Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Eckardt aus dem Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit zur Berichterstattung.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thüringer Gesetz zur Neuregelung der als Maßregel angeordneten Unterbringung und ähnlicher Unterbringungsmaßnahmen - kurz Maßregelvollzugsgesetz - wurde am 2. April dieses Jahres durch die Landesregierung in das Parlament eingebracht und in der Plenarsitzung am 10. April in erster Beratung gelesen. Es erfolgte die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit als federführenden Ausschuss sowie den Justizausschuss zur Mitberatung. In einer Sondersitzung des Sozialausschusses am 11. April wurden eine mündliche und schriftliche Anhörung sowie die Liste der Anzuhörenden beschlossen. Die mündliche Anhörung fand in der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Familie und Gesundheit am 15. Mai statt. In der Anhörung kamen unter anderem Vertreter der drei Maßregelvollzugseinrichtungen, Vertreter von Angehörigen im Maßregelvollzug, Gewerkschaftsvertreter und Experten für Verfassungsrecht zu Wort. In der Anhörung wurden vor allem die Gesetzespassagen zur Beleihung der Chefärzte, zu den Interventionsbeauftragten und zum Besuchsrecht diskutiert.
Der Thüringer Datenschutzbeauftragte Dr. Lutz Hasse gab eine schriftliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf ab. Die Anhörung wurde im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit ausführlich ausgewertet. Auch wurde der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Würtenberger, durch den das Gutachten zu den Schlussfolgerungen für Thüringen aus dem Urteil zum hessischen Maßregelvollzug verfasst worden war, in der Sitzung am 12. Juni angehört, da er an der Sitzung im Mai, zur regulären mündlichen Anhörung, nicht hat teilnehmen können. Im Anschluss wurden auf Bitten des Abgeordneten Christian Gumprecht durch die Landtagsverwaltung einzelne Punkte des Gesetzentwurfs er
neut überprüft und in einer Ausschuss-Sitzung am 27. Juni erörtert und beraten. Durch die CDU und die SPD wurde in der Ausschuss-Sitzung am 10. Juli ein Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Landesregierung eingebracht, welcher mit Mehrheit beschlossen wurde.
Der Ausschuss empfiehlt die Annahme des Gesetzes und ich darf auch Sie bitten, dann dem Gesetz zuzustimmen. Ich danke Ihnen.
Es ist extrem laut hier im Saal und es wäre höflich, immer den Rednerinnen oder Rednern die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken und Gespräche, die nichts mit dem Plenum zu tun haben, nicht im Plenarsaal zu führen.
Ich eröffne jetzt die Aussprache. Es liegen Wortmeldungen aus allen Fraktionen vor. Als Erster hat das Wort für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Christian Gumprecht.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Maßregelvollzug in Thüringen wurde 2002 in private Trägerschaft überführt. Die Gründe waren vielschichtig. Sie waren, und darauf möchte ich nochmals hinweisen, nicht wirtschaftlicher Art. Konkret ging es erstens um eine Verbesserung der baulichen Bedingungen, die wahrlich nicht zufriedenstellend waren. Es ging zweitens um eine bessere Personalgewinnung und eine Verbesserung für Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und drittens ging es um Synergieeffekte, die durch die Verbindung von forensischer und allgemeiner Psychiatrie entstehen. Diese Ziele, meine Damen und Herren, wurden zweifelsohne erreicht.
Anlass nun für das vorliegende Gesetz ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Maßregelvollzug in Hessen - Hessen, nicht Thüringen. Dennoch hat die Landesregierung gehandelt und den Gesetzentwurf vorgelegt. Sie will damit die Anforderungen des Urteils vom 12. Januar 2012 berücksichtigen. Die Grundüberlegungen wurden in einem Gutachten von Prof. Würtenberger angestellt. Im Wesentlichen geht es erstens um die Sicherung der parlamentarischen Mitwirkung und zweitens um den sogenannten Beamtenvorbehalt nach Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, der besagt, dass alle Eingriffe in Grundrechte, die seitens des Staates erfolgen, nur von Beamten ausgeführt werden dürfen. Das heißt, Beamte, Gerichte oder Polizei müssen in diesen Fällen entscheiden. Das vorliegende Gesetz schlägt hierfür den sogenannten In
terventionsbeauftragten vor, der bei freiheitsentziehenden Maßnahmen entscheiden soll. In der Anhörung und in einzelnen Gesprächen wurde die eben genannte Lösung angezweifelt.
Meine Damen und Herren, die Frage ist: Worauf soll sich nun ein Abgeordneter verlassen, der weder Verfassungsrechtler noch Facharzt für forensische Psychiatrie ist? Der eine Jurist sagt, die Regelung ist verfassungswidrig, ein anderer meint, die ist selbstverständlich verfassungsgemäß. Aus diesem Grunde habe ich mit Schreiben vom 5. Juni die Landtagsverwaltung gebeten, nochmals die Verfassungsmäßigkeit des Interventionsbeauftragten zu prüfen. Das Ergebnis wurde mir und dem ganzen Sozialausschuss in der 62. Sitzung mit einem klaren Ja vorgetragen. Ich hatte eben die Frage gestellt: Worauf soll sich ein Abgeordneter nun verlassen? Ihm bleibt also nur die Entscheidung, sich erstens seines gesunden Menschenverstandes zu bedienen und zweitens nach umfangreicher fachlicher Beratung zu prüfen, wem vertraue ich. Ich habe für mich diese Entscheidung getroffen und empfehle Ihnen daher, das Gesetz mit den vorliegenden Änderungen und der heute noch eingebrachten Änderung anzunehmen.
Meine Damen und Herren, die von uns eingebrachten Änderungen haben verschiedene Ausgangspunkte. Da sind zunächst drei Änderungen, die wir selbst als Koalitionspartner eingebracht haben. Die erste Änderung stellt klar, dass zur Entscheidungsbefugnis auch die Verantwortung gehört. Das ist mit der Ergänzung in § 5 Abs. 3 geschehen. Das heißt, für die Entscheidung, die letztendlich der Chefarzt trifft, kann nur er verantwortlich sein, die der Interventionsbeauftragte dann trifft, nur er. Dies haben wir damit klargestellt.
Die zweite Änderung betrifft die Evaluierung des Gesetzes. Wir haben da zuerst gedacht: nach drei Jahren. Heute schlagen wir Ihnen vor, dieses vorzuziehen auf zwei Jahre. Deshalb der Änderungsantrag.
Die dritte Änderung betrifft die Personalbesetzung in § 32. Meine Damen und Herren, mit den Neubaumaßnahmen im Maßregelvollzug wurde zweifelsohne eine Qualitätsverbesserung erreicht. Die Patienten werden nun in wesentlich kleineren Stationen, hier in Thüringen maximal 16 Patienten, untergebracht. In Deutschland sind die Stationen wesentlich größer, 24 Patienten. Zusätzlich wurde die Personalausstattung erhöht, mit der Konsequenz, dass es einerseits zu einem Anstieg im Pflegesatz kam, aber auch mit der positiven Folge, dass sich die Verweildauer der Patienten in Thüringen verbessert hat und inzwischen ca. ein halbes Jahr unter dem Bundesdurchschnitt liegt, was man berücksichtigen muss.
mehreren Gesprächen mit Abgeordneten - konkret meines Abgeordnetenkollegen Wolfgang Fiedler die Bitte an uns gerichtet, die Psychiatriepersonalbemessung Forensik in den Gesetzestext aufzunehmen. Wir haben dies nicht direkt in den Text schreiben können, denn die sogenannte PV Forensik ist kein offizielles Dokument, sondern eine Auflistung der gewünschten Bemessung durch Chefärzte im Maßregelvollzug, die zwar in verschiedenen Vereinbarungen auftaucht, aber nie durch eine gegenseitige Unterschrift ein offizielles Dokument geworden ist. Darum haben wir eine Ergänzung in den Text eingebracht mit dem Wortlaut - und ich darf ihn zitieren: „Nach Vereinbarung kann eine andere Personalbemessungsgrundlage in den Einrichtungen gewählt werden.“ Die derzeitige Personalbemessung lehnt sich natürlich an der PV Forensik an, die auch in vielen Bereichen beibehalten werden soll. Wir wollen keine Standarderhöhung, wenn dies nicht geboten ist. Wir wollen aber auch nicht, dass es zu einer Verschlechterung kommt, die dann zu einer höheren Abbrecherquote führen würde. Wir wollen, dass zwischen Land und dem Betreiber Finanzierungsvereinbarungen geschlossen werden, die sich am Patienten orientieren.
Meine Damen und Herren, zahlreiche weitere Änderungen, auf die ich jetzt nicht noch mal eingehen werde, sind durch die Einwendungen des Petitionsausschusses entstanden. Wir haben sie im Wesentlichen berücksichtigt. Darin geht es um rechtskonforme Regelungen zum Therapieabbruch und zur Behebung von Missständen bei Besuchsregelungen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dieses Gesetz zu unterstützen, und bitte um Annahme. Vielen Dank.
Vielen herzlichen Dank, Herr Gumprecht. Als Nächste hat jetzt die Abgeordnete Anja Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
Danke, Herr Hey, für den frenetischen Jubel. Der wird aber gleich nicht von Ihnen fortgesetzt werden, weil ich Ihnen sagen muss, konstruktive Opposition hat ihre Grenzen.
Dieses Gesetz ist so unglaublich schlecht, dass wir als diejenigen, die sagen, wir geben durchaus in den Ausschüssen und auch wenn es um Änderungsanträge geht, viel bei, aber an dieser Stelle ist die Grenze auch erreicht.
Herr Gumprecht, so sehr Sie dafür werben, diesem Gesetz zuzustimmen, so sehr weiß ich, dass Sie im Tiefsten Ihres Herzens damit nicht zufrieden sein können. Ich werde begründen, warum meine Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnen wird.
Wir haben einen Gesetzentwurf vor uns liegen, der in einer unglaublichen Geschwindigkeit durch das parlamentarische Verfahren gepeitscht wurde. Herr Eckardt hat vorhin davon gesprochen, dass am 2. April 2014 das Gesetz vorlag. Es gab eine ausführliche Anhörung, in der nicht nur die drei betroffenen Kliniken ihre Unzufriedenheit äußerten, sondern so ziemlich alle, die an der Anhörung teilgenommen haben. Es war, um es kurz zu sagen, desaströs. Wir haben nach der Anhörung der Landesregierung, dem Sozialministerium nahegelegt, den Gesetzentwurf zurückzuziehen. Sie wollten unbedingt daran weiterarbeiten. Ich finde, offen gestanden, auch nicht, dass der Änderungsantrag von SPD und CDU das Gesetz besser macht, er verschlimmbessert das Ganze nur.
Es gab, meine sehr geehrten Damen und Herren, mehrere Ausschussberatungstermine. Es gab eine extra Anhörung mit dem Verfassungsrechtler Prof. Würtenberger. Es gab ein juristisches Gutachten der Landtagsverwaltung, vom Datenschutzbeauftragten eine Einlassung und selbst der Vorsitzende der Strafvollzugskommission hat sich bemüßigt gefühlt, sich zu äußern und Bedenken beizugeben. Allein ich sage Ihnen, es wurde nicht besser und deswegen ist dieses Gesetz etwas, mit dem wir nicht einverstanden sind. Herr Gumprecht, Sie sagen: Worauf vertraue ich? Ich vertraue darauf, dass durch diese Expertise, die wir als Abgeordnete bekommen haben, ganz klar ist, dass der Maßregelvollzug keinen guten Weg gehen wird mit dem Gesetz, was Sie heute hier beschließen werden. Wir haben nach der Anhörung empfohlen, den Gesetzentwurf zurückzuziehen, das wäre das Richtige gewesen, um wirklich umfassend darüber zu diskutieren, wie Therapie und Unterbringung psychisch kranker Menschen künftig aussehen sollen, weil das derzeitige und auch das kommende Verfahren nicht den Herausforderungen entspricht, vor die uns dieses sensible Thema „Unterbringung im Maßregelvollzug“ stellt,
vorhin gesagt, was das Ziel 2002 war. Ich glaube, es gibt nicht nur eine Fraktion, nämlich unsere, sondern auch andere, die der festen Überzeugung sind, die Privatisierung 2002 war ein Fehler, und sobald es geht, muss man das Ganze im Rahmen der entsprechenden Verträge rückgängig machen.
Grundsätzlich sehen wir Grüne im Bereich der Stärkung von Beteiligungsrechten und in der Transparenz von Erarbeitungsprozessen für Thüringen deutlichen Nachholbedarf. Wir werden auch nicht müde, dafür einzutreten. Aber ich muss Ihnen sagen, wenn Sie wirklich eine ernst gemeinte Reform hätten machen wollen, wären Sie es schlicht und ergreifend anders angegangen. Es ist bedauerlich, dass das nicht passiert ist.
Ich will zum Gesetz selbst kommen. Die Unterbringung im Maßregelvollzug in Thüringen erfolgt in drei forensischen Kliniken, Stadtroda, Mühlhausen und Hildburghausen. Sie haben die Urteile benannt, aufgrund derer es eine Novellierung geben muss. Das Bundesverfassungsgericht fordert Änderungen insbesondere im Bereich Funktionsvorbehalt und beim Demokratisierungsprinzip. Das heißt, bei der privatrechtlichen Unterbringung muss die Beleihung der medizinischen Zwangsbehandlung in Thüringen in Zukunft anders geregelt werden. Dann gab es das Gutachten von Prof. Dr. Würtenberger, der sich intensiv mit den Besonderheiten des Thüringer Modells auseinandergesetzt hat. Es gab aber darüber hinaus auch noch ein Gutachten von Dr. Kammeier, der an deutlich vielen Stellen und Eckpunkten des Gesetzentwurfs massive verfassungsrechtliche Bedenken gesehen hat, bis heute sieht, und dem Sie schlicht nicht zuhören wollten.
An dieser Stelle, Herr Gumprecht, machen Sie doch aus Ihrem Herzen keine Mördergrube. Erwähnen Sie wenigstens denjenigen, der sich intensiv, nicht nur in Thüringen, sondern in vielen Bundesländern, mit Maßregelvollzug beschäftigt hat und dem Sie nicht mal zuhören wollten, nur weil er auf grünem Ticket in die Anhörung eingeladen war. Das finde ich immer schade, dass die Diskussion dann so läuft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren - gerne am Ende, Herr Gumprecht -, so ziemlich das Einzige, was in dem Gesetzentwurf klar ist, ist, dass drei Beamte im höheren oder gehobenen Dienst beim Landesverwaltungsamt eingestellt werden sollen. Herr Prof. Würtenberger nennt sie Interventionsbeauftragte, Dr. Kammeier nennt sie Sanktionsbeauftragte und dabei bleibt es auch. Es ist nicht geklärt, was die eigentlich tun sollen. Wie stellt sich das Sozialministerium die Arbeit dieser Sanktionsbeauftragten also vor? Wie und wann genau sind diese in den jeweiligen Kliniken präsent? Welche Form der Indikation wird zur Informationsgewinnung über den Zustand der Patientinnen und Patienten herangezo
gen? Immer noch viele Fragen, die offen sind. Es bestehen aus unserer Sicht viele Unklarheiten. In der Stellungnahme hat Dr. Kammeier - wir haben mit ihm auch zu Ihrem Änderungsantrag telefoniert, der hält seine Bedenken auch danach aufrecht, er ist einfach ausgewiesener Experte -, ich wiederhole es noch mal, grobe Bedenken, dass Thüringen hier gegen Bundesrecht, genauer gesagt, gegen § 61 StGB verstößt. Das heißt, Sie gehen hier auf ganz dünnes Eis mit dem Gesetzentwurf; ich kann Ihnen davon nur abraten. Wir sagen, dass das Modell des Interventionsbeauftragten falsch und unangemessen ist, dass sich Thüringen hier auf dem Holzweg befindet.
Zum Schluss drei Punkte: Es braucht verlässliche und klare Rahmenbedingungen, damit die Versorgung der Patientinnen und Patienten gesichert ist.
Sofort. Es braucht die Stärkung der Selbstbestimmungsrechte und es braucht eine differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung.