Protocol of the Session on December 18, 2009

Gestatten Sie mir noch mal, auf einen Punkt zurückzukommen. Ich unterstelle gerne der Landesregierung, die Problemlage erkannt zu haben. Das haben Sie im Ausschuss mehrfach betont und, ich denke, heute an dieser Stelle auch wiederholt. Insofern darf ich Ihnen mitteilen, dass Sie auch die Unterstützung meiner Fraktion haben, ich sage mal, im Kampf um den Haushalt und der Position, die Sie hier aufgemacht haben hinsichtlich der Stärkung der Sozialgerichte. Die Kollegin, die vor Ihnen das Amt ausgeübt hat, weiß, um welche Notwendigkeit es hier geht. Insofern kann da vielleicht im Einvernehmen auch etwas passieren. Die Zahlen sprechen für sich.

Bei einem kann ich nicht ganz folgen, als Sie gesagt haben, es mangelt an dem politischen Willen. Ich denke, mit unseren Punkten II a) und b) haben wir genau auf diesen Sachverhalt hingewiesen, dass der politische Wille notwendig ist, für Veränderungen zu sorgen. Da reicht allein nur ein Blick auf die Empfehlung des Juristentages in Erfurt 2008. Da gab es ja die Frage zu diesem Sachverhalt und da gab es durchaus Empfehlungen in diese Richtung. Auch daran sollte man weiterarbeiten.

Aber Sie gestatten mir zur Thematik einen Exkurs - weil ja auch zahlreiche neue Kolleginnen und Kollegen hier im Haus sind, um noch mal in Erinnerung zu rufen - in die jüngste Geschichte zu dieser Frage. Ende 2004, meine Damen und Herren, gab es an den Thüringer Sozialgerichten schon über - und die Zahl will ich gerne betonen - 16.000 noch unerledigte Verfahren. Dann trat am 1. Januar 2005 das SGB II mit der Grundsicherung für Arbeit Suchende, besser bekannt als Hartz IV, in Kraft. Fachleute haben damals schon im Vorfeld vor einer Klagewelle an den Sozialgerichten gewarnt.

Der Verband der Thüringer Sozialgerichte forderte im September 2004 die Neueinstellung von 21 Richtern für die erste und zweite Instanz. Auf eine Mündliche Anfrage meiner Fraktion im Septemberplenum 2004

antwortete der damalige Justizminister - das war also noch der Vorgänger von Frau Walsmann - Herr Schliemann, CDU: „Derzeit sind solche Neueinstellungen nicht geplant, das Bundesrecht bietet keine verlässliche Planungsgrundlage.“ Doch bei einer schon bestehenden Bugwelle von 16.000 unerledigten Verfahren und deutlichen Warnungen von Fachleuten aus der Praxis war eine solche Untätigkeit schlicht grob fahrlässig. Bei 16.000 unerledigten Verfahren hätte im Jahr 2004 schon auch ohne drohende Hartz-IV-Klagewelle etwas getan werden müssen an den Thüringer Sozialgerichten, denn auch die Kläger in Rentensachen, Krankenversicherungsverfahren, bei Klagen wegen Pflege und Schwerbehinderungen haben Anspruch auf konkrete, auf zeitnahe Durchführung ihrer Verfahren. Bei solchen existenziellen Dingen heißt wirksame Rechtsdurchsetzung auch immer zügige Rechtsdurchsetzung.

Auch mit der durchschnittlichen Verfahrensdauer sah es laut Auskunft des Justizministers im September 2004 zum damaligen Zeitpunkt nicht rosig aus; über 16 Monate dauerte im Schnitt ein Verfahren in einer Instanz. Vor Kurzem wurde nun ein Sozialgericht in Thüringen vom Bundesverfassungsgericht dafür gerügt, dass es in einer Krankenkassen- bzw. Vertragsarztangelegenheit nach über 9 Jahren immer noch zu keinem Urteil gekommen ist, obwohl die Sache längst entschieden sein könnte. Sicherlich ein sehr drastischer Fall jenseits des Durchschnitts, aber doch auch symptomatisch. Im Rückblick zeigt sich, die Thüringer CDU-Landesregierung ist ab 2004 sehenden Auges und völlig unvorbereitet in das Hartz-IV-Chaos an den Sozialgerichten gegangen. Man hätte es wissen können, aber die Verantwortlichen wollten es ja lange nicht wissen und haben zu spät und halbherzig reagiert. Meine Fraktion nervte - ich darf auch den Ausdruck gebrauchen - weiter mit Selbstbefassungen im Justizausschuss, um so Fragen wie nach einem Notfallplan für die Sozialgerichte zu bearbeiten. Im Juni 2006 gab es auf Antrag meiner Fraktion zum ersten Mal eine Debatte zu den Sozialgerichten in Thüringen. In einer damaligen Berichterstattung teilte der Minister mit, dass im Jahr 2005 sich die Zahl der Richter bei den Sozialgerichten um acht erhöht habe. Durch die damalige Regierung wurde dann weiter mit freiwilligen Abordnungen bis zum heutigen Tag und Versetzungen versucht, die Situation in den Griff zu bekommen. Wir nervten weiter auch mit Anträgen zum Landeshaushalt in Sachen Aufstockung der Richterplanstellen an Sozialgerichten. Doch die Landesregierung agierte immer noch recht gebremst und blieb mit ihren Maßnahmen auch immer hinter den Hilferufen des Verbandes der Sozialrichter und anderer Praktiker zurück.

Mit den Auswirkungen dieser schuldhaften Unterlassungen hat die Sozialgerichtsbarkeit noch im

mer und in viel verschärfterer Form zu tun. Nun gibt es weit über 20.000 unerledigte Verfahren. Sie haben es präzisiert, Herr Minister, 23.000 habe ich jetzt gehört, dass die Tendenz weiter steigt - leider. Die eigentlichen Leidtragenden, das will ich an der Stelle betonen, sind nicht die Gerichte, es sind Menschen, die von Arbeitslosigkeit und sozialen Schwierigkeiten betroffen sind, Hartz IV beziehen müssen oder aber ihre eigentliche wohlverdiente Rente oder die ihnen zustehenden Krankenkassenleistungen hart erkämpfen müssen. Es sind Bürgerinnen und Bürger, die sich wegen Organisationsmängeln der Behörden, vor allem in dem Fall der ARGEn, wegen nicht bearbeiteter Anträge und falscher Bescheide an die Sozialgerichte wenden müssen, um ihr Recht nicht nur auf dem Papier zu haben, sondern es auch in der Realität des Alltages tatsächlich zu bekommen. Doch die betroffenen Menschen ließen sich nicht veräppeln und protestierten und klagten und klagen noch immer vor den Sozialgerichten, aber nicht, weil es ihnen Spaß macht, nein, es geht einfach und schlicht um ihre Existenz. Solche Verfahren wie das zurzeit laufende Verfahren am Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungswidrigkeit der Regelsätze zeigen, die Betroffenen haben leider in vielen Fällen recht mit ihrer Einschätzung, dass sie und andere ungerecht und rechtswidrig behandelt werden. Leider brauchen sie oft einen ganz langen Atem, um zu ihrem Recht zu kommen. Sollte das Verfahren zu den Regelsätzen Erfolg haben, wäre amtlich bestätigt, Hartz IV ist Armut per Gesetz. Hartz IV verstößt gegen das Grundgesetz, Hartz IV ist eine Verletzung der Menschenwürde jedes Betroffenen, Hartz IV ist ein beschämendes Armutszeugnis für eine der reichsten Gesellschaften in den angeblich besten Rechts- und Sozialstaaten der Welt.

(Beifall DIE LINKE)

Es wurde schon bald nach Inkrafttreten des SGB II deutlich, meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Logistik an den Gerichten, die Probleme - und das hat der vorherige Tagesordnungspunkt gezeigt - liegen viel tiefer. Problematisch ist, dass die ARGEn grundsätzliche Bescheide nur für einen kurzen Zeitraum befristen. Das erhöht die Zahl der Widersprüche. Ein Problem ist, viele der Bescheide der ARGEn sind fehlerhaft. Daher haben die Klagen vergleichsweise hohe Erfolgsquoten. Durch die Organisationsprobleme der ARGEn als Zwitterwesen zwischen Bund und Kommunen hat es lange gedauert, bis die Arbeitsabläufe überhaupt richtig in die Gänge gekommen sind. Die Beschäftigten hatten wenig Zeit und Gelegenheit, sich in die neue komplexe Gesetzesmaterie einzuarbeiten. Sie hatten kaum Chancen auf Weiterbildung, weil Gesetzesänderungen ohne größere Übergangszeiten in Kraft getreten sind. Schon in der Debatte zu den Sozialgerichten im Jahr 2006 hat DIE LINKE darauf

verwiesen, dass sich handwerkliche Schwächen und unsoziale politische Entscheidungen im Recht als Klagen vor dem Sozialgericht wiederfinden. Deshalb muss an den rechtlichen Regelungen Hand angelegt werden. Der Gesetzgeber ist da gefordert.

Die CDU-Landesregierung wollte damals bis zum Schluss die Konsequenzen aus der Misere an den Sozialgerichten nicht ziehen. Auch die SPD-Fraktion zeigte sich in dieser Richtung verständlicherweise wenig lustvoll, denn die SPD ist die Erfinderin und Macherin von Hartz IV.

Nun hat die Konferenz - darauf sind Sie ja eingegangen, Herr Minister - der Justizministerinnen und Justizminister seit einiger Zeit das Thema „Entlastung und Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ angenommen. Auf der Herbstkonferenz 2009 standen Empfehlungen einer Arbeitsgruppe zur Diskussion. Diese sollen die Grundlage für gesetzliche Änderungen sein. Eine der wichtigsten Festlegungen: Ohne Änderung im SGB II ist die Situation an den Sozialgerichten nicht zu retten. Das Gutachten nennt auch die schon oben angesprochenen Problempunkte, dazu noch Kosten der Unterkunft und die Sanktionsbestimmungen. Allerdings nimmt das Gutachten richtigerweise eine Gesamtbetrachtung vor und macht auch Vorschläge für andere Themenfelder bei den Sozialgerichten, wie Krankenversicherung, wie Rente und Schwerbehinderung. Auch Empfehlungen für die Entscheidungstätigkeit der Sozialbehörden sind konsequenterweise in dem Bericht enthalten. Die Untersuchung macht auch Vorschläge zum Prozessrecht an den Sozialgerichten. Das, meine Damen und Herren, sieht wirklich nach der von Ihnen geforderten Rechtssicherheit und Rechtsklarheit aus. Bleibt die spannende Frage: Zu wessen Gunsten und mit welchen Folgen?

Schauen wir uns die Vorschläge zum Prozessrecht etwas genauer an, Stichwort - Reduzierung des gerichtlichen Prüfungsumfangs. Bei den Sozialgerichten gilt bisher der Grundsatz der umfassenden Amtsermittlung. Das Gericht hat den gesamten Sachverhalt hinsichtlich der Faktenlage und der rechtlichen Bewertung eigenständig in vollem Umfang zu prüfen. Nun sollen die Prozessparteien vereinbaren können, dass ein Fall nur noch teilweise gerichtlich überprüft wird. Klingt vordergründig nach Entlastung und Gleichberechtigung, aber in vielen Fällen agieren vor Sozialgerichten Betroffene ohne Anwalt. Sie können bei den komplexen Sachverhalten nicht immer selbst entscheiden, welche Punkte in ihrem speziellen Fall wirklich genauer geprüft werden müssen. Bei den hohen Fehlerquoten der ARGEn ist auch zweifelhaft, ob diese immer die richtigen Entscheidungen zur Begrenzung treffen würden. Außerdem folgt der Amtsermittlungsgrundsatz daraus, dass es sich bei sozialrechtlichen

Entscheidungen um hohe Entscheidungen handelt, die in Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Das gilt selbst für den Fall, meine Damen und Herren, dass es um Leistungsgewährung geht. Dazu kommt, das Sozialgericht ist ein Rechtsgebiet mit existenziellsten Bedeutungen für die Betroffenen. Deshalb: Hände weg vom uneingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatz. Eine versteckte Beschränkung des Rechtsschutzes kommt auch unter dem Stichwort finanzielle Anreize zur Vermeidung von überflüssigen Streitigkeiten daher. Damit ist die neue, eigentlich alte Idee der Einführung einer Gerichtsgebührenpauschale an Sozialgerichten gemeint. Zum einen muss man schon fragen, wer wann beurteilen soll, was ein überflüssiger Rechtsstreit ist. Bis zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichts und des hessischen Landessozialgerichts, die SGBII-Norm zu den Regelsätzen dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorzulegen, galt das auch bei vielen Sozialgerichten als überflüssiger Rechtsstreit. Auch in Thüringen bekamen Betroffene von ARGEn und Sozialgerichten signalisiert, die Regelsätze als verfassungswidrig zu monieren, habe keinen Sinn und keine Aussicht auf Erfolg. Nun wird das Gericht in Karlsruhe - sie haben darauf abgehoben - voraussichtlich im Februar 2010 sein Urteil verkünden. Die Richter haben in der mündlichen Verhandlung sehr viele kritische Fragen zu den Regelsätzen gestellt. Der Weg zu den Gerichten und zum Recht darf für die Bürger nicht durch finanzielle Hürden versperrt sein, gerade dann nicht, wenn es um die Sicherung der Existenz geht, wie bei den Sozialgerichten. Statt die Bürger von den Gerichten auszusperren, sollten sich Bundes- wie Landesgesetzgeber an die eigene Nase fassen und Gesetze machen, die inhaltlich gut sind, vor allem nicht unsozial und handwerklich korrekt.

Meine Damen und Herren, die Vorschriften sollten dabei klarer und verständlicher werden. Die Gesetze werden eigentlich nicht, das sage ich deutlich, für die Juristen gemacht, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Auch für die Regelung zur Prozesskostenhilfe und das Recht auf einen Anwalt für Sozialgerichtsverfahren sollte es keine Einschränkungen geben. Denn es ist jetzt schon für Betroffene oft schwierig, eine Anwaltsvertretung für das Verfahren zu organisieren. Die jetzigen PKH-Regelungen sind auch nicht ohne Hürden, wie Sie sicherlich wissen.

Meine Damen und Herren, der Thüringer Justizminister muss sich für Änderungen im Sozialrecht im Bundesrat stark machen, ohne Zweifel. Der Bericht an die Justizministerkonferenz enthält wichtigen Diskussionsstoff. Die aktuelle Situation an den Thüringer Sozialgerichten und der notwendige Handlungsbedarf auch mit Blick auf eigene Vorschläge aus Thüringen muss intensiv beraten werden im

Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten federführend und in den Ausschüssen für Soziales, Familie und Gesundheit und Wirtschaft, Technologie und Arbeit mitberatend. Deshalb beantrage ich die Überweisung des vorliegenden Antrags meiner Fraktion. Es wäre auch, um einen Anreiz zu schaffen, meine Damen und Herren, sinnvoll, eine öffentliche Anhörung zu unserem Antrag durchzuführen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Für die CDU Fraktion hat sich der Abgeordnete Schröter zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal zum Titel des Antrags „Überlastungsproblem der Thüringer Sozialgerichte lösen - auch durch Änderungen des SGB II“: Das ist eigentlich eine Ursache-Wirkung-Diskussion. In diesem Teil der Tagesordnung beschäftigen wir uns mit der Wirkung, im vorangegangen Tagesordnungspunkt haben wir uns schon mit der Ursache befasst. Wir werden nicht umhinkommen, das in diesem Teil noch einmal zu tun. Es ist selbst gesagt worden von der beantragenden Fraktion, dass man sich schon mehrfach im Ausschuss damit befasst hat, wir haben uns im Plenum mehrfach damit befasst. Seit 2006 sind solche Anträge gang und gäbe, mehr oder minder jedes Jahr einmal. Bei allen Problemen, die wir mit diesem Fach haben, ist doch noch zu sagen, dass der Rechtsstaat eine Klagemöglichkeit in diesem Bereich überhaupt ermöglicht hat. Das war für den „Werktätigen“ im vorangegangenen System so nicht möglich und insofern bin ich froh, dass Klagen überhaupt entstehen können.

(Beifall CDU)

Zu I. Ihres Antrags: Die Empfehlungen der Länderarbeitsgruppe wurden erwähnt. Alle Ausschussmitglieder haben diesen 146-Seiten-Bericht vorliegen. Wenn man den jetzt im Einzelnen auswerten wollte, wie Sie das in den Punkten a) bis e) gefordert haben, würden wir den Rahmen der Tagesordnung heute sprengen. Wir könnten uns den ganzen Tag oder länger darüber unterhalten. Deswegen meinen wir, dass die Zusammenfassung, die der Justizminister gegeben hat in seinem Bericht, ausreichend ist. Das Berichtsersuchen ist für uns als CDU-Fraktion erfüllt und damit der Punkt I erledigt.

Zum Punkt II, zunächst Punkt a): Dort gehen Sie also vollständig auf bundesrechtliche Regelungen ein und sagen, was im Bundesrat alles verändert

werden soll. Wir haben den Sachstand und die derzeitige Situation, in welchem Verfahrensbereich wir uns befinden, gehört. Insofern müssen wir bewerten, dass Ihre Forderungen, wie sie in den vier Parenthesestrichen genannt sind, überzogen sind und etwas zu weit gehen. Im Unterschied zu Ihnen, Herr Hauboldt, meinen wir, dass wir deswegen den Punkt II a) ablehnen müssen.

Der Punkt II b) erledigt sich im Grunde durch den vorangegangenen Tagesordnungspunkt in der Drucksache 5/178. Die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister hat einstimmig den Beschluss gefasst, man will diese Zentrale für Arbeit und Grundsicherung. Es bedarf also keiner anderen Leistung aus einer Hand, unter einem Dach, genauso ist es gesagt worden und es war Antragsgegenstand im vorangegangenen Punkt. Wenn Sie als einbringende Fraktion ermöglichen wollen, dass wir dort getrennt abstimmen, würden wir dem Punkt b) sogar die Zustimmung geben, denn der ist inhaltsgleich mit dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt.

Noch zum Sachstand vielleicht doch zwei Bemerkungen - zunächst einmal zu der Sonderkonferenz der Arbeits- und Sozialminister in diesem Jahr am 14. Dezember: Es wurden ja Teile durch Herrn Minister Machnig bereits zitiert. Es gibt aber ein paar Punkte mehr, die würde ich gern noch dem Plenum zur Kenntnis geben. Es wird eine in einer getrennten Aufgabenwahrnehmung komplexe Berechnung und Verbescheidung der Geldleistungen einschließlich der Rechtsbehelfe, rechtlich klar und für die Betroffenen transparent zu regeln, gefordert. Das ist ein wichtiger Punkt und das ist auch der Punkt, der die Verständlichkeit der ganzen Angelegenheit bei den Betroffenen erhöhen kann. Dass es hier noch Klärungsbedarf gibt, halten wir für sehr angemessen.

Ein nächster Punkt: Es bedarf eines sachgerechten Verfahrens zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit. Den zweiten Teil hat Herr Machnig zitiert, aber den Eingangsteil nicht. Deswegen will ich ihn hier noch mal sagen. Dass es da auch zu ein paar Problemen kommen kann, ist klar, aber wir sind im Verfahren.

Zum Vierten: Es darf keine Finanzverschiebung zulasten der Länder und Kommunen geben, darin sind wir uns sicherlich alle einig.

Zum Fünften: Die Reform darf nicht dazu führen, dass die Bundesanstalt als Grundsicherungsträger Risiken auf die Länder und Kommunen abwälzt.

Das waren alles wörtliche Zitate aus eben diesem Beschluss. Die Frage, wer erwerbsfähig ist, muss deshalb durch eine neutrale Stelle entschieden werden.

Zum Sechsten: Mehrkosten durch die getrennte Aufgabenwahrnehmung, die dort entstehen, sind darzustellen und vom Bund zu tragen. Die Kommunen müssen dabei noch Spielräume haben. Es wird von einem Kooperationsausschuss gesprochen, bei dem auch das Land Beteiligter sein soll.

Und schließlich: Es ist auch in diesem Beschluss gefordert, das Optionsmodel zu entfristen und die Zahl der Optionskommunen einmalig zu erhöhen.

Und zu einem zweiten Informationsteil: Es wurde davon gesprochen, dass der Antrag gestellt werden soll, dass das Grundgesetz eine Änderung erfährt. Es gibt eine Bundesratsdrucksache 876 aus 2009, die stammt vom 10.12. dieses Jahres. Jetzt, wo der Bundesrat tagt, soll dieser Antrag behandelt werden, ob er denn drankommt, das kann ich nicht sagen, das weiß nur, wer in der Sitzung war. Jedenfalls ist Inhalt, dass zunächst eine Änderung des Grundgesetzes in Artikel 86 a und 125 d erfolgen soll und ein Gesetz zur Regelung der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung in der Grundsicherung für Arbeit Suchende mit eingearbeitet werden soll.

So viel zur Ergänzung zum Sachstand. Wir sind also der Meinung, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist. Punkt II a) wird von uns abgelehnt. Wenn Punkt II b) geteilt werden kann, können wir dem zustimmen, ansonsten müssten wir das Ganze ablehnen. Vielen Dank.

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Marx zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist bereits von allen Fraktionen erwähnt worden - das, denke ich, ist auch wichtig -, dass das Problem der Überlastung der Sozialgerichte weiter auf der Agenda bleibt hier für den Thüringer Landtag. Es ist für uns selbstverständlich und eine ganz fundamentale Aufgabe, die Rechtsweggarantie hier in dem Bereich auch so weit umzusetzen, dass es nicht zu überlangen Verfahrensdauern kommt und die Bürgerinnen und Bürger wirklich auch zeitnah zu ihrem Recht kommen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie unterbreiten in Ihrem Antrag unter Ziffer II a) Vorschläge, die zur Entlastung der Sozialgerichte führen sollen und in Ihren Augen soll diese Entlastung durch eine Erhöhung der Bedarfsregelsätze, der Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten und durch die Abschaffung der Sanktionsmöglichkeiten bewirkt werden. Wenn man Ihrer

Meinung nach Hartz IV insgesamt verbessert oder abschafft, würde sich die Klageflut an den Sozialgerichten vermindern. Wenn man aber genau hinschaut, dann bestätigt sich dieser kausale Zusammenhang nicht. Wären die aus Ihrer Sicht unzureichenden Leistungshöhen ein zentraler Klagegrund, müsste sich der Klageanfall relativ gleichmäßig auf die Sozialgerichtsbezirke und die einzelnen ARGEn hier in Thüringen verteilen, das ist aber nicht der Fall. Die ARGE im Kyffhäuserkreis, aus dem ich komme, wird vergleichsweise sehr selten beklagt. Da Sie vorhin, Kollege Hauboldt, auch gesagt haben, die Qualität der ARGEn sei schlecht, also da gibt es wohl auch deutliche Unterschiede und ich möchte deswegen mal an dieser Stelle meine ARGE im Kyffhäuserkreis für ihre offensichtlich sehr überdurchschnittliche Qualität der Arbeit ausdrücklich loben, denn diese Mitarbeiter dort haben auch keinen leichten Job zu verrichten.

Zum Vergleich: Es gibt eine andere ARGE, aus deren Bereich sage und schreibe - ich habe es kaum geglaubt, aber es hat mir jemand beim Sozialgericht so gesagt - zehnmal mehr Klagen an das zuständige Sozialgericht gelangen als aus der ARGE des Kyffhäuserkreises. Da beide ARGEn auf der gleichen Rechtsgrundlage handeln, kann dieses Phänomen also nicht an der Höhe der Bedarfssätze liegen. Deswegen greift Ihr monokausaler Ansatz, zu sagen mehr Leistung, weniger Klagen, doch zu kurz.

Es wurde bereits vom Minister darauf hingewiesen, dass wir in unserer Koalitionsvereinbarung auch die Qualitätssicherung der Bescheide und ein verbessertes Beschwerdemanagement für unerlässlich halten. Dass sich hier ein genaueres Hinsehen lohnt, können Sie auch dem schon vielfach erwähnten Bericht der Länderarbeitsgruppe „Maßnahmen zur Verhinderung der Belastungen und Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ vom 19.10.2009 entnehmen, den der Minister Ihnen und uns letzte Woche im Justizausschuss zur Verfügung gestellt hat. Dieser Bericht bestätigt, was sich auch in Gesprächen mit Thüringer Sozialrichtern erfahren lässt. Der Bericht zeigt eine Fülle konkreter Schwachpunkte, handwerklicher Fehler oder auch Schwächen auf, die zu uneinheitlicher Bescheidung führen, die unnötige Fehlerquellen schaffen und die schließlich auch noch die Zahl der Anspruchsberechtigten unnötig erhöhen. Solche Stolpersteine befinden sich sowohl im materiellen Recht wie im Prozessrecht.

Ich möchte Ihnen fünf Beispiele nennen. Die sogenannte horizontale Einkommensanrechnung in der Bedarfsgemeinschaft ist ein solcher Stolperstein. Was bedeutet das? Für einen Nichtjuristen schwer zu verstehen. Der § 9 Abs. 2 Satz 3 im SGB II schreibt vor, dass in der Bedarfsgemeinschaft von einem oder

mehreren Mitgliedern dort erzieltes Einkommen zunächst im Verhältnis des jeweiligen Bedarfs aufzuteilen ist, so dass der Topf genommen wird, dann auf alle Köpfe verteilt wird entsprechend ihres Bedarfs, also Erwachsene mehr als Kinder, und danach werden dann die Fehlbeträge errechnet und als Leistungsanspruch festgesetzt. Durch diese Rechenregel kommt man zu der aus heutiger Sicht paradoxen Situation, dass in der Bedarfsgemeinschaft auch der Einkommensbezieher, dessen Einkommen eigentlich seinen Bedarf decken würde, zum Hilfeempfänger herabgestuft wird. Also er persönlich bräuchte die Hilfe erst einmal nicht, aber als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist er plötzlich Hilfeempfänger. Entsprechend haben wir dann einen Bescheidempfänger mehr und damit auch wieder einen potenziellen Kläger bei den Sozialgerichten mehr.

Der Länderbericht empfiehlt hier einen Wechsel zur vertikalen Berechnung, wie es das Bundessozialgericht für Rentenbezieher schon längst eingeführt hat und auch einführen musste. Vertikal heißt, dass der Einkommensbezieher sein Einkommen behält bis zur Abdeckung seines eigenen Bedarfs und damit selbst nicht hilfebedürftig wird. Im Weiteren wird dann vorgeschlagen - auch sehr erwägenswert - eine Rangfolge der weiteren Verteilung zu bestimmen, z.B. erst die eigenen Kinder in Patchworkfamilien, die ja auch vielfach in dem Bereich vorkommen, so dass dann auch eventuell weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft mit vollem Regelsatzanspruch verbleiben. Das hat einen weiteren Vorteil. Wir haben das ja oft, dass Einkommen verspätet angegeben wird, dass sich Einkommen ändert. Ich habe im horizontalen Modell dann immer das Problem, dass ich die Bescheide gegenüber allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft abändern muss oder gegenüber allen Mitgliedern Rückforderungen ausgesprochen werden müssen. Das sind ja alles Fälle, die gern vor den Sozialgerichten landen.

Verehrte Kollegen der LINKEN, die in Ihrem Antrag dazu vorgeschlagene generelle Abschaffung der Bedarfsgemeinschaft ist keine wirklich gute Idee. Ich glaube, wenn Sie ernsthaft wollen, was in Ihrem Katalog in Ziffer II a) steht, dass jeder unabhängig von seinem Alter bedarfsdeckende Leistungsansprüche bekommen soll, dann könnte ich ja auch morgen meine beiden Töchter bei der ARGE vorbeischicken. Ich stelle aber wirklich in Abrede, dass soziale Transferleistungen für einen solchen Fall gedacht sind. Solche Transferleistungen sollen und müssen wirklich Bedürftigen vorbehalten bleiben. Also, mit der Abschaffung der Bedarfsgemeinschaft lösen Sie kein Problem, sondern schaffen ein neues.

Einen zweiten häufigen Fehler bei den Sozialgerichten, der fast absurd scheint und der aber eine Fülle von Klagen ausmacht, ist der sogenannte Run

dungsfehler. Da soll es immer noch ARGEn geben, zu denen sich nicht herumgesprochen hat, dass nach der vom Bundessozialgericht bestätigten ständigen Rechtsprechung Leistungsbeträge zu runden sind. Jetzt fragen Sie sich natürlich: Wer kommt denn dann auf die Idee, wegen 31 Cent eine Klage einzureichen? Da muss ich Ihnen leider zugestehen, die Leistungsbezieher würden es sich vielleicht überlegen, der eine oder andere Anwaltskollege aber leider nicht. Auch wenn ich selber Anwältin bin, muss ich das hier zugeben. Es lohnt sich nämlich, hierfür die im Sozialgerichtsverfahren grundsätzlich streitwertunabhängigen Gebühren zu verdienen, die dann ein Vielfaches des materiellen Interesses der Klage betragen. Für eine solche Klage gibt es dann selbstverständlich auch noch Prozesskostenhilfe. Und wenn der Kollege es bis zur Gerichtsverhandlung schafft, können wegen einer solchen Rundungsfehlerbanalität dann bis zu 500 € aus dem Landeshaushalt fällig werden, weil der die Prozesskostenhilfe aufzubringen hat.

Hier schlägt der Bericht vor, eine Bagatellschwelle für die Prozesskostenhilfegewährung zu erwägen. Wir haben es z.B. schon mal gehört, vielleicht sollte man für einen Rechtsstreit, dessen materielles Interesse für den Kläger 15 € nicht überschreitet, keine Prozesskostenhilfe gewähren. Ob das jetzt der soziale Kahlschlag ist,

(Beifall CDU, SPD)

das wage ich anzuzweifeln. Das wäre vielleicht nützlich, um ein bisschen Klagemissbrauch, der leider auch aus meiner Sicht von einigen meiner Berufskollegen da verübt wird, zu vermindern.

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Das können Sie doch nicht so pauschal beurteilen.)