Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ob nun berechtigt oder nicht, seit vergangenem Jahr hat die Integrationsdebatte neue Fahrt aufgenommen. Leider bisher ohne Ergebnisse.
Unser ehemaliger Innenminister forderte im vergangenen Jahr mehrfach den Abschluss von Integrationsvereinbarungen für Flüchtlinge bereits bei der Asylantragstellung. Die Bundesintegrationsbeauftragte hat die Einführung solcher Integrationsvereinbarungen im I. Quartal dieses Jahres angekündigt. Auch in einigen Redebeiträgen eben war davon die Rede, dass Flüchtlinge sich integrieren müssten.
Nicht ganz klar ist, meine Damen und Herren, von wem da welche Integrationsleistungen abverlangt werden sollen. Denn eines ist klar, in Thüringen leben etwa 1.500 Menschen, die sehr gerne bereit sind, sich in dem Land zu integrieren, in dem sie bereits seit vielen Jahren leben. Ich meine die ab
gelehnten Asylbewerberinnen und -bewerber, im Amtsdeutsch die „vollziehbar ausreisepflichtigen Personen“, deren Abschiebung ausgesetzt ist, weil eine Ausreise in ihr Herkunftsland aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Das sind genau die, um die es in unserem Antrag geht. Diese Menschen erhalten entweder eine Duldung oder eine zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz. Genau diesen Menschen wird die Integration verwehrt. Integration wird diesen Menschen mithilfe rechtlicher und behördlicher Maßnahmen regelrecht verboten, meine Damen und Herren. Da hilft es auch nichts, wenn Sie sie, Frau Holbe oder Frau Kanis, hier immer wieder beschwören. Integration wird verboten einerseits durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit, die Herr Bergner eben schon erwähnt hat, oder auch durch die Geltung des diskriminierenden und nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom April 2009 auch verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Sprache allein verrät den unwürdigen Umgang mit diesen Flüchtlingen. Menschen werden durch unsere Rechtsordnung und durch die bundesrepublikanische Gesellschaft wortwörtlich „geduldet“. Das heißt so viel wie „ertragen“, „erlitten“, „wohl oder übel hingenommen“. Darunter ist sprachlich nicht mehr viel Platz. Es mag Meinungen in diesem Haus geben - und die haben wir auch gerade gehört -, die dies für rechtlich vertretbar und möglicherweise auch, nationalstaatlich gedacht, für notwendig halten. Aber auch Sie, meine Damen und Herren, müssen sich fragen: Wie lange darf eigentlich eine Abschiebung rechtlich und tatsächlich längstens unmöglich sein? Oder anders ausgedrückt: Gibt es eine zeitliche Grenze, ab der ein Staat, ein Staat, der sich in Anwendung der Menschwürdegarantie und des Sozialstaatsprinzips im Grundgesetz eigentlich selbst in die Pflicht genommen hat, allen Menschen, unabhängig eines möglicherweise unterschiedlichen Rechtsstatus, ein soziokulturelles Existenzminimum zu ermöglichen, gibt es also eine Grenze, ab der ein solcher Staat die Perspektivlosigkeit eines Lebens voller Angst vor einer ungewissen Lebenszukunft beenden muss?
Im Jahr 1999 hat diese Fragestellung zu einer einmaligen Altfallregelung geführt, die im Ergebnis für die allergrößte Zahl der betroffenen Flüchtlinge nicht in Anspruch genommen werden konnte. Während der Beratung zum Zuwanderungsgesetz, bei dem auch hier die Sprache wieder vieles verrät das Zuwanderungsgesetz heißt ja eigentlich mit vollem Namen, und damit auch schon sehr viel ehrlicher, „Gesetz zur Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung“ -, wurde wiederum im Jahr 2005 darüber debattiert, die Duldungspraxis und hier insbesondere die langjährige, immer wiederkehrende Neuerteilung von Duldungen, die sogenannten Kettenduldungen, abzuschaffen, Duldungen, die keinen Aufenthaltstitel im eigentlichen Sinne darstel
len. Diese wurden und werden manchmal wochenweise, manchmal für einen Monat, manchmal monateweise erteilt. Diese Duldungen prägen die Lebenssituation der betroffenen Menschen als eine unsichere Lebenssituation und eine rechtlose Lebenssituation. Der damalige Innenminister Otto Schily sagte kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des neuen, das Ausländergesetz ablösende Aufenthaltsgesetz, er wurde in der ZEIT am 18.01.2005 zitiert: „Diese Menschen bekommen einen ordentlichen Aufenthaltsstatus; Kettenduldungen schaffen wir ab.“ Der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag Dieter Wiefelspütz sprach vom § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz von der Schlüsselnorm für die Lösung des Problems der Kettenduldungen. Die Anwendung des § 25 Abs. 5 solle sicherstellen, dass die Praxis der Kettenduldungen beendet werde, so ließ es die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren verlauten. Nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz soll also geduldeten Flüchtlingen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, so steht es in Satz 2, aber allerdings nur - das steht dann in Satz 3 -, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Das bedeutet im Prinzip, meine Damen und Herren, dass alle, die aus Gründen, für die man sie nicht persönlich verantwortlich machen kann, dass also alle, die seit mehr als 18 Monaten unverschuldet eine Duldung haben, nun eigentlich eine sicherere und mit mehr sozialen Rechten verbundene Aufenthaltserlaubnis bekommen sollten. Das aber war blanke Theorie. Die Praxis offenbarte etwas völlig anderes, so dass sich die Innenminister der Länder - das ist schon genannt worden - im November 2006, also keine zwei Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlage für die Abschaffung der Kettenduldungen, auf eine sogenannte Bleiberechtsregelung einigten. Damals lebten rund 200.000 Flüchtlinge mit einer sogenannten Duldung in der Bundesrepublik, darunter etwa 120.000 seit mehr als fünf Jahren Geduldete. Frau Renner hat vorhin aktuelle Zahlen genannt.
Nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom November 2006 sollten wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten können und sie mussten dazu eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen:
Ein Bleiberecht konnte erstens erhalten, wer zum Stichtag 17. November 2006 seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebte. Für Familien mit minderjährigen Kindern verkürzte sich der Zeitraum auf sechs Jahre. Die zweite Bedingung war ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis, mit dem der Lebensunterhalt der Personen bzw. der Familie gedeckt werden kann, ohne dass auf ergänzende Sozialleistungen zurückgegriffen werden muss. Ferner musste die Familie - drittens - ausreichenden
Wohnraum nachweisen, mussten die Kinder - viertens - den Kindergarten oder die Schule besuchen und - fünftens - alle betroffenen Personen ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen.
Der Beschluss der Innenministerkonferenz beinhaltete 2006 auch eine Reihe von Ausschlussgründen für ein Bleiberecht. Diese sind schon angeklungen. Kein Bleiberecht erhalten demnach Personen, die die Ausländerbehörden vorsätzlich getäuscht haben, Personen, die Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Kreisen haben oder in einem gewissen Umfang straffällig geworden sind. Bei diesem Ausschlussgrund führten die Innenminister gleich auch noch die Sippenhaft ein, nämlich wenn ein Familienmitglied aufgrund von Straftaten vom Bleiberecht ausgeschlossen ist, so gilt dies für seine gesamte Familie.
Bereits damals wurde eine solche Bleiberechtsregelung als völlig unzureichend und unsozial kritisiert und es wurde prognostiziert, dass sich angesichts dieser Kriterien, insbesondere der Pflicht zur Lebensunterhaltssicherung, an der Lebenssituation der über 100.000 langjährig geduldeten Menschen nichts wesentlich verändern werde. Dennoch führte der IMK-Beschluss, mit Ausnahme der Stichtage, die angepasst wurden, nahezu identisch zur Aufnahme in die neu geschaffenen §§ 104 a und 104 b des Aufenthaltsgesetzes, deren Wirkung bis zum 31.12.2009 festgesetzt wurde.
Tatsächlich haben auch diese beiden Bleiberechtsreglungen ihr eigentliches Ziel verfehlt. Die hohen Zugangsschwellen, insbesondere die vollständige Sicherung des Lebensunterhalts durch ein eigenes Einkommen, führten dazu, dass nur ein ganz geringer Teil der Betroffenen nach der vorläufigen Aufenthaltserlaubnis auch eine richtige Aufenthaltserlaubnis erhalten hat. Die Konsequenz dieser praktischen Auswirkungen der rechtlichen Regelung wäre gewesen, dass mehrere Tausend Flüchtlinge in die Duldung zurückgefallen und somit erneut vollziehbar ausreisepflichtig geworden wären.
Auch zwischenzeitlich eingeführte Regelungen zur Erleichterung von Arbeitsmigration hatten für Flüchtlinge faktisch keine Relevanz. Dies veranlasste dann die Innenministerkonferenz ein zweites Mal, eine in der Praxis erneut gescheiterte Bleiberechtsregelung zu korrigieren. Die gesetzliche Bleiberechtsregelung wurde zunächst um zwei Jahre verlängert und es wurde angekündigt, eine neue gesetzliche Regelung bis zum 31.12.2011 zu schaffen.
Seit dem 19. November 2010 liegt nunmehr der Vorschlag auf dem Tisch, den der Bundesrat am 17. Dezember letzten Jahres auf den gesetzgebenden Weg gebracht hat. Gut integrierten jungen Ausländerinnen und Ausländern soll danach ein eigenes Bleiberecht ermöglicht werden. Voraussetzung soll sein, dass die Jugendlichen die deutsche Spra
che beherrschen und gute Schulleistungen vorweisen. Dies wird aber nicht oder nur in besonderen Ausnahmefällen für die Eltern dieser Jugendlichen gelten.
Dieser Beschluss der Innenminister orientiert sich vor dem Hintergrund des demographischen Wandels in erster Linie an inländischen, an wirtschaftlichen Interessen. Ziel ist, den bereits zu verzeichnenden und sich für die Zukunft verstärkenden Fachkräftemangel in der Bundesrepublik Deutschland einzudämmen. Meine Kollegin Renner hat darauf bereits verwiesen.
Der Präsident des Caritasverbandes Peter Neher kritisierte die Kopplung des Bleiberechts für Jugendliche an - ich zitiere - „Nützlichkeitserwägungen“ und sagte, die IMK-Entscheidung sei keine Lösung im Interesse der Menschen, die seit langer Zeit nur geduldet in Deutschland leben. Andere Kritikerinnen und Kritiker bezeichnen den Beschluss als unmenschlich, weil er darauf hinausläuft, dass Familien auseinandergerissen werden. Ich finde es schon äußerst perfide, wenn Frau Kanis sich hier vorne hinstellt für die SPD und diese Regelung lobt, weil damit die Jugendlichen endlich von der Sippenhaft entbunden würden. Das darf einfach nicht wahr sein, dass man so etwas so umdreht.
Es gibt natürlich auch Menschen, die dieses Vorhaben der neuen Bleiberechtsregelung für integrierte Jugendliche zwar als nur eine Minimallösung, aber einen ersten Schritt in die richtige Richtung bezeichnen. Das will ich gar nicht verschweigen.
Meine Damen und Herren, angesichts der tatsächlichen Lebenssituation, einem Leben ohne Perspektive über viele Jahre, einem Leben mit weniger Rechten, einem Leben in Isolation, in zum Teil maroden Lagern - einige von Ihnen kennen selbst die Lager, in denen die Flüchtlinge hier in Thüringen leben müssen -, Leben in Lagern ohne eine Privatsphäre, Leben in ständiger Angst vor der Abschiebung in ein Land, aus dem die Eltern vor Jahren geflohen sind und das die Kinder meistens nicht mal kennen, angesichts dieser Lebenssituation braucht es keine Minimallösungen für einen kleinen Teil der betroffenen Menschen. Es braucht auch keine kleinen ersten Schritte, die zudem noch - wie höhnisch - Integration abverlangen, die aber überhaupt nicht ermöglicht wird und die die Trennung von Familien meint. Was ist das überhaupt für ein Land, das von jungen Menschen abverlangt, sich für eine Integration in die deutsche Gesellschaft von ihren Eltern zu trennen? Das ist ein unmenschliches und egoistisches Land. Ein Land, das offenbart, es geht mir nicht um die Menschen, es geht mir um Potenziale, es geht um wirtschaftliche Interessen, letztlich geht es mir um das Geld. Wer uns nützt, darf bleiben, wer nichts nützt, uns sogar noch
etwas kostet, muss gehen. Das ist die Quintessenz aus solchen Überlegungen. Eine solche Klassifizierung von Menschen ist in der Tat ein erster Schritt, aber kein richtiger. Es ist ein Schritt zur Aufgabe des Prinzips der Menschenwürde.
Langjährig geduldete Flüchtlinge, deren Abschiebung durch die Behörden selbst über viele Jahre ausgesetzt wurde, brauchen eine echte Lebensperspektive. Deshalb liegt Ihnen heute sowohl der Antrag als auch der Entschließungsantrag vor.
Im Oktober 2006 diskutierte der Thüringer Landtag schon einmal einen Antrag für ein humanitäres Bleiberecht. Damals war das ein gemeinsamer Antrag mit einer anderen Fraktion, nämlich es war ein Antrag der Fraktionen der SPD und der Linkspartei.PDS. Damals hat Frau Pelke für die SPD ausgeführt, und ich möchte Frau Pelke zitieren, sie sagte am 20. Oktober 2006: „Worum geht es uns? Um das Aufenthaltsrecht für langjährig geduldete Flüchtlinge. Es geht uns darum aus menschlichen Gründen. Ich glaube, dass jeder, der sich für Humanität in dieser Welt stark macht, einem solchen Antrag eigentlich zustimmen muss.“ Und Frau Pelke sagte weiter: „Hier geht es nicht um politische Ideologien oder sonst irgendetwas, hier geht es um menschliches Handeln.“
Der damalige Antrag beinhaltete nahezu gleichlautende Kriterien für ein humanitär begründetes Bleiberecht, so dass das, was Frau Pelke damals - vor etwas mehr als vier Jahren - hier ausführte, wohl auch heute noch gilt. Und ich hoffe, dass ebenfalls noch gilt, was Frau Pelke damals von der CDU im Erfurter Stadtrat berichtet hatte, nämlich dass die CDU-Stadträte „sehr deutlich gemacht haben, sie stimmen der Erklärung aus formalen Gründen nicht zu, weil sie der Meinung sind, dass dieses nicht in den Stadtrat gehört, aber dass sie sich voll und ganz hinter den Inhalt dieser gemeinsamen Erklärung stellen.“ Damals hatten die Linkspartei.PDS, die GRÜNEN und die SPD eine Erklärung zu einem humanitären Bleiberecht im Stadtrat eingebracht. Frau Pelke hat weiter gesagt, dass diese CDUStadträte diese Erklärung auch nicht abgelehnt hätten, sie hätten sich enthalten, bis auf zwei der CDU-Stadträte. Frau Pelke hat dann zum Schluss gesagt: „In dem Fall kann man sagen, der Stadtrat hat sich einstimmig aus humanitären Gründen für ein solches Aufenthaltsrecht entschieden.“
Sehr geehrte Damen und Herren, einen wesentlichen Unterschied gibt es allerdings zu unserem damaligen gemeinsamen Antrag: Die Voraufenthaltszeiten sind geringfügig verringert und das hat natürlich seine Gründe. Denn nach einem maximal vierjährigen Aufenthalt besteht nach europäischer und nationalstaatlicher Rechtsprechung ein uneinschränkbarer und gleichwertiger Anspruch auf Integration, der sich in keiner Weise von den Bedürfnissen von Inländern bzw. Nichtdeutschen mit gesi
chertem Aufenthaltsstatus unterscheiden darf. Dies kommt auch in den seither veränderten und angepassten gesetzlichen Regelungen in § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes und in § 10 der Beschäftigungsverfahrensordnung zum Ausdruck. Daraus folgt, dass mindestens diejenigen, die über einen vierjährigen, nachgewiesenen Aufenthalt verfügen, Anspruch auf ein eigenständiges Leben ohne speziell ausländerrechtliche Sanktionsmöglichkeiten und mit einem vollwertigen Integrationsanspruch besitzen. Ein solcher Anspruch lässt sich letztlich und auch tatsächlich nur durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verwirklichen.
Und wenn, Frau Holbe, Sie dann davon sprechen, dass in unserem Antrag, weil da „stichtagsfrei“ steht, das Bleiberecht unabhängig von einer Aufenthaltsdauer gewährt werden soll, dann hätten Sie einfach wirklich selber mal unseren Antrag lesen sollen. Wir haben nämlich Voraufenthaltszeiten festgeschrieben in Punkt 2 unseres Antrags unter a, b, c und d; lediglich für die Opfer kriegerischer, bürgerkriegsähnlicher bzw. nichtstaatlicher Auseinandersetzungen oder für Traumatisierte und auch für Opfer rechtsextremer und rassistisch motivierter Gewalttaten in der Bundesrepublik haben wir keine Voraufenthaltsdauer geschrieben.
Aus dem, was ich gesagt habe, folgt, dass mindestens diejenigen, die über einen vierjährigen, nachgewiesenen Aufenthalt verfügen, Anspruch auf ein eigenständiges Leben haben müssen. Davon natürlich bleibt aber ganz unbeschadet die Regelung in § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz, die ich schon zitiert habe, dass nämlich keine Duldung länger als 18 Monate andauern soll, wenn die Unmöglichkeit der Abschiebung nicht durch den Flüchtling selbst verursacht wurde. Und das muss tatsächlich in der ausländerrechtlichen Praxis Umsetzung finden und da will ich einfach ganz scharf den Herrn Rieder anschauen, dass er das in seinen Ausländerbehörden auch durchsetzt.
Darüber hinaus ist es aber notwendig, eben - ich erwähnte es schon - für besondere Gruppen von Flüchtlingen andere Kriterien anzusetzen bzw. auf Voraufenthaltszeiten zu verzichten. Das sind aufgrund der besonders gravierenden Einschnitte in die persönliche Lebensführung durch einen langjährigen ungesicherten Aufenthalt die minderjährigen Kinder, die schwer erkrankten Menschen oder Menschen mit Behinderungen und die Opfer von rechtsextremen und rassistischen Gewalttaten. In jedem Fall gehen wir aber davon aus, dass eine Bindung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Sicherung des Lebensunterhalts unverhältnismäßig ist und dem humanitären Grundgedanken nach der gleichwertigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben diametral entgegensteht. Mit einer solchen Bindung würden humanitäre Überlegungen und die Bindung des Verwaltungsvollzugs an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte faktisch
hinter fiskalische Überlegungen zurücktreten. Mit den vorgeschlagenen Kriterien für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würden wir eine stichtagsfreie Bleiberechtsregelung auf den Weg bringen, die sich an den grundlegenden Rechtsansprüchen und an den Zielen für ein humanitär begründetes Bleiberecht orientiert und die ein jahrelanges entwürdigendes Leben ohne Sicherheit und mit weniger Rechten beendet. Mit den vorgeschlagenen Kriterien für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würden wir endlich auch einen Satz aus Ihrer Koalitionsvereinbarung zumindest teilweise umsetzen, nämlich den: Die Landesregierung sorgt für eine gelingende Integration aller Menschen, die dauerhaft hier leben wollen. Dafür bitten wir um Ihre Zustimmung oder, um mit den Worten von Frau Pelke zu sprechen: Ich glaube, dass jeder, der sich für Humanität in dieser Welt stark macht, einem solchen Antrag eigentlich zustimmen muss. Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Berninger. Uns liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Doch, Herr Staatssekretär hat sich zu Wort gemeldet.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Fraktion DIE LINKE fordert die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für ein stichtagsfreies Bleiberecht für Flüchtlinge einzusetzen, das unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts erteilt werden soll. Sie begründet ihren Antrag damit, dass die bisherigen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes und die Bleiberechtsregelungen von 2006, 2007 und 2009 die Situation der langfristig Geduldeten nicht verbessert hätten. Diese Behauptung ist unzutreffend. Sie steht im Widerspruch zur Entwicklung der letzten Jahre.
Ich möchte das kurz erläutern. Mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes im Jahr 2005 stehen den Ausländerbehörden mehrere gesetzliche Instrumentarien zur Verfügung, die es ermöglichen, langjährig geduldeten Ausländern ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu gewähren. Des Weiteren trugen der Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz vom November 2006, die gesetzliche Altfallregelung in § 104 a des Aufenthaltsgesetzes sowie eine weitere Bleiberechtsregelung aufgrund des IMK-Beschlusses vom Dezember 2009 zur Lösung humanitärer Probleme bei. Diese rechtlichen Möglichkeiten wurden von den Ausländerbehörden im Interesse der Betroffenen in großer Zahl genutzt und umgesetzt. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ausländerbehörden für ihre sehr verantwortungsvolle Arbeit.
Lassen Sie mich aber auch ein paar Zahlen nennen, bezogen auf Thüringen. Bis zum 31. Dezember 2010 erhielten allein in Thüringen 771 Personen, die unverschuldet nicht ausreisen konnten, eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes.
Herr Staatssekretär Rieder, verzeihen Sie, ich würde das geschätzte Auditorium doch um etwas mehr Ruhe und etwas mehr Aufmerksamkeit bei den Worten des Staatssekretärs bitten.
Vielen Dank. Darüber hinaus erhielten seit 2005 auf Ersuchen der Härtefallkommission bislang 417 Personen ein Aufenthaltsrecht. Zudem konnte nach Maßgaben des IMK-Beschlusses vom November 2006 435 Personen Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Schließlich erhielten von 320 Personen, die am 31. Dezember 2009 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe waren und einen Verlängerungsantrag gestellt haben, 295 Personen eine Aufenthaltserlaubnis. Im Ergebnis all dieser Maßnahmen reduzierte sich in Thüringen die Zahl der Personen im Duldungsstatus von 2.260 Personen Ende 2005 auf 1.237 Personen im Dezember 2010.
Sie sehen, meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten Weg, wozu sicherlich auch die vorgesehene Neuregelung des § 25 a Aufenthaltsgesetz für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende weiter beitragen wird. Hierauf möchte ich noch kurz eingehen. Die letzte Innenministerkonferenz hat, was eben schon mehrfach angesprochen wurde, beschlossen, gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden eine gesicherte Aufenthaltsperspektive zu eröffnen. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat auf seiner Sitzung am 17. Dezember 2010 mit den Stimmen des Landes Thüringen beschlossen, zu dem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften Stellung zu nehmen und dem Bundestag vorzuschlagen, einen neuen § 25 a in das Aufenthaltsgesetz einzufügen. Nach der vorgesehenen Vorschrift kann Jugendlichen und Heranwachsenden ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt werden, wenn sie sich unter anderem seit sechs Jahren im Bundesgebiet aufgehalten und hier sechs Jahre eine Schule besucht oder einen anerkannten Schulund Berufsabschluss erworben haben. Zudem muss gewährleistet sein, dass sie sich aufgrund ihrer Ausbildungsund Lebensverhältnisse in die Bundesrepublik Deutschland integrieren können. Erstes Ziel dieser Maßnahme ist, den Jugendlichen eine Perspektive
zu bieten. Es geht hier nicht um wirtschaftliche Interessen des Bundes oder der Länder. Unter engeren Voraussetzungen haben aber auch die Eltern die Möglichkeit, ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Sie müssen die Voraussetzungen erfüllen, die in § 60 a der Neuregelung genannt sind. Da zu erwarten ist, dass das Gesetz mit den genannten Vorschriften in absehbarer Zeit in Kraft treten wird, wurde das Landesverwaltungsamt am 19. Januar 2011 gebeten, die Abschiebung solcher Ausländer zurückzustellen, die mit Inkrafttreten des Gesetzes zu dem begünstigten Personenkreis der neuen Vorschriften gehören. Damit ist auch der Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE vom 26.01. überflüssig. Es bedarf auch keiner besonderen Blicke, Frau Berninger - das, was Sie gefordert haben, ist schon Praxis.
Jetzt noch ein Wort zu Ziffer 2 Ihres Antrags. Schaut man sich die angesprochene Regelung näher an, so wird deutlich, dass sie lediglich an bestimmte Voraufenthaltszeiten anknüpft. So soll grundsätzlich schon nach einem vierjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik die Erteilung eines Aufenthaltstitels möglich sein. Bei verschiedenen Gruppen, wie z. B. Personen, die mindestens ein minderjähriges Kind haben, soll bereits nach zwei Jahren ein Aufenthaltstitel erteilt werden. In allen Fällen soll die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts erfolgen. Eine solche schrankenlose Altfallregelung wird von der Landesregierung abgelehnt.
Geduldete Ausländer sind - und darauf muss noch einmal hingewiesen werden - grundsätzlich ausreisepflichtig. In den meisten Fällen handelt es sich um abgelehnte Asylbewerber oder um Ausländer, die illegal eingereist sind und nach einer legalen Einreise und späterem Ablauf ihres Aufenthaltsrechts illegal in Deutschland geblieben sind. Ein Aufenthaltsrecht für geduldete Personen, das nicht mehr an die Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung geknüpft ist, würde einer Zuwanderung in die Sozialsysteme Tür und Tor öffnen. Wir halten es auch für inakzeptabel, dass nach dem Antrag der Fraktion DIE LINKE Ausländer, die sich nicht integriert haben oder die gar Straftaten begangen haben, hier im Wege einer Altfallregelung auf Dauer bleiben sollen. Aus diesen Gründen bitte ich, beide Anträge der Fraktion DIE LINKE abzulehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Rieder. Uns liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich habe aber noch eine Frage an Herrn Bergner. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie Ausschussüberweisung sowohl für den Antrag als auch den Entschließungsantrag beantragt haben?
Dann wurde Ausschussüberweisung an den Innenausschuss beantragt und wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Überweisung des Antrags in der Drucksache 5/2156 an den Innenausschuss. Wer der Überweisung dieses Antrags an den Innenausschuss zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen von FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Gegenstimmen? Das sind die Stimmen der CDU und der SPD. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall.
Da die Ausschussüberweisung nicht beschlossen wurde, kommen wir direkt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/2156. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Gibt es Gegenstimmen? Das sind die Stimmen der Fraktionen der FDP, der SPD und der CDU. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/2219. Hier wurde ebenfalls Ausschussüberweisung an den Innenausschuss beantragt. Wer zunächst der Ausschussüberweisung an den Innenausschuss zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP. Gibt es Gegenstimmen? Das sind die Stimmen der Fraktionen CDU und SPD. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt.
Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE in Drucksache 5/2219. Wer diesem Antrag folgen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? Das sind die Stimmen der Fraktionen SPD, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.