Protocol of the Session on October 18, 2012

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann doch nicht hergehen und kann sagen, Thüringen 2020, wir gestalten, und dann bieten Sie uns so was an, das kann nicht sein. Was entscheidet das Parlament 2020, was entscheiden die Menschen in Thüringen im Jahr 2020. Das ist jedenfalls keine Entscheidungsgrundlage. Deswegen sage ich Ihnen, Herr Voß, sind Sie an dieser Stelle gescheitert.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Das kann man auch anders sehen.)

Sie haben gesagt, Sie möchten - ich treibe es auf die Spitze - den Haushalt 2020 sicher in den Hafen führen. Ich sage Ihnen, was Sie machen: Thüringen treibt sehenden Auges auf den Orkan zu und Sie nehmen ja nicht mal das Ruder in die Hand. Sie reden ja nicht mal über Backbord oder Steuerbord. Sie lassen sich einfach in den Orkan reintreiben und das macht mich an der Stelle wirklich fassungslos.

Mich macht auch fassungslos, dass Sie so tun, als habe im Sommer die Schattenboxerei gar nicht stattgefunden, als hätte man sich gar nicht miteinander gestritten, als sei es niemals diskutiert worden, welche volkswirtschaftlichen Bedenken die SPD gefunden hat und warum gewagte Zinsrechnungen zum Schuldendienst und andere Dinge in den Zeitungen aufnotiert wurden, um zu zeigen, ein Doppelhaushalt sei nicht möglich. Dass man dazu

nicht mal steht, auch das wundert mich, das muss ich an dieser Stelle so deutlich sagen. Sie haben ja, liebe SPD-Fraktion, in einer Hinsicht völlig recht, die externen Risiken für den Haushalt sind enorm. Sie kennen alle die Prognosen des IWF. Sie wissen, die Bundesregierung hat die Prognosen noch mal bestätigt. Sie sehen, dass es schwierig wird. Die Lage wird immer schwieriger und die Krise in Europa ist bei Weitem nicht ausgestanden, auch das wissen Sie. Und noch mal - vor diesem Hintergrund stellen Sie sich hier hin und sagen, dies sei ein guter Haushalt. Ich bin an der Stelle mehr als irritiert darüber, dass Sie das so tun, denn Schönreden allein macht keine gute Politik. Und die Menschen wissen das, die Menschen erkennen das.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen ein Satz zu meinem Vorredner, der meinte, mal schauen, wer 2014 im Landesparlament noch vertreten ist. Gott sei Dank entscheidet das nicht die CDU, sondern das entscheiden die Menschen in Thüringen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Ja, genau.)

Lassen Sie mich auch Folgendes klarstellen. Die schwarze Null des Thüringer Haushalts, die wir jetzt haben, die resultiert paradoxerweise unter anderem auch aus der Schieflage, die wir weltwirtschaftlich haben. Weil in Südeuropa Höchstzinsen zu zahlen sind, kann Herr Voß günstigere Kredite für Thüringen bekommen. Das muss man sich mal vorstellen, wie paradox das ist und was es am Ende auch heißt, wenn Zinsen wieder steigen und wenn das ganze Kartenhaus, was Sie hier dargelegt haben, wieder ins Wanken gerät.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die neuen Konjunkturdaten zeigen eine Eintrübung und die SPD reagiert mit folgenden wegweisenden Worten - Zitat: „Wir hoffen, dass das keine größeren Auswirkungen auf den Thüringer Haushalt hat.“ Dann geht es weiter: „Diejenige Fraktion und die Partei, die in Regierungsverantwortung ist, regiert nach dem Prinzip Hoffnung.“ Ich muss Ihnen wirklich sagen, an dieser Stelle fehlt mir das Verständnis dafür, wie man so eine Einordnung treffen kann und wie man zum volkswirtschaftlichen Wohle des Freistaats mit 66 Mio. jegliche Bedenken wegwischen kann, dass die Situation für Thüringen so prekär sei. Scheinbar, und das haben wir in diesem Sommer gelernt, reduzieren Mehrausgaben im Haushalt - 66 Mio. - das faktische Haushaltsrisiko. Das ist jedenfalls das, was ich daraus schließe, dass die SPD auf einmal alle Risiken, die sie vorher aufgemacht hat, weggewischt und dem Doppeletat zugestimmt hat. Ich finde, irgendjemand sollte die Thüringer SPD für den Wirtschaftsnobelpreis vorschla

gen. An dieser Stelle ist das schon etwas ganz Besonderes, wie man da argumentiert.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Die Himbee- re.)

Oder das, oder die Himbeere, Herr Barth.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Koalition, die Koalition hat heute nicht gesagt, wie es gehen soll. Deswegen sage ich Ihnen, wie wir finden, dass gute Haushaltspolitik aussehen kann. Noch mal rufen Sie sich in Erinnerung, was das 2020 heißt. Wir haben faktisch keinen Gestaltungsspielraum. Den gibt es nicht. Deswegen muss man sich aus unserer Sicht von vier „E“ leiten lassen. Diese vier „E“ in der Haushalts- und Finanzpolitik stehen für 1. Ehrlichkeit, dieser Haushalt ist nicht ehrlich; 2. Einsparungen;

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

3. Effizienzsteigerung und 4. Einnahmeerhöhung.

Diese vier Punkte will ich gern ausdifferenzieren und zeigen, was uns wichtig ist. Ich hätte mir, ich habe das schon gesagt, heute Morgen gewünscht, dass der Finanzminister ganz klar sagt, welchen politischen Gestaltungsspielraum wir haben. Ich habe Ihnen gerade gezeigt, dass es mehr als nötig ist, strukturelle Veränderungen auch wirklich vorzunehmen. Ich hätte mir gewünscht, dass er sagt, die steigende Steuerkraft hat die Koalition vor dem Crash gerettet an dieser Stelle, weil diese 66 Mio. nicht zur Verfügung gestanden hätten, wenn es der Konjunktur nicht so gut ginge. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die Mai-Steuerschätzung und die 96 Mio., die Sie zusätzlich im Haushaltstopf haben, dafür sorgen, dass diese Koalition weiter besteht. Das heißt, dass nicht Ihre Politik, das ist der logische Schluss, Sie über die nächsten zwei Jahre rettet bis zum Ende der Legislatur, sondern die Konjunktur. Dank der Konjunktur können Sie bis zum Ende der Legislatur weiter Politik machen. Was das für Politik ist, darüber lässt sich trefflich streiten.

Ich sage weiterhin, dass dieser Haushalt nicht ehrlich ist, weil er Schattenhaushalte birgt. Ja, es gibt Verpflichtungen, die heute hier auch schon in Rede standen, über die es in diesem Haushalt keine Spiegelung gibt - Sondervermögen ökologischer Altlasten, als Stichwort oder das Althaus-Wahlgeschenk Wasser und Abwasser.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Das sind alles Dinge - Herr Huster stimmt mir zu -,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die künftig, auch über das Jahr 2020 hinaus, für eine Kostenexplosion sorgen werden. Erinnern Sie sich allein an die Debatte zum Thema Kali-Altlasten. Das Land muss seine vertraglichen Verpflich

tungen einerseits erfüllen, auf der anderen Seite sitzen wir auf einem Pulverfass, weil wir gar nicht wissen, in welcher Höhe die eigentlich aussehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 400 Mio. € sind in Rede zu diesem Thema ökologische Altlasten und ich frage Sie, erstens, warum taucht das nicht im Haushalt auf, und zweitens, wenn Sie es nicht eingliedern als Sondervermögen wenigstens in den Haushalt und deutlich machen, dass es auf uns zukommt, müssen Sie wenigstens erwähnen, was Sie für eine Lösung haben. Die habe ich heute nicht gehört.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Sondervermögen gehören in den Haushalt, das sagen wir ganz deutlich, weil Sie dann nämlich wirklich Haushaltsklarheit und -wahrheit hätten und wenigstens einen kleinen Beitrag zur Ehrlichkeit beitragen würden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Haushalt ist weiterhin nicht ehrlich, davon sind wir fest überzeugt, weil er - da stimme ich dem Kollegen Mohring ausdrücklich nicht zu - Personalentwicklung nicht in den Blick nimmt. Ganz eindeutig reicht es nicht, einfach über den Personalabbaupfad zu reden, Personalentwicklung nicht zu machen unter der Überschrift: Das ist nichts, was tatsächlich Kosten spart. Das ist falsch. Das ist falsch und das ist eine Dimension so ähnlich wie beim Bingospielen ohne Hauptpreis. Das kann doch nicht sein, dass man, wenn man allein auf Personalabbau setzt und keine Personalentwicklung - übrigens ressortübergreifend - initiiert, davon ausgeht, dass dieses Land künftig handlungsfähig ist. Das funktioniert nicht und deswegen sagen wir, wir brauchen ressortübergreifende Personalentwicklungen und eine gute Idee, wie tatsächlich abbaubare Stellen und die Aufgaben dieser Stellen weiter begleitet werden können.

Wir sagen drittens, dieser Haushalt ist nicht ehrlich, weil Taschenspielertricks, wie sie bei der geplanten Hortkommunalisierung anstehen - gutes Stichwort nicht funktionieren. Sie können doch nicht hergehen und können sagen, übrigens, wir machen Personalabbau, und dann schieben Sie einfach die Mittel in die Sachkostenfinanzierung im KFA und tun so, als hätten Sie 1.333 Stellen abgebaut.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das funktioniert nicht und deswegen ist ehrliche Personalentwicklung auch das, was her muss, und dazu müssen Sie auch stehen.

Unehrlich ist dieser Haushalt auch noch an einer anderen Stelle, weil der Umgang mit Verpflichtungsermächtigungen oder mit der Frage, wie Kosten nach 2015 tatsächlich aufgebracht werden können an manchen Stellen - Stichwort Krankenhausfinanzierung - nicht sichergestellt sind. Vielleicht ver

raten Sie uns mal, wo ab 2015 die 20 bis 30 Mio. € herkommen sollen, die das Land dann, wenn die Krankenhausfinanzierung so weitergeschrieben wird, wie sie im Augenblick geschrieben ist, tatsächlich weitergeht

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und die Krankenkassen nach derzeitigem Stand aus der Kofinanzierung aussteigen. Das ist aus diesem Haushalt nicht ersichtlich, lauter unkalkulierbare Risiken. Deswegen sagen wir, dass dieser Haushalt nicht ehrlich ist und wir schließen uns dieser Euphorie darüber, dass sich zwei am Ende über irgendwas geeinigt haben, nicht an.

Wir schließen uns übrigens auch nicht der Tatsache an, dass Sie meinen, wenn Sie über die EUFörderperiode sprechen und da jetzt neu verhandelt wird, was 2014 bis 2020 Prioritäten sind, das am Parlament vorbei geschieht. Auch das gehört zu einem ehrlichen Haushalt dazu, dass man sagt, unser Ansatz ist, gemeinsam darüber zu reden, wie das Ganze ehrlich miteinander bewertet wird.

Zweiter Punkt, Einsparungen, das zweite E: Da kommen wir mal zu dem Punkt, dem Märchen und dem Gerücht - und hier ist es tatsächlich ein Märchen -, die CDU stünde als Schwarze für schwarze Zahlen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

16,3 Mrd. € Schulden und das gehört auch zur Wahrheit, dass man sagt, der Schuldner wird mal beim Namen genannt. Der sitzt hier in diesem Saal und tut so, als hätte er mit diesen Schulden nichts zu tun.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da nützt übrigens auch die Schuldenuhr der FDP nichts. Der Schuldenstand in Thüringen hat sich je Einwohner von 2006 bis 2010 allein von 6.804 € auf 7.223 € immer noch kontinuierlich erhöht. Das ist auch nicht so, dass der Weckruf ab 2005 in irgendeiner Form hier Einzug gehalten hätte. Im Gegenteil, Sie haben das Sparen weder erfunden noch haben Sie es praktiziert, noch sind Sie in Vorleistung gegangen und haben uns gezeigt, dass Sie es können. Das will ich Ihnen mal ganz eindeutig sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Den Beweis müssen Sie noch erbringen. Gehen Sie nicht hier durch das Land und behaupten, dass Sie es könnten, denn der Beweis steht aus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen sagen, ich bin ja dankbar, dass der Finanzminister heute Morgen eingeladen hat, fraktionsübergreifend über die Schuldenbremse zu reden. Das haben wir auch getan im Jahr 2011. An

fang 2011 haben wir alle Fraktionen eingeladen, in eine ernsthafte Debatte zum Thema „Schuldenbremse“ einzutreten. Wer hat sich dann dazu gemeldet? Es hat interessanterweise sofort eine Reaktion der Fraktion DIE LINKE gegeben, dafür ausdrücklichen Dank, und der Fraktion der SPD. Ich hatte nicht den Eindruck, dass CDU und FDP über die Frage Schuldenbremse reden wollen, denn ich habe von Ihnen keine Nachricht oder in irgendeiner Form eine Bereitschaft gehört, sich dazu zusammenzusetzen, und dann jetzt hierher zu gehen und zu sagen, wir haben es erfunden, auch das finde ich schwierig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ärgert mich vor allen Dingen deswegen...