Protocol of the Session on April 13, 2011

(Beifall CDU, SPD)

Herr Abgeordneter Heym, also in dem Sachleistungskatalog „Ordnungsrufwürdig“ steht es nicht, aber wir überprüfen noch einmal das Protokoll. Wobei, es gibt eine ganz milde Form, dass Frau Hennig und Frau Holzapfel noch einmal miteinander sprechen und klären, dass man sich da nicht beleidigt hat. Das wäre die einfachste Geschichte.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Sie hat es nicht persönlich gemeint.)

Sind Sie erst einmal zufrieden damit?

Ich rufe den Abgeordneten Kemmerich für die FDPFraktion auf.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete, ja, es ist eigentlich eine gute Nachricht, dass der Ausbildungsmarkt so groß geworden ist, dass sich die Jugendlichen unter der Vielzahl der Angebote eines aussuchen können. Das ist natürlich auch bedenklich, weil viele Unternehmen nunmehr händeringend versuchen, die Lücke in ihrem Unternehmen zu schließen durch auszubildenden Nachwuchs. Aber was zeigt uns das auf der anderen Seite? Es ist ca. 10 Jahre her, da haben viele Teile dieser Rubrik politisch nach einer Ausbildungsabgabe geschrien.

(Beifall FDP)

Natürlich hatten wir seinerzeit einen Überhang an Auszubildenden oder an Ausbildungsplatzsuchenden und weniger Angebote durch die Wirtschaft. Aber es führte auch zu großen Verwerfungen. Denn es wurden teilweise Ausbildungen gegeben, die dann vom Markt im späteren Verlauf nicht mehr nachgefragt wurden. Es sind viele Auszubildende nach Ablauf ihrer Ausbildung freigesetzt worden und vagabundieren heute noch mit einer „falschen“ Ausbildung, weil sie nicht marktgerecht erfolgt sind, herum und haben auch keine zweite Chance.

Was kann Politik jetzt machen? Ich denke, wir haben uns jetzt vieles angehört von den Analysen. Ich will die Zahlen auch nicht wiederholen. Wo ist die Politik wirklich gefragt? Eines wurde ganz klar genannt - die Ausbildungsreife. Das braucht man auch gar nicht erst anzufangen, auf die Unternehmen zu verlagern, denn das ist nicht deren Zuständigkeit.

(Beifall FDP)

Die sind nicht Reparaturwerkstatt mangelnder Schulausbildung. Das muss vorher stattfinden. Die Unternehmen haben nur die Aufgabe, die Jugendlichen, die bei ihnen eine Ausbildung beginnen, für das Leben danach vorzubereiten und auch für das Leben im Unternehmen, dass die Jugendlichen den Job, den das Unternehmen hoffentlich nachher anbieten kann, weil sie marktfähig bleiben, dann auch marktgerecht ausüben können.

Was kann Politik noch machen? Politik kann dafür Sorge tragen, dass wir bei der Steuerung, wo sich Jugendliche entscheiden, durchaus einen Mentoringeffekt haben, dass sie genau wissen, worauf sie sich einlassen. Viele Jugendliche beginnen heute eine Ausbildung, wo sie nach kurzer Zeit feststellen, dass sie falsch gelandet sind. Das klassische Beispiel ist der Beruf Koch. Alle schauen diese wahnsinnigen Kochshows im Fernsehen und sagen, ich will Koch werden. Dann stellen sie nach wenigen Tagen fest, wie knüppelhart der Job ist, verlassen diesen Ausbildungsberuf, haben vielleicht einem anderen diesen Ausbildungsplatz wegge

(Abg. Baumann)

nommen, haben Kapazitäten gebunden, die erst einmal verbraucht sind.

Eine andere Aufgabe, die wir sicherlich politisch unterstützen können, ist, dass die Betriebe auch in die Lage versetzt werden müssen, ihren Fachkräftebedarf eben nicht mehr nur durch Ausbildung zu decken. Der klassische Bedarf ist, ich nehme mir einen Jugendlichen, bilde ihn aus und dann habe ich für Nachwuchs gesorgt. Nein, es gibt viele Leute, die haben eine Erstausbildung gemacht, sind 30 Jahre alt und stellen fest, das ist eben nicht der Beruf fürs Leben. Nun haben wir kein arbeitsmarktpolitisches Instrument, dass derjenige sagen kann, okay ich beziehe weiter Leistungen von der Bundesagentur und beginne eine zweite Lehre. Das geht heute nicht. Er muss sich dann von der Arbeitsplatzsuche abmelden, bekommt keine Bezüge mehr. Was macht er oftmals? Er unterlässt es, weil er keine Alternative dazu hat, begibt sich in unsinnige Qualifizierungsmaßnahmen und kommt keinen Schritt weiter.

(Beifall FDP)

Auch da müssen wir umdenken und sagen, lebenslanges Lernen darf eben nicht nur in einer Berufssparte stattfinden, sondern kann teilweise auch so stattfinden, dass man sagt, ich wechsle den Beruf, ich gehe in einen modern angesiedelten Beruf. Andere Volkswirtschaften anderer Länder machen uns das vor, in Dänemark, in Schweden, in den Niederlanden ist das möglich, wenn man früher beispielsweise Dreher gelernt hat, sich dann auf ganz andere Sachen zu qualifizieren, um dann auch eine Neuerfüllung für das zukünftige Leben zu finden. Wie gesagt, auch da müssen wir eingreifen. Die Treffsicherheit bei der Wahl des Ausbildungsplatzes muss erhöht werden, denn wir haben Abbrecherquoten von 25 Prozent und mehr. Das führt einfach zu unheimlichen Lücken und auch, wie gesagt, zum Verbrauch von Ressourcen, die wir nicht noch einmal bekommen.

Auf der anderen Seite werden wir auch - das ist auch Ausfluss der Demographie - vom Umbruch von der Volkswirtschaft stehen. Es wird uns gar nicht mehr möglich sein, manche Berufe, gerade sehr in der Manufaktur begriffen, hier auszuüben. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir in höher qualifizierte, höher qualifizierbare Berufe uns fortentwickeln, weil, mit weniger Arbeitskräften können wir das machen, was eben nicht so leicht substituierbar in Deutschland ist, was andere Volkswirtschaften uns in der großzelligen globalen Wirtschaft nicht abnehmen können. Hier gilt es, moderne Ausbildungsberufe, Ausbildungsbilder zu schaffen, um da sinnvoll Ausbildung zu machen, und nicht Ausbildungsberufe weiter zu propagieren, die wir seit mehreren Jahren, Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten haben, nur weil es der Tradition folgt. Das führt wahrscheinlich in eine Sackgasse. Hier sollte

sich eine moderne Volkswirtschaft - da können wir in Thüringen auch mit anfangen - neu aufstellen. Aber es würde auch zur Verknappung von Ressourcen von Arbeitskräften und Arbeitskraftangeboten führen, da müssen wir uns auch auf Verteuerung, gerade im handwerklichen Bereich einstellen. Wenn es weniger Menschen ausführen können, ist es gut für die, die es ausführen, weil deren Preise würden steigen. Auch das ist ein guter Effekt für die Leute, die dann sagen, Handwerk hat weiter goldenen Boden und Handwerksberufe sind lohnenswert und erstrebenswert. Ich glaube, gerade im Handwerk sind größere Probleme, Nachwuchs zu finden. Banken, Versicherungen etc. haben es etwas leichter und ich denke, auch das sind gute Entwicklungen, die gilt es, von der Politik zu beobachten, nicht abzuwürgen und nicht zu kritisieren.

Abgeordneter Kemmerich, Ihre Redezeit ist auch schon abgelaufen.

Ich bin damit fertig, vielen Dank, Frau Präsidentin, und ich danke dem Hohen Haus.

(Beifall FDP)

Ich rufe für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich auf.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben ja hier in der Tat heute schon einige sehr gut klingende Zahlen gehört, was die Relation anbelangt mit Blick auf die Ausbildungsplätze, die zur Verfügung stehen, mit Blick auf die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber. Wir wissen, dass sich da etwas positiv verändert hat, insbesondere angesichts des demographischen Wandels. Nichtsdestotrotz sind die Zahl mitnichten und die Realität schon gar nicht so rosig wie es hier heute mitunter dargestellt wurde. Da hilft auch ein Blick in den Berufsbildungsbericht 2010. Wenn man einmal genauer hinschaut, was nämlich die Zahlen für Thüringen bedeuten, liest man, dass sich in Thüringen tatsächlich das Angebot positiv entwickelt hat. Sie haben das ja vorhin schon vorgerechnet, dass rein rechnerisch auf 100 Bewerberinnen und Bewerber 101,4 Ausbildungsstellen kommen. Wenn man sich das aber genau anschaut und sieht, wie viele davon tatsächlich betriebliche Angebote sind, also ohne die überwiegend öffentlich finanzierten außerbetrieblichen Ausbildungsplätze, dann zeigt sich sehr schnell, dass das betriebliche Ausbildungsstellenangebot mit

(Abg. Kemmerich)

nichten bedarfsdeckend ist. Im Bundesdurchschnitt kommen dann nämlich auf 100 Bewerberinnen im Jahr 2010 93,4 betriebliche Ausbildungsplätze und in Thüringen sind es gerade einmal 82,6 betriebliche Ausbildungsplätze. Wir wissen, dass der Trend der rückläufigen Bewerberinnen- und Bewerberzahlen anhält, dass es etwa 23 Prozent weniger sind als im letzten Jahr. Wir wissen auch, dass es weniger Schulabgänger und Schulabgängerinnen gibt und trotzdem, meine Kollegin Frau Hennig hat schon darauf hingewiesen, sie hat von Hunderttausenden gesprochen, in Thüringen sind es nicht Hunderttausende, aber im Ausbildungsjahr 2009, um es genau zu machen, waren es 6.500 Altbewerberinnen und Altbewerber, die keine Ausbildungsstelle bisher gefunden haben, die sich trotz des Einschaltens der Bundesagentur für Arbeit in den Jahren 2008, 2009 und auch 2010 mitnichten alle vermitteln ließen.

Somit schieben wir nach wie vor eine „große Bugwelle“ von jungen Menschen ohne Ausbildungsplatz vor uns her. Diese Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber ist zwar im letzten Jahr gesunken, aber, wie gesagt, es sind noch immer besonders viele, insbesondere übrigens Jugendliche mit Migrationshintergrund. Auch wenn hier, wie wir alle wissen, in Thüringen die Quote niedriger ist als in westdeutschen Bundesländern, deren Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind nach wie vor nicht einmal halb so gut wie die ihrer gleichaltrigen Altersgenossinnen und Altersgenossen. Wenn wir wissen, dass sich der Anteil der jungen Menschen mit Migrationshintergrund auch in Thüringen sehr stark erhöht, dann sehen wir, dass sich eine Gerechtigkeitslücke auch an dieser Stelle auftut, und dass wir hier etwas tun müssen. Denn die Ausbildungsbeteiligungsquote von jungen Menschen mit Migrationshintergrund lag im vergangenen Jahr gerade einmal bei 31,4 Prozent. Hinzu kommt, dass immer noch ganz viele Jugendliche - die meisten von uns wissen das - im sogenannten Übergangssystem landen. Im Jahr 2009 waren es ca. 4.200 Jugendliche, die sich in sogenannten berufsvorbereitenden Maßnahmen wiederfanden. Aus unserer Sicht braucht es deshalb dringend eine Modernisierung des Berufsbildungssystems, indem die teuren - und ich sage es ganz deutlich - und sinnlosen Warteschleifen - denn als etwas anderes können wir es nicht bezeichnen - des Übergangssystems beendet werden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf es ist zwar jetzt niemand vom Bildungsministerium vertreten -, dass mit der Änderung des Schulsystems hier in Thüringen, nämlich dass wir ein Jahr länger die Schulpflicht haben, tatsächlich auch mehr Jugendliche mit Ausbildungsreife aus dem Schulsystem hervorgehen. Das war ja genau die Intention der Änderung. Ich sage aber auch, dass wir statt einem Wirrwarr an diesen Übergangsmaßnahmen, die wir haben, eine grundlegende strukturelle Reform des Ausbildungssystems anstreben müs

sen, wie wir es ja auch mit dem Konzept Dual Plus schon einmal konzipiert haben. Dessen Wirkung haben wir auf Bundesebene sehr positiv erlebt und erfahren und wir meinen, dass wir das auch in Thüringen so brauchen. Wir wollen nämlich mit diesem Ansatz allen Altbewerberinnen und Altbewerbern auch eine Berufsausbildung ermöglichen und insbesondere lernschwächere Jugendliche, Frau Holzapfel hat sie genannt, die Jugendlichen, die vielleicht sehr gut und sehr praktisch begabt sind, aber mehr Schwierigkeiten haben in bestimmten Unterrichtsfächern, diese wollen wir gezielt fördern und ihnen zusätzliche Zugänge zur dualen Ausbildung eröffnen. Das finde ich ganz besonders wichtig. Ich sage hier auch, auch die Betriebe und Unternehmen müssen dazu ihren Teil beitragen, sie müssen auch ihre Verantwortung wahrnehmen, denn es braucht auch mehr betriebliche Ausbildungsangebote. Das Angebot muss deutlich über der Nachfrage liegen. Ich fand den Kommentar im Übrigen von Herrn Grusser heute in der TA dazu sehr gut, dass man es sich hätte vor wenigen Jahren kaum träumen lassen, dass Jugendliche tatsächlich auch die Wahl haben. Ich glaube, dahin müssen wir kommen, wir wollen tatsächlich gute Ausbildungsangebote, wir wollen Perspektiven für alle und alle müssen ihren Teil dazu beitragen. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seitens der Abgeordneten gibt es jetzt keine weiteren Redeanmeldungen. Für die Landesregierung Herr Staatssekretär Staschewski bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordneten, sehr geehrte Damen und Herren, ja, es stimmt, es gibt wieder bessere Chancen für Arbeitsuchende und Berufseinsteiger. Während im letzten Jahr die Absolventen von Berufsausbildungen noch stark den negativen Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf dem Arbeitsmarkt ausgeliefert waren, sieht es heute schon deutlich besser aus; die Konjunktur zieht an und wir haben es heute auch in den Zeitungen wieder gelesen, Unternehmen stellen ein und Optimismus macht sich breit. Ablesen lässt sich das übrigens auch an den ersten Zahlen für das Ausbildungsjahr 2010/2011, die die Bundesagentur am 31. März veröffentlicht hat. Ich nehme ja an, dass dies auch der Hintergrund für diese Aktuelle Stunde ist. Für Thüringen wurden übrigens 8.205 Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildungsplätze und 10.415 Ausbildungsplätze registriert. Das Verhältnis Berufsausbildungsstellen je Bewerber beläuft sich auf 1,27. Das heißt, auf 100 Bewerberinnen und Bewerber kommen 127 Ausbildungsplätze. Die gemeldeten Stellen erhöhten sich

(Abg. Rothe-Beinlich)

um 19,4 Prozent. Das ist übrigens die günstigste Stellenbewerberrelation seit Anfang der 90er-Jahre und zeigt, dass sich die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen verstetigt bzw. erhöht hat. An dieser Stelle, glaube ich, kann man auch einmal einen Dank aussprechen an all die Unternehmerinnen und Unternehmer im Freistaat, die ausbilden.

(Beifall CDU)

Sie übernehmen damit nicht nur eine wirtschaftsund arbeitsmarktpolitische Aufgabe, sie demonstrieren damit auch, dass sie gesellschaftspolitisch verantwortlich handeln. Dennoch, man muss es auch deutlich ansprechen, es gibt Probleme, die struktureller Natur sind und uns vor dauerhafte Herausforderungen stellen, ob nun gerade Krise ist oder nicht. Es wurde in einigen Redebeiträgen auch schon erwähnt. Es gibt noch Schieflagen, denn gerade junge Menschen haben beim Einstieg in das Berufsleben noch einige Kröten zu schlucken. Nicht ohne Grund spricht z.B. die Internationale Arbeitsorganisation mit Blick auf die jungen Menschen von einer verlorenen Generation. Fangen wir an beim Thema Ausbildungsbereitschaft bzw. Ausbildungsfähigkeit der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in unserem Land, in Thüringen. Zwar gibt es, wie wir gerade gesehen haben, einen steigenden Grad an Ausbildungsleistung, aber dennoch muss einmal deutlich gesagt werden: In Thüringen gibt es nur gut die Hälfte der Unternehmer, nämlich 54 Prozent, die eine Ausbildungsberechtigung haben, nur 54 Prozent haben eine Ausbildungsberechtigung. Wiederum knapp die Hälfte davon, nämlich 26 Prozent, bildet überhaupt tatsächlich aus. Ich denke, dass es an dieser Stelle noch erhebliches Potenzial gibt. Das mittelfristige Ziel sollte eine Steigerung der tatsächlichen Ausbildungsleistung auf 40 bis 50 Prozent der Unternehmen sein. Das haben wir übrigens auch in unserem Trendatlas so deutlich ausformuliert und als eine der Forderungen aufgenommen.

Ich wundere mich schon etwas, wenn man sonst dass es noch so ist, dass wir noch so wenige Ausbildungsberechtigte und tatsächlich Betriebe haben, die Auszubildende haben - die Stimmungslage im Land anschaut, weil ich überall Sätze höre, wo ich hinkomme, wie es heißt, der Wettkampf um die besten Köpfe ist eröffnet, die Bewerber stehen nicht mehr Schlange und es muss ein Mentalitätswechsel her. Ja, das stimmt, aber solche Sätze scheinen eigentlich spätestens seit dem letzten Jahr zu politischen Weisheiten geworden zu sein, insofern wundere ich mich, dass sich da immer noch wenig bewegt. Deshalb lautet meine Aufforderung: Fachkräftemangel ist eine der größten arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen und verlangt die gemeinsame Anstrengung aller Akteure.

In unserer Fachkräftestudie haben wir deutlich aufgezeigt, wir brauchen 200.000 zusätzliche Fach

kräfte bis zum Jahr 2020. Wir haben zusätzlich die demographische Herausforderung, seit 2003 haben sich die Schulabgängerzahlen auf mittlerweile ca. 15.000 mehr als halbiert. Die Bevölkerung in Thüringen nahm im Jahr 2010 täglich um 46 Einwohner ab. Für die letzten zehn Jahre ist aus diesen Gründen beim Erwerbspersonenpotenzial ein Minus von 11 Prozent zu verzeichnen. Der Mangel an Fachkräften, der in manchen Branchen schon heute deutlich zu spüren ist, wird sich also weiter verschärfen. Aber er wird sich nur dann verschärfen, wenn wir uns unserem Schicksal ergeben und jammern, er wird sich dann nicht so verschärfen, wenn wir die Herausforderungen annehmen. Unsere Herausforderungen sind der Dreiklang, der sehr wichtig ist: Wir müssen Fachkräfte halten, wir müssen Fachkräfte gewinnen und eben auch qualifizieren, das heißt ausbilden. Es muss endlich stärker verinnerlicht werden, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Mittelpunkt jeder erfolgreichen Ökonomie stehen. Wirtschaftliche Zukunft und gesellschaftlicher Fortschritt sind ohne Kreativität und Talent nicht denkbar. Wenn es uns nicht gelingt, alle Potenziale - und da sage ich ganz deutlich, wirklich alle Potenziale - der Menschen in unserem Freistaat zur Entfaltung zu bringen und zu nutzen, werden wir unsere Ziele nicht umsetzen können. Es geht darum, aber auch die Qualität von Leben und Arbeit in Thüringen zu erhöhen. Es geht darum, niemanden zurückzulassen und alle fit zu machen. Es geht darum, gute Arbeit auch gut zu bezahlen wir haben heute ausführlich über dieses Thema gesprochen - und es geht darum, Orientierungshilfen und passgenaue Qualifizierungs- und Betreuungsangebote zu machen.

Ich nenne jetzt noch mal vier Baustellen, die wir sehen:

Erstens: Die Quote in Thüringen derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen haben, liegt seit Anfang 2002 unverändert bei rund 12 Prozent und damit deutlich über dem bundesdeutschen Schnitt in Höhe von rund 8 Prozent im Jahr 2008.

Zweitens - die zweite Baustelle: Auch die Ausbildungsabbrecherquote liegt deutlich über dem deutschen Schnitt. 23,4 Prozent, also fast ein Viertel derjenigen, die eine Ausbildung beginnen, bringen diese nicht zu Ende.

Die dritte Baustelle: Das Thema des passgenauen Zusammenführens von Bewerbern und Angebot an Ausbildungsstellen wird immer wichtiger.

Und die vierte Baustelle: Die duale Ausbildung muss gestärkt werden. Ich glaube, das ist hier auch Konsens in diesem Haus.

Das duale Ausbildungssystem konnte zwar nicht verhindern, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Krise auch hierzulande angestiegen ist, dies aber deutlich übrigens moderater als in anderen Län

(Staatssekretär Staschewski)

dern, wo wir dieses System nicht haben, wie z.B. in Frankreich, Spanien, Großbritannien. Die Betriebe müssen zielgerichtet leistungssschwächere Jugendliche für eine Ausbildung werben und sie an eine Berufsausbildung heranführen. Es sollen Entwicklungsperspektiven im Beruf und auf dem Arbeitsmarkt aufgezeigt werden. Um den Jugendlichen zu verdeutlichen, warum es lohnt, eine duale Ausbildung zu absolvieren, ist es daher notwendig, Anreize für die Ausbildung im dualen System zu schaffen. Talente müssen sich entfalten können. Jugendliche müssen realistische Berufsvorstellungen haben und Fördermöglichkeiten müssen genutzt werden. Es geht darum, die Berufsorientierung zu verbessern. Das heißt auch, wir müssen realistische Berufsvorstellungen entwickeln und auch Alternativen von Wunschberufen aufzeigen.

Erste Schritte sind übrigens getan. Wir haben in Thüringen im 1. Halbjahr 2010 ein Berufsorientierungskonzept erarbeitet, mit dem an allen allgemein bildenden Schulen im Freistaat verbindliche Berufsorientierungskonzepte, die mit den Berufsberatern der Arbeitsagenturen und mit der regionalen Wirtschaft abgestimmt sind, eingeführt werden. Es wurden Qualitätsstandards entwickelt. Es werden noch weitere folgen, ich nenne das nullte Ausbildungsjahr. Darauf haben sich IHKs und Handwerkskammern verständigt. Die Bundesagentur für Arbeit und das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie haben gemeinsam dieses nullte Ausbildungsjahr mit den Kammern ins Leben gerufen. Dies ist ganz klar eine Win-win-Situation für die Beteiligten. Die Bewerberinnen und Bewerber lernen in einem sechs- bis 12-monatigen Praktikum die betriebliche Praxis kennen. Beide können sich so kennenlernen und miteinander warm werden.

Ich möchte zum Schluss noch eines ansprechen, das mir auch sehr wichtig ist. Derzeit gibt es in unserem Land 3.500 Jugendliche unter 25 Jahren, die keinen Bildungsabschluss haben. Wir müssen mit den Wirtschaftsund Sozialpartnern konkrete Schritte vereinbaren, darüber reden wir zurzeit, welche Jugendlichen davon gezielt für eine Berufsausbildung angesprochen werden können. Ein aktuelles Beispiel dazu: In den Integrationsprojekten des Landesarbeitmarktprogramms werden derzeit Jugendliche betreut, um deren Entwicklungsnachteile abzubauen und diese zu stabilisieren. Unternehmen, aber auch das Land müssen sich für den Standort Thüringen stark machen, sie müssen werben, sie müssen den Standort attraktiv machen. Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass wir familienbewusste, flexible Arbeitszeitmodelle haben, um Menschen entsprechend attraktive Arbeitsplätze anbieten zu können. Aber es sind auch sozial-kulturelle Faktoren von großer Bedeutung. Meines Erachtens, und ich habe das auch vor Kurzem in einem Interview deutlich gesagt, spielt das Niveau gesellschaftlicher Toleranz gegenüber Abwei

chungen von der Norm eine große Rolle. Wir müssen diese gesellschaftliche Toleranz in Thüringen ausweiten, ausbauen und uns dafür einsetzen. Denn es entscheidet auch das Angebot an sozialer Infrastruktur sowie der Zugangspreis zu dieser Infrastruktur über die Attraktivität eines Landes und eines Arbeitsmarkts. Ich denke, gerade hinsichtlich der Lebensqualität haben wir in Thüringen einiges zu bieten. Wir können aber auch noch stärker werden, das zeigt die geringe Zahl der Migranten in unserem Land. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Mir liegen keine weiteren Redeanmeldungen mehr vor. Damit kann ich diesen Teil der Aktuellen Stunde schließen. Ich rufe auf den fünften Teil