Protocol of the Session on May 30, 2012

Unsere Landesverfassung - um die geht es bei unserem Gesetzesvorschlag - hingegen formuliert einen aus unserer Sicht historisch inadäquaten und politisch aussageschwachen antitotalitären Tenor, wenn in dieser Verfassung von den sogenannten überstandenen Diktaturen die Rede ist, mal abge

sehen davon, dass das Verb „überstanden“ eher nach einem Krankheitsverlauf und der Genesung klingt. Für uns bleibt es Aufgabe, genau diese klare Auseinandersetzung mit dem historischen Nationalsozialismus, aber auch dem erstarkenden Neonazismus als Staatsziel in die Landesverfassung zu formulieren, um dort auch eine Stelle zu finden, die adäquat abgebildet ist zu den eindeutigen Vorschriften und Bestimmungen im Grundgesetz. Von allen Rednern - und das ist positiv zu vermerken sind die Singularität des Nationalsozialismus und die heutigen Gefahren durch ideologische wie organisatorische Wiederbelebungsversuche betont worden.

Warum, wenn wir zu dieser gemeinsamen Einschätzung kommen, dann keine Konkretisierung des Menschenwürdegebots genau in diese Richtung: Auseinandersetzung mit Vorstellungen der Ungleichheit des Menschen, Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus in der Verfassung? Der Schutz und die Verwirklichung der Menschenwürdegarantie, der Verfassung als positive Werteordnung, humanistischer Werte, die Verwirklichung einer weltoffenen pluralistischen Zivilgesellschaft als deutliche Absage und Abkehr von neonazistischen intoleranten Inhalten, Konzepten und Gesellschaftsmodellen ist Aufgabe eben dieser Zivilgesellschaft. Da sind wir uns einig. Sie ist damit Aufgabe aller, sie ist aber auch Aufgabe des Staates, den sich diese Zivilgesellschaft als Organisationsstruktur schafft. Eine Trennung von Zivilgesellschaft und Staat in den Aufgabensphären sehen wir, was die Auseinandersetzung mit Neonazismus angeht, nicht. Daher geht der in der ersten Lesung geäußerte Vorwurf an die Einreicher des Gesetzentwurfs fehl, der da sinngemäß lautete: Die Verantwortung eines solchen Staatsziels sei eine Form des Staatsfetischismus und vernachlässige die Bedeutung der Zivilgesellschaft. Ich finde es auch komisch, wenn genau dieser Vorwurf aus einer Richtung kommt, die selbst in einem Papier aus dem Frühjahr dieses Jahres mit dem Titel, was zu tun ist nach dem NSU-Terror, unter Punkt 2 formuliert, Überschrift: Der Staat nimmt seine Verantwortung wahr. Ist das Staatsfetischismus?, muss hier gefragt werden. Offensichtlich nicht. Wenn die einen von staatlicher Verantwortung sprechen, ist es gut. Wenn die anderen von staatlicher Verantwortung sprechen, ist es schlecht. So geht es nicht. Ich glaube, da brauchen wir doch ein bisschen offenere und ehrliche Debatte.

(Beifall DIE LINKE)

Außerdem sei an dieser Stelle darauf verwiesen, es gibt in der Thüringer Verfassung zahlreiche Staatszielbestimmungen, von der Sicherung von menschenwürdigem Wohnraum im notwendigen Umfang, Artikel 15, über die Verpflichtung zur Förderung von Kindertagesstätten, Artikel 19 Abs. 3, dem Staatsziel Umweltschutz, Artikel 31, und die Pflicht

zu Maßnahmen der Arbeitsförderung, Artikel 36, bis zum Staatsziel Kulturförderung, Artikel 30 Abs. 1. Sie sind rechtlich bindend und müssen verwirklicht werden. Wenn Sie feststellen - und das ist auch in der Beratung zuletzt Anfang Mai hier formuliert worden -, dass Verfassungen keine Autorität hätten, dann doch nicht, weil DIE LINKE hier eine antinazistische Klausel zur Diskussion stellt, sondern weil herrschende Politik Grundrechte abschafft, einschränkt und missachtet. Das ist der Grund, warum Verfassungen an Autorität verlieren, und nicht, weil wir hier notwendigerweise über ein Staatsziel diskutieren.

(Beifall DIE LINKE)

Das Argument, was ich eben gehört habe, das muss ich auch als absurd zurückweisen. Es kann und soll nie Aufgabe eines Staatsziels sein und will es auch nicht, Menschen einzusperren. Was ist das für eine, ich finde, wirklich haltlose und auch infame Unterstellung, dass das Ziel einer Staatszielbestimmung in einer Landesverfassung sei! Sie können es selbst nachlesen, Sie haben es hier vorn gesagt, Herr Metz.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Das hatten wir schon einmal gehabt.)

Dass Staatszielbestimmungen offensichtlich als eine sinnvolle und wirksame Antwort auf gesellschaftliche Fragen und Probleme betrachtet werden, zeigen für uns auch entsprechende Änderungen des Grundgesetzes, an denen diverse Fraktionen, die hier im Haus vertreten sind, mitgewirkt haben. So wurden in Artikel 20 a im Jahre 1994 der Umweltschutz und 2002 der Tierschutz als Staatsziele im Grundgesetz verankert. Der vorliegende Gesetzentwurf über die Aufnahme eines Staatsziels mit klarer, eindeutiger Handlungsorientierung zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber auch mit dem Neonazismus sollte daher - und da schließe ich mich auch hier ausdrücklich den Vorschlägen der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN an - im Innenausschuss und vor allem federführend im Justiz- und Verfassungsausschuss beraten werden, und zwar mit einer Anhörung. Dies würde, so finde ich, den durchaus differenzierten, durchaus auch ablehnenden, aber diskursiven Überlegungen aus diesen Fraktionen Rechnung tragen. Ich glaube, dafür sind wir hier, auch miteinander zu diskutieren und nicht nur unsere unverrückbare Meinung zu formulieren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke, Frau Abgeordnete. Das Wort hat jetzt Abgeordneter Barth von der FDP-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nur noch kurz zu der Abstimmung vorhin im Zusammenhang mit der Herbeirufung des Ministers zwei Sätze sagen. Punkt 1: Die Geschäftsordnung der Landesregierung ist Sache der Landesregierung und die Vertretungsregelung dort festzulegen und hier entsprechend dann auch wahrzunehmen, ist Hoheit der Landesregierung, das habe ich überhaupt nicht zu bewerten. Dass aber, wenn der Landtag beschlossen hat, dass ein bestimmter Minister herbeigerufen wird, dann gesagt wird, dem Wunsch, dem Beschluss des Landtags kann nicht entsprochen werden, das halte ich dann doch für einen einigermaßen inakzeptablen Vorgang und deswegen haben wir uns vorhin enthalten. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Weitere Wortmeldungen zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE liegen mir nicht vor. Ausschussüberweisung ist nicht beantragt. Wir haben bei der Feststellung der Tagesordnung beschlossen - Entschuldigung.

Sowohl Kollege Bergner als auch ich hatten Ausschussüberweisung - Sie haben es also nicht beantragt, aber ich habe es beantragt, ich habe zudem positiv darauf bezogen, Sie hatten gesagt, Sie würden der Überweisung zustimmen.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Ich hatte es nicht beantragt.)

Ich habe es trotzdem beantragt.

Jetzt ist es doch beantragt. Wenn man dem Präsidium dann auch noch den Ausschuss zur Kenntnis gibt, wohin das überwiesen werden soll.

Ich hatte den Justiz- und Verfassungsausschuss vorgeschlagen.

Es gibt den Wunsch auf Überweisung an den Justiz- und Verfassungsausschuss. Deshalb stelle ich jetzt die Frage in der Runde: Wer möchte das Fünfte Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE, in der Drucksache 5/4336 an den Justizund Verfassungsausschuss überweisen, den bitte

(Abg. Renner)

ich jetzt um sein Handzeichen. Das ist die Zustimmung von den Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Gegenstimmen? Ablehnung vonseiten der CDU- und SPD-Fraktion. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt. Ich schließe die zweite Beratung.

Wie schon angedeutet, wir haben bei der Feststellung der Tagesordnung beschlossen, sofern es keine Ausschussüberweisung gibt, gleich die dritte Beratung anzuhängen. Diese dritte Beratung eröffne ich jetzt. Wortmeldungen liegen mir im Augenblick nicht vor. Ich schaue noch mal in die Runde. Gibt es Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Aussprache und wir stimmen direkt über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/4336 in dritter Beratung ab.

Wer möchte diesem Gesetzentwurf zustimmen, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das ist Zustim

mung von der Fraktion DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? Das sind Gegenstimmen von den Fraktionen der SPD, der CDU und der FDP. Wer enthält sich der Stimme? Das ist die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich stelle gemäß § 41 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung fest, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit zu einer Verfassungsänderung das wären 59 Stimmen - nicht erreicht wurde. Damit schließe ich diesen Tagesordnungspunkt, damit schließe ich auch die heutige Sitzung. Wir sehen uns morgen in aller Frische wieder.

Ende: 18.22 Uhr