Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte im Namen meiner Fraktion mit drei Feststellungen beginnen. Die erste Feststellung: Dieses Schulgesetz, diese Schulgesetznovelle hätte es nicht gebraucht. Die zweite Feststellung: Dieses Schulgesetz löst keines der Probleme in den Thüringer Schulen. Und die dritte Feststellung: Dieses Schulgesetz ist ein Schulbelastungsgesetz.
Wer fast täglich Kontakt mit unseren Schulen hat, den kann die aktuelle Situation nicht zufriedenstellen. Den drängt es zum Handeln, den drängt es, Antworten und Lösungen für unsere Schulen zu finden.
Wer weiß, wie Unterricht vorbereitet, wie Unterricht durchgeführt und nachbereitet wird, wie außerschulische Lernangebote organisiert werden, wer täglich als Pädagoge Kindern und Jugendlichen hilft, den Weg in ein eigenverantwortliches Leben zu finden, der weiß eines: Jede zusätzliche Belastung wird die Probleme in unseren Schulen erhöhen und den Krankenstand bei den Kolleginnen und Kollegen weiter ansteigen lassen. Alles, was
Unterricht belastet und von ihm ablenkt, wird zulasten der Qualität und zulasten der Begeisterung für guten Unterricht führen.
Die Unstimmigkeiten zwischen der Regierung Ramelow und der CDU‑Landtagsfraktion beginnen in der Frage des Wie. Wie kann es gelingen, Unterrichtsqualität zu erhöhen und ein durchlässiges, ein anschlussfähiges und ein leistungsfähiges Bildungssystem anzubieten? Linke, SPD und Grüne schaffen mit dieser Novelle ein Schulbelastungsgesetz, das auf Zentralisierung, auf mehr Inklusion und auf Einheitsschule zielt. Thüringen braucht aber kein Schulgesetz, das das gesamte Bildungssystem in den kommenden Jahren in massive Unruhe versetzt und belastet. Wir als CDU wollen Verlässlichkeit und wir wollen Ruhe im Bildungssystem. Wir stehen für ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das die Attraktivität des Lehrerberufs erhöht, auf mehr Ausbildung und Einstellung setzt und die Einstellungsverfahren deutlich beschleunigt.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat in den vergangenen vier, fünf Jahren verschiedenste Vorschläge, Maßnahmen und Anträge hier in die parlamentarische Debatte eingebracht. Ich möchte Ihnen gern eine kleine Auswahl daraus vortragen. Ich erinnere an – jetzt aktuell noch hier im Landtag liegend – unseren Plenarantrag zur Stärkung der Thüringer Regelschule. Ich erinnere an unsere Initiative zur zusätzlichen Einstellung von Lehramtsreferendaren, an die Initiative „Gleichstellung aller Schularten im gegliederten Schulsystem“, an die Initiative „Gleichstellung von Ein-Fach-Lehrern an Thüringer Schulen“, an unseren Plenarantrag aus dem Jahr 2017 „Duale Ausbildung stärken, Unternehmertum fördern!“, an den Plenarantrag „Vielfalt fördert alle – [Förderschulen und] Differenziertes Schulsystem in Thüringen stärken“. Ich erinnere an unseren Plenarantrag „Situation der [Referendare und Fachleiter] verbessern – Lehrernachwuchs sichern“. Ich erinnere an unseren Plenarantrag aus dem Jahr 2016: Zukunft der DAZ-Lehrer sichern, im selben Jahr: Beschulung von Flüchtlingen in Thüringer Schulen, im Jahr 2015 der Plenarantrag „Gute Bildung braucht starke Schulleiter“ und damals natürlich auch das Gesetz über die Schulen in freier Trägerschaft. Ein wichtiger Punkt ist auch unser Maßnahmenpaket von 2017, mit deren Abarbeitung sich die Ramelow-Regierung sehr schwer tut, aber im Schneckentempo doch vieles übernimmt. Ich denke an die Besoldung der Regelschullehrer, aber auch an die Einstellungskampagne.
Meine Damen und Herren, bei der Einbringungsrede dieses Gesetzes erläuterte der Bildungsminister, ich zitiere: „Die Erarbeitung des Gesetzes ist ein
Beweis, ein Beispiel für gelebte Demokratie, wie man durch gute Kommunikation, Berücksichtigung der Auffassung der Menschen vor Ort, der Basis sozusagen, ein Gesetz vorlegt, welches hoffentlich breit getragen wird.“ Eines haben die Beratungen in den letzten Wochen gezeigt: Breite Unterstützung für dieses Gesetz gibt es in Thüringen nicht. Vielfach wird der Beteiligungsprozess sogar als pseudodemokratisch beschrieben.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie benutzen den Begriff „pseudo- demokratisch“ immer dann, wenn es Ihnen nicht gefällt!)
Die Kritik sowohl bei der mündlichen Anhörung als auch nun bei der zweiten Runde war vernichtend und im Grunde nur ablehnend. Ich zitiere, Frau Präsidentin, die Landeselternvertretung, die davon spricht, dass „der Änderungsantrag nicht geeignet [ist], auf die brennenden Fragen der Schulentwicklung in Thüringen zukunftsweisende und nachhaltige Antworten zu geben.“ Und weiter heißt es in der Stellungnahme der Thüringer Elternschaft: „Die Landeselternvertretung lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf auch unter Berücksichtigung des Änderungsantrages weiterhin aus grundsätzlichen Über[zeu]gungen ab“.
Der Philologenverband spricht davon, dass er das Schulgesetz „auch in der geänderten Form“ ablehnt. In ähnlicher Art und Weise formuliert das der Thüringer Lehrerverband. Es findet sich faktisch keine Stellungnahme, die nachvollziehbar Lob für das vorliegende Schulbelastungsgesetz nebst dem rot-rot-grünen Änderungsantrag gibt. Wenn der Landtag diese Novelle heute beschließt, dann beschließt er ein Gesetz, das in der Fachöffentlichkeit und in der Bevölkerung auf größte Ablehnung stößt.
Sehr geehrte Kollegen, insbesondere Kollegen der Koalitionsfraktionen, Sie verlassen sich natürlich auf Ihre Fachpolitiker. Ich hoffe, Sie sind nicht irgendwann verlassen. An vielen Stellen im Gesetzentwurf wird nämlich auch Ihnen nicht reiner Wein eingeschenkt. So verweist die Novelle gleich an mindestens neun Stellen auf weitere Regelungen in einer zukünftigen Rechtsverordnung. Beispielsweise erstens in § 7 a: Größenvorgaben über regionale Förderzentren sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Weiterhin: Die Zugangsvoraussetzungen für Migranten an Berufsschulen sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Das Feststellungsverfahren zur Beschulung von Kindern im
Gemeinsamen Unterricht – da ist also die Frage: Förderschule ja oder Gemeinsamer Unterricht? – soll in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Die Festlegung zu Einzugsbereichen und Schulbezirken soll in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Fünftens: Die Aufnahmekapazitäten und Auswahlverfahren von Schülern an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Was – nichts anderes als Schulgrößen – ist das? Aufgaben der sonderpädagogischen Fachkräfte sollen geregelt werden, die Festlegung von Mindest- und Höchstschülerzahlen für Schulen, Klassen und Kurse bei berufsbildenden Schulen sollen in einer Verordnung geregelt werden. Die Aufstellung des Schulnetzplans soll in einer Verordnung geregelt werden und zuletzt die Sache, die auch Herr Hartung heute wieder nicht erklären konnte, die Kooperationsmodelle: Während des gesamten halben Jahres konnte kein Vertreter der Regierung, kein Vertreter der Koalitionsfraktionen erklären, was nun wirklich die Unterschiede der Kooperationsmodelle sind und wie die im Grunde auszugestalten sind. Auch das verschieben Sie in die Rechtsverordnung.
An mindestens neun zentralen bildungspolitischen Stellen sollen die Mitglieder des Thüringer Landtags also heute – sprichwörtlich – die Katze im Sack kaufen. Das lehnt die CDU ab.
Immerhin, Rot-Rot-Grün hat den Gesetzentwurf nachgebessert oder besser „verschlimmbessert“. Der Druck derjenigen, die Schule täglich leben und erleben – die sitzen heute auf der Tribüne –, aber auch von uns als CDU-Fraktion war groß, war zu groß, um ihn gänzlich zu ignorieren. Noch nie hat eine Schulgesetznovelle so viel Widerspruch und Ablehnung erfahren, bis zum heutigen Tag. Die Kritik war und ist vernichtend.
Schließlich blieb der Ramelow-Regierung nur noch der Versuch eines Befreiungsschlags. Ein Befreiungsschlag, der Sie, Herr Minister, dazu veranlasste, noch vor Abschluss der parlamentarischen Beratungen hier und heute an diesem Tage Ihr eigenes Gesetz als Provokation darzustellen. Wenn dieses Gesetz der Regierung Ramelow eine Provokation sein sollte, dann ist es Ihnen nicht gelungen, diese im parlamentarischen Verfahren zu heilen.
Im Übrigen ist die größte Provokation, dass Sie vielen ehrenamtlichen Bildungsakteuren, Hunderten Schulleitern, Tausenden Lehrern und Eltern einen Beteiligungsprozess zugemutet haben, dessen Ergebnis eine bewusste Provokation war. So geht man nicht mit den Trägern des Thüringer Bildungs
systems um. Sie haben mit diesem Pseudobeteiligungsprozess riesige Erwartungen geweckt und nun eine Welle der Enttäuschung und der Kritik hervorgerufen, an der wir noch Jahre zu knaupeln haben werden.
Die Menschen erwarten von einer Regierung nicht, dass diese provoziert, sondern dass sie Probleme löst und Probleme anpackt.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz werden Schulen nicht entlastet, sondern belastet. Ich möchte exemplarisch auf vier Beispiele eingehen: die Belastung des Unterrichts durch mehr Inklusion, die Belastung der Eltern, die Belastung der Lehrer, die Belastung der Schulträger. Letztendlich wirkt das alles auf unsere Kinder und Jugendlichen. Die Ramelow-Regierung nutzt die Inklusion als Katalysator hin zum Einheitsschulsystem. Sie betreiben Inklusion und lassen die Schulen ohne Ressourcen zurück. Einstimmig verweisen Lehrer, Eltern und Schülerverbände sowie die freien und die kommunalen Schulträger auf die entstehenden Belastungen für alle Bildungsakteure wegen fehlender Ressourcen für gelingenden Gemeinsamen Unterricht. Daran gibt es auch hier nichts schönzureden. Die Landesschülervertretung hat heute nochmals im MDR darauf hingewiesen, dass nicht geklärt ist, wie das gelingen soll. Es gäbe ohnehin schon zu wenige Lehrer. Sie würden mit der neuen Situation überfordert. Es nutzt also schlicht nichts, wenn Sie im Gesetz das Reizwort „Schulen ohne Schüler“ mit „Schulen werden zu Beratungs- und Unterstützungszentren“ ersetzen. Das sind keine Lernorte und Ihr § 7a Abs. 2 macht Thüringer Förderschulen zum Auslaufmodell.
Sie schwächen das Elternwahlrecht und belasten das Kindeswohl. Indem Eltern zukünftig durch das Schulamt ausführlich beraten werden müssen, bevor sie das Kind an eine Förderschule geben, belasten und schränken Sie das Elternwahlrecht ein. Mit Blick auf die Beratung durch das staatliche Schulamt ist zumindest eine unabhängige Beratung nicht gegeben, zumal das Schulamt auch den nächstgelegenen und geeigneten Lernort im Gemeinsamen Unterricht erst einmal festlegen wird. Wie gefährlich Ihr Tempo von Inklusion ist, zeigen die vielen Beispiele, die uns in den letzten Wochen und Monaten aus der Praxis erreicht haben. Ich möchte stellvertretend nur eines kurz vorlesen: In einer Klasse von mindestens 20 und mehr Kindern ist unser Sohn völlig überfordert.
Eine permanente – ja, die Vorsitzende der Linken telefoniert, wenn die Eltern zu Wort kommen, das ist typisch...
In einer Klasse von 20 und mehr Kindern ist unser Sohn völlig überfordert. Eine permanente Reizüberflutung, mit der er nicht zurechtkommt, eine Geräuschkulisse, die er aufgrund seiner Schwerhörigkeit nicht verarbeiten kann, ein Lernspektrum, für das er kognitiv nicht in der Lage ist, ein räumliches Umfeld – für seinen Pflegeaufwand völlig unbrauchbar, ein Umfeld, in dem er immer der Schlechteste sein wird, ohne Erfolgserlebnisse. – Wer ein bisschen was von Pädagogik, ein bisschen was von Psychologie und Didaktik versteht, der weiß, dass die Lern- und die Leistungsmotivation die Grundlage für den Erfolg von Lernen ist.
Meine Damen und Herren, Sie überfordern und gängeln nicht nur Eltern und Schüler, Sie gehen zur Durchsetzung Ihrer Ideologie auch gegen die staatlichen und freien Schulträger und deren verfassungsrechtlich verbriefte Rechte vor.
Erstens: Mit dem Schulbelastungsgesetz entscheidet das Schulamt zukünftig allein über den Lernort eines Schülers. Damit wird über die Köpfe der Schulträger hinweg entschieden. Wir lehnen diese Zwangszuweisung ohne Mitsprache der Schulträger ab.
Zweitens: Sie erhöhen den Druck auf die Schulträger und letztlich auf die Qualität des Unterrichts, weil die Kosten für die Inklusionshelfer und erforderlichen Umbauten an den Schulen nirgendwo zur Verfügung gestellt werden.
lichkeit erhält, über die Schulträger hinweg Schulschließungen vorzunehmen, wenn der Schulträger eine schulorganisatorische Maßnahme nach § 13 nicht selbst beantragt.
Viertens: Auch aus den Reihen der freien Schulträger hagelt es verfassungsrechtliche Bedenken. Und die Frage der Beteiligung der Träger an der Erstellung sonderpädagogischer Gutachten wird auf ein Mindestmaß reduziert. Hier hat das Misstrauen von Rot-Rot-Grün über die Arbeit der freien Träger leider gesiegt.
Meine Damen und Herren, die Schaffung zusätzlicher Pflichten für Lehrkräfte und Schulleitungen in den §§ 27 f. und der damit einhergehende organisatorische Mehraufwand bedeuten vor allem eins: zusätzliche schulische und außerschulische Aufgaben für Klassenlehrer, für Fachlehrer und für Schulleitungen. Es sind insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer, die betonen, dass diese Novelle schlichtweg nicht praxistauglich ist und zu zusätzlichen Belastungen führen wird.
Entgegen aller Verlautbarungen, die wir heute schon gehört haben und noch hören werden: Diese berechtigten Ängste wurden leider in der parlamentarischen Beratung überwiegend nicht beachtet. Die Ramelow-Regierung legt mit diesem Schulbelastungsgesetz Standards fest, die die Schulpraxis an den Rand der Leistungsfähigkeit führen werden.