Protocol of the Session on September 13, 2019

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Ja!)

Heute bekommen Fluchthelfer, die diesen Menschen geholfen haben, die DDR zu verlassen, Preise.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der anderen Seite findet eine Kriminalisierung derjenigen statt, die Menschen aus Seenot retten. Es sind überwiegend Ehrenamtliche. Es sind ganz normale Menschen, die sich in NGOs aufmachen,

sich auf Schiffe begeben, um Menschenleben zu retten, weil sie dem Sterben im Mittelmeer einfach nicht mehr zusehen wollen. Da ist es ja wohl unsere Pflicht als Politik und unsere verdammte Verantwortung, wo wir sagen, wir machen als Rot-RotGrün einen Unterschied, indem wir auch Verantwortung übernehmen. Deswegen braucht es diesen Antrag, es braucht endlich dringend sichere und legale Fluchtwege, es braucht ein System zur Aufnahme und auch zur schnellen Verteilung Geretteter nach einem festen Schlüssel, damit dies nicht jedes Mal neu ausgeschachert oder ausgehandelt werden muss. Das ist schlichtweg menschenunwürdig.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erwarten natürlich von der Bundesregierung, dass sie sich deutlicher als bisher gegen die immer neuen Schikanen des italienischen Innenministers stellt und die zivilen Seenotrettungsorganisationen endlich unterstützt. Wir machen zudem deutlich, dass wir diesem menschenunwürdigen Kurs endlich Einhalt gebieten wollen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Für die SPD-Fraktion hat Abgeordneter Dr. Hartung das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, es hat ja einen Vorteil, wenn man nach Herrn Möller von der AfD redet. Man ist vom Puls her auf Betriebstemperatur und insofern kann man dann auch mit der richtigen Einstellung reden. Ich glaube, besser kann man Gegenpole nicht darstellen.

„‚Es ist an der hohen Zeit, dass wir den Anspruch, in einem christlichen Europa zu leben, auch humanitär unterfüttern.‘ Dass Menschen auf der Flucht vor Zwangsarbeit, Ausbeutung und Bürgerkrieg ertrinken, ist ‚einer der ganz großen Skandale dieser Zeit.‘ Demokratische Parteien müssten dagegen ein Zeichen setzen. ‚Die Menschenwürde wird auch im Mittelmeer verteidigt.‘“

Lieber Herr Herrgott, das ist jetzt nicht von mir, aber ich zitiere Herrn Zimmer, Bundestagsabgeordneter Ihrer Partei, und nach Ihrer Rede müsste ich eigentlich sagen: Lieber mehr Zimmer als Herrgott. – Aber ich erspare mir das. Ich glaube, manche Mitglieder Ihrer Partei sind deutlich weiter. Sie haben hier die Zahlen der Ertrunkenen referiert, Sie haben

zwar gesagt, jeder Ertrunkene ist einer zu viel. Aber auch hier möchte ich einen Ihrer Parteifreunde, den Oberbürgermeister von Rottenburg, Stephan Neher, zitieren, der gesagt hat: Es reicht nicht aus, gegen das Sterben auf dem Mittelmeer zu sein, man müsse etwas anbieten, das tatsächlich Abhilfe schafft. – Genau das tun wir, genau das wollen wir hier tun.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und ich bin auch der EKD dankbar – Astrid RotheBeinlich hat das erwähnt –, dass jetzt ein Schiff ausgerüstet wird, dass dort Menschen gerettet werden. Es ist eben nicht so, wie Herr Herrgott gesagt hat, dass das nur Symbolik ist. „Es ist mehr als Symbolik“, sagt Heinrich Bedford-Strohm, „es geht um exemplarisches Handeln. Es werden konkret Menschen gerettet.“ Wenn dort Menschen gerettet werden und wir nicht nur einfach zuschauen und sagen, gut, dass die dort gerettet werden, gut, dass es Leute gibt, die sich einsetzen – mal abgesehen von der AfD, denke ich, tun wir das alle und sind diesen Leuten dankbar –, dann sollten wir eine Kette bilden zwischen den Menschen, die dort im Mittelmeer Ertrinkende retten und vor dem Tod bewahren, und den bislang mehr als 90 Städten, die sich bereit erklärt haben, sicherer Hafen in Deutschland zu werden. In dieser Kette ist die Landesregierung ein wichtiges Glied, das eben genau sagen muss und sagen soll: Wir sind bereit, diese Städte nicht alleinzulassen, wir sind bereit, uns dafür einzusetzen, dass ihr auf der einen Seite diesem Anspruch, den ihr selber formuliert habt, gerecht werden könnt, aber dass ihr mit den Kosten auch nicht alleinsteht. Das ist keine Symbolpolitik, das ist konkretes Handeln, und dafür stehen wir auch.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da gibt es diese Zyniker, die meinen, wenn man diese Menschen aus dem Mittelmeer holt, dann sollte man die einfach in Libyen wieder abgeben. Man sollte sich einfach mal das eine oder andere Lager in Libyen wenigstens im Bild anschauen. Ich zitiere mal meinen Kollegen Christoph Hey – nicht verwandt und verschwägert –, der die Lager dort gesehen hat. Der ist Beauftragter von Ärzten ohne Grenzen in Libyen. Er spricht davon, dass die Lebensbedingungen entsetzlich sind. Die Menschen werden auf engsten Räumen zusammengepfercht, sie haben weder Frischluftzufuhr noch Tageslicht. Die Ernährung ist mangelhaft. Es gibt keine medizinische Versorgung und die Hygienesituation ist bestenfalls erbärmlich – bestenfalls. Dorthin Menschen zu schicken, ist genauso unethisch und unmoralisch, wie sie ertrinken zu lassen. Denn ob sie

(Abg. Rothe-Beinlich)

dort bleiben können, ob sie dort überleben oder ob sie einfach in der Wüste ausgesetzt werden, wie es mittlerweile in Marokko, in Libyen, in Algerien passiert, das können wir überhaupt nicht einschätzen. Und wer diese Leute dorthin zurückbringt, muss sich das Schicksal dieser Menschen zueignen lassen. Das ist so. In der Hoffnung kann man sich nicht verbergen.

Lieber Herr Herrgott und liebe CDU, Sie müssen sich überlegen, an welcher Stelle Sie in dieser Debatte stehen,

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Das haben wir uns gut überlegt!)

ob Sie bei Ihren Parteifreunden aus anderen Bundesländern stehen, ob Sie bei der christlichen Kirche, bei der EKD, der evangelischen Kirche, stehen, Sie haben ja ein C im Namen. Zeigen Sie mir bitte eine Stelle in dem Grundlagenwerk Ihrer Religion, aus dem Sie ableiten können, Menschen in Not nicht zu helfen. Sie haben die Wahl, ob Sie eher bei diesen Menschen stehen oder eher bei diesen Verächtern, für die die Menschen, die andere Menschen retten, humanitäre Schleuser und kriminelle Schlepper sind, die davon reden, dass die „Alan Kurdi“ ein humanitäres Schleuserschiff ist. Alan Kurdi, nur zur Erinnerung, ist der zweijährige Junge, der 2015 im Mittelmeer ertrunken ist und dessen Bilder um die Welt gegangen sind. Der ist ja der Auslöser dieser Hilfsaktion gewesen. Und wenn Sie sich mit denen dort gemeinmachen und diesen Antrag ablehnen, dann müssen Sie sich auch zueignen lassen, dass Ihnen eine gewisse Gleichgültigkeit nicht abzusprechen ist, eine Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden, eine Gleichgültigkeit aber auch gegenüber den Helfern.

Ich fordere uns alle auf: Lasst uns aus der Komfortzone vor den Fernsehern rauskommen, lasst uns was tun, lasst uns den Städten helfen, in denen Menschen ankommen! Wir haben in Weimar diese Debatte – und es ist ausdrücklich gesagt worden, übrigens auch von der dortigen CDU und vom Bürgerbündnis Weimarwerk: Gibt es ein Signal vom Landtag, dann reden wir darüber, ob Weimar sicherer Hafen wird. Lasst uns dieses Signal geben, lasst es den Städten in Thüringen leichter machen, sicherer Hafen zu werden. Dafür stehen wir ein, und deswegen bitte ich um Zustimmung. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Die Regierung? Herr Minister Lauinger, bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich habe mir jetzt sehr genau angehört, was hier an diesem Pult alles gesagt wurde, und einer Sache möchte ich doch zu Beginn mal ganz deutlich und energisch widersprechen: Herr Möller, das ist kein Antrag für irgendwelche multikulturelle Klientel, das ist ein Antrag für Menschen, die vom Ertrinken bedroht sind.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das muss man an dieser Stelle einmal ganz deutlich und klar sagen. Als wir vor circa einem Jahr, am 29. August 2018, die Debatte hatten, ob sich Thüringer Städte daran beteiligen sollten, habe ich mich an diesem Pult schon einmal ganz deutlich hinter die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge gestellt. In einer Aktuellen Stunde hatte die CDU damals angezweifelt, ob Frau Kruppa formal überhaupt berechtigt gewesen sei, die Thüringer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dazu einzuladen, in Bezug auf die Seenotrettung im Mittelmeer Stellung zu beziehen. Heute, ein Jahr später, frage ich mich, ob die damalige Art der Befassung mit der Problematik – die Art der Befassung vonseiten der CDU-Fraktion –, nämlich daraus eine formelle Frage von Zuständigkeiten zu machen, nicht symptomatisch ist und einen wesentlichen Grund dafür darstellt, weshalb die Europäische Union heute, ein Jahr nach dieser Debatte, in der Sache eigentlich keinen Schritt weiter ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit Sie verstehen, was ich meine, sage ich Ihnen: Statt Leben zu retten, wird die Rückführung aufgegriffener Geflüchteter in libysche Gefangenenlager organisiert. Herr Hartung hat gerade sehr plastisch auch anhand der Beschreibung von Menschen, die diese Lager von innen gesehen haben, dargestellt, dass man, wenn man das weiß, wirklich nicht dafür sein kann, dass diese Menschen wieder dorthin zurückgebracht werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Statt private Seenotrettung zu unterstützen, werden Rettungsschiffe konfisziert, statt die Aufnahme von aus Seenot Geretteten solidarisch zu schultern,

(Abg. Dr. Hartung)

wird – ich hatte es bereits erwähnt – über Zuständigkeit diskutiert. In Thüringen wird seitens der Fraktion der CDU, statt bei der Frage nach Seenotrettung Haltung zu zeigen, die Funktion der Beauftragten infrage gestellt. Ich sage Ihnen ziemlich deutlich: Liebe CDU-Fraktion, Sie müssen sich der Beantwortung der zentralen Frage in diesem Punkt stellen. Diese zentrale Frage lautet: Wollen wir die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen unterstützen oder wollen wir das nicht?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie dazu eine klare Haltung beziehen würden, dann würden Sie sich vielleicht auch einen Ruck geben können und diesen Antrag unterstützen.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Mit Sicher- heit nicht!)

Die einzig moralische und mit unseren Grundwerten vertretbare Antwort auf diese Frage ist in meinen Augen klar und muss lauten: Ja.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es wurde an dieser Stelle bereits mehrfach auf Heinrich Bedford-Strohm, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, hingewiesen. Er hat an dieser Stelle ausgeführt: „Es gehört zu den Grundpflichten des Menschseins und erst recht“ – sage ich in Ihre Richtung auch noch mal – „zu den christlichen Grundpflichten, dass man Menschen, die in Seenot sind, hilft.“ Das sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Von daher auch von meiner Seite noch mal ein großes Lob dafür, dass es die Evangelische Kirche eben nicht nur bei diesen Sätzen belässt, sondern auch Taten folgen lässt und entschieden hat, dass sie ein Schiff kaufen und tatsächlich zur Seenotrettung einsetzen will.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auch darauf wurde bereits hingewiesen, aber ich möchte es noch mal deutlich sagen: Allein die Tatsache, dass Thüringen keinen Mittelmeerhafen hat, bedeutet natürlich keineswegs, dass wir in dieser Frage nicht eindeutig Haltung beziehen können. Angesichts der täglichen Tragödie auf dem Mittelmeer müssen wir Haltung beziehen. Wir sind mit verantwortlich, schlicht mit verantwortlich, weil wir davon wissen. Wir sind mit verantwortlich, weil wir helfen können, wenn wir wollen. Und wir sind mit verantwortlich, weil in Thüringen Menschen leben, die selbst über das Mittelmeer zu uns gelangt sind, deren Angehörige sich bereits auf diesem lebens

gefährlichen Weg befinden oder weil sie Bekannte und Verwandte haben, die sie vor dem Ertrinken retten wollen. Umso trauriger und beschämender ist es, dass sich in dieser Situation in den vergangenen Jahren fast nichts geändert hat. Täglich vertrauen Kinder, Frauen und Männer ihr Leben fragwürdigen Schiffen an, um über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Das tun sie, weil sie keine andere Perspektive für sich sehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

2018 ertranken laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen auf diesem Weg 2.275 Menschen, und dieses Sterben geht ungehindert weiter. Mit Blick auf einige fragwürdige europäische Maßnahmen zur sogenannten Fluchtursachenbekämpfung sei gesagt: Wer sich zum Schutz des freiheitlichen Europas von undemokratischen Gewaltregimes abhängig macht, läuft Gefahr, unglaubwürdig zu werden. Der UNHCR macht die restriktive Flüchtlingspolitik von EU-Staaten mit dafür verantwortlich, dass Flüchtende auf Schlepperbooten in Gefahr geraten und ihr Leben verlieren. Europäische Staaten kooperieren mit einem undemokratischen Gewaltregime, lassen Geflüchtete in libysche Gefangenenlager zurückbringen und verweigern den Zugang zu ihren Häfen. Die Rettung von Menschenleben auf hoher See ist keine Frage der Politik, sondern eine uralte Verpflichtung – das sage nicht ich, sondern das stellt UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi in diesem Zusammenhang nochmals klar.

Und was machen die europäischen Mitgliedstaaten? Sie streiten – ähnlich wie die CDU hier in Thüringen – über die Verteilung, fahren die staatliche Seenotrettung zurück, kriminalisieren. Und natürlich werden die Menschen, die Seenotrettung im Moment auf eigene Verantwortung betreiben, kriminalisiert. Warum werden sie denn in Italien angeklagt? Natürlich ist das Kriminalisierung, sie werden kriminalisiert und Staaten verweigern aus Seenot Geretteten den Zugang zu ihren Häfen.

Vor rund zehn Tagen war es das Rettungsschiff „Eleonore“ mit 100 Personen, die vor dem Ertrinken gerettet wurden, dem Malta und Italien den Zugang zum Hafen verwehrt haben. Der Kapitän Claus-Peter Reisch, der vor nicht allzu langer Zeit den Thüringer Landtag besucht hat und den Sie persönlich kennenlernen durften, war in einer ähnlichen Situation. Wenn Sie von ihm dann tatsächlich – weil er gemerkt hat, dass Thüringen bereit ist, das zu unterstützen – eine SMS-Nachricht bekommen, wie sich die Situation an Bord tatsächlich darstellt, dass es kaum Platz für diese Menschen gibt, dass er nichts mehr an Lebensmitteln an Bord hat, dass er kein Wasser mehr hat, dass Stürme aufziehen,

(Minister Lauinger)

dann haben Sie das Gefühl: Es kann doch nicht wahr sein, dass diesen Menschen nicht geholfen wird!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die tatsächliche Situation, wie sie sich für Seenotretter darstellt.