Protocol of the Session on July 18, 2014

Nun aber zu der eigentlichen Intention, was die Linksfraktion hier wieder einmal versucht zu unterstellen, dass das eben ein systemischer Ansatz in Thüringen wäre. Sie vermischen völlig beliebig Sittenwidrigkeit, Tariflöhne, Unterschreitung von Tariflöhnen und die Mindestlohnthematik. Das ist weder sauber noch irgendwie dienlich, wahrscheinlich Ihre Absicht, geht jedoch an Problemlösungen vorbei.

Kommen wir zu dem von Ihnen gelobten Mindestlohn und dessen wahrscheinlichen Folgen. Das ist erst einmal nur eine Wahrscheinlichkeit, denn ab 1. Januar beginnen wir mit dem Experiment, mit der Umsetzung.

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, Abg. Schu- bert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist kein Experiment.)

Es wird ein Experiment bleiben. Wenn wir von 1 Million sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in Thüringen ausgehen und Sie feststellen, dass 250.000 Menschen davon betroffen sind, dann müssten wir erst einmal gemeinsam entspannt feststellen können, dass die Betroffenheit von 250.000 Menschen sicherlich auch Folge haben wird.

(Beifall FDP)

Frau Leukefeld hat sich in einer Anfrage an die Landesregierung berichten lassen, wie die Situation der zurzeit arbeitslos gemeldeten Personen ist, insbesondere auch deren Berufs- und Schulausbildung. Sie hat festgestellt, dass knapp 30.000 Personen von den zurzeit arbeitslos gemeldeten Menschen in Thüringen im Alter zwischen 20 und 35 über keine Berufsausbildung gekoppelt mit keiner Schulausbildung verfügen. Sie haben richtig dargestellt, dass sich in den letzten Jahren in Deutschland ein Niedriglohnbereich entwickelt hat. Das war auch Gerhard Schröder mit seinen HartzIV-Reformen, weil damals zumindest eine große Einigkeit herrschte, dass die Massenarbeitslosigkeit von 8 Millionen Unterbeschäftigten nur dann zu beseitigen ist, wenn wir den weniger qualifizierten, weniger talentierten Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt über den Einstieg durch einen Niedriglohnbereich ermöglichen.

(Beifall FDP)

Insofern sind die Hartz-IV-Reformen folgerichtig gemacht worden. Schon damals hat man diskutiert, wie auch eigentlich zu Gründerzeiten der Republik unter Ludwig Erhard, dass eine Mindestlohnkonstruktion als Absicherung nach unten durchaus Sinn macht. Man hat sich damals mehr dem Tarifsystem zugewandt und gesagt, für Mindestlöhne in dem Sinne - und die hat auch von der FDP nie jemand bestritten oder negiert - sind die Tarifparteien über eine Tarifsetzung im Allgemeinverbindlichkeitsbereich zuständig, und hat so ein System aufgebaut, dass in den letzten Jahren zusehends etwas löchriger war, insbesondere im Osten, weil die Tarifbindung eine andere war, das wissen wir alle. Jetzt ist nur die Frage, ist die Maßnahme, insbesondere aus dem Blick für Thüringen, die richtige, einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 € zu beschließen? All das muss man berücksichtigen, denn wir unterwerfen jetzt den Mitarbeiter im Altenburger Land, in Artern denselben Voraussetzungen wie in München oder in Stuttgart. Und ob das eine ausreichende Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Leute, der Lebensumstände in den angesprochenen Gebieten und der Situationen in den Betrieben abbil

(Abg. Siegesmund)

det, das bleibt hier die Frage. Ich sage, das wird sie eher nicht abbilden, denn das kann sie nicht.

(Beifall FDP)

Eine Lösung, die alles regeln will, wird an der Realität vorbeigehen. Insofern befürchten wir Folgen für den ostdeutschen Arbeitsmarkt, für den thüringischen Arbeitsmarkt, weil wahrscheinlich nicht jeder der 250.000 betroffenen Menschen tatsächlich die Qualifikation, den Marktwert hat, um für 8,50 € beschäftigt werden zu können. Es gibt Beispiele,

(Zwischenruf Abg. Lukasch, DIE LINKE: Das ist ja ganz toll.)

bei denen sich Unternehmen heute schon Gedanken im Bereich der einfachen Arbeit machen. Es gibt das Beispiel, dass jemand sagt, okay, ich habe in meiner Bäckerei Personen, die mir

(Unruhe DIE LINKE)

die Tabletts abgewaschen haben, die einfache Arbeiten gemacht haben, die wir bis jetzt nur mit 6,00 € entlohnt haben, dass für den Fall - und der tritt ab 01.01. ein -, dass das mit 8,50 € zu entlohnen ist, ich diese Menschen nicht fortbeschäftigen kann - so eine Aussage kommt von vielen Unternehmen zu mir -, denn dann kaufe ich mir eine Wasch- oder Spülmaschine und lass die Arbeit damit verrichten.

(Zwischenruf Abg. Korschwesky, DIE LINKE: Unterhalb der Gürtellinie.)

Herr Staschweski, das wird nicht dadurch aufgehalten, indem wir da noch Arbeitsnormen definieren, wo wir sagen, okay, das ist maximal in einer Stunde leistbar. Wenn es dann eben nicht mehr finanzierbar ist, wird der Arbeitsplatz wegfallen. Das haben wir oftmals schon in der Republik erlebt. Entweder wird er technisiert oder ins Ausland verlagert, aber wir können auch weiter die Augen davor verschließen und sagen, okay, das kann alles nicht passieren, denn Sie haben die Wunderpille für alle Probleme gefunden. Richtigerweise haben Sie ausgeführt, dass die 8,50 € nicht per se dazu führen werden, dass keiner mehr aufstocken muss, weil die SoloSelbstständigen, also diejenigen, die hinter dem Credo stehen, jemand, der Vollzeitarbeit leistet und alleinstehend ist, muss von seinem Tageswerk leben können, also von diesen 8,50 €. Das sind insgesamt in ganz Deutschland 40.000 Menschen und das Risiko, 1 Million Arbeitsplätze zu gefährden, demgegenüber, eine Lösung für 40.000 Menschen zu finden, halte ich für schlichtweg riskant.

(Unruhe DIE LINKE)

Wenn die Große Koalition in Berlin wirklich den Problemen auf den Grund gehen wollte, die Sie ansprechen, der Rentenfrage, der Zukunft, Lebensgestaltung im Alltag im Niedriglohnbereich, dann hätte man die Sozialversicherungsabgaben in unseren

Bereichen anpacken müssen, die als zweite Steuer auf Arbeit wirken, die die Niedriglöhne und die mittleren Verdiener unheimlich belasten und das über die Maßen, weil sie eben nicht in den Genuss der Beitragsbemessungsgrenzenfreiheit kommen. Da hätte man etwas machen können. Kalte Progression wird immer geschoben, wird auch von Herrn Schäuble geschoben, ist kein Thema, hat er noch einmal betont, die schwarze Null ist wichtiger, die vielerlei Kosten anderer erwirtschaftet, übrigens auf Kosten der Energiewende, denn davon profitiert auch Herr Schäuble in großem Maße. Kalte Progression ist kein Thema. Wenn Sie diesen Leuten im Mittelstand helfen wollen, in der Mittelschicht und den Niedriglöhnen, dann müssen wir hier was anpacken und keine Geschenke wie Rente mit 63 machen, wo viele Windfall-Profite entstehen, die die Rentenkassen belasten, was eine notwendige oder eine vorgesehene Rentenbeitragsabsenkung verhindert hat, das wäre eine Entlastung gerade auch für die Bezieher niedriger Einkommen gewesen. Das hat die Regierung in Berlin unterlassen. Am Ende werden Sozialkassen geplündert; die Zeche zahlt damit der kleine Mann, den Sie angeblich immer schützen wollen. Machen Sie da was und tragen Sie das an die Adresse der Großkoalitionäre in Berlin, die auch hier vertreten sind. Packen Sie die Probleme an, da haben wir mehr gekonnt. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Kemmerich. Als Nächster hat jetzt Abgeordneter Frank Weber für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, im Sofortbericht hat der Staatssekretär schon alles deutlich gemacht, was in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss. Auch ich möchte auf die Regelung im Bund zum gesetzlichen Mindestlohn verweisen, wie das viele der Vorredner getan haben, dankenswerterweise auch vonseiten der Fraktion DIE LINKE, der antragstellenden Fraktion. Ich möchte in dem Zusammenhang noch einmal erinnern, weil mich das in den Diskussionen vonseiten unseres Koalitionspartners immer so sehr wundert, die jetzt im Bund diesen Weg mitgegangen sind, aber es war ein harter Weg, weil man über einen langen Zeitraum versucht hat, diesen gesetzlichen Mindestlohn zu verhindern. Eigentlich sollte es doch eine Christenpflicht sein, dass Menschen, die arbeiten, tatsächlich dafür einen gerechten Lohn bekommen. Wissen Sie, ich kann mich gut daran erinnern,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Kemmerich)

ich hatte einmal eine Versammlung im Rahmen meiner gewerkschaftlichen Tätigkeit und da war ein sehr bibelfester Arbeitgebervertreter, der an verschiedenen Stellen aus der Bibel zitiert und deutlich gemacht hat, was Zurückhaltung und Bescheidenheit - also er hat natürlich darauf hingewiesen, dass wir uns mit unseren gerechten Lohnforderungen in dem Kontext zurückhalten sollen. Da ist ein Kollege aufgestanden - erlauben Sie mir bitte, dass ich zitiere -, der hat sieben Kinder und ist an das Saalmikrofon gegangen und hat gesagt, wissen Sie, wenn Sie über die Bibel reden, da will ich Ihnen ein Zitat aus dem 5. Buch Mose, Kapitel 25, Vers 4 nahelegen: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden.“ Das bedeutet, dass der, der ordentlich arbeitet, auch ordentlich dafür entlohnt werden muss.

(Beifall SPD)

Das steht schon im 5. Buch Mose. Das heißt, das ist tatsächlich eine der ältesten Christenpflichten, die wir haben. Natürlich geht unser Bestreben dahin, für diejenigen

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Das hat Bebel schon aufgegriffen.)

- jetzt habe ich den Zwischenruf nicht verstanden. Die Bibel hat das Thema schon aufgegriffen?

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Bebel.)

August Bebel, 1906, ja.

(Unruhe SPD)

Warum, Kollege Hey? Weil Gotha adelt. Aber, wissen Sie, und der Staatssekretär hat das auch deutlich gemacht, wenn wir manchmal den verzweifelten Kampf von Menschen um ganz geringe Löhne sehen, die ein Leben am Existenzminimum bedingen. Ich glaube, dass wir einen Fehler machen, wenn wir nicht den Menschen von der politischen Klasse, die es noch nicht erkannt haben, und zwar fraktionsübergreifend, deutlich machen, dass es wichtig ist, für diese Löhne nicht nur nach dem Gesetzgeber und den Behörden zu rufen, sondern sich selbst zu organisieren, zu solidarisieren, gemeinsam einzustehen. Wir werden es mit keinem gesetzlichen Mindestlohn der Welt schaffen, dass Menschen tatsächlich für ihre Arbeit gerechte Löhne erhalten. Das ist deren eigenes Werk in Form von Solidarisierung, in Form von Arbeitskämpfen innerhalb der Gewerkschaften. Der Staatssekretär hat den Streik bei Autogrill schon erwähnt. 40 Streiktage, das ist übrigens für diejenigen, die noch nie einen Streik erlebt haben, ein ganz schön hartes Brot, 40 Tage im Ausstand zu sein, sich 40 Tage mit dem Arbeitgeber auseinanderzusetzen, mit dem Brötchengeber, 40 Tage in der Angst vor Repressionen, 40 Tage nach Hause kommen und in der Familie die Diskussion haben nach dem Motto, deine Kollegen sind am Ende des Tages

nicht für dich da, deine Kinder werden ernährt vom Arbeitgeber. Diese Diskussion durchzuhalten und der Solidarität und der Gemeinschaft zuzustehen und sich einzusetzen, das verdient immer wieder Respekt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Ich glaube, dass wir es vielleicht schaffen sollten, fraktionsübergreifend, auch, wenn die FDP da immer wieder bestimmte Berührungsängste deutlich macht, klarzumachen, dass es zu einem fairen Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen gehört, dass man sich solidarisiert, dass man sich in den Sozialpartnern, in den Organisationen, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite organisiert, um gemeinsam zu vernünftigen und fairen Löhnen zu kommen. Am Ende sind die Branchen, die vernünftige Tarifverträge haben, die Branchen, die vernünftige Motivation in der Beschäftigung haben, die Branchen, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Identifikation mit ihrer Tätigkeit erreichen, wo sie merken, dass diese Tätigkeit entlohnt wird, dass es etwas wert ist, was sie leisten, das sind die erfolgreichen Branchen in der Geschichte unseres Landes und in der Geschichte Europas.

(Beifall SPD)

Diejenigen, die immer wieder versucht haben, auf dem Rücken der Beschäftigten mit Billiglohn und mit Ausbeutung zu punkten, sind die Branchen und die Unternehmen, die immer wieder kurz vor dem Untergang und vor der Insolvenz stehen. Ich denke, wir sollten deutlich machen, dass der Weg zu fairen Löhnen ist, in die Gewerkschaften und in die Arbeitgeberorganisationen einzutreten. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen herzlichen Dank, Herr Weber. Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten vor. Doch, es gibt eine weitere Wortmeldung aus der FDP-Fraktion. Herr Bergner, Sie haben noch 4 Minuten 20 Sekunden.

Vielen Dank, die will ich nicht unbedingt ausnutzen. Eine Bemerkung vorweg, Herr Kollege Weber, wenn Mindestlohn Christenpflicht ist, dann frage ich mich, warum die SPD die Ausnahmen bei Zeitungszustellern durchgesetzt hat. Liegt das daran, dass es so viele Atheisten in der SPD gibt

(Unruhe SPD)

oder hat es etwas mit den Beteiligungen an den Verlagen zu tun?

(Zwischenruf Abg. Kanis, SPD: Das war kei- ne Ausnahme.)

(Abg. Weber)

Aber der eigentliche Grund, der mich hier nach vorn getrieben hat - und das will ich dann durchaus auch wieder etwas ruhiger anbringen -, ist eine Sichtweise, die mir ein bisschen, Herr Staatssekretär, in Ihrer Ausführung gefehlt hat, nämlich die Sichtweise derer, die die auskömmlichen Löhne und Gehälter, die wir wollen, zahlen können müssen. Da fehlt mir insgesamt in der Denkweise hier im Land, auch der öffentlichen Hand, in verschiedenen Ebenen, nicht nur auf Landesebene, der Gedanke, wie sorgen wir dafür, dass im rechtlich zulässigen Rahmen Aufträge der öffentlichen Hand in Thüringen auch an Thüringer Unternehmer gehen können, damit Thüringer Unternehmer aufgrund der verbesserten Einnahmesituation, aufgrund der verbesserten Auftragssituation in der Lage sind, bessere Löhne in Thüringen zu zahlen. Wir haben vor längerer Zeit, so ziemlich zum Anfang der Legislatur eine Kleine Anfrage gestellt, mit der wir genau erfragen wollten, wie viel Prozent der Aufträge in Thüringen denn tatsächlich an Thüringer Unternehmen gehen. Die einzige Antwort, die wir darauf bekommen haben, war die Aussage: Darüber führen wir keine Statistik. Ich will Ihnen ganz klar und deutlich sagen, sich darüber keine Gedanken zu machen, das ist in meinen Augen ein Stück verfehlte Wirtschaftspolitik. Ich bin der Meinung, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie wir dafür sorgen können, dass mehr Thüringer Aufträge in Thüringen vergeben werden können selbstverständlich, das will ich vornweg sagen, im Rahmen gültigen Vergaberechts. Auch da kann man, glaube ich, aufgrund von Statistiken versuchen, herauszufinden, woran es möglicherweise liegt, warum Thüringer Unternehmen vielleicht schlechtere Chancen hatten. Liegt es möglicherweise an der Formulierung überzogener Ausschreibungsbedingungen usw. usf.?

Ich will in aller Ruhe und Sachlichkeit sagen, ich glaube, dass es ein ganz dringendes Bedürfnis der kommenden Wirtschaftspolitik hier im Land sein muss, sich genau darüber Gedanken zu machen, wie wir dafür sorgen, dass die Unternehmen, von deren Steuern wir leben, die die Arbeitsplätze hier im Land schaffen, sichern und auch auskömmlich bezahlen sollen, zu ausreichend Aufträgen kommen können. Ich danke Ihnen.

Vielen Dank, Herr Bergner. Für die Landesregierung hat sich Staatssekretär Staschewski noch einmal zu Wort gemeldet.

Vielen Dank. Es ist das letzte Mal, dass ich - hier in dieser Legislaturperiode zumindest - darauf antworten kann. Deshalb möchte ich es auf jeden Fall noch einmal versuchen. Erstens bin ich erstaunt über den letzten Wortbeitrag, dass gerade Sie von