Protocol of the Session on October 7, 2010

Vielen Dank. Ich schließe an dieser Stelle die Fragestunde und rufe auf den Tagesordnungspunkt 1

Drittes Gesetz zur Änderung des Thüringer Kommunalwahlgesetzes Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/478 dazu: Beschlussempfehlung des Innenausschusses - Drucksache 5/1583

ZWEITE BERATUNG

Das Wort hat jetzt Abgeordnete Doht aus dem Innenausschuss zur Berichterstattung.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Innenausschuss hat in mehreren Sitzungen den vorliegenden Gesetzentwurf beraten. Die erste Beratung dazu fand in der 6. Sitzung des Innenausschusses am 19.03. statt. Dort wurde die Landtagsverwaltung beauftragt, eine Synopse mit den Regelungen und Erfahrungen der anderen Bundesländer zusammenzustellen. In der 7. Sitzung am 23. Oktober hat der Innenausschuss mehrheitlich eine schriftliche Anhörung beschlossen. Unter anderem wurde beschlossen, neben dem Gemeinde- und Städtebund und dem Landkreistag auch die Jugendverbände der im Thüringer Landtag vertretenen Parteien anzuhören. Die Auswertung dieser Anhörung und der Synopse der Landtagsverwaltung erfolgte in der 11. und 12. Sitzung am 13.08. bzw. 03.09. In Auswertung der Anhörung nach intensiver Diskussion empfiehlt der Ausschuss, den vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen.

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Doht. Ich eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat auf meiner Rednerliste der Herr Abgeordnete Adams von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine schwere Rede, auch eine Rede, die für mich viel Ernüchterung nach einem Jahr Abgeordneten-Sein in diesem Landtag inne birgt,

(Beifall DIE LINKE)

weil ich ahne oder glauben muss, dass es relativ egal ist, was ich heute hier sagen werde, die Entscheidung steht fest.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich bin natürlich nicht so naiv zu glauben, dass wir uns hier mit unseren Reden im Parlament überzeugen werden, und die Literatur zum Parlamentarismus zeigt das ja auch ganz deutlich, dass die Willensbildung viel eher oder vielmehr nicht im Parlament, aber in den Ausschüssen und in den Fraktionssitzungen stattfindet. Aber da genau ist der Haken. Ich habe auch da den Eindruck, dass schon, als wir mit der Beratung im Ausschuss begonnen haben, die Entscheidung eigentlich leider feststand. Das ist schlecht für unsere Demokratie, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ein Zeichen dafür war auch der Versuch, noch einmal mit der Union ins Gespräch zu kommen, der damit endete, dass man über den Flur gerufen bekam, ganz kurz, „leider kein Gesprächsbedarf“. Warum fragen wir denn 20 Vereine, Verbände, Jugendorganisationen unserer demokratischen Parteien an, Wissenschaftler, den Landesjugendring, den Gemeinde- und Städtebund, warum fragen wir denn 20 solcher Organisationen an, wenn es uns eigentlich in Wirklichkeit gar nicht interessiert? Das macht ein schlechtes Bild dieses Parlaments. Wir sollten ehrlich mit uns und mit den Menschen sein, mit denen wir die Arbeit machen. 20 haben wir angefragt, 12 sagen, das ist eine gute Idee - eine gute Idee, das Wahlalter abzusenken.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sechs sagen, das ist keine gute Idee. Das ist im Pluralismus total okay. Aber wenn man sich einmal anschaut, wen wir eigentlich als negativ schon bewertet haben, dann ist darunter der Städte- und Gemeindebund, der eigentlich sagt, ja, das ist total in

Ordnung, warum sollen die jungen Leute nicht bei uns wählen? Aber die einzige Kritik, die sie sagen, warum sie dieses Gesetz ablehnen, ist, warum soll das wieder auf der kommunalen Ebene beginnen, macht ihr das doch als Land erst einmal auf der Landesebene. Ich finde, das ist eigentlich eine ablehnende Haltung zum Gesetz, die man schon eher als Pro sehen müsste, als Pro sehen könnte.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Man sollte an der Stelle den Städte- und Gemeindebund einfach unterstützen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir haben gute Argumente, das Wahlalter bei den Kommunalwahlen auf 16 abzusenken. Ich will aber zunächst einmal noch auf die Gegenargumente eingehen. Es wird immer wieder argumentiert, die Reife sei nicht gegeben. Niemand fragt bei älteren Menschen, ob die Reife in jedem Fall gegeben ist.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir fragen auch nicht - und ich habe das in meiner einbringenden Rede damals im März gesagt - danach, ob es denn eine reife Entscheidung wäre, in Erfurt Kommunalwahlen an Personalien zum Beispiel von Stadtwerkegeschäftsführern zu koppeln ist das denn eine reife Wahlentscheidung? Ich darf das fragen. Ist es denn eine reife Wahlentscheidung, um auch mich in die Kritik zu stellen, eine pazifistische Partei zu wählen, die nach Afghanistan in den Krieg zieht? Diese Reife ist doch etwas außerordentlich Relatives und es ist genau jedem Einzelnen als Gewissensentscheidung aufgegeben, was eine reife Entscheidung ist und diese Entscheidung können, dürfen und müssen die 16-Jährigen in Thüringen auch treffen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das absurdeste Gegenargument ist jenes, das immer wieder gesagt wurde oder häufig gesagt wurde: Es gibt eigentlich keine Notwendigkeit, hier etwas zu ändern. Das sehe ich im Übrigen vollkommen anders. Nicht nur, weil wir als Parlament den Auftrag haben aus der Verfassung, Recht natürlich weiterzuentwickeln - und das wäre ein guter Ansatz, Recht weiterzuentwickeln und ich werde nachher noch einmal auf dieses Argument zurückkommen müssen -, sondern es ist im Übrigen auch so, dass wir - diese Karte zeigt es - in sieben von 16 Bundesländern die Möglichkeit haben, dass 16Jährige an der Wahl teilnehmen können. Warum darf man das in Schleswig-Holstein und nicht bei uns? Sicher, Schleswig-Holstein ist ein Küstenstaat. Aber was unterscheidet ihn eigentlich bei der Frage der Auslegung des Grundgesetzes, bezogen

auf den Artikel 20 Abs. 2 Satz 1: „Die Gewalt geht vom Volke aus.“? Was unterscheidet uns eigentlich von Kiel hier in Erfurt? Nichts. Meiner Meinung nach nichts. Wir hätten die Pflicht, wir haben nicht nur die Aufgabe und die Chance, sondern wir hätten die Pflicht, dieses Recht weiterzuentwickeln und jungen Menschen die Möglichkeit zur Mitbestimmung zu geben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier schließe ich an die Argumentation des Landesjugendrings an, der ungefähr so argumentiert: „Früh übt sich, was ein Meister werden will.“ Demokratie fällt nicht vom Himmel, Demokratie muss geübt werden und sie muss jeden Tag weiterentwickelt werden. Man muss das auch lernen, diese Entscheidungen in der Wahlkabine und bei Abstimmungen treffen zu können. Wir wollen jungen Leuten diese Chance geben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben gestern bei der Shell-Studie auf Antrag der CDU darüber geredet, dass es natürlich außerordentlich wichtig ist, jungen Menschen Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten. Nun an, lasst Taten sprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Gestern war eine junge Frau mit hier vor der Tür, die vor wenigen Wochen oder Tagen am zweiten Jugendkongress des Thüringer Nachhaltigkeitsbeirates teilgenommen hat, die uns einen Brief geschrieben haben, das ist sicher in allen Fraktionen angekommen: Nicht labern, machen! Wir hätten hier die Chance, ein deutliches Zeichen zu setzen: Ja, wir machen, wir wollen machen und wir sind sehr interessiert daran, was junge Menschen in Thüringen über unsere Politik denken und was sie einzubringen haben und diese Chance sollten wir ihnen geben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich noch einmal auf das Verfassungsargument. Meiner Meinung nach verpflichtet uns die Thüringer Verfassung, die Möglichkeit zum Wählen zu geben - und ich will sie an dieser Stelle ganz kurz zitieren, und zwar den Artikel 45, denn der Artikel 45 beginnt mit dem Satz 1: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Es verwirklicht seinen Willen durch Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Begriff „Volk“ differenziert sich von jedermann, er differenziert sich von Bürger, ganz besonders von Bürger, der man nämlich erst wird, wenn man ein be

stimmtes Alter hat, bestimmte Rechte hat und bestimmte Pflichten damit auch hat. Volk ist jeder, der in diesem Land geboren ist, ab der ersten Sekunde. Wir brauchen gute Argumente, warum wir Einzelne ausschließen. Es ist, glaube ich, argumentierbar, dass der Säugling oder das Kleinkind noch nicht wählen können, aber die neueste Forschung zeigt uns - und auch das war in der Anhörung zu lesen -, es gibt keinen signifikanten Reifeunterschied mehr für Menschen über 16 und über 18 bei der Möglichkeit, freie Entscheidungen, klare Entscheidungen zu treffen. Das müssen wir respektieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir sind nicht mehr Anfang des Jahrhunderts, wo man darüber stritt, ob Frauen genauso gut entscheiden können wie Männer. Wir sind nicht mehr in den Anfangsjahren der Bundesrepublik, wo man sagt, ab 21 kann man erst wählen. Wir sind in einem neuen Jahrtausend angekommen und das muss sich auch in Thüringen in der Möglichkeit, Demokratie wahrzunehmen, deutlich zeigen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die größten Gegner dieser Reform, dieser Gesetzesänderung sind in der CDU-Fraktion dieses Landtags zu finden.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Die größten Verhinderer in der SPD.)

Lassen Sie mich zunächst zur CDU kommen. Man könnte jetzt sagen, es ist okay, wenn jemand immer und über alle Zeiten konsequent sagt, wir bleiben bei 18 und wir ändern daran nichts. Dann ist man halt konservativ bei seiner Meinung geblieben. Aber ich finde, gerade in diesen Tagen muss sich die CDU die Frage gefallen lassen, wie es denn mit der Fortentwicklung des Rechtsstaates bei ihr aussieht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie müssen sich doch die Frage stellen, was Sie mit Freiheit meinen. Ist es eine Freiheit, die vor 20 Jahren erkämpft wurde und dann paraphiert und unverändert bleibt, oder ist es eine Freiheit, die wir ständig jeden Tag neu erkämpfen und neu fortentwickeln wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren? Diese Antwort bleiben Sie bisher schuldig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die SPD ist schon angesprochen worden und es ist in der Tat so, die Sozialdemokraten haben sich hier selbst verraten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie haben so viele Menschen in Ihren Reihen, die dafür gekämpft haben, im Bundestag, an anderen Stellen oder früher oder in anderen Landtagen. Sie haben das an vielen Stellen, dort, wo Sie Verantwortung auf der Landesebene tragen, möglich gemacht, dass junge Menschen wählen können; hier in Thüringen lassen Sie das nicht zu. Sie lassen sich von Ihrem Koalitionspartner bei der Debatte um Windkraft vorführen, Sie lassen sich bei den Gesamtschulen durch den Kakao ziehen, Sie lassen es zu,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Es gibt keine Gesamtschulen.)

dass gestern hier eine wirtschaftspolitische Rede gehalten wird, wo Ihr Minister heruntergemacht wird, dann lassen Sie es der CDU durchgehen, aus ganz einfacher Ideologie den jungen Menschen nicht dieses Recht zu geben. Das finde ich einfach schäbig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Unruhe SPD)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)