute keine Meinungs- und Pressefreiheit,
und Sie behaupten, Sie seien der selbst ernannte Hüter der Wende, kann ich nur sagen: Sie sind diejenigen, die zum Widerstand und zum Aufstand gegen demokratisch gewählte Volksvertreter aufrufen.
Sie sind diejenigen – was in der letzten Aktuellen Stunde diskutiert wurde –, Sie sind nämlich diejenigen, die das Feuerchen legen und hinterher fragen: Mein Gott noch mal, warum ist jetzt was passiert? Sie sind es! Und ich will Ihnen noch einmal ganz deutlich sagen: Die Menschen, die hier in Thüringen 1989 für die Freiheit auf die Straße gegangen sind, die haben das nicht für eine nationale Diktatur gemacht – wie Sie das, nicht Sie persönlich, wie das Herr Höcke in seinem Buch propagiert –, die Menschen wollten auch keinen Faschismus. Sie wollten eine demokratisch verfasste Gesellschaft und die Menschen wollten offene Grenzen und
wollten keinen neuen Schießbefehl. Auch der wird bei Ihnen ja von Frau von Storch diskutiert. Das sind diese Dinge, die man nicht will.
Ich will mit den Worten schließen, mit denen Heino Falcke das Selbstverständnis zur friedlichen Revolution vor zehn Jahren auf den Punkt gebracht hat, den ich jetzt nicht mehr ganz zitieren kann. Aber er hat gesagt: Wo Mauern gefallen sind und nicht neue Mauern aufgebaut werden und neue Scheuklappen aufgesetzt werden, das ist Demokratie, und so wollen wir leben. Ich danke Ihnen.
Danke schön. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen mehr – seitens der Regierung? Bitte schön, Herr Minister.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Herold, ich glaube, es liegt ein kleiner Irrtum vor. Es trifft zu: Alle Macht geht vom Volke aus. Aber das heißt nicht, dass die Macht von völkischen Nationalisten ausgeht. Das ist ein himmelweiter Unterschied.
Wir müssen uns noch einmal 30 Jahre zurückerinnern. Gestern vor 30 Jahren demonstrierten in Leipzig zwischen 5.000 und 8.000 Menschen. Sie forderten demokratische Reformen und forderten die Zulassung des Neuen Forums als Partei in der DDR. Heute vor 30 Jahren hat der stellvertretende MfS-Minister Mittig die damaligen stellvertretenden MfS-Chefs der Bezirksverwaltung zusammengeholt und hat als Parole ausgegeben: Die feindlich-oppositionellen Zusammenschlüsse – ich zitiere – „mit dem Ziel der Zerschlagung operativ zu bearbeiten“. Das heißt also, das MfS sollte von außen, aber auch durch informelle Mitarbeiter in diesen Organisationen Grabenkämpfe forcieren, Misstrauen säen, die Mitglieder aufspalten und versuchen, die Politisierung der Gruppen zu stoppen.
Darüber hinaus hat vor 30 Jahren Staats- und Parteichef Honecker zur – ich zitiere wieder – „Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung“ und „zur Verhinderung von Provokationen unterschiedlicher Art“ zum 40. Jahrestag der DDR die Herstellung der Führungsbereitschaft der entsprechenden Einsatzleitungen angeordnet. Das brachte den Verteidigungsminister der DDR dazu, für den Zeitraum ab dem 6. Oktober bis zum 9. Oktober 1989 die NVA in Einsatzbereitschaft zu bringen.
Das heißt, heute vor 30 Jahren war vollkommen ungewiss, ob die Ereignisse, die wir heute als friedliche Revolution beschreiben, tatsächlich friedlich bleiben. Denn zu erwarten war vielmehr statt einer friedlichen Revolution, dass das DDR-Regime bereit, aber auch willens war – und die von mir zitierten Sachverhalte weisen auch darauf hin –, auf die Proteste zu reagieren wie bei den blutigen Niederschlagungen der Jahre 1953 in Berlin, 1956 in Ungarn, 1968 in Prag oder eben im Sommer 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Wir müssen uns das in Erinnerung rufen, um uns daran zu erinnern, dass diejenigen, die im Spätsommer 1989 und ab dem 4. September 1989 in Leipzig zu protestieren begannen, überhaupt nicht davon ausgehen konnten, dass das eine friedliche Revolution wird, dass das, was sie individuell tun, überhaupt den Charakter einer Revolution annimmt.
Diejenigen, die sich in Leipzig unter dem Schutz der eingeschränkteren Repressionen aufgrund der Leipziger Messe zusammengefunden haben und in der Nikolaikirche Transparente ausrollten – für wenige Minuten –, mussten vielmehr davon ausgehen, dass sie verhaftet werden, dass sie misshandelt werden, dass es Repressionen gegen sie individuell, aber auch gegen die Familien und den Freundeskreis gibt. Das war die Erfahrung derjenigen, die trotzdem den Mut hatten, sich 1989 gegen das DDR-Regime zu stellen.