Protocol of the Session on June 20, 2012

Meine sehr verehren Damen und Herren, für uns ist diese parlamentarische Kontrolle und das rechtsstaatliche Eingrenzen der Arbeit des Verfassungsschutzes das A und O, wenn man weiterhin über den Verfassungsschutz nachdenkt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Gentzel hat es angesprochen und es ist nötig an diesem Tag, etwas dazu zu sagen. Unglaublich ist, was diese Landesregierung dieser Parlamentarischen Kontrollkommission im Augenblick anbietet nur so viel, es ist unglaublich.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Wie? Erzählen Sie doch mal mehr!)

Es wird dazu eine Erklärung - ich glaube, es ist auch schon raus - der Parlamentarischen Kontrollkommission geben. Eines sei nur unterstrichen: Unglaublich!

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ist es das mit dem Rennsteiglied?)

Warten Sie es ab.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Jetzt sehen Sie mal, wie das ist mit dem Ge- heimen!)

Genau, das ist nämlich mein nächster Ansatzpunkt. Wir brauchen im Augenblick ein Mehr an öffentlicher Debatte um unsere Sicherheitsorgane, wir brauchen ein Mehr an öffentlicher Auseinandersetzung mit diesem Verfassungsschutz, mit diesem Landesamt für Verfassungsschutz und den hier ganz konkret wirkenden Personen und nicht weniger an öffentlicher Debatte.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle ist ganz deutlich zu sagen: Die Verweigerung von CDU und SPD, diesen Gesetzesantrag - zu dem man stehen mag, wie man will - der LINKEN nicht im Ausschuss zu diskutie

ren, nicht mit Fachleuten zu diskutieren in einer ordentlichen Anhörung, ist der komplett falsche Weg.

(Beifall DIE LINKE)

Ich gestehe, ein Tagträumer gewesen zu sein, dass ich glaubte, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen in der Lage sei, eine hinreichende Reflexion aufzubringen und zu erkennen und zu wissen, dass sie selbst gefordert sind, selbst etwas anzubieten, wie man ihre Arbeit verbessern muss und verbessern kann. Es war komplett illusorisch, darauf zu hoffen. Man sieht, nicht einmal dieses Innenministerium ist in der Lage, hier anständige Vorschläge zu machen, und der Verfassungsschutz wird es auch nicht tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für uns kann es nur eines geben: Wir brauchen einen Verfassungsschutz. Das ist unser Bekenntnis von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dieser Verfassungsschutz braucht harte Grenzen, er braucht ein neues Ziel und wir brauchen im Kampf gegen rechts die Zivilgesellschaft, und diese Zivilgesellschaft braucht aber den Verfassungsschutz nicht. Das aufzulösen und in eine sinnvolle politische Debatte zu bringen, ist die Aufgabe der nächsten Jahre, ist die wichtige innenpolitische Debatte für diese weiterhin verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode. Wir GRÜNEN stellen uns dieser Debatte und hoffen darauf, noch viele fruchtbare Diskussionen führen zu können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hoffen, dass wir in Thüringen irgendwann einen Verfassungsschutz haben werden, dem dieses Parlament vertrauen kann. Im Augenblick ist dies nicht der Fall, vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Renner das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Beratung des von der Fraktion DIE LINKE vorgelegten Entwurfs für ein Gesetz zur Auflösung des Landesamts für Verfassungsschutz und Neuordnung der Aufgaben zum Schutz verfassungsrechtlicher Grundwerte in zweiter Lesung offenbart doch zweierlei bei der Regierungskoalition: 1. mangelnde Bereitschaft, sich in den Fachausschüssen inhaltlich auseinanderzusetzen, und 2. was ist der Grund dafür? Ich würde sagen, tatsächlich Angst davor, dass die letzten verzweifelten Argumente für diesen Geheimdienst ins Wanken geraten. Aber ich verspreche Ihnen, auch mit der Ablehnung unseres Gesetzentwurfs heute wird weiterhin dieses Wanken in Thüringen, dieser schwankende Boden, auf dem der Geheimdienst, das Landesamt steht, fort

dauern, und wir werden die Diskussion weiterführen über diesen Tag hinaus.

(Beifall DIE LINKE)

Während FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trotz grundsätzlicher Ablehnung und auch sehr formulierter Ablehnung unserer Vorschläge dazu bereit waren, im Innenausschuss zu diskutieren, lehnten Sie die Überweisung an den Fachausschuss ab. Wir sagen Ihren Argumenten zum Trotz - da möchte ich gern auch an Dirk Adams anschließen -, dieser Gesetzentwurf ist keine Reaktion auf das offensichtliche Versagen des Verfassungsschutzes im Fall NSU, sondern dieser Gesetzentwurf ist die Bürgerrechtsantwort auf einen Geheimdienst, der eine Risikotechnologie für die Demokratie darstellt. Eine Risikotechnologie, weil er kontroll- und schrankenlos nach politischem Gutdünken in Grundrechte eingreift. Eine Risikotechnologie, weil er geleitet durch die Extremismustheorie eine Verharmlosungsfunktion gegenüber den Gefahren des Neonazismus und eine staatliche Verunglimpfungsfunktion gegenüber gesellschaftskritischen, politischen Strömungen hat.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das war klar. Das sind Sie dann, ja?)

Ja, natürlich. Der VS überwacht uns. Der VS forscht uns aus. Wir als demokratische LINKE stehen im Fokus dieses Geheimdienstes und das ist eine staatliche Verunglimpfung der emanzipatorischen LINKEN in diesem Land.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Eine Risikotechnologie, weil sein Anspruch, die Stelle der staatlichen Zuständigkeit zum Schutz der Demokratie zu sein, Menschen von zivilgesellschaftlichem Engagement abhält, und das ist entscheidend, eine Risikotechnologie, die ihre eigene Arbeit durch Duldung, Förderung und Finanzierung neonazistischer Strukturen legitimiert. Man kann und man muss es noch zugespitzter sagen: Der VS agiert als quasi der Gesellschaft vorgelagerter Staatsschutz und klärt über Strukturen auf, an deren Aufbau er selbst beteiligt war. All dies sind Gründe dafür, dass DIE LINKE - wie Herr Fiedler in der ersten Lesung zu Recht festgestellt hat - seit mindestens 15 Jahren die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes fordert. Wir fordern den Ausstieg aus der sicherheitspolitischen Risikotechnologie Geheimdienst und einen Einstieg in wirklich demokratische und transparente Strukturen zum Schutz von Demokratie, Verfassung und Menschenrechten. Unsere Gründe hierfür sind nicht thüringenspezifisch, aber wo sonst gibt es derzeit einen konkreten Anlass dafür, einen all die für eine Auflösung dieses unsäglichen Dienstes sprechenden Gründe zusammenfassenden Gesetzentwurf zur Beratung

(Abg. Adams)

vorzulegen als hier in Thüringen. Wenn Sie so wollen, in Thüringen kann das Menetekel eines Geheimdienstes jeden Tag von Neuem besichtigt werden. Einen Blick auf das Menetekel haben wir heute schon wieder werfen können, ich glaube, sogar zweimal, einmal in der PKK und einmal in der Meldung des MDR, dass der V-Mann Tino Brandt in Baden-Württemberg ein Haus erworben hat von 2004 bis 2008, das in der Nähe von Heilbronn liegt, in dem Ort, in dem die Thüringer Polizistin Michele Kiesewetter durch den NSU ermordet wurde.

Hier in Thüringen müssen wir den Weckruf an die Demokratie beantworten und die Diskussion werden wir über diesen Tag hinaus führen. Sie kommen in Ihren Gesetzentwürfen zum VS-Gesetz zu anderen Schlüssen; das ist legitim. Aber wir sagen auch, Ihre Vorstellung zur gesetzlichen Regelung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und VS und einer veränderten parlamentarischen Kontrolle kommt einer Laufzeitverlängerung für diesen unheilsamen Dienst gleich. Wir sagen an dieser Stelle, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Sie hingegen wollen am Dienst festhalten, an geheimdienstlichen Befugnissen, an den VLeuten. Sie begnügen sich damit, die Kontrollrechte in Thüringen auf ein Niveau zu heben, das noch unterhalb der Kontrollbefugnisse des Nachrichtendienstkontrollgesetzes liegt und im Fall des NSU ebenso versagt hat wie die parlamentarische Kontrolle in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE)

Und Sie stellen sich gar nicht mehr die Frage, ob die Ursachen für ein zwingendes Scheitern einer parlamentarischen Kontrolle im System eines Geheimdienstes nicht selbst liegen. Die Frage, glaube ich, muss auch nach der heutigen Sitzung der PKK beantwortet werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist der Punkt, an dem wir einfach unterschiedliche Auffassungen haben. Denn ziehen wir doch einmal Bilanz über das hier im Parlament vorhandene Wissen über das Wirken des Geheimdienstes, ob nun unter Roewer oder dem aktuellen Präsidenten Herrn Sippel. Da ist Thomas Dienel, der zwielichtige, absolut unzuverlässige, geschwätzige V-Mann, der viel Geld bekommt zum Aufbau der Nazistrukturen, trotz Warnung und Hinweis immer weitergeführt und weitergeführt wird. Tino Brandt, der angeworben wird und kurze Zeit später wird der THS gegründet, der ebenso viel Geld in die Szene pumpt, der kriminell ist, der 35 Ermittlungsverfahren hat, keines davon endet mit einer Verurteilung, der ein Gelände für Wehrsport anmietet, der illegal Waffen besitzt und an Schießübungen teilnimmt, der vom Verfassungsschutz vor der Polizeirazzia gewarnt wird, vor Observationen durch Polizeifahrzeuge, der Hinweise bekommt auf bevorstehende

Telefonüberwachungsmaßnahmen der Polizei bei Neonazikameraden und vieles mehr. Dann das fachlich unqualifizierte Personal mit zweifelhaftem Werdegang, das im Landesamt wirkte und immer noch wirkt, die Auswirkungen auf das NPD-Verbotsverfahren, die Nichtbeantwortung von Behördenanfragen wie der GFAW zu Neonazi-Funktionären, die dort um Existenzgründerunterstützung baten, das Nichtwissen bei Verkauf von landeseigenen Immobilien an Neonazis und Neonazi-Vereine, die belanglosen Jahresberichte ohne jeden Neuigkeitswert und - wir haben es zuletzt diskutiert - die fachlich eher desinformierenden Ausstellungen und Vortragsveranstaltungen und nicht zuletzt, und das muss heute auch gesagt werden, „Operation Rennsteig“, 10 Spitzel im Thüringer Heimatschutz, das ist die Spitze von dem, was alles die letzten Wochen zur Diskussion steht. Diese Organisation, aus der auch der NSU entstanden ist und zu dem wenigstens die drei Täter, aber auch deren Umfeld gehörten, diese Organisation ist in einem Maße durchsetzt gewesen vom VS über viele Jahre, so dass die Frage wirklich im Raum steht, ob hier der Geheimdienst eine steuernde Funktion in dieser Neonazi-Struktur eingenommen hat. Man kann die Aufzählung lange fortsetzen, die Fakten sind bekannt. Unsere Sorge ist: Ist das eigentlich alles? Man traut sich ja fast gar nicht mehr zu fragen: Was kommt da die nächsten Tage noch, was kommt da die nächsten Wochen noch, was und wer schlummert da noch im Amt? Ich glaube, der Skandal im Thüringer Landesamt ist noch lange nicht vorbei und die Debatte um dieses Landesamt schon gar nicht.

Meine Damen und Herren, all das, was ich erwähnt habe - ist das persönliches Versagen, sind das Personen, die falsch agiert haben, ist da an der einen oder anderen Stelle die Rechtslage nicht beachtet worden, ist das nur tatsächlich die mangelhafte Rechts- und Fachaufsicht oder steckt vielleicht der Fehler im System? Diese Fragen wollten wir diskutieren im Innenausschuss, die konnten wir dort nicht diskutieren, aber diese Frage steht an. Sie wollten nicht, deswegen haben wir eine eigene Anhörung durchgeführt. Bürgerrechtsvertreter, aber auch Vertreter der Thüringer Institutionen, der Zivilgesellschaft, der Bürgerbündnisse waren zu Gast, eine Fraktion hat unsere Einladung angenommen, ich bedanke mich dafür ausdrücklich bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will an dieser Stelle zwei Zitate aus der Anhörung in die Diskussion einfließen lassen, einmal Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, selbst jahrzehntelanges Beobachtungsobjekt, man muss sagen Opfer des Bundesamtes für den Verfassungsschutz und stellvertretender Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, führte aus, ich zitiere, Frau Präsidentin: „Eine bloße Verbesserung der

parlamentarischen VS-Kontrolle, wie sie von anderen Fraktionen des Thüringer Landtags angestrebt wird, genügt auf keinen Fall, weil sich ein Geheimdienst mit seinen klandestinen Strukturen und Methoden niemals offen und demokratisch kontrollieren lässt, ohne seinen Geheimdienstcharakter zu verlieren. Ein wirklich offener, transparenter und voll kontrollierbarer Geheimdienst ist und bleibt ein Widerspruch in sich. Deshalb geht der notwendige Reformbedarf weit darüber hinaus. Die bisherigen Vorschläge auf politischer Ebene in Bund und Ländern greifen zu kurz, weil sie sich nicht an die Geheimdienststrukturen, nicht an die Substanz des VS wagen. Es sind oft Vorschläge, die darauf abzielen, die Skandalträchtigkeit geheimdienstlicher Arbeit zu verringern und die Effizienz zu steigern, obwohl Effizienz schon aus Geheimhaltungsgründen auch in Zukunft kaum mess- und bewertbar sein wird. Demokratie und Bürgerrechtsverträglichkeit spielen bei diesen Reformvorschlägen jedenfalls keine Rolle.“ Und der vorhin schon erwähnte Sönke Hilbrans vom republikanischen Anwälte- und Anwältinnenverein skizzierte es konkret: „Verfassungsschutzämter sammeln und speichern öffentliche, nicht öffentliche, manchmal auch höchst private Daten, sie spähen Szenen, Gruppen, Parteien und Individuen aus. Sie bezahlen und steuern V-Leute, sie unterhalten Kontakte zu Straftätern. Sie haben die Befugnis zu Lausch- und Spähangriffen, zu Observation und zu Telefon- und E-mail-Überwachung. Sie bilden und verfestigen Strukturen und werden nach einiger Einwirkungszeit, von heute und morgen geht das nicht, aber sie werden irgendwann auch Teil dieser Strukturen. Unter den Dogmen und Methoden und Quellenschutz kann die Tätigkeit von Nachrichtendiensten nahezu beliebig lange unter dem Siegel der Geheimhaltung erfolgen. Wann dieses Siegel gebrochen wird, das entscheiden in der Regel die Dienste selbst.“ Und noch eines will ich aus der Anhörung verdeutlichen, obwohl es selbst in ihren Gegenargumenten nicht gehört wurde, aber der Vollständigkeit halber hier doch gesagt werden muss mit den Worten von Sönke Hilbrans: „Einer Politik der Abschaffung des Verfassungsschutzes sind relativ wenige juristische Steine in den Weg gelegt, so dass eine verfassungsrechtliche Betrachtung dieser Politik eher den Rücken freihält, als sie den Weg freizumachen hätte.“ Zu Ihrem Argument, Herr Adams, dass er verfassungsrechtliche Bedenken formuliert hat, das stimmt nicht, er hat formuliert, dass es möglicherweise Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit mit der bundesgesetzlichen Regelung gibt, das war seine Intention, aber er hat gesagt, eindeutig verfassungsrechtliche Bedenken sieht er nicht.

Damit will ich noch zu einigen Gegenargumenten aus der ersten Lesung aus dem März kommen. Auf die Gegenargumente von der CDU und SPD brauche ich nicht weiter einzugehen, denn die eine Position war kurz gefasst, wir wollen nicht und die an

dere Position war, wir wissen noch zu wenig, um irgendwann vielleicht dann doch zu wollen. Aber, ich denke, man muss sich noch mal mit den Argumenten von FDP, aber auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auseinandersetzen. Herr Bergner hatte formuliert, dass wir kritisieren, dass der Verfassungsschutz zu wenig wisse und zu wenig informiere. Das ist insofern richtig, dass wir eine Behörde kritisieren, die sich dadurch legitimiert und ja auch öffentlich begründet wird, dass sie Informationen liefert an Behörden, Kommunen und Öffentlichkeit und dann - was ist dann tatsächlich in Thüringen passiert, ich habe schon Immobilienkäufe erwähnt, aber man kann auch viele andere Themen erwähnen - das Gegenteil von dem macht, was sie vorgibt zu tun, sie informiert eben nicht. Nicht- und Fehlinformationen, manchmal auch Vertuschung und Deckelung und andere eben dabei auch zum Kumpanen machen, das ist die Arbeitsweise des Thüringer Geheimdienstes und deswegen trägt dieses Argument, so finden wir, Herr Bergner, nicht.

Zu den von Ihnen damals vorgetragenen Argumenten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Herr Adams, zuerst zum Argument, dass die Zivilgesellschaft mit Auflösung des Geheimdienstes in die Grauzone nachrichtendienstlicher Tätigkeiten gedrängt wird, das halten wir tatsächlich für ein skurriles Argument. Wir finden auch gerade im Kontext der Geschichte von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die einst die Auflösung aller Geheimdienste forderten und nicht nur die Auflösung des MfS, deren Auffassung etwas irritierend. An keiner Stelle - und da gibt es auch keinen Beleg dafür - besteht die Gefahr, dass in Zukunft zivilgesellschaftliche Akteure wie Beratungsstellen V-Leute führen, Telefone abhören oder Wanzen setzen. Das ist tatsächlich abwegig und ich finde, das ist auch ein Stück weit, ich sage mal, absolut verfehlt, so etwas als ernsthaftes Argument in so eine Debatte einzuführen.

(Beifall DIE LINKE)

Dann gab es von Ihnen noch den Hinweis, dass Sie es sehr problematisch finden, dass in unserem Gesetzentwurf eine Streichung vorgenommen wurde, dass wir also nicht mehr zu den Beobachtungsobjekten der Dokumentationsstelle die fortwirkenden Strukturen des MfS zählen. Dazu will ich auch etwas sagen, weil wir uns da auch ein Stück weit missverstanden fühlten. DIE LINKE - und da kann ich für meine ganze Fraktion und Partei sprechen steht zur fortdauernden notwendigen Auseinandersetzung mit den Sicherheitsstrukturen der DDR, insbesondere des MfS, dessen Infiltration der Gesellschaft, dessen politisch-instrumentelle Legitimierung. Aber eine gesetzliche Verankerung zur Ausforschung nicht mehr existenter und auch nicht mehr fortwirkender Strukturen halten wir für obsolet. Wir wollen nicht suggerieren, dass es eben diese Strukturen noch gibt und damit heute von diesen Strukturen, die nicht mehr existieren, eine Gefahr

ausgehen könnte, die dann nachrichtendienstlich bekämpft werden müsste. Wir brauchen eine Debatte um das MfS - da sind wir ganz bei Ihnen -, aber auch um andere - und da müssen wir auch immer noch Wert darauf legen - grundrechts- und bürgerrechtswidrige Strukturen in der DDR. Die Debatte kann nie auf das MfS allein verkürzt werden. Aber wir brauchen kein Gesetz, das sich mit dem MfS als Geheimdienst Nosferatu, als ewiger Untoter beschäftigt.

Zusammenfassend: Aus allen Ihren Erwiderungen haben wir kein Argument vernommen, dass es von vornherein ausschließt, die mit dem Gesetzentwurf aufgeworfene Frage gemeinsam mit Sachverständigen zu diskutieren, um beispielsweise noch einmal vertiefend wirklich dem Problem nachzugehen: Welches Defizit, welches strukturelle Loch in der Sicherheitspolitik würde dann tatsächlich durch den Wegfall des Geheimdienstes entstehen? Ich möchte auch noch mal deutlich sagen: Wir fühlen uns auch missverstanden, wenn es so gelesen wird, dass unsere Dokumentationsstelle nur zum Gegenstand die Beobachtung des Neonazismus hätte und nur hierzu Gegenstrategien entwickeln soll. Wir haben ganz klar in unserem Gesetzentwurf beschrieben, dass alle gegen die Verfassung gerichteten Bestrebungen, alle antidemokratischen Bestrebungen und eben auch nicht nur neonazistische, sondern auch rassistische und antisemitische Einstellungen und Handlungen zum Tätigkeitsfeld dieser Dokumentationsstelle zählen sollen. Daher sehen wir dort auch nicht die Gefahr, dass hier eine unzulässige Verkürzung stattfinden würde. Wir würden gern aber auch über diese Frage mit Ihnen diskutieren.

Ich beantrage deswegen noch einmal die Überweisung an den Innenausschuss und Justiz- und Verfassungsausschuss. Vorhin hieß es einmal - ich glaube, Herr Gentzel hat es formuliert -, wir sind nicht so schnell, wir müssen uns das genau überlegen. Das können wir dann im Innenausschuss ja tun. Wir haben auch keine Eile, dort die Beratung zu forcieren. Also wir können auch monatelang, auch so lange der Untersuchungsausschuss braucht, zum Beispiel einen Zwischenbericht vorzulegen, sicherlich diesen Gesetzentwurf noch in der Beratung halten im Innenausschuss.

Ich will Ihnen, falls Sie dann heute doch sagen abschließende Beratung, noch vier Argumente auf den Weg geben für unseren Gesetzentwurf. Ein Geheimdienst greift in individuelle Schutzrechte des Bürgers aufgrund einer politisch-instrumentellen Einschätzung ein, ohne dass - und das ist mir noch mal wichtig zu sagen - der Betroffene hierüber Kenntnis erlangt oder sich dagegen rechtsstaatlich wehren kann. Ein Geheimdienst wird zwangsläufig zur Nährmutter derer, die er eigentlich vorgibt zu bekämpfen. Ein Geheimdienst ist aufgrund seiner Aufgabenstruktur und Befugnisse per se nicht kon

trollierbar. Ein Geheimdienst ist zwangsläufig außerstande, auch nur nennenswerte Informationen zu liefern, die Grundlage für einen positiven Verfassungsschutz, würde ich es nennen, wären. Und ein Verfassungsschutz verortet die extreme Rechte am Rand der Gesellschaft und verhindert so die wirkungsvolle Auseinandersetzung und hat damit auch kein Konzept zur nachhaltigen Zurückdrängung entsprechender Einstellungen, Kommunikation und Handlungen.

In zwei Sätzen: Eine Demokratie braucht keinen Geheimdienst und eine Demokratie braucht auch keine Waffengleichheit mit Kriminellen und Antidemokraten.

(Beifall DIE LINKE)

Für die FDP-Fraktion hat sich der Abgeordnete Barth zu Wort gemeldet.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Renner, ich bin noch einmal vorgegangen, weil ich auf Ihre Reaktion zu meinem Zwischenruf noch etwas sagen will. Sie haben von der emanzipatorischen LINKEN gesprochen. Was das genau ist, ich weiß gar nicht, ob ich das wirklich wissen will. Was mir aber auffällt, ist, Sie werfen gern auch anderen politischen Richtungen in dieser Debatte vor, auf gewissen Augen blind zu sein. Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf anschaue, Sie normieren sehr genau, was Neonazismus ist, was Rassismus ist, usw. Aber es ist schon auffällig, dass die Begriffe Linksextremismus und auch religiös motivierter Extremismus in Ihren Ausführungen und Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht auftauchen.