Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie alle zur ersten Sitzung des Thüringer Landtags in der 6. Legislaturperiode, die ich hiermit eröffne. Besonders begrüße ich die Damen und Herren Abgeordneten. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von dieser Stelle aus noch einmal die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrer Wahl in den Thüringer Landtag.
Mein besonderer Gruß gilt der Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Ein herzliches Willkommen den Angehörigen, Freunden und Wegbegleitern der Damen und Herren Abgeordneten sowie den Vertretern der Medien wie Presse, Rundfunk und Fernsehen. Nicht zuletzt begrüße ich alle anwesenden Vertreter unserer Gesellschaft, aus Politik, Kirchen und Wirtschaft, die unsere Arbeit in den vergangenen 25 Jahren stets aufmerksam verfolgt und zuweilen auch kritisch begleitet haben.
Gemäß § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags vom 19. Juli 1994 leitet der älteste Abgeordnete die Sitzung des Landtags so lange, bis der neu gewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt.
Mein Name ist Elke Holzapfel, ich bin am 4. Februar 1945 in Mühlhausen/Thüringen geboren. Ich frage Sie daher: Ist ein Mitglied des Landtags älter als ich?
Das ist offenbar nicht der Fall. Deshalb werde ich als Alterspräsidentin den ersten Teil der heutigen Sitzung leiten.
Zunächst gilt festzustellen, dass wir uns gemäß Artikel 50 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen in der vorgeschriebenen Frist von 30 Tagen nach der Landtagswahl versammelt haben. Die 1. Plenarsitzung der 6. Wahlperiode ist somit eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle fest, dass eine Kollegin hier im Plenarsaal ein Kleidungsstück mit einem Aufdruck trägt, der eindeutig als nonverbale Kommunikation eingestuft werden muss. Das Tragen solcher Kleidung oder anderer sichtbarer Gegenstände ist mit unserer Geschäftsordnung nicht vereinbar. Ich möchte daher die Ab
geordnete Frau Grund bitten, dieses Kleidungsstück entweder abzulegen; wenn es nicht möglich ist, dann bitte bedecken. Ich schlage Ihnen vor, Frau Abgeordnete, dass wir Ihnen ein neutrales weißes T-Shirt zur Verfügung stellen, falls Sie kein weiteres Kleidungsstück mithaben. Es ist einfach dem Hohen Hause geschuldet, in einer unauffälligen, ordentlichen Kleidung hier zu erscheinen. Ich verstehe Ihr Anliegen - das verstehen wir sicher alle -, aber ich bitte Sie einfach, ein neutrales T-Shirt überzuziehen. Brauchen Sie ein T-Shirt? Ein TShirt wird besorgt und ich danke Ihnen ganz herzlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun weiter in unserer Tagesordnung. Ich gebe Ihnen einige Hinweise zu derselben. Die Wahlvorschläge für die heutige konstituierende Sitzung liegen Ihnen in den Drucksachen 6/4 bis 6/9 vor.
Der Antrag in Tagesordnungspunkt 10, Anzahl der Mitglieder des Ältestenrats, in Drucksache 6/10 wurde nicht in der dem § 51 Abs. 1 GO zu entnehmenden Frist von sieben Tagen verteilt. Ich gehe aber davon aus, dass dem niemand widerspricht. Gibt es Widerspruch? Das sehe ich nicht. Dann frage ich Sie: Wird der Tagesordnung widersprochen? Ich sehe keinen Widerspruch.
Dann rufe ich hiermit den Tagesordnungspunkt 1 auf. - Wir warten noch die 2 Minuten. Frau Grund, vielen Dank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wohl wissend, dass Alter und Geschlecht für sich allein kein Verdienst sind, bin ich dennoch ein wenig stolz darauf, im 25. Jahr der Erinnerung an den Mauerfall als erste Frau in der noch jungen Parlamentsgeschichte unseres Freistaats die Leitung zur Konstituierung des Landtags übernehmen zu dürfen.
Ein Landtag, der sich aus Abgeordneten zusammensetzt, die ihr Mandat in freien und geheimen Wahlen unmittelbar von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes erhalten haben, das, meine Damen und Herren, war nicht immer so. Deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, zuallererst den Menschen zu danken, die dieses heutige Ereignis überhaupt erst möglich gemacht haben. Unser Dank gilt allen Bürgerinnen und Bürgern, die vor 25 Jahren in unserem Land gegen die Gewalt der Machthaber mit brennenden Kerzen angingen und die bereit waren, für ihre Überzeugung Schikanen, Verhöre, Repressionen und Inhaftierungen auf sich zu nehmen.
Ihr Verhalten hat im Herbst 1989 andere Menschen ermutigt, auf die Straßen und Plätze zu gehen, um mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ den Unrechtsstaat zu Fall zu bringen. Aus eigenem Erleben kann ich als Mutter berichten, was passiert, wenn der Sohn einen Ausreiseantrag stellt. Damit möchte ich aber heute niemanden mehr konfrontieren.
Niemandes Verdienst, denke ich, wird geschmälert und keine Lebensbiografie wird beschädigt, wenn wir in dieser Stunde noch einmal die Lebenswirklichkeit der DDR in Erinnerung rufen. Es gab eine Mangelwirtschaft, ein Rede- und Ausreiseverbot, es gab Zensur und Schreibverbot, es gab politische Gefangene und es gab Todesurteile. Bei mir vor der Haustür, im Grenzgebiet, gab es Menschen, die ihrer Heimat beraubt und zwangsweise umgesiedelt wurden. Hier gab es die Aktionen „Ungeziefer“ und „Kornblume". Es gab Mütter, denen die Kinder genommen wurden, und es gab Jugendwerkhöfe. Es gab eine Rundumüberwachung durch das Ministerium des Innern. Es gab Schießbefehl und Todesopfer an der Staatsgrenze West. Und ja, es gab auch Loyalität und ideologische Überzeugung. All dieses bestimmte den Lebensalltag in der DDR. Es ist und bleibt wichtig, diese Tatsachen zu benennen, um die geschichtliche Bedeutung der friedlichen Revolution und ihre Ursachen nicht aus den Augen zu verlieren. Dieses für unser Land so wichtige Ereignis muss Ansporn und Verpflichtung für unsere Arbeit hier im Landtag sein.
Wachsamkeit und Mitverantwortung bei allen politischen Entscheidungen sind die gelebten Voraussetzungen des freiheitlichen Rechtsstaats. Die Demokratie beansprucht nicht, über allgemeingültige Wahrheiten in den persönlichen Dingen für andere befinden zu können. Die Demokratie will das Zusammenwirken von Parlamentsmehrheit und Regierung und sie will die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition. Vor allem aber lebt die Demokratie von der Solidarität der Demokraten und darf im Radikalismus weder von links noch von rechts Nährboden bieten. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten wir uns gegen das Vergessen und die Verklärung wehren und auf eine Aufarbeitung unserer Vergangenheit nicht verzichten. Heute wissen wir, dass die friedliche Revolution im Herbst 1989 und die nachfolgende Einheit unseres Vaterlandes am 3. Oktober 1990 in einen europäischen Einigungsprozess mündeten. Europa, so wie wir es heute kennen, ist auf den Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges gewachsen. An die Stelle von nationalem Egoismus, militaristischer Überheblichkeit und Fremdenhass ist die europäische Rechtsgemeinschaft getreten. Heute regiert nicht mehr das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts.
Gemeinsinn und Kooperation unter den europäischen Staaten haben die alten Rivalitäten längst abgelöst. Die Regierungen ringen um Lösungen für Frieden und Freiheit, statt über territoriale Geländegewinne und Angriffspläne zu brüten. Auf den Schlachtfeldern von damals mit 80 Millionen Toten arbeiten heute junge Menschen aus allen Staaten gemeinsam für den Erhalt der Kriegsgräberstätten und machen damit die Versöhnung lebendig. Sie folgen den Worten von Jean-Claude Juncker, die auf einem Soldatenfriedhof in Germau (Ostpreu- ßen), heute Oblast Kaliningrad, stehen - ich zitiere -: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!“ Die europäische Gemeinschaft ist in ihrem Kern ein Friedensprojekt, bei dem es ganz bewusst darum geht, nie wieder ein 1914 oder 1939 zuzulassen. Es braucht angesichts des Kanonendonners im östlichen Europa und der schrecklichen Geschehnisse im Irak, in Syrien und den angrenzenden Staaten keine geschichtswissenschaftlichen Studien, um erkennen zu müssen, welches Glück wir haben, in einem sicheren und stabilen Europa leben zu können. Wichtig hierbei ist der Europaausschuss des Thüringer Landtags, dem ich von hier aus noch einmal meinen Dank ausspreche für die geleistete Arbeit in der vergangenen Legislaturperiode.
Mit Worten des Dankes möchte ich nunmehr die neue Wahlperiode einläuten. Wir nehmen heute unsere Arbeit in dem Bewusstsein auf, dass wir fortsetzen, was der 5. Landtag erreicht, aber auch als Aufgaben hinterlassen hat. Für ihren Einsatz und ihr politisches Engagement gebührt allen Abgeordneten der 5. Legislaturperiode unser Respekt und Anerkennung. Insbesondere danke ich denen, die nicht erneut für den Landtag kandidiert haben, oder denen, denen der Wiedereinzug in das Parlament nicht geglückt ist. Ihnen allen herzlichen Dank für ihren Einsatz für unsere Heimat, den Freistaat Thüringen.
Unser besonderer Dank gilt Birgit Diezel. Sie hat den Landtag in den vergangenen fünf Jahren souverän und mit großer Umsicht geführt. Als Landtagspräsidentin war es ihr stets eine Herzensangelegenheit, das Vertrauen in unser Parlament zu stärken. Sie hat die Einrichtung von Instrumentarien gefördert, die für mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz des Politikbetriebs sorgten. Ich erinnere an die Einführung des Online-Diskussionsforums, der Petitionsplattform und des erweiterten Internetangebots des Landtags. Ich erinnere auch an die schweren Stunden, als sie in unser aller Namen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes Worte der Entschuldigung für das Versagen der Behörden im Zusammenhang mit den abscheulichen Verbrechen des NSU gefunden hat. Auch die
internationalen Beziehungen wurden unter der Leitung von Birgit Diezel intensiviert, wie die neu eingerichteten Freundeskreise Kaliningrad und Tirol belegen. Mit Birgit Diezel scheidet aus diesem Parlament eine Politikerin aus, die mit Glaubwürdigkeit und großem persönlichen Einsatz für die parlamentarische Demokratie in Thüringen geworben hat.
Für dieses Engagement, liebe Birgit, danke ich dir im Namen aller Abgeordneten sehr herzlich. In meinen Dank eingeschlossen sind auch die Vizepräsidentinnen und der Vizepräsident des 5. Thüringer Landtags, Frau Dr. Birgit Klaubert, Herr Heiko Gentzel, Frau Franka Hitzing und Frau Astrid Rothe-Beinlich.
Meine Damen und Herren, für die ausgeschiedenen Kolleginnen und Kollegen sind 40 neue Abgeordnete in diesen Landtag eingezogen. Als Alterspräsidentin begrüße ich stellvertretend für alle neu gewählten Mitglieder dieses Hohen Hauses Herrn Abgeordneten Christian Schaft. Er ist mit 23 Jahren der jüngste Abgeordnete.
Im Namen aller langjährigen Landtagsmitglieder darf ich den erstmalig gewählten Kolleginnen und Kollegen versichern: Sie dürfen auf unsere Unterstützung zählen, so wie wir darauf vertrauen, dass Sie mit Ihrem Erfahrungsschatz, Ihren Ideen und Überzeugungen unsere parlamentarische Arbeit bereichern.
Wenn wir zurückschauen in die vergangenen Legislaturperioden, waren es fast immer mehr als ein Drittel aller Abgeordneten, die zum ersten Mal in unser Parlament eingezogen sind. Dieser Wechsel, meine Damen und Herren, ist ein gutes Zeichen. Er macht deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr wohl Einfluss nehmen auf die politischen Entscheidungen und dass die mit unserer Verfassung gewählte Staatsform von der Bevölkerung gelebt und getragen wird. Das breite Spektrum an Lebenserfahrung und politischen Biografien, das mit jedem neuen Landtagsmitglied in dieses Haus einzieht, empfinde ich als eine große Stärke. Sie belegt, dass wir mit unserer Demokratie die beste Staatsform gewählt haben, die unser Land je hatte. Wer die Herausforderungen der Zukunft, die sich zum Teil bereits deutlich abzeichnen und zum Teil noch im Verborgenen liegen, bewältigen will, der braucht jede Stimme, jeden Gedanken, jedes Wort.
Das Wort ist das Einzige, welches wir Parlamentarier haben, um die Willensbildung in unserer Gesellschaft zu fördern und zu gestalten. Deshalb lassen Sie uns klug und besonnen mit dem Wort umgehen. Nur so können aus Beiträgen des Einzelnen das große Ganze und damit eine gute Entschei
dung des Parlaments erwachsen. Ein guter Parlamentarier weiß, dass Worte wie Pfeile sind und man sie nicht zurückholen kann. Aber ein guter Parlamentarier weiß auch, dass eine Entschuldigung ein positiver Beitrag für eine demokratische Streitkultur ist.
Doch nun genug der mahnenden Worte. Es ist in dieser festlichen Stunde mehr als angemessen, mit Freude auf die Entwicklung unseres Landes seit 1989 zurückzublicken. Wir können stolz sein auf das, was die Menschen in Thüringen seither geschaffen haben. Die letzten 25 Jahre haben unser Land stark und nachhaltig verändert. Vieles hat sich gewandelt und ist kaum wiederzuerkennen, wenngleich auch nicht alles auf Anhieb geglückt ist. Ich habe Vertrauen, dass die Bürgerinnen und Bürger wie auch dieses Parlament die Erfolgsgeschichte unseres Freistaats fortschreiben können. Wir Abgeordneten sollten uns bemühen, noch mehr Transparenz zur Vermittlung unserer Entscheidungen herzustellen. Meine persönliche Erfahrung ist, dass man als Politikerin nur glaubwürdig ist, wenn man im ehrlichen Miteinander alles tut, was möglich ist, aber auch deutlich sagt, wo die Grenzen des Machbaren sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun zur Eröffnung dieser Legislaturperiode noch einmal mit dem Hinweis auf ein historisches Ereignis schließen. Ein Zitat, welches Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, täglich lesen können, an dem Sie täglich vorbeigehen - es stammt von Ricarda Huch, einer Historikerin und Schriftstellerin. Sie war Alterspräsidentin der Thüringer Landesversammlung, die im Juni 1946 einberufen wurde, um den Wiederaufbau der staatlichen Ordnung in Thüringen vorzubereiten. Ihre Worte sollten Leitbild für unsere zukünftige Arbeit sein: „Es sei dem Lande Thüringen beschieden, dass niemals mehr im wechselnden Geschehen ihm diese Sterne untergehen: das Recht, die Freiheit und der Frieden.“ Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Gemäß § 1 Abs. 3 der Geschäftsordnung ernennt der Alterspräsident zwei Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern. Es ist parlamentarischer Brauch, stets die jüngsten Abgeordneten jeder Fraktion zu vorläufigen Schriftführern bzw. Wahlhelfern zu benennen.
Ich berufe aus der Fraktion DIE LINKE Herrn Abgeordneten Christian Schaft und von der Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Diana Lehman als vorläufige Schriftführer. Ich bitte Herrn Abgeordneten