Protocol of the Session on June 22, 2012

(Beifall im Hause)

Mir ist signalisiert worden, dass es keine Aussprache zu diesem Bericht gibt. Ich kann demzufolge den Tagesordnungspunkt 26 schließen.

Ich rufe nun auf den Tagesordnungspunkt 8

Abschiebungen in den Kosovo aussetzen Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/3611 dazu: Beschlussempfehlung des Innenausschusses - Drucksache 5/4581

dazu: Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/4604

dazu: Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drucksache 5/4494

Ich bitte den Abgeordneten Gentzel zum Bericht aus dem Innenausschuss.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, der Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Abschiebung in den Kosovo aussetzen“ in der Drucksache 5/3611 wurde erstmals in der 74. Sitzung des Thüringer Landtags am 16.12.2011 beraten. Er wurde zur weiteren Beratung an den Innenausschuss überwiesen. Der Innenausschuss beriet den Antrag erstmals in seiner 37. Sitzung am 20. Januar 2012. In der Vorlage 5/2183 beantragten die Fraktionen der CDU und der SPD eine Informationsreise in den Kosovo. Der Ausschuss beschloss zudem, die Beratung zu vertagen und nach der beschlossenen Informationsreise fortzusetzen. Als Berichterstatter wurde meine Wenigkeit bestellt.

In der 38. Sitzung am 3. Februar 2012 verständigte sich der Innenausschuss über Dauer, mögliche Termine sowie weitere Rahmenbedingungen der Informationsreise. Alle Fraktionen unterbreiteten Vorschläge zu Reiseverlauf und Gesprächspartnern vor Ort. Die Informationsreise der Delegation von Mitgliedern des Innenausschusses fand dann vom 5. bis 9. März 2012 statt. In seiner 40. Sitzung am 16. März 2012, in seiner 43. Sitzung am 25. Mai 2012 und in seiner 44. Sitzung am 15. Juni 2012 behandelte der Innenausschuss den Antrag weiter.

In der Drucksache 5/4494 wurde ein Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD vorgelegt. Im Ergebnis seiner Beratungen empfiehlt der Innenausschuss, den Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/3611 abzulehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Abg. Fiedler)

(Beifall CDU)

Ich eröffne die Aussprache und rufe als Erste für die CDU-Fraktion Frau Abgeordnete Holbe auf.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Landtagskolleginnen und -kollegen, bevor ich zum eigentlichen Antrag komme, möchte ich die Gelegenheit nutzen und Sie auf den Weltflüchtlingstag, der vorgestern, am 20.06., stattgefunden hat, aufmerksam machen und auch noch mitteilen, dass Deutschland nach Pakistan, Iran, Syrien an vierter Stelle der Länder steht, die Flüchtlingen Asyl gewähren.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das ist Quatsch.)

Wir haben, wie angekündigt, den Antrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksache 5/3611 hier zur Beratung vorliegen, dazu die Beschlussempfehlung und den Alternativantrag der CDU- und der SPD-Fraktion in Drucksache 5/4494. Einige von Ihnen werden zu Recht sagen: Was soll der Antrag - der geforderte Abschiebestopp von Sinti, Roma, Ägyptern und Ashkali war beantragt zum April 2012; er hat sich selbst überholt -, was bezweckt nun diese Debatte? Zum einen könnte man sagen, der nächste Winter kommt bestimmt, und zum anderen war es uns, der CDUFraktion, wichtig, die notwendige Zeit zu haben, um uns umfassend zu diesem Thema zu informieren, zumal Innenminister Geibert mehrfach erklärt hat, dass in besagtem Zeitraum keine Abschiebungen anstünden, ausgenommen straffällige Asylbewerber,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Es hat aber eine stattgefunden.)

die aber zum damaligen Zeitpunkt nicht auszumachen waren. Ihnen ist bekannt, dass auf Antrag der CDU- und der SPD-Fraktion die Informationsfahrt in den Kosovo Anfang dieses Jahres, im März, durchgeführt wurde; keine Vergnügungsfahrt, wie manchmal behauptet, sondern eine Fahrt mit einer Fülle von Gesprächsrunden und Vor-Ort-Besichtigungen. Mein Dank an dieser Stelle der Landtagsverwaltung, die uns Gelegenheit gab, mit der Deutschen Botschaft, dem KFOR-Generalstab, mit dem BAMF, mit Regierung, mit Nichtregierungsorganisationen, Vereinen und Betroffenen zusammenzukommen.

(Beifall CDU)

Nachdem ich mir vorher aus verschiedenen Studien von UNICEF, UNHCR, Menschenrechtsorganisationen sowie meinen Internet-Recherchen die Erkenntnisse zusammengetragen habe, muss ich sagen, war es schon gut, noch mal vor Ort ein eigen

ständiges, umfassendes Bild von der Situation im Land zu bekommen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Die Studien wurden bestätigt.)

Dabei ging es nicht nur ausschließlich um das Thema des Abschiebestopps für den oben genannten Personenkreis, sondern um die Lage im Land und die Reintegration von Rückkehrern durch Regierung, aber auch durch Nichtregierungsorganisationen.

Der Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit erklärt und sich Grundwerte in seine Verfassung geschrieben, die sich an den Grundwerten europäischer Verfassungen orientieren. Das betrifft somit auch den Schutz und die Partizipation von Minderheiten in der Republik Kosovo. Seit 2000 begleitet die Europäische Union den schrittweisen Umwandlungsprozess von einer sozialistisch geprägten Ökonomie in eine offene Marktwirtschaft. Das Erbe aus der Zeit vor 2000 prägt auch heute noch das Land, das aus strukturarmen Regionen mit überwiegend einfacher Agrarstruktur besteht. Auch die Folgen des Krieges, der ’98/99 endete, sind noch vielerorts wahrzunehmen.

In den wenigen Tagen unseres Aufenthalts wurde uns natürlich die immer noch prekäre wirtschaftliche Situation offenbar, allerdings auch die Bemühungen der kosovarischen Regierung um Modernisierung und Angleichung der ökonomischen Strukturen und der Integration aller im Land lebenden Minderheiten. Auch die politische Lage der beiden Nordregionen um Mitrovica und die Lageeinschätzung durch den General Drews bei den KFORTruppen zeigt deutlich, was in diesem Land noch geleistet werden muss, um es zu befrieden.

Um die Entwicklung und die Stabilisierung des Landes zu forcieren, ist es notwendig, insbesondere die außer Landes weilenden Bürger des Kosovo dort wieder zu integrieren. Deshalb wurde zwischen den Staaten Deutschland und dem Kosovo am 14.04.2010 ein Rücknahmeabkommen geschlossen. Dies um so mehr, als sich nicht wenige dieser Menschen in Europa einer umfassenden Bildung unterzogen haben und bereits gefragte Berufe ausüben. Auch dazu haben wir ein gutes Beispiel hören können. Gerade an diesem Potenzial ist die Regierung des Kosovo besonders interessiert und hat entsprechende Maßnahmen zur Reintegration veranlasst. So bietet sie den größtenteils zerstreut in Europa lebenden kosovarischen Bürgerinnen und Bürgern Anreize, um sie in ihre angestammte Heimat zurückzuholen. Wir haben auch gesehen, dass gerade die Familienbindung eine große Rolle im Zusammenleben darstellt: Familien unterstützen sich gegenseitig, sowohl aus dem Ausland, aus Deutschland heraus, aber auch bei der Rückkehr durch die Daheimgebliebenen. Es gibt natürlich Ausnahmen. Eine davon haben wir gesehen beim

(Abg. Gentzel)

Besuch der Roma-Familie Begani, die vollständig auf staatliche und anderweitige Hilfe angewiesen ist und es dadurch sehr schwer hat, ihr Leben zu bewältigen.

Für die Rückkehrer wurden zahlreiche Maßnahmen getroffen - Sprachkurse für Minderheiten, Einrichtung von Büros in den Gemeinden für die Rückkehrwilligen, Wiedereingliederungshilfe bei Wohnungs- und Arbeitssuche und auch Existenzgründungen zur Führung in die Selbständigkeit. Im Gespräch mit der Ministerin für Europäische Integration, Frau Citaku, und in einem Gespräch mit dem Innenminister, Herrn Rexhep, wurden uns die Schwierigkeiten, aber auch die getroffenen Maßnahmen erläutert; nicht mit der rosaroten Brille, die Probleme bei der Umsetzung wurden uns schon mit großer Klarheit und Offenheit umrissen. Der Kosovo ist ein armes Land, dem es schwerfällt, große Wohltaten zu verteilen. Deshalb ist die Unterstützung durch zahlreiche internationale Hilfsorganisationen und die EU zwingend notwendig. Mit ihnen sind wir auch ins Gespräch gekommen; ich erinnere an die Runde mit der AWO, dem Arbeiter-Samariter-Bund, Diakonie, Caritas, aber auch Gesprächsrunden mit UNICEF, OSZE und anderen Organisationen. Auch wir haben neben vielen guten Projekten und Hilfsangeboten Fortschritte erkannt, aber auch bestehende Defizite ausmachen können. Einerseits stellt die Regierung Hilfsprogramme auf und Gelder zur Verfügung, um die Reintegration zu sichern und Diskriminierung zu verhindern. Andererseits fehlen fachkundige Beratungen, zum Beispiel in diesen gemeindlichen Anlaufstellen in den Gemeinden, und manchmal auch die Begleitung der Rückkehrer, die oftmals auf ein halbes oder unter Verwendung verschiedener Programme auf ein Jahr gegeben ist, die dann doch zeitlich zu kurz sind. Lebensauffassungen der Sinti und Roma sind in ihren Traditionen schon andere als die der kosovarischen Bevölkerung. Das führt auch zu Problemen, die an einfachen Dingen zu sehen sind, an Registrierung oder an der Umsetzung der Schulpflicht. Knapp die Hälfte der Kosovaren lebt in Armut bzw. großer Armut. Die Folgen des Krieges haben wir gesehen, ich habe recherchiert, 160.000 Häuser sind zerstört. Aufgrund fehlender Bildung leben zahlreiche Bürger im besten arbeitsfähigen Alter von Gelegenheitsjobs. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent, in Gegenden wie Mitrovice sogar um 60 Prozent und bei der Gruppe der Roma, Ashkali, Ägypter, Sinti, also diese „RAE“Gruppe, sogar um 90 Prozent. Den Rückkehrern fehlen oft albanische Sprachkenntnisse, Dokumente, Schulzeugnisse, die notwendig sind, um sich registrieren zu lassen, um damit zügig in diese bestehenden Programme zu kommen. Diese Schwierigkeiten treffen umso mehr die Rückkehrer, die dieser Gruppe der „RAE“ angehören. Durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Länder Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein

Westfalen und Sachsen-Anhalt wurde gemeinsam ein Programm für freiwillige Rückkehrer, das UR 2 aufgelegt; sie betreiben es seit einigen Jahren und geben hier umfangreiche Maßnahmen zur Unterstützung und Wiedereingliederung. Wir konnten uns hier mit der Leiterin, Frau Budde, und ihren Mitarbeitern von der geleisteten Arbeit überzeugen, die meiner Auffassung nach zielgenau, konkret den Betroffenen zugute kommt. Mein Kollege und ich waren sehr begeistert von dieser Arbeit und haben auch in unserem Antrag entsprechend aufgenommen, dass man prüft, ob dieses UR-2-Programm für uns mit zur Verfügung steht, dass Thüringen hier einsteigen kann.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Anfrage durch die Abgeordnete Berninger?

(Beifall CDU)

Ich möchte mit meiner Rede fortfahren, Sie haben ja dann Gelegenheit, hier zu sprechen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das weiß ich, Frau Holbe.)

So wird die Soforthilfe, Hilfe bei Wohnungssuche, Übernahme von Miete, Heizkosten, Erstausstattung, Überbrückungsgeld, Kostenerstattung bei Medikamenten, psychotherapeutischer Betreuung gewährt. Für Reintegrationsprogramme gibt es Zuschüsse für Sprachkurse, Ausbildung, Job-Vermittlung - mit einer guten Vermittlungsquote, wie uns offeriert wurde -, Existenzgründungen, Schul- und Grundausstattungen und auch Nachbetreuung über das halbe Förderjahr hinaus. Das sind Zuschüsse, die natürlich nicht sehr üppig sind, aber den allgemeinen Lebenskosten angemessen sind, und deshalb haben wir dieses Projekt aufgegriffen, ich sagte es bereits, und bitten die Landesregierung hier die Teilnahme an UR 2 zu prüfen.

(Beifall CDU)

Die Landesregierung wird weiterhin gebeten, auf Landes- und Bundesebene gemeinsam darauf hinzuwirken, dass eine nachhaltige Unterstützung der Rückkehrer entwickelt wird. Wir halten es auch für wichtig, dass der Ausbildungsprozess von Jugendlichen nicht kurz vor ihrem Abschluss hier abgebrochen wird und diese Betroffenen abgeschoben werden. Durch die Einführung eines von Eltern unabhängigen Aufenthaltsrechts für integrierte geduldete minderjährige Ausländer kann dies auch gewährt werden. Hier ist 2011 eine Einfügung in das Aufenthaltsgesetz gekommen, Artikel 104 b. Jugendliche haben mit einer guten Ausbildung mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Im Kosovo sind dies gefragte

Leute. Bildung ist und bleibt ein Schwerpunkt für die neue Regierung.

Ein Problem haben wir auf unserer Reise auch gesehen, dass viele in Deutschland aufgewachsene Kinder ihre eigentliche Muttersprache Albanisch nicht erlernt haben. Hier sollte man auf Bundesebene auch die Möglichkeit prüfen und darüber nachdenken, ob nicht gut integrierte Ausländer, die ihren Lebensunterhalt eigenständig verdienen können, ein Bleiberecht zunächst auf Probe und dann dauerhaft erhalten können.

(Beifall CDU)

Dies ist ein Punkt, den wir heute auch noch mal mit dem Antrag der FDP zum Bleiberecht hier behandeln, deswegen möchte ich es nicht weiter ausführen. Rückkehrer sollten alle notwendigen Dokumente, die sie in Deutschland erworben haben, auch zur Verfügung gestellt bekommen, damit die Anmeldung im Kosovo zügig vonstatten geht und auch sehr schnell gegeben werden kann. Dies ist allerdings nur bei den freiwilligen Rückkehrern möglich und kann nur hier sichergestellt werden.

Ebenso fanden wir die entsprechenden Beratungen hier in Deutschland, von denen der Leiter der Diakoniestelle, Herr Baumgarten, uns informiert hatte, die in Rheinland-Pfalz angeboten werden, sehr gut, dass hier die Rückkehrer entsprechend auf die Rückkehr in ihre Heimat vorbereitet werden. Eine vergleichbare Beratungsstelle gibt es schon jetzt in Erfurt seit 2009 von dem Raphaelswerk an den Menschen e.V. gemeinsam mit dem Caritas-Verband. Hier muss man schauen, ob dieses Angebot auch allen Rückkehrern bekannt ist und von ihnen angenommen wird.

Da die Situation im Kosovo dennoch schwierig ist, müssen wir den Personenkreis, der von Abschiebung betroffen ist, einer intensiven Einzelfallprüfung unterziehen.

(Beifall CDU)

Ein Aspekt, der uns auch wichtig ist, ist die medizinische Versorgung im Kosovo. Nicht alle Erkrankungen können zurzeit hinreichend behandelt werden. In solchen Fällen sind die Einzelfälle noch mal über die Deutsche Botschaft abzuklären und alle notwendigen Medikamente und auch die Medizintechnik, die zur Verfügung steht, zu eruieren, ob eine Behandlung weiter abgesichert werden kann. Sollte das nicht der Fall sein, müssen Abschiebungen auch ausgesetzt werden.

Zur Erteilung einer Duldung haben wir nicht nur humanitäre, sondern auch persönliche Gründe in unserem Alternativantrag formuliert. Neben der erwähnten medizinischen Betreuung kann auch die vorübergehende Pflege erkrankter Familienangehöriger herangezogen werden.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das ist bereits gesetzlich geregelt.)

Es ließe sich sicher noch sehr viel über dieses Thema reden und über unsere Reise im Einzelnen, aber ich möchte es hier jetzt zusammenfassen. Den Antrag der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksache 5/3611 lehnen wir ab.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Geändert durch einen Änderungsantrag.)

Die Notwendigkeit eines generellen Abschiebestopps für Asylbewerber aus dem Kosovo, Montenegro, Serbien, Albanien wird von meiner Fraktion nicht gesehen. Aber wir erkennen die Notwendigkeit an, jeden Einzelfall für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts durch die Ausländerbehörden intensiv zu prüfen und in dringenden humanitären, rechtlichen und persönlichen Begründungen vorübergehend auch zu gewähren. Bei der Bewertung des Einzelfalls sollten künftig auch erhebliche öffentliche Interessen sowie Jahreszeit, witterungsbedingte Ausnahmesituationen im Aufnahmeland berücksichtigt werden. Die Prüfung und die Mitarbeit am UR-2-Projekt sollte kurzfristig geprüft werden und bei positiven Ergebnissen auch umgesetzt werden.