Protocol of the Session on September 13, 2019

(Beifall AfD)

Ein weiterer Punkt ist die Einbettung der Sexualität in die soziale Beziehung. Sie als Abgeordnete haben vielleicht noch in Erinnerung, dass im Bildungsplan das Wort „Schwangerschaft“ ausschließlich im Zusammenhang mit Verhütung fällt, und das in einem Atemzug mit dem Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Ist das wirklich die Art von Kinderfeindlichkeit, zu der wir unsere Kinder erziehen wollen? Selbstverständlich ist die Aufklärung über Verhütungsmittel und auch Krankheiten wichtig, da stimme ich Ihnen zu, Herr Dr. Hartung, das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Ebenso wichtig ist es aber, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass eine Schwangerschaft, ein Kind, eine Familie im Normalfall für alle Beteiligten etwas Schönes sind.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, aber nicht mit 14!)

Das wissen Sie nicht im Einzelnen, Frau Henfling, aber ich gestehe Ihnen zu, dass auch ich der Meinung bin, dass man möglichst ein gewisses Alter erreicht haben sollte, um eine Familie zu gründen, und im Einzelfall ist es natürlich auch wichtig, dass die Kinder, die Jugendlichen dann die Unterstützung der Gesellschaft haben.

Gleichzeitig wird es aber leider auch immer wichtiger – und da komme ich zu einem ernsten Thema –, vor Gefahren zu warnen. Jährlich gibt es in Deutschland Tausende sexuelle Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche. Sexuelle Gewalt ist jede sexuelle Handlung, die an Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Die Handlungen, die als sexuelle Gewalt bezeichnet werden, weisen eine große Bandbreite auf. Unter anderem reicht es von sexuellen Übergriffen mittels verbaler sexueller Anspielung bis zur Hilfestellung beispielsweise durch einen Sportlehrer, der die Gelegenheit nutzt, einen Schüler sexuell übergriffig zu berühren. Auch mittels digitaler Medien sind Kinder und Jugendliche sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt durch

Erwachsene und Gleichaltrige ausgesetzt, unter anderem durch Cybergrooming oder die ungewollte Verbreitung von eigenen textlichen oder bildlichen sexuellen Darstellungen an Dritte oder zum Beispiel durch die ungewollte Konfrontation mit Pornografie.

Dem unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs zufolge sind präzise Angaben zur Häufigkeit sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in Deutschland aufgrund der vorhandenen Datenlage nur schwer möglich. Nur ein kleiner Teil der Daten werde angezeigt, die Dunkelziffer sei dementsprechend hoch. Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren gehen davon aus, dass jede siebte bis achte Person in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Die Weltgesundheitsorganisation geht von rund 18 Millionen Minderjährigen aus, die in Europa von sexueller Gewalt betroffen sind. Das sind auf Deutschland übertragen rund 1 Million Mädchen und Jungen. Das bedeutet, dass etwa ein bis zwei Schüler in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt durch Erwachsene betroffen sind.

Eine aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts zeigt, dass umfassende Präventionsmaßnahmen in Kitas, Schulen, Internaten, Kliniken, Kirchen, Arztpraxen und Sportvereinen immer noch rar gesät sind. Gerade die Schulen hinken in Sachen Prävention besonders hinterher. Ein nationaler Forschungsstand zu Schutzkonzepten bzw. Maßnahmen zur Prävention sexueller Gewalt in Schulen hat sich seit den 90er-Jahren allmählich entwickelt. Aber die besten Studien nützen nichts, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt werden. Denn wie die Studie des Deutschen Jugendinstituts belegt, verfügen nur etwa 13 Prozent der Schulen nach eigener Einschätzung über ein umfassendes Präventionskonzept zur Vorbeugung sexueller Gewalt. Das ist drastisch in Anbetracht der eingangs erwähnten, nicht zu duldenden hohen Anzahl sexueller Gewalttaten gegenüber Kindern und Jugendlichen in jedem Jahr.

Schulen spielen neben Eltern im Leben von Kindern und Jugendlichen eine besondere Rolle. Bedingt durch die allgemeine Schulpflicht erreichen Schulen alle Mädchen und Jungen im Verlauf ihres Aufwachsens. So tragen die Schulen neben den Eltern Verantwortung dafür, über Gefahren, die im Zusammenhang mit Sexualität erwachsen können, aufzuklären. Dieser Verantwortung tragen wir mit unserem Gesetzentwurf Rechnung, indem wir festschreiben, dass die Schüler durch die Sexualerziehung Gefahrensituationen sexueller Belästigung und Gewalt erkennen und Handlungsstrategien erlernen sollen. Unser Gesetzentwurf umreißt den

schulischen Aufklärungsauftrag deutlich, koppelt ihn an den Fachlehrer und gibt Eltern durch das Gesetz das Recht, Einsicht in Inhalte, Methoden und Unterrichtsmaterial zu verlangen.

Wir halten diesen Gesetzentwurf für einen guten Schritt und werben um Zustimmung. Herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wissen Sie, uns unterscheidet von der AfD ganz zentral, dass wir sagen, es ist normal, verschieden zu sein. Deshalb die Frage: Was ist schon normal?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind tatsächlich alle sehr unterschiedlich und das ist sicherlich in gewisser Weise auch gut so. Ich will noch eines vorwegschicken: Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, in welcher Form auch immer, ist niemals und mit nichts zu rechtfertigen. Ich hoffe, auch da sind wir uns alle einig.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt allerdings komme ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf und an einer Stelle muss ich Thomas Hartung recht geben: Die AfD ist einfach mal zu spät aufgewacht. Wir hatten eine über Monate andauernde Schulgesetzdebatte und in dieser – ich will noch mal daran erinnern – hat sich die AfD mit keinem einzigen Antrag zu Wort gemeldet.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)

Dieser Gesetzentwurf dient also einzig und allein dem Zweck – jedenfalls scheint es uns so – ideologische Schaufensterpolitik zu betreiben, und das auf dem Rücken der Thüringer Lehrerinnen und Lehrer. Warum ich dazu komme, das will ich Ihnen schon noch mal ein Stück weit genauer ausführen.

Der Antrag der AfD enthält nämlich eine ganze Reihe von haltlosen Unterstellungen und Vorwürfen und zeugt von einem massiven Misstrauen gegenüber unseren Pädagoginnen und Pädagogen an den Schulen. Dem Gesetzentwurf zufolge würden

(Abg. Muhsal)

die Lehrerinnen und Lehrer nicht das natürliche Schamgefühl der Kinder achten. Sie würden keine Rücksicht auf die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern nehmen und unsere Lehrerinnen und Lehrer – lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen – würden das Erziehungsprimat der Eltern aushöhlen und nicht ausreichend vor den Gefahren im Zusammenhang mit Sexualität warnen. Das ist schon starker Tobak, werte Frau Muhsal, werte Abgeordnete der AfD.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Ihre Spezia- lität ist, Panikbilder zu malen!)

Ihre Anschuldigungen untermauern Sie durch nichts. Ich erlebe Pädagoginnen und Pädagogen ganz anders. Wir haben aufgeklärte, gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen, die gerade in diesem Bereich extrem sensibel vorgehen und die auch ein gutes und auch vertrauensvolles Miteinander selbstverständlich mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern pflegen, und das ist auch gut so. Die AfD jedoch leitet nun aus dieser angeblichen Erkenntnis, dass die Lehrerinnen und Lehrer offenkundig alles falsch machen in Thüringen, ab, dass sie das Schulgesetz noch einmal ändern möchte.

Ich will übrigens noch mal darauf hinweisen, dass kein einziger der vielen Anzuhörenden in den umfassenden Anhörungsverfahren, die wir zum Schulgesetz durchgeführt haben, auch nur ein einziges Mal das Thema der Sexualerziehung problematisiert, thematisiert oder gar kritisch hinterfragt hat.

(Zwischenruf Holter, Minister für Bildung, Ju- gend und Sport: Genau!)

Die AfD betreibt also nicht nur ideologische Schaufensterpolitik, sondern auch noch unnötige Phantomdebatten,

(Unruhe AfD)

die unsere Lehrerinnen und Lehrer in ein möglichst schlechtes Licht rücken sollen. Sie versuchen zu suggerieren – das haben Sie eben auch noch mal mit der Debatte von gestern zum Kindergartengesetz verbunden, bei der Frau Rosin auch einen solchen Ausfall hatte –, dass es einen Zugriff des Staats auf die wehrlosen Kinder gebe. Was denken Sie sich eigentlich? Lehrerinnen und Lehrer sind ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen, die selbstverständlich unser Vertrauen brauchen. Trotzdem gilt es immer genau hinzuschauen – das ist überhaupt gar keine Frage –, aber sie sind es, die dafür die notwendige Profession, die notwendige Fachausbildung, die notwendige pädagogische

Weitsicht, auch die Einordnung mitbringen, um Kindern dieses Thema tatsächlich altersgemäß näherzubringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beweise bleibt die AfD wie so oft schuldig.

(Unruhe AfD)

Sie versuchen doch, uns zu suggerieren, der Staat würde in die Erziehungshoheit der Eltern eingreifen – in die natürliche Vorstellung von Familien- und Geschlechterrollen, die es gebe –, und der Staat würde diese systematisch verunsichern. Wo leben Sie eigentlich? Mal ganz ernsthaft, achten Sie die Lebensrealitäten? Es gibt ganz unterschiedliche Familien. Thomas Hartung hat darauf hingewiesen. Das kann die Regenbogenfamilie genauso sein wie die klassische Familie. Das kann auch eine Alleinerziehendenfamilie sein, das können auch Großeltern sein, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern. Auf jeden Fall sind auch Familien sehr verschieden und es ist völlig normal, wie ich eingangs sagte, verschieden zu sein.

Es kommen aber von der AfD Verweise auf Broschüren oder auf zehn Jahre alte Debatten über einen Bildungsplan „Sexualkunde“ in Baden-Württemberg oder derzeit nicht lieferbare Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung.

(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Den Thürin- ger Bildungsplan, Frau Kollegin!)

Den Thüringer Bildungsplan kenne ich übrigens auch sehr gut. Der ist von einem Konsortium erstellt worden, einem pädagogisch arbeitenden Konsortium, das noch von unserer Vorgängerregierung einberufen wurde.

(Unruhe AfD)

Dieses Konsortium wurde auch nicht geändert; bewusst von uns nicht geändert, weil wir gesagt haben, in diesem Konsortium sitzen seit Jahrzehnten die Fachexpertinnen und Fachexperten aus Thüringen überhaupt. Das ist überhaupt nicht parteipolitisch besetzt. Da saß nämlich niemand aus unseren Fraktionen drin, sondern das sind alles Fachleute, die da zusammengesessen haben und diesen bundesweit anerkannten Bildungsplan erstellt haben.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sind Wissenschaftler!)

Vielleicht nehmen Sie das einfach mal zur Kenntnis.

Der Hintergrund Ihres Gesetzentwurfs ist einzig und allein ein Angriff auf das liberale Konzept unserer modernen Gesellschaft, in der Vielfalt und damit

auch Geschlechtervielfalt grundsätzlich willkommen und völlig normal in diesem Sinne sind. Wir können jedenfalls das Misstrauen gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern überhaupt nicht teilen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in Thüringen aufgeschlossene Pädagoginnen tätig sind, die ganz verantwortungsvoll den schulgesetzlichen Auftrag umsetzen. Wir sehen auch keinen Bedarf, daran etwas zu ändern, dass Schulen unsere Schülerinnen und Schüler altersgemäß mit dem biologischen, ethnischen, religiösen, kulturellen und sozialen Tatsachen und Bezügen der Geschlechtlichkeit des Menschen vertraut machen. Die Sexualerziehung in Thüringen – Zitat – „soll das Bewusstsein für eine persönliche Intimsphäre und für partnerschaftliches, gewaltfreies Verhalten in persönlichen Beziehungen entwickeln und fördern sowie die grundlegende Bedeutung von Partnerschaft, Ehe und Familie vermitteln.“ So steht es in unserem Gesetz, das wir verabschiedet haben. Daran will ich nur noch mal erinnern. Womit Sie da ein Problem haben, das müssten Sie schon noch mal genauer ausführen. Unser Gesetz ist hier ganz klar und eindeutig. Dazu braucht es auch keiner Änderung. Außerdem ist längst festgelegt – auch Zitat –, „Zurückhaltung zu wahren sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den verschiedenen Wertvorstellungen in diesem Bereich zu beachten; jede einseitige Beeinflussung ist zu vermeiden“.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns wird übrigens immer wieder von Anfeindungen insbesondere gegenüber Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen im Schulalltag berichtet. Dies belegen auch Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Diskriminierungen im Bildungsbereich. Das nehmen wir in der Tat sehr ernst. Wir setzen uns daher dafür ein, die Akzeptanz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu stärken und zu fördern. Denn denken Sie mal darüber nach, was das für einen jungen Menschen gerade in der Pubertät bedeutet, festzustellen, dass sich er oder sie vielleicht nicht im Einklang mit dem vermeintlich Offensichtlichen fühlt. Wie wollen Sie diesen jungen Menschen bestärken, wenn Sie ihm vorgeben, es gibt nur Mutter, Vater, Kind, klassisch aufgeteilt, ganz traditionell. Da kann man sich nicht entscheiden. Ein Mensch ist ein Mensch und weiß selbst am besten, wer er oder sie ist. Das kann auch nur der Betroffene und die Betroffene selbst entscheiden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen uns jedenfalls dafür ein, die Akzeptanz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu stärken und zu fördern. Es braucht viel mehr Strategien und

Leitbilder, wie wir Vielfalt in unseren Bildungseinrichtungen fördern und auch wertschätzen können. Dazu gehört übrigens auch, das ist selbstverständlich nötig, die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften im Umgang mit Heterogenität und auch die Darstellung von Geschlecht und sexueller Vielfalt in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien.

Mit der Ombudsstelle haben wir in unserem Schulgesetz übrigens auch noch ein Beschwerdemanagement gesetzlich verankert. Hier sind wir sehr gespannt, welche Entwicklung sich hier aufzeigt, und werden das mit Sicherheit auch evaluieren. Unser Ziel jedenfalls ist es, dass Bildungseinrichtungen Orte des Empowerments – der Bestärkung, um das für Sie zu übersetzen – und der Vielfalt werden. Schule als Ort von Empowerment heißt beispielsweise, dass die Schule unsere Kinder und Jugendlichen dazu befähigt, eigene Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und eigene selbstbestimmte Entscheidungen für das Leben zu treffen. Deshalb: Man kann dieses Gesetz der AfD tatsächlich nur ablehnen. Vielen herzlichen Dank.