Falls doch ausnahmsweise jemand zweifelt, kommt dann der nächste Schritt, die qualifizierte Inaugenscheinnahme. Dazu heißt es in der bereits benannten Handreichung unter anderem: Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie in jedem Fall – unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers – eine Befragung des Betreffenden ein, in der er mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen. Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. – So weit so gut. Unabhängig davon, was derjenige dann sagt, ist das in Thüringen das Ende der Altersfeststellung. Wenn der Amat gut erklären kann, dass ihm der Schnurrbart gewachsen ist, weil er so viel Stress auf der Flucht hatte, dann reicht das vollkommen aus, um monatliche Leistungen in Höhe von mehr als 5.000 Euro zu erhalten.
Vergleichen wir dieses Vorgehen damit, was ein deutscher Bezieher von Sozialleistungen tun muss, um einen Bruchteil dieser Summe zu erhalten, dann ist die soziale Ungerechtigkeit nicht nur augenfällig, sondern auch unverschämt, wenn man sich daran zurückerinnert, dass die deutschen Regierungen dem deutschen Volk verantwortlich sind und nicht allen möglichen anderen Menschen.
Bei einem Bezieher von Leistungen des sogenannten Hartz-IV-Satzes genügt diese Selbstauskunft eben nicht. Auch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme würde nicht ausreichen, um die Anerkennung eines Leistungsbezugs zu erlangen. Wieso also in diesem Fall? Als AfD-Fraktion fordern wir, dass endlich alle – und zwar wirklich alle – Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um eine gesicherte Altersfeststellung durchführen zu können. Frau Ber
Sie haben dazu gerade so ein paar krude Ausführungen gemacht. Zu nennen sind dabei Röntgenuntersuchungen, wie sie erst kürzlich durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angeordnet wurden. Auch andere Verfahren können genutzt werden, um dem reellen Alter möglichst nahe zu kommen. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf führen anerkannte Rechtsmediziner solche Altersuntersuchungen professionell durch.
Ja, die Ethikkommission kann das ablehnen, Frau Rothe-Beinlich. Das ändert aber nichts daran, dass wir hier in Deutschland eine gewisse Rechtslage haben und der deutsche und Thüringer Steuerzahler ein Interesse daran hat,
dass diese Rechtslage auch umgesetzt wird. Die Altersdiagnostik beruht dort auf einer körperlichen Untersuchung, einer zahnärztlichen Untersuchung mit Auswertung einer Röntgenaufnahme des Gebisses sowie einer Röntgenuntersuchung der linken Hand. Sofern die Entwicklung des Handskeletts abgeschlossen ist, werden die Schlüsselbeine untersucht, zurzeit bevorzugt mittels konventioneller Röntgendiagnostik bzw. Computertomografie, also vollkommen normal nach deutschem Standard. Der Einfluss von Armut oder Fehlernährung, ethnischer Zugehörigkeit, Krankheiten usw. auf die Untersuchungsergebnisse ist wissenschaftlich eruiert worden und wird dementsprechend berücksichtigt. Also alles gut, Frau Rothe-Beinlich.
Auch mithilfe aller Maßnahmen zur Altersfeststellung kann man vielleicht nicht auf den Tag genau sagen, wie alt eine Person ist, aber vielleicht gibt es dann weniger Personen, die am 01.01. Geburtstag haben.
Aber bei einer Kombination von medizinischen und nicht medizinischen Methoden kommen wir der Realität schon deutlich näher als nach dem, was jetzt passiert.
Insbesondere eine Untersuchung des Gebisses ermöglicht es, die Schätzgenauigkeit deutlich zu erhöhen. Vor allem weisen diese Verfahren im Gegensatz zu einem Gespräch oder eine Inaugenscheinnahme ein hohes Maß an Objektivität auf, Herr Harzer. Wir fordern Sie auf, eine vernünftige Altersfeststellung zum Thüringer Standard werden zu lassen und bitten deswegen um Zustimmung zu unserem Antrag. Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, ich muss meine Rede ein bisschen anders beginnen, als ich es eigentlich vorhatte.
Ich weiß nicht, ob es den von Ihnen, von der AfD, benannten zwölfjährigen – wie Sie sagen, angeblich zwölfjährigen – Jungen tatsächlich gibt. Selbst wenn es ihn gibt, wäre er ein Kind, ein Jugendlicher. Ich weiß nicht, wie man derart zynisch hier vorn am Pult sprechen kann,
zumal wenn man selbst auch Kinder hat. Mir ist wirklich zeitweilig der Atem stocken geblieben, das muss ich einfach so deutlich sagen. Wenn Sie auf den Einwurf „Die Ethikkommission lehnt das aber ab!“ nur reagieren „Die Ethikkommission, die Ethikkommission, es gibt deutsche Standards“, dann fallen mir in der Tat ganz andere deutsche Standards ein, die mit Untersuchungen an Menschen und an Kindern etwas zu tun haben, die wir in diesem Land nie wieder erleben wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Es gibt eine Stellungnahme vom 13. Dezember vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemeinsam mit dem IPPNW und dem Deutschen Kinderhilfswerk. Das sind die Fachverbände, die sich zum Thema „Altersfeststellung“ geäußert haben. Ich will aus dieser Stellungnahme zitieren. Da heißt es: „Die Medizin ist nicht in der
Lage, das Alter ‚festzustellen‘. Expert/innen sind sich einig, dass nur eine grobe Schätzung mit einer Streubreite von mehreren Jahren möglich ist. Der Beweis, dass eine Person volljährig ist, lässt sich auch durch bildgebende Verfahren nicht mit der geforderten ‚an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit‘ erbringen. In der Praxis besteht daher ein erhebliches Risiko, dass Minderjährige durch die fehleranfällige Altersdiagnostik fälschlich zu Erwachsenen erklärt werden.“
Und weiter heißt es da: „Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer hat im September 2016 empfohlen, bis auf weiteres Röntgen- und Genitaluntersuchungen zum Zwecke der Altersschätzung abzulehnen [...], ebenso die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin [...]. Die European Academy of Pediatrics empfiehlt seit 2015 allen Kindern- und Jugendärzten dringend, ‚nicht am Prozess der Altersfestsetzung von Asylbewerbern teilzunehmen, die angeben minderjährig zu sein‘, und ‚diese Auffassung an alle anderen Ärzte weiterzugeben‘.“
Und ich zitiere weiter: „Auch auf europäischer sowie internationaler Ebene werden medizinische Verfahren zur Einschätzung des Alters wie u.a. die Untersuchung von Knochen und Zähnen“ – Sie sprachen ja gerade vom Schlüsselbein – „aufgrund ihrer Ungenauigkeit und ihres Eingriffscharakters abgelehnt bzw. als alleinige Entscheidungsgrundlage ausgeschlossen und der Grundsatz ‚Im Zweifel für die Minderjährigkeit‘ betont.
Gerade aktuell hat sich der Europarat sowie der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gemeinsam mit dem UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen mit dieser Frage beschäftigt und dies erneut bekräftigt. [...] Vorrangig ist deshalb bei der Ermittlung des Alters ein ‚interdisziplinärer und ganzheitlicher Ansatz‘. Daher lehnen wir jede weitere gesetzliche Festschreibung der medizinischen Altersdiagnostik ab. Diese kann nichts zur Klärung des tatsächlichen Alters junger Flüchtlinge beitragen, geschweige denn zur Prävention von Gewaltverbrechen, wenn auch die Forderung in diesem Kontext immer wieder reflexartig erhoben wird.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, da macht es das auch nicht besser, dass Sie aus populistischen Gründen einen furchtbaren Mordfall hier instrumentalisieren, um Ihren Antrag zu begründen. Ich muss ganz deutlich sagen: Das ist schäbig!
Ihr vorliegender Antrag ist nicht nur menschenfeindlich, sondern auch widersprüchlich und darauf will ich jetzt im Einzelnen noch einmal eingehen. So formuliert die AfD in der Begründung des Antrags durchaus richtig, dass unbegleitete Minderjährige vor allem aus Ländern wie Syrien, Irak und Afghanistan stammen. Dann aber wird auf einmal – und Sabine Berninger ist schon darauf eingegangen – von einer Familienzusammenführung in sogenannten stabilen Drittstaaten fabuliert und auf die Balkanstaaten hingewiesen. Was haben aber die Balkanstaaten mit Jugendlichen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan zu tun?
Davon abgesehen bleibt völlig unklar, was die AfD mit sogenanntem stabilem Drittstaat meint. Wahrscheinlich meint die AfD die sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, ein politisches Konstrukt, das wir übrigens aus prinzipiellen Erwägungen ablehnen.
Familien können die Flucht nicht immer gemeinsam antreten – dafür gibt es finanzielle Gründe, gesundheitliche Probleme – oder auf dem Fluchtweg zusammenbleiben. Und wenn Sie sich dann, Frau Muhsal, hier hinstellen und so tun, als ob die Eltern mal eben am Abendbrottisch locker flockig entscheiden, da schicken sie mal eines ihrer Kinder los, dann ist das so etwas von zynisch, wenn man sich die Situation dieser Menschen in Not anschaut.
Es sind auch Familien, die auf der Flucht getrennt werden, es ist manchmal der letzte Ausweg, den Jugendliche sehen, um ihre Familie zu retten.