Protocol of the Session on June 17, 2010

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kanis. Es hat jetzt das Wort die Abgeordnete Berninger von der Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Einstieg in meinen Beitrag die Schlussfolgerungen aus dem von Frau Rothe-Beinlich schon benannten Schreiben der Stellungnahme von Amnesty International zur Situation der Roma im Kosovo und zu den Abschiebungen von Roma in den Kosovo vom 06.05. dieses Jahres zitieren. Amnesty International schlussfolgert: „Roma werden im Kosovo schwer diskriminiert. Die Diskriminierung kann in zahlreichen Fällen eine staatliche Verfolgung darstellen. Spätestens die Veröffentlichung der OSZE-Analyse über eine nicht existente Implementierung der Reintegrationsstrategie hätte Anlass sein sollen, das Rückübernahmeabkommen mit dem Kosovo in seiner jetzigen Form nicht zu unterzeichnen. Das Rückübernahmeabkommen hätte Regelungen beinhalten müssen, die schutzbedürftige Gruppen, darunter Roma, von den Rückführungen ausnehmen, damit diese in Zukunft nicht mehr zwangsweise in den Kosovo zurückgeführt werden können.“

Der Anlass unseres Antrags gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind erstens akute Probleme von Roma-Familien, die derzeit in Thüringen akut von Abschiebung bedroht sind bzw. Familien, die auch schon abgeschoben wurden. Zweiter Grund unseres Antrags: Wir haben einen Brief aufgegriffen, den der Flüchtlingsrat Thüringen an Herrn Innenminister Prof. Dr. Huber geschrieben hat. Der Flüchtlingsrat schreibt: „Spätestens mit Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens zwischen Deutschland und dem Kosovo am 14.04.2010 ist in eine rechtliche Form gegossen, was faktisch unverantwortlich ist.“ Dieses Unverantwortliche wollen wir für Thüringen verhindern. Es geht in unserem Antrag, was die Bundesebene betrifft, um ca. 23.000 Roma, die hier in Deutschland sind und um etwa 10.000 derzeit geduldete Menschen, die der Minderheitsgruppe der Roma, Ashkali und Ägypter angehören, die von Abschiebung bedroht sind. Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. fordert daher vom Thüringer Innenminister die sofortige Aussetzung der Abschiebung von Kindern und Jugendlichen in die von Frau Kanis bereits ansatzweise beschriebenen unsicheren und menschenunwürdigen Bedingungen im Kosovo. Wir schließen uns dieser Forderung an und haben sie hier im Landtag als diesen Antrag eingebracht, um für die Flüchtlinge, die den Roma angehören, in Thüringen auszuschließen, dass sie in diese unsicheren und menschenunwürdigen Verhältnisse abgeschoben werden.

Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat in seiner Stellungnahme vom 9. Dezember 2009 bereits angemahnt, Abschiebungen in den Kosovo auszusetzen. Auch hieraus möchte ich zitie

ren. „Alle im Kosovo lebenden Kosovo-Roma sind weiterhin gravierenden Einschränkungen in Bezug auf ihr Recht auf Freizügigkeit und ihre fundamentalen Menschenrechte ausgesetzt einschließlich in Form schwerwiegender gesellschaftlicher und manchmal administrativer Diskriminierungen, die sie insbesondere daran hindern, ihre politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte auszuüben. Darüber hinaus wird von Bedrohungen und physischer Gewalt gegenüber diesen Gemeinschaften berichtet. Aufgrund ihrer äußeren und ethnischen Merkmale können Ashkali und Ägypter mit Kosovo-Roma verwechselt werden. Ähnlich wie Kosovo-Roma besitzen Ashkali und Ägypter oft keine Ausweispapiere und daher ist es für sie schwierig, Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und Bildung zu erhalten. Asylbegehren von Mitgliedern dieser Gemeinschaften sollten sorgfältig geprüft werden, damit beurteilt werden kann, ob internationaler Schutzbedarf wegen der Gefahr einer Verfolgung aufgrund der tatsächlichen oder zugeschriebenen äußeren Merkmale oder Nationalität besteht.“

Was droht Rückkehrern in den Kosovo, wenn sie den Gruppen der Roma, Ashkali oder Ägypter angehören? Frau Kanis hat es ansatzweise beschrieben, ich will es ein bisschen deutlicher und detaillierter noch versuchen. Nehmen wir das ganz alltägliche Leben. Was droht Rückkehrern, die den Roma, Ashkali oder Ägyptern angehören in Bezug auf das Wohnen? Viele der Rückkehrenden, egal ob sie nun freiwillig wieder zurückkehren oder abgeschoben werden, finden dort keinen Wohnraum. Viele der Menschen, die geflüchtet sind aus diesen bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder eben vor Verfolgung aufgrund ethnischer Ressentiments, sind aus Häusern geflüchtet, die im Bürgerkrieg zerstört wurden. Häuser, die nicht zerstört wurden, sind nun, nachdem die Menschen jahrelang nicht da waren, von anderen bewohnt. Es ist ungeheuer schwierig für Roma, ihren Besitz, also beispielsweise ihr Haus, wieder zurückzubekommen, weil manchmal keine Papiere da sind, weil es unheimlich schwer ist, behördlich Hilfe zu bekommen, damit man sein Heim wieder erhält. Wenn es tatsächlich mal dazu kommt, dass die Besitzverhältnisse zugunsten dieser Menschen geklärt werden, ist es oft so, dass die Menschen, die jetzt dort leben und ausziehen müssen, die Häuser beschädigen. Viele Roma können aber auch nicht wieder zurück in die Orte, in denen sie gelebt haben, bevor sie flüchten mussten, etwa weil es dort keine Gemeinschaft der Roma mehr gibt oder weil sie nach wie vor Angst haben, dort von anderen Gruppierungen angegriffen und gewalttätig misshandelt zu werden.

Der niedersächsische Flüchtlingsrat schreibt in seiner Stellungnahme zu einem Entschließungsantrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ

NEN: „Die Situation der Roma im Kosovo ist nach wie vor katastrophal. Die Mehrheit der Roma lebt in Armut, in Enklaven, ausgegrenzt von der albanischen Mehrheitsgesellschaft, viele von ihnen in Elendssiedlungen unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen.“ Die Arbeitslosigkeit der im Kosovo lebenden Roma liegt zwischen 90 und 100 Prozent. Der niedersächsische Flüchtlingsrat schreibt von 98 Prozent. Die staatliche Sozialhilfe, zu der nicht alle Zugang haben, deckt mit 35 € bis 75 € pro Haushalt, also pro Familie, nicht einmal die Lebensmittelkosten. Zugang zur Sozialhilfe hat man aber nur, wenn man die nötigen Papiere besitzt. Die Menschen, von denen ich eben sprach, die in ihre Heimatdörfer nicht wieder zurückkehren können, bekommen auch nicht die nötigen Dokumente, um Sozialhilfe erhalten zu können.

Zugang zur Gesundheitsversorgung ist auch ein sehr prekäres Thema im Kosovo, insbesondere für die Gruppe der Roma, Ashkali und Ägypter. Hier möchte ich aus den Richtlinien des UNHCR zitieren. Der UNHCR schreibt: Der Zugang zur Gesundheitsversorgung hängt einmal von einem gewissen Maß an Freizügigkeit ab, was die Roma aufgrund gravierender Armut etc. nicht haben. Darüber hinaus erschweren Korruption, lange Anreisewege sowie schlechte und unregelmäßige öffentliche Verkehrsmittel den Zugang zu Gesundheitsleistungen. Grundsätzlich - so der UNHCR - ist das öffentliche Gesundheitssystem nicht in der Lage, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn ich nicht den Bedürfnissen aller in meinem Land lebenden Menschen gerecht werden kann, dann nehme ich auf die Bedürfnisse von Minderheiten erst recht keine Rücksicht. Abgesehen davon, schreibt der UNHCR, dass die Qualität der Versorgung im Allgemeinen problematisch sein kann, können einige Krankheiten im Kosovo überhaupt nicht behandelt werden. Hierzu zählen insbesondere die Herzchirurgie, Krebsbehandlung, Organtransplantationen, Wirbelsäulenchirurgie oder die Behandlung schwerer Augenerkrankungen. Hinzu kommt noch, dass die finanzielle Armut der Minderheiten den Ausschluss aus dem Gesundheitssystem noch zusätzlich bedingt, da für alle medizinischen Leistungen privat gezahlt werden muss.

Die Forderung, meine Damen und Herren, nach Aussetzung von Abschiebungen der Roma, Ashkali und Ägypter in den Kosovo wird oft abgewiesen mit der Begründung, es gäbe im Kosovo keine staatlichen Repressionen. Hier möchte ich mal den Innenminister von Baden-Württemberg zitieren, der in der Antwort auf eine Anfrage schreibt: „Zudem gibt es keine Anzeichen für Repressionen von ethnischen Minderheiten durch die staatliche Seite.“ Und er schreibt auch: „Außerdem hat die Republik Kosovo kraft Verfassung die Europäische Menschenrechtskon

vention und das Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung für direkt anwendbar erklärt.“ Alles in Ordnung also nach Ansicht des Innenministers von Baden-Württemberg.

Auch der Bundesinnenminister teilt diese Einschätzung. Er schreibt in der Antwort auf die Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, es gebe keine staatliche Repression, ich zitiere: „Der Bundesregierung liegen keinerlei Anzeichen für gewalttätige Übergriffe vonseiten der Behörden der Republik Kosovo gegen ethnische Minderheiten vor.“ Der Flüchtlingsrat Niedersachsen entgegnet hier in der schon erwähnten Stellungnahme, dass die Zusicherungen der neuen Regierung im Kosovo, die Menschenrechte zu achten und der Diskriminierung von Minderheiten entgegenzutreten, unter dem Druck westeuropäischer Staaten gemacht worden sind, um anerkannt zu werden, und dass diese Zusicherungen nicht die gesellschaftliche Realität widerspiegeln. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen schreibt: „Die antiziganistischen Ressentiments gegenüber den Roma sind tief in die alltäglichen Beziehungen eingeschrieben und selbst bei gutem Willen der Regierung nicht durch kurzfristige Integrationsstrategien zu beseitigen.“

Amnesty International schätzt das ebenso ein und schreibt in seiner auch bereits erwähnten Stellungnahme, ich zitiere: „Auch die Strategie der kosovarischen Regierung für die Integration der Roma, Ashkali und Ägypter für die Jahre 2009 bis 2015 vom Dezember 2008 geht davon aus, dass diese Gemeinschaften im Alltag vielfach diskriminiert werden.“ Also selbst die Kosovo-Regierung schätzt ein, dass es diese Diskriminierung gibt. Amnesty International schreibt weiter: „Obwohl bestimmte Gesetze oder administrative Vorschriften für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen gelten, sind Roma davon in besonderer Weise negativ berührt.“ Man schätzt weiter ein, dass es bei der Prüfung, ob eine Diskriminierung vorliegt, nicht auf die Intention von Gesetzen ankommt, sondern auf die Wirkung in der Praxis, und die ist tatsächlich diskriminierend für die Angehörigen der Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter.

Auch gewalttätige Übergriffe aufgrund ethnischer Ressentiments, sagen sowohl der Bundesinnenminister als auch der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, seien zurückgegangen. Gleichzeitig aber schreiben beide - da habe ich das Gefühl gehabt, der Bundesinnenminister schreibt vom baden-württembergischen Innenminister ab, nämlich wortwörtlich bis auf ein Wort Unterschied schreiben beide, ich zitiere: „Nach Angabe von UMNIK lag der Anteil der aus ethnischen Motiven verübten Gewalttaten 2007 im unteren einstelligen Prozentbereich. Seit dem Jahr 2008 werden Straftäter in

der Kriminalstatistik, aber nicht mehr nach Volksgruppen differenziert aufgeführt.“ Also geben beide eigentlich zu, dass sie überhaupt keine zahlenmäßigen Anhaltspunkte haben, die die Annahme rechtfertigen, ethnisch motivierte Gewalt sei zurückgegangen. Der niedersächsische Flüchtlingsrat schreibt demgegenüber, auch die Gewalt gegen Roma seitens albanischer Mehrheitsangehöriger sei weiterhin ein großes Problem. „Die Menschenrechtsgruppe Chachipe dokumentierte im August 2009 mehrere ethnisch motivierte Angriffe gegen Roma. Auch der Menschenrechtskommissar des Europäischen Rats, Thomas Hammerberg, verweist in seinem Bericht zum Kosovo vom Juli 2009 auf wiederkehrende Zwischenfälle interethnischer Gewalt und ein Klima der Intoleranz.“

Auch nach den Erkenntnissen von Amnesty International ergibt sich einerseits zwar ein Rückgang der Zahlen, möglicherweise aber auch wegen der statistischen Nichterfassung solcher Gewalttaten. Amnesty schreibt aber auch, dass es ein Klima der Unsicherheit für die Minderheiten gibt, weil - ich zitiere: „sowohl die Vertreibungen und Entführungen von ethnischen Minderheiten durch Angehörige der albanischen UCK 1999 als auch die interethnische Gewaltwelle im März 2004, bei der mehr als 4.000 Serben, Roma und Ashkali vertrieben wurden, sind bis heute im Kosovo großteils straffrei geblieben. Dies führt zu einem Gefühl von Unsicherheit.“ Nach den Erfahrungen von Amnesty International fördert diese Straflosigkeit gewaltsame Übergriffe und weitere tätliche Angriffe. Die Täter können sich relativ sicher fühlen, weil ihnen keine Strafverfolgung droht.

Auf ein weiteres Problem macht Amnesty International aufmerksam, nämlich darauf, dass vielen der zurückkehrenden Roma, Ashkali und Ägypter in den Kosovo der Verfall in die Staatenlosigkeit droht. Das hat, glaube ich, auch Frau Kanis angesprochen, dass die Papiere oder die Dokumente, mit denen der Grenzübertritt möglich ist, also das Zurückkehren in den Kosovo, im Kosovo nicht anerkannt werden. Auch der Bundesinnenminister geht - ich weiß nicht ob bewusst oder unbewusst - auf dieses Problem ein, insbesondere was die vor Mai 2008 hierher geflüchteten Flüchtlinge aus dem Kosovo angeht. Er schreibt nämlich: „Kosovarische Staatsangehörige werden zudem erst seit Mai 2008 unter eigener Staatsangehörigkeit gespeichert. Man kann daher davon ausgehen, dass eine gewisse Zahl kosovarischer Staatsangehöriger, die insbesondere bereits vor Mai 2008 eingereist sind, gegebenenfalls noch unter früheren Staatsangehörigkeiten gespeichert sind“, die heute nichts mehr gelten.

Ich möchte Ihnen gerne noch zwei Beispiele vorlesen von Familien, die Roma sind. Die eine Familie ist eine bereits abgeschobene Familie. Hier lese ich

mal einen Bericht aus einem Papier von Pro Asyl vor. Es geht um Frau Moreni und ihre Kinder. „Frau Moreni ist Ashkali und wohnt mit vier Kindern im Kosovo in einem Haus in Vitumirice, etwa 300 Meter abseits der Hauptstraße. Sie wurden am 4. November 2008 in den Kosovo abgeschoben nach 17 Jahren in Deutschland. Der Vater und Ex-Ehemann ist seit längerem mit einer Deutschen verheiratet und schwer krebskrank. Die alleinerziehende Frau Moreni ist herzkrank und behandlungsbedürftig. Eine Herzoperation sollte in Deutschland in die Wege geleitet werden, im Kosovo sind Herzoperationen nicht durchführbar, ganz zu schweigen von den Kosten, die vom Patienten aufzubringen sind. Die Kinder können wenig albanisch und gehen nicht zur Schule. Auf Befragen antworten sie, dass sie keinen Kontakt zu anderen Jugendlichen im Ort haben und aus Angst vor Übergriffen selten aus dem Haus gehen. Der älteste Sohn, 9 Jahre, macht einen depressiven Eindruck, die anderen wirken aufgeweckt, wenn auch wegen ihrer Situation sehr besorgt. Die Frau Moreni hat im Kosovo keine Verwandten. Sie kommt ursprünglich aus Montenegro und ihr Mann war aus der Gegend von Peja. Dort besitzt die Familie des Mannes noch 35 Ar Land, das Haus jedoch ist zerfallen.“

Frau Moreni überlegt nun nach diesem Bericht, ein Wohnmobil zu kaufen, damit sie dort in dem Wohnmobil mit ihren Kindern auf dem Grundstück des Ex-Mannes wohnen kann, aber sie hat keine finanziellen Mittel für ein Wohnmobil. „Das Haus, in dem die Familie jetzt wohnt, gehört Bekannten. Die Familie kann dort nur übergangsweise wohnen. Das Haus ist geräumig, jedoch nur sehr notdürftig eingerichtet. Ein kleiner Gaskocher dient zum Kochen, Wasser gibt es nur sporadisch, so dass es in Vorratsbehältern aufgefangen werden muss. Auch Strom gibt es nur selten. Mehrere dünne Matratzen dienen als Schlafgelegenheiten.“ Das ist die Familie, die bereits abgeschoben wurde.

Derzeit bangt in Thüringen eine Familie, weil ihr Abschiebung droht. Diese Familie lebt zurzeit in Waltershausen. Es handelt sich um ein Ehepaar und ihre fünf Kinder. Das jüngste Kind ist 4 Monate alt. Das älteste Kind wird in diesem Jahr 11 Jahre alt. Das ist auch das einzige Kind der Familie, das nicht in Deutschland geboren ist. Alle anderen Kinder sind in Deutschland geboren. Die Frau hat eine Herzkrankheit, die zweitjüngste Tochter leidet an einer Herzerkrankung. Das 4 Monate alte Kind hat ein Loch im Herzen und muss behandelt werden. Diese Familie wird derzeit noch nicht abgeschoben, weil für das jüngste Kind noch ein Asylverfahren läuft. Der 4 Monate alte Sohn hat im Moment eine Aufenthaltsgestattung, aber es ist absehbar, dass über kurz oder lang das Asylverfahren des kleinen Jungen negativ enden wird. Dann steht diese Familie vor

der Abschiebung in die Verhältnisse, die ich eben beschrieben habe.

Auch Frau Kanis ist auf die Verhältnisse eingegangen. Frau Kanis, Sie haben grundsätzlich beklagt, wie die Verhältnisse dort sind. Sie haben grundsätzlich den Einschätzungen der Menschenrechtsorganisationen zugestimmt bzw. recht gegeben. Ihre Schlussfolgerung, die für mich völlig unlogisch ist, ist dann aber, dass jedes Schicksal einzeln geprüft werden soll. Wenn man nach diesen grundsätzlichen Mängeln im Kosovo geht, dann wird für jede Familie, die Roma ist oder Askhali oder Ägypter aus dem Kosovo, die Einzelfallprüfung so lauten, dass immer dieselben Wohnverhältnisse sind, immer dieselben Armutsverhältnisse sind für alle einzelnen Menschen, die Gesundheitsversorgung schlecht ist, dass ethnische Übergriffe, tätliche Angriffe drohen und dass für jeden dieser Einzelfälle, der geprüft wird, im Ergebnis herauskommen wird, man kann ihn nicht abschieben.

Ich finde das ein wenig unlogisch und möchte Sie deswegen bitten, Ihre Einschätzung oder Ihre Schlussfolgerung noch einmal zu überdenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß aus Erfahrung, dass Sie sehr wenig geneigt sind, meinen Argumenten zu folgen. Deswegen möchte ich genau mit dem Zitat abschließen, was Frau RotheBeinlich in der Begründung schon angeführt hat. Ich denke, da schließt sich dann der Kreis. Ich möchte nämlich auch die Deutsche Bischofskonferenz zitieren, die unmittelbar nach Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens sich in einer Pressemitteilung geäußert hat. Die Bischöfe schreiben. „Die Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz hat erneut ihre Sorge über die Situation der in Deutschland lebenden und von der Abschiebung bedrohten Roma und andere Minderheiten aus dem Kosovo zum Ausdruck gebracht. Viele internationale Institutionen sowie eigene kirchliche Quellen berichten glaubwürdig von der weiterhin prekären sozioökonomischen Lage sowie andauernder, teilweise massiver Diskriminierung von Minderheiten im Kosovo und warnen vor einer zwangsweisen Rückführung dieser Menschen.“ Bischof Norbert Trelle sagt - er ist der Vorsitzende der Migrationskommission: „Menschen dürfen nicht in unsichere oder unwürdige Verhältnisse zurückgeschickt werden.“ Meine Damen und Herren, ich glaube, diesem Satz ist nichts hinzuzufügen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Danke, Frau Abgeordnete Berninger. Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Bergner von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ich habe an dieser Stelle die grundsätzliche Haltung der Freien Demokraten zum Thema Asyl schon öfter dargelegt. Mit der persönlichen Erfahrung oder mit der Erfahrung unseres Volkes mit zwei Diktaturen gibt es für mich keinen Zweifel daran, dass politisches Asyl und auch Asyl für Minderheiten immer möglich sein muss.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall FDP)

Allerdings müssen wir auch dafür stehen - und deswegen finde ich auch bestehende Programme zumindest im Grundansatz richtig -, dass Reintegration vor Asyl stehen sollte, denn wo immer das möglich ist, sollten wir sogenannten ethnischen Säuberungen - und allein die Vokabel ist schon zynisch - keinen Vorschub leisten und den Menschen, die andere wegen ihres Andersseins vertreiben wollen, auf Dauer keine Chance lassen.

(Beifall FDP)

Es ist in dem konkreten Fall allerdings die Frage aufzuwerfen, wie ist die tatsächliche Situation. Da sehen wir auf der einen Seite vom Antragsteller ein Bild gezeichnet, das den Kosovo in sehr düsteren Farben malt. Wir sehen aber auch in der Bundestagsdrucksache 16/14157 ein Bild, das dort sehr konträr dazu steht, wo wir Hinweise darauf finden, dass es in der Verfassung des Kosovo eine Quotenregelung zugunsten von Minderheiten gibt, und dass im Parlament insgesamt vier Abgeordnete der genannten Minderheiten vertreten sind, dass auch jede Kommune über ein Büro für Minderheiten verfügt, das sich für die Belange der ethnischen Minderheiten vor Ort einsetzt. Im Dezember 2008 wurde die mit Unterstützung der OSZE ausgearbeitete Strategie für die Integration der Roma, Ashkali und Ägypter vom Kosovarischen Parlament verabschiedet. Das sind zumindest Schritte in die richtige Richtung, das sind Schritte in eine Richtung, wo man sich auch schon ein differenzierteres Bild meiner Meinung nach verschaffen muss. Die Regierung der Republik Kosovo tritt zumindest öffentlich für Toleranz und Respekt gegenüber den im Land lebenden Minderheiten ein. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf die Romagemeinschaft. Ein Vertreter der Roma sitzt ebenfalls im Konsultativrat der Gemeinschaften und ein Minderheitenbeauftragter ist dem Büro des Präsidenten der Republik Kosovo angegliedert.

Aus meiner Sicht müssen wir uns schon etwas differenzierter ein Bild verschaffen. Wenn wir uns auf die Antwort des Innenministers, auf die Anfrage der LINKEN in der Drucksache 5/836 verlassen dürfen, dann heißt das auch, dass im Augenblick keine konkreten Abschiebungen von Sinti und Roma, Ashkali und Ägyptern in Thüringen anstehen. Deswegen, denke ich, sollten wir uns, gerade auch mit Blick auf das Thema der notwendigen Einzelfallprüfung, im Innenausschuss ein umfassendes Bild verschaffen. Immerhin ist zumindest die Rechtslage, die wir haben, so, dass jeder Einzelfall ordnungsgemäß zu prüfen ist. Wenn die Fälle, die Sie hier geschildert haben, so stimmen sollten, dann heißt das bestenfalls, dass es in konkreten Fällen Einzelfallprüfungen gegeben hat, die nicht so gelaufen sind, wie sie laufen sollten, wenn die Fälle stimmen, die Sie geschildert haben. Auch darüber möchte ich im Innenausschuss selbstverständlich Informationen erhalten. Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion die Überweisung an den Innenausschuss. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Ich stehe jetzt für die Frage zur Verfügung.

(Beifall FDP)

Gut, dann kann Frau Berninger jetzt die Frage an Herrn Bergner stellen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank Herr Bergner. Sie haben von den Büros für Minderheiten gesprochen, die in jeder Kommune - ich weiß nicht, ob das stimmt - eingerichtet wurden, um Minderheiten zu beraten und zu unterstützen. Kennen Sie die OSZE-Studie vom November 2009, die, ich zitiere Amnesty International, unter anderem festgestellt hat, dass die Büros für Minderheiten in der Praxis ihre Aufgaben nicht wahrnehmen, weil sie zum Beispiel die Strategien und Aktionspläne, die ihre Arbeitsgrundlage sein sollen, nicht kennen oder aber gar keine Benachrichtigung über zu erwartende Rückkehrer erhalten?

Frau Kollegin, das sind genau die Punkte, wo ich meine, dass wir hier schon etwas mehr Aufklärung auch gerade im Ausschuss erlangen sollten. Es gibt hier Aussagen, die in die verschiedensten Richtungen gehen. Das Zitat, was ich hier gebraucht habe, habe ich dieser Bundestagsdrucksache entnommen. Ich möchte schlicht und einfach auch im Ausschuss hinterfragen dürfen, worum es da geht. Ich bedanke mich für Ihre im Kreis demonstrierte Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Vielen herzlichen Dank, Herr Bergner. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Holbe für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist nicht so ganz einfach, Ihnen, Frau Berninger, in gebotener Form auf Ihre Ausführungen zu antworten. Es ist zu einfach, Pauschalurteile oder Vorurteile oder Einzelbeispiele zu verallgemeinern und hier in den Raum zu stellen. Eines ist symptomatisch für die Diskussionen, die hier im Plenum geführt werden, wenn es um Integration, um Asylbewerber, um Flüchtlinge geht. Sie sprechen von Pauschalurteilen und Sie verkennen auch die gesetzlichen Grundlagen. Sie von der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen für sich in Anspruch, die Gutmenschen zu sein, demzufolge sind wir sicherlich die Schlechtmenschen. Warum? Weil wir in Deutschland bestehende Gesetze zum Aufenthaltsrecht umsetzen und weil wir diesen Abschiebungsstopp von ethnischen Minderheiten in den Kosovo nicht unterstützen. Das wäre doch zu einfach. Die Fraktionen der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern in ihrem Antrag: keine Abschiebung für ethnische Minderheiten wie Roma, Ashkali und Ägypter über die Thüringer Ausländerbehörden und über den Bundesrat Initiativen zu ergreifen, um bundesweit den Abschiebestopp durchzusetzen. In meinen Unterlagen habe ich auch nachlesen können, dass die ethnisch motivierten Gewalttaten im Kosovo seit 2004 zurückgegangen sind. Frau Berninger, ich kann jetzt nicht genau einschätzen, ob seit 2008 diese Unterteilung nicht mehr stattfindet. Das werde ich aber noch einmal nachschauen. Aber sicher war das auch ein Indiz in der Einschätzung dafür, dass der Bundesinnenminister Thomas de Maizière und sein kosovarischer Amtskollege Pajaziti ein Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kosovo verabschiedet hat. Es enthält die in anderen - etwa von der EU mit Drittstaaten - geschlossenen Rückübernahmeabkommen üblichen Komponenten der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger, der Übernahme Drittstaatenangehöriger, Staatenloser sowie Regelungen zur Durchbeförderung von Personen. Somit handelt es sich also nicht um ein Abkommen, das ausschließlich die Abschiebung bestimmter ethnischer Gruppen zum Ziel hätte, vielmehr ist es ein international anerkanntes Vertragswerk, das die Pflicht zur Rückübernahme regelt. Dabei ist nur die Staatsangehörigkeit oder die Herkunft einer Person aus dem Zielstaat ausschlaggebend, nicht ethnische oder sonstige persönliche Merkmale. Hierauf stellt auch

dieses Rückübernahmeabkommen ab. Mit dem Rückübernahmeabkommen werden somit verfahrenstechnische Einzelheiten für die Verpflichtung der Rückübernahme einer Person zwischen den Vertragsstaaten geregelt.

Es sind ca. 10.000 ausreisepflichtige Personen betroffen, die aus dem Kosovo stammen und derzeitig in der Bundesrepublik leben, in Thüringen ca. 350 Personen. Wie Thomas de Maizière erklärte, gehe es auch nicht um die Rückführung der Betroffenen als eine Massenabschiebung, sondern um die schrittweise Rückführung mit entsprechenden Einzelfallprüfungen.

Meine Damen und Herren, ich möchte das noch einmal betonen, dass bei jeder Person eine hinreichende Einzelfallprüfung durch die zuständigen Ausländerbehörden der Länder bzw. durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach den Maßgaben des deutschen Aufenthaltsgesetzes erfolgt. Im Rahmen einer solchen Einzelfallprüfung werden dann selbstverständlich humanitäre und menschenrechtliche Aspekte berücksichtigt. Dies ist Kernbestandteil des deutschen Ausländer- und Asylrechts. Ausländer, denen im Herkunftsland politische Verfolgung, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben oder Folter drohen, erhalten in Deutschland Asyl, Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutz. An der Stelle möchte ich einfügen, Frau Berninger, es geht um den Schutz vor Repressalien. Es geht nicht darum, ob es im Kosovo ein Sozialnetz gibt, in dem Sozialhilfe gezahlt wird oder nicht. Ansonsten müssten wir weit mehr Menschen aus dem Kosovo aufnehmen, um hier entsprechende Absicherung zu geben. Das kann es nicht sein. Ich denke, bei diesen Überprüfungen haben diejenigen, die hier betroffen sind, auch die Möglichkeit des Widerspruchs, der Klage, die Härtefallkommission anzurufen. Sie können dort ihre Situation nachprüfen lassen. Sollten dringende humanitäre und persönliche Gründe den Aufenthalt rechtfertigen, so wird dies auch berücksichtigt, so dass die Aufenthaltserlaubnis erteilt bzw. auch verlängert wird.

Die Bundesregierung unter Beiziehung der Berichte der internationalen Organisationen hat festgestellt, dass keine unmittelbare Gefährdung nur aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen und auch keine eingeschränkte Bewegungsfreiheit in der Republik Kosovo mehr herrscht. Zur gleichen Einschätzung sind auch andere europäische Aufnahmestaaten gelangt, die ebenfalls damit begonnen haben, diese ethnischen Minderheiten zurückzuführen. Unabhängig von der Rückführung bestehen für die Flüchtlinge aus dem Kosovo eine Reihe von Regelungen, die eine Legalisierung ihres Aufenthaltsrechts als Geduldete ermöglichen. Hierzu gehören § 25 Abs. 4 und 5, § 23 a des Aufenthaltsgesetzes sowie

die Bleiberechtsregelung des § 104 a Aufenthaltsgesetz, die erst letztens durch die Innenministerkonferenz um weitere zwei Jahre verlängert wurde. Aus Sicht des Bundesinnenministeriums gibt es keinen Handlungsbedarf für spezielle Bleiberechtsregelungen für Roma, Ashkali und Balkanägypter oder eine Aussetzung deren Abschiebung. Die Bundesrepublik hat in ihren Abkommensverhandlungen die Rückführung von 2.500 Übernahmeersuchen verhandelt. 2009 wurden von 2.385 Ersuchen nur 541 Personen zurückgeführt und davon 76 Roma.

Die Innenminister der Länder und der Bund haben sich auch darüber verständigt, dass diese Rückführung möglichst schonend zu beginnen ist. Ich glaube, allein die Zahlen, die ich gerade vorgetragen habe, belegen das hinreichend. Bei dieser schonenden Rückführung soll auch darauf geachtet werden, dass nicht sofort Hilfsbedürftige, kranke Personen, alleinerziehende Frauen, Familien mit kleinen Kindern, Kinder und Jugendliche zurückzuführen sind. Auch sind Alleinerziehende und diejenigen Menschen, die zwar familiäre Beziehungen in Deutschland haben, aber keine Angehörigen im Kosovo haben, ebenfalls in diesen Personenkreis aufgenommen worden.

Der Bund und die Länder setzen hier auf Freiwilligkeit der Rückführung und haben entsprechende Förderprogramme aufgelegt. Ich bin sehr dankbar, dass der Herr Bergner das hier auch in die Diskussion mit eingebracht hat. Diese Förderprogramme sollen für die Betroffenen den Start in der Heimat erleichtern. Eine vierköpfige Romafamilie würde nach diesen Förderprogrammen die Kosten für die Heimreise und eine Starthilfe von 2.850 € erhalten. Dies entspricht im Kosovo einem durchschnittlichen Jahresverdienst.

Sehr verehrte Damen und Herren, der Bund hat weitere Rückkehrerprojekte mit dem Programm URA 2 aufgelegt. Hier finden in einem Beratungszentrum in Pristina wertvolle Unterstützungsangebote zur Wiedereingliederung in die kosovarische Gesellschaft statt durch Beratungen und vielfältige Betreuungsangebote. Die Angebote reichen von Arbeits-, Wohnraumvermittlung bis hin zu Lohn- und Mietkostenzuschüssen, Gelder für Jobstart oder Existenzgründerhilfen. Es finden sich auch Angebote im psychologischen und sozialen Bereich. Die Betreuung der Rückkehrer gleichermaßen steht allen offen, unabhängig von ihrer Ethnie. Es gibt aber auch andere Programme, wie z.B. das GARP und GRAG, die für freiwillige Rückkehrer durch den Bund und die Länder finanziert werden.

Nun will ich nicht verschweigen, dass es sehr unterschiedliche Lebenssituationen gibt, in die die Rückkehrer kommen. So gibt es Reintegrationsprogramme, die nur unzureichend von den Rückkehrern ge

nutzt werden können. Es fehlt zum Teil an Abstimmungen zwischen den lokalen und zentralen Behörden und es fehlt Vernetzung. Kindern und Jugendlichen wird der Bildungszugang erschwert, die Krankenversorgung - ist mehrfach angesprochen - ist als unzureichend einzuschätzen. Das Land befindet sich im Aufbau. Ich denke, allein die wirtschaftlich - da sind wir uns einig - als schwierig einzuschätzende Situation kann sicherlich nicht dazu Anlass bieten, dass dies allein schon ein Indiz für Diskriminierung darstellt.